Stramm geschnürte Nuditäten
Nobuyoshi Araki ist bekannt für seine Aktbilder von gefesselten, verschnürten Frauen. In seiner Heimat Japan sind manche seiner Fotos als Pornografie tituliert und zensiert worden. In Hannover stellt man der großformatigen Fleischeslust Holzschnitte aus dem 18. und 19. Jahrhundert gegenüber, um so eine Art Tradition der erotischen Kunst herzustellen.
Fleischeslust im Großformat: Böse Zungen werden behaupten, das nahegelegene Rotlicht-Viertel habe die altehrwürdige Kestnergesellschaft in eigene Regie genommen - so übermächtig erscheinen die Fotos des berühmten Araki in den Ausstellungssälen. Geben sich die gefesselten Mädchen im Eingangsraum - bis auf ein wenig Oberweite - noch relativ bedeckt, so kommen zum Schluss die fleischlichen Attribute vollends zur Geltung.
Früher waren die Fotos der Serie "Bondage" noch klein und schwarzweiß, nun also sind sie riesig und in Farbe, wodurch die direkte, aggressive Bildsprache noch gesteigert wird. Da diese plakativen Fotos den japanischen Zoll so nicht passieren dürfen, wurden sie erst in Deutschland auf volle Größe gebracht. Ein Schild warnt Eltern vor möglichen Gefahren, und mancher Besucher wird fragen, ob man solche Werke denn unbedingt zeigen müsse. Veit Görner, Direktor der Kestnergesellschaft:
"Man muss sie zeigen, weil sie neben anderen Motiven wie Stadtlandschaften und Blumenmotiven ein wichtiger Teil seines Werks sind. Diese 'Bondage'-Bilder sind aus der kulturellen Tradition Japans heraus zu sehen und nicht - wie bei uns - unter dem Aspekt der Pornographie. Die Fesselung leitet sich von der klösterlichen Meditation her sowie aus der Geschichte des Militärs. Höhere Krieger wollten besonders gefesselt werden - anders als die niederen. Daraus hat sich die Fesselungskunst entwickelt, aus der die ‘Bondage' wurde. Ähnliches findet man bei den japanischen Schriftzeichen, die die Knotung einzelner Linien zum Schwerpunkt haben.”"
Andere Länder, andere Sitten? Diese Fotos von Araki wirken eher befremdlich als fernöstlich fremd. Wer sie ausstellt, darf buchstäblich damit rechnen, zum Stadtgespräch zu werden. Irgendein Bedenkenträger findet sich bestimmt, der "Skandal" ruft und die Ausstellungsräume füllt:
""Das wird in jedem Fall passieren und lässt sich auch nicht vermeiden. Das war bei Helmut Newton so, und bei Courbet, als der sein berühmtes Bild von 1866 'Der Ursprung der Welt' zeigte. Das ist grundsätzlich so, wenn man Kunstwerke ausstellt, die sexuelle Inhalte haben.”"
Neben den reichlich abgeschmackten Fessel-Fotos ist in dieser Schau noch eine andere Seite des vielbeschäftigten Künstlers zu besichtigen - es sind ruhige, meditative Bilder mit viel Himmel, die Araki in den neunziger Jahren herstellte: den Tod seiner Frau wollte er so verarbeiten. Auf jedes Foto ist das Schriftzeichen für "Himmel" gemalt.
Flankiert werden Arakis Himmelsansichten und die stramm geschnürten Nuditäten von rund 140 japanischen Holzschnitten: wunderbaren, farblich fein abgestuften Bildern vorwiegend aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Mit dabei der Star Hokusai mit seiner bekannten Welle und diversen anderen Blicken auf den Fudschijama. Veit Görner:
""Ähnlich wie Araki, der pausenlos die Stadt durchstreift und sie auf Fotos festhält, war auch Hokusai ein unsteter Künstler. Über 90 Wohnorte sind von ihm bekannt, er war ständig unterwegs und hat das Leben der Japaner dokumentiert. Und es gibt Ähnlichkeiten in den Genres: Bei Araki und Hokusai und den anderen finden wir sexuelles Leben, den Himmel, Landschaftsmotive, Stilleben und Aspekte der japanischen Gesellschaft.”"
Auch Schauspielerporträts und Straßenimpressionen sind unter den Holzschnitten der verschiedenen Künstler vertreten - und eben erotische Darstellungen, Kopulationsmotive für den Hausgebrauch. Holzschnitt-Sammler Michael Thun:
""Diese Bilder sind nicht signiert. Sie wurden Kopfkissen-Bücher genannt und Frauen vor der Hochzeit geschenkt, damit sie sehen, was auf sie zukommt. Die Geschlechtsteile auf diesen kleinformatigen Blättern sind übertrieben groß dargestellt. Diese Bilder waren sehr beliebt, das ist das Menschliche an der Sache.”"
Mit den erotischen Motiven ergibt sich so ein "Berührungspunkt" zwischen den historischen Drucken und dem grellen Schausteller Araki - der sich übrigens als Bewunderer Hokusais ausgibt.
Komplettiert wird das japanische Kunstpanorama in der Kestnergesellschaft von einem "shooting star" der Gegenwartsmalerei. Die 1970 geborene Kumi Machida erinnert in ihrem Pinselduktus an kalligraphische Eleganz, in den Figuren aber auch an moderne Manga. In reduzierter Form, mit Tuschlinien und wenig Farbe, bringt sie rätselhafte Gestalten aufs Papier. Kleine Hände ragen aus einem Kopf, sie halten Fäden; aus einer Tasche wird ein Hasenohr gezogen, aus einem menschlichen Ohr eine Pfote. Zwei Kinder stehen sich gegenüber, eines mit Gesicht, eines ohne. Es sind bedürftige Menschen - die aber die Hoffnung nicht aufgegeben haben. Machida:
""Mir geht es um die Kommunikation zwischen den Menschen - die immer wieder schief gehen kann. Weil man nicht aufeinander hört. Das will ich mit den seltsamen Details an meinen Figuren darstellen - dabei aber nicht nur den gegenwärtigen Zustand beschreiben, sondern auch die Möglichkeit einer positiven Veränderung."
Kumi Machida, Araki, Hokusai und die anderen historischen Holzschneider - als einen Dreiklang will man in Hannover diese opulente Schau verstanden wissen. Ein Ausstellungspaket, das für Diskussionsstoff sorgt und den Besucher "fesseln" soll.
Service:
Die Ausstellung araki meets hokusai - die kunst japans ist bis 12.05.08 in der Kestnergesellschaft Hannover zu sehen.
Früher waren die Fotos der Serie "Bondage" noch klein und schwarzweiß, nun also sind sie riesig und in Farbe, wodurch die direkte, aggressive Bildsprache noch gesteigert wird. Da diese plakativen Fotos den japanischen Zoll so nicht passieren dürfen, wurden sie erst in Deutschland auf volle Größe gebracht. Ein Schild warnt Eltern vor möglichen Gefahren, und mancher Besucher wird fragen, ob man solche Werke denn unbedingt zeigen müsse. Veit Görner, Direktor der Kestnergesellschaft:
"Man muss sie zeigen, weil sie neben anderen Motiven wie Stadtlandschaften und Blumenmotiven ein wichtiger Teil seines Werks sind. Diese 'Bondage'-Bilder sind aus der kulturellen Tradition Japans heraus zu sehen und nicht - wie bei uns - unter dem Aspekt der Pornographie. Die Fesselung leitet sich von der klösterlichen Meditation her sowie aus der Geschichte des Militärs. Höhere Krieger wollten besonders gefesselt werden - anders als die niederen. Daraus hat sich die Fesselungskunst entwickelt, aus der die ‘Bondage' wurde. Ähnliches findet man bei den japanischen Schriftzeichen, die die Knotung einzelner Linien zum Schwerpunkt haben.”"
Andere Länder, andere Sitten? Diese Fotos von Araki wirken eher befremdlich als fernöstlich fremd. Wer sie ausstellt, darf buchstäblich damit rechnen, zum Stadtgespräch zu werden. Irgendein Bedenkenträger findet sich bestimmt, der "Skandal" ruft und die Ausstellungsräume füllt:
""Das wird in jedem Fall passieren und lässt sich auch nicht vermeiden. Das war bei Helmut Newton so, und bei Courbet, als der sein berühmtes Bild von 1866 'Der Ursprung der Welt' zeigte. Das ist grundsätzlich so, wenn man Kunstwerke ausstellt, die sexuelle Inhalte haben.”"
Neben den reichlich abgeschmackten Fessel-Fotos ist in dieser Schau noch eine andere Seite des vielbeschäftigten Künstlers zu besichtigen - es sind ruhige, meditative Bilder mit viel Himmel, die Araki in den neunziger Jahren herstellte: den Tod seiner Frau wollte er so verarbeiten. Auf jedes Foto ist das Schriftzeichen für "Himmel" gemalt.
Flankiert werden Arakis Himmelsansichten und die stramm geschnürten Nuditäten von rund 140 japanischen Holzschnitten: wunderbaren, farblich fein abgestuften Bildern vorwiegend aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Mit dabei der Star Hokusai mit seiner bekannten Welle und diversen anderen Blicken auf den Fudschijama. Veit Görner:
""Ähnlich wie Araki, der pausenlos die Stadt durchstreift und sie auf Fotos festhält, war auch Hokusai ein unsteter Künstler. Über 90 Wohnorte sind von ihm bekannt, er war ständig unterwegs und hat das Leben der Japaner dokumentiert. Und es gibt Ähnlichkeiten in den Genres: Bei Araki und Hokusai und den anderen finden wir sexuelles Leben, den Himmel, Landschaftsmotive, Stilleben und Aspekte der japanischen Gesellschaft.”"
Auch Schauspielerporträts und Straßenimpressionen sind unter den Holzschnitten der verschiedenen Künstler vertreten - und eben erotische Darstellungen, Kopulationsmotive für den Hausgebrauch. Holzschnitt-Sammler Michael Thun:
""Diese Bilder sind nicht signiert. Sie wurden Kopfkissen-Bücher genannt und Frauen vor der Hochzeit geschenkt, damit sie sehen, was auf sie zukommt. Die Geschlechtsteile auf diesen kleinformatigen Blättern sind übertrieben groß dargestellt. Diese Bilder waren sehr beliebt, das ist das Menschliche an der Sache.”"
Mit den erotischen Motiven ergibt sich so ein "Berührungspunkt" zwischen den historischen Drucken und dem grellen Schausteller Araki - der sich übrigens als Bewunderer Hokusais ausgibt.
Komplettiert wird das japanische Kunstpanorama in der Kestnergesellschaft von einem "shooting star" der Gegenwartsmalerei. Die 1970 geborene Kumi Machida erinnert in ihrem Pinselduktus an kalligraphische Eleganz, in den Figuren aber auch an moderne Manga. In reduzierter Form, mit Tuschlinien und wenig Farbe, bringt sie rätselhafte Gestalten aufs Papier. Kleine Hände ragen aus einem Kopf, sie halten Fäden; aus einer Tasche wird ein Hasenohr gezogen, aus einem menschlichen Ohr eine Pfote. Zwei Kinder stehen sich gegenüber, eines mit Gesicht, eines ohne. Es sind bedürftige Menschen - die aber die Hoffnung nicht aufgegeben haben. Machida:
""Mir geht es um die Kommunikation zwischen den Menschen - die immer wieder schief gehen kann. Weil man nicht aufeinander hört. Das will ich mit den seltsamen Details an meinen Figuren darstellen - dabei aber nicht nur den gegenwärtigen Zustand beschreiben, sondern auch die Möglichkeit einer positiven Veränderung."
Kumi Machida, Araki, Hokusai und die anderen historischen Holzschneider - als einen Dreiklang will man in Hannover diese opulente Schau verstanden wissen. Ein Ausstellungspaket, das für Diskussionsstoff sorgt und den Besucher "fesseln" soll.
Service:
Die Ausstellung araki meets hokusai - die kunst japans ist bis 12.05.08 in der Kestnergesellschaft Hannover zu sehen.