Straßenentwässerung

Versickern lassen statt ableiten

07:18 Minuten
In einer Senke in Berlin-Frohnau ist liegt ein Versickerungsteich, der Regenwasser sammelt.
21 Versickerungsteiche, die sogenannten "Blauen Augen", sammeln in Berlin-Frohnau Regenwasser. © Tim Zülch
Von Tim Zülch · 23.12.2019
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Überflutete Straßen, vollgelaufene Keller: in den letzten Jahren gab es infolge von Starkregen immer wieder Überschwemmungen. Wohin mit dem Wasser, das da vom Himmel kommt: in die Kanalisation leiten oder - wie in Berlin-Frohnau - in Versickerungsteiche?
Der Regen plätschert auf den Asphalt. Kleine Rinnsale bilden sich am Straßenrand. Schließlich strömt das Regenwasser über ein Rohr in den Edelteich. Einen von 21 Versickerungsteichen in Frohnau. Eine Kanalisation gibt es hier nicht. Hans-Peter Lühr öffnet den Regenschirm. Er ist Bauingenieur und setzt sich mit dem Bürgerverein Frohnau für Erhalt und Weiterentwicklung dieses Systems ein.
"Frohnau ist ja 1910 gegründet worden. Und zwar nicht an einem Gewässer. Und da war natürlich die große Frage: Wie bringen wir das Oberflächenwasser weg, wenn wir jetzt hier diese Siedlung am Reißbrett entwickeln lassen?"
Am Reißbrett saßen damals die beiden Stadtplaner und Hochschulprofessoren Joseph Brix und Felix Genzmer. Sie gewannen den stadtplanerischen Wettbewerb zur Entwicklung einer Gartenstadt vor den Toren Berlins.
"Es ist ja nicht alles platt hier, sondern wir haben ein leichtes Auf und Ab", erklärt Hans-Peter Lühr. "Und überall an diesen Einzugsgebieten hat man dann an der tiefsten Stelle einen Versickerungsteich angelegt und die Straßen so geführt, dass letztendlich das Wasser diesen Versickerungsteichen zugeführt werden kann, wo es dann versickern kann."

Das 100 Jahre alte System funktioniert immer noch

Hans-Peter Lühr geht mit kräftigen Schritten am Edelhofdamm entlang. Während er kurz innehält, legt er den Kopf leicht schräg und zeigt mit dem Finger auf den Straßenverlauf:
"Das geht immer ein bisschen bergauf und dann wieder runter hier. Hier läuft das von hier hin dann dort rein. Und wenn Sie hinten sind, merken Sie plötzlich, ah, jetzt sind wir auf dem Hochpunkt und jetzt geht es wieder runter."
Auch über hundert Jahre nach seiner Erbauung funktioniere das System noch sehr gut, meint Lühr.
"Also, es ist eine absolute Meisterleistung. Und insofern stellt auch Frohnau mit dem System Straße und den Versickerungsteichen zur Ableitung von Niederschlagsereignissen ein Unikat dar. Das gibt es so auf der ganzen Welt nicht in dieser Größenordnung."
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Der Bauingenieur Hans-Peter Lühr kämpft für den Erhalt des Regenwasserversickerungssystems in Berlin-Frohnau.© Tim Zülch
Im Sommer 2017 allerdings traten nach starken Regenfällen einige der Teiche über ihre Ufer. Dutzende Keller liefen voll Wasser. Teilweise wuchs der Unmut. Und der Ruf nach einem Kanalsystem wurde laut.
Der falsche Weg, findet auch Diplomingenieur Harald Sommer. Er ist Mitarbeiter der Firma Sieker, die sich auf Regenwasser spezialisiert hat. Dezentrale Regenwasserversickerung sei eine Zukunftsaufgabe, meint Sommer:
"Die Starkregenereignisse der letzten Jahre, die haben das Thema sehr in den Fokus gerückt. Wir müssen sehen, dass durch den Neubau sich die Verhältnisse im Kanalbereich nicht noch verschlechtern. Und da bietet die Regenwasserbewirtschaftung mit Rückhaltungen bis zu hundert Prozent auf dem Grundstück, die Möglichkeit, die Mischwasser-Belastung zu reduzieren."
Doch nicht nur die Entlastung der Kanalisation in immer stärker verdichteten Innenstadtgebieten treibt Sommer um. Er hat festgestellt, dass auch Straßenbäume durch lokale Versickerung von Regenwasser besser gedeihen:
"Wir haben große Probleme mit Baumpflanzungen im innerstädtischen Bereich. Wir müssen gucken, dass wir diese Dürreperioden, so wie wir sie 2018 und auch 2019 hatten, ja auch berücksichtigen bei der Planung, dass wir das Wasser möglichst zurückhalten vor Ort. Wenn man mit Grünamtsleitern redet oder mit Forstmitarbeitern, da wird das klar, dass wir auch da in die Richtung was unternehmen müssen."

Starkregen und Trockenheit - zwei Seiten einer Medaille

Es scheint zu stimmen, was auf den ersten Blick paradox scheint. Starkregen und verstärkte Trockenheit sind zwei Seiten einer Medaille. Das zumindest geht aus Messwerten des Meteorologen Fred Hattermann hervor. Er forscht zu dem Thema am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung.
"Wir gucken uns eigentlich ständig die aktuellen Daten an – und eben auch die historischen. Vergleichen, ob es in den historischen Daten bis jetzt einen Trend gibt", erklärt er. "Da sehen wir auch schon was. Die Starkregenniederschläge in Europa und weltweit häufen sich so stark, dass es eben kein Zufall mehr ist. Es sind einfach zu viele. Andererseits haben wir in vielen Regionen auch Perioden dazwischen, wo es gar nicht regnet."
Beobachten könne man aber noch etwas anderes, sagt Fred Hattermann:
"2018 und auch in diesem Frühjahr war es so, dass wir sehr lang anhaltende Wetter hatten. Wir hatten sehr lang anhaltende Hochdruckbedingungen, die haben dann zu dieser Trockenheit geführt. Ddiese Andauer der Wetterlagen scheint zu steigen, und auch das verstärkt natürlich Extreme. Also lange kein Regen: Trockenheit. Lange viel Regen: Hochwasser."

Begrünte Dächer nehmen Regenwasser auf

Lioba Lissner ist Landschaftsarchitektin. Sie steht auf einer Baustelle der städtischen Wohnungsbaugesellschaft HOWOGE in Berlin-Johannisthal. Hier entsteht aktuell ein autofreies Wohngebiet mit 314 Wohnungen in 20 Gebäuden. Die Herausforderung für sie war, auf wenig Raum möglichst viel Regenwasser versickern zu lassen:
"Das haben wir hier an der Straße am Flugplatz so gelöst, dass alle Dächer der Gebäude begrünt sind. Dann gibt es nur noch einen Teil des Wassers, ein bisschen mehr als die Hälfte, was überhaupt auf den Boden kommt. Der Rest ist schon auf den Dächern zurückgehalten."
Lioba Lissner holt einen Plan aus der Tasche, faltet ihn auf, fährt mit dem Finger über blaue und grüne Flächen:
"Überall da, wo es so blau ist, kann theoretisch das Wasser für eine Weile stehen, bis es versickert. Natürlich ist es so, dass man immer noch trockenen Fußes zu seinem Haus kommt, wenn es regnet oder geregnet hat. Das heißt, die Wege und Fahrflächen für die Feuerwehr bleiben vom Wasser frei. Und es ist so konzipiert, dass spätestens innerhalb von 24 Stunden dieses Wasser dann auch versickert ist."
Bei sommerlicher Hitze fördere ein solches Konzept sogar die Kühlung des Gebiets, ergänzt Lissner.

Asphalt behindert die Versickerung

Doch in Frohnau muss Hans-Peter Lühr für die Erhaltung des Regenwassersystems kämpfen. Immer wieder würde das kleinteilige historische Straßenpflaster entfernt und durch Asphalt ersetzt. Das allerdings behindere die Versickerung:
"Straßenbauer haben über Jahrzehnte nur in Beton und Asphalt gedacht und möglichst alles asphaltiert. Anliegen auch der Anwohner. Aber das Versickerungssystem ist aus meiner Sicht das höherwertige Ziel, was man dann erreichen muss."
Er wünscht sich nun ein Pilotprojekt in Frohnau für einen neuen Umgang mit Regenwasser.
"Klimaschutz hin und her, das ist alles zu unkonkret. Ich glaube, die Bezirke sind da überfordert, weil sie keine Kapazitäten haben. Das fällt nicht vom Himmel. Das ist eine herausragende Aufgabe und eine langfristige Aufgabe, die auch viel Geld braucht."
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