Stralsund kämpft gegen den Schimmel

Von Peter Marx |
Für Laien auf den ersten Blick kaum zu erkennen, trotzdem äußerst gefährlich für die Bücher: Schimmel. Aufwendig müssen die Bücher des Stralsunder Bücherarchivs deshalb gereinigt werden. Das dauert eigentlich Jahrzehnte - doch die Stralsunder wollen es schneller schaffen.
"…und sie sehen hier im Hintergrund die Reinraumwerkbank, die im Grunde genommen Standard für jede Altbestandbibliothek, für jedes historische Stadtarchiv ist."

Burkhard Kunkel ist der neue Archivbeauftragte der Hansestadt und sehr stolz auf die neue Werkbank, die für 10 000 Euro angeschafft worden ist. Ein historisches Buch liegt aufgeschlagen auf einer Platte, hinter einer Glasscheibe. Die Luft zirkuliert, es entsteht ein Unterdruck im Glaskasten der Werkbank. Starke Lüfter saugen die frei gewordenen Schadstoffe an, die in einem Filter aufgefangen werden.

"Wir reinigen das Buch Blatt für Blatt. Wir kehren das also innen drinnen aus. Wir reinigen den Umschlag und den Einband vor außen. Und wir können ungefähr davon ausgehen, dass wir für die Reinigung eines Buches etwa zwischen einer halben und einer dreiviertel Stunde brauchen."

Kleine braune Flecken: mehr ist auf den Bücherseiten nicht zu sehen. Für Laien leicht zu übersehen, für Fachleute wie Kunkel ein deutliches Zeichen für Schimmelbefall.

"Dann gibt es Schimmel, der sieht braun aus oder sieht eben so aus wie Staub. Und man kann ihn als Schimmel mit bloßem Auge nicht erkennen. Und das muss weg – auf Deutsch gesagt."

Im Schichtbetrieb erledigen derzeit vier Archivmitarbeiter die Reinigung der Bücher. In diesem Tempo würde es jedoch Jahrzehnte dauern, bis alle Bücher schimmelfrei sind. So lange will der Archivbeauftragte nicht warten:

"In Zahlen kann man es schwer ausdrücken, weil man das einzelne Buch beproben kann. Aber sie können sich vorstellen, wenn wir 125 000 Bände beproben, brauchen wir erst mal 5 Jahre nur, um uns ein Bild vom tatsächlichen Zustand zu machen. Und wir wollten das Geld für die Reinigung ausgeben und darum haben wir uns auf Stichproben konzentriert und den Zustand geschätzt. Und wenn wir mit fremder Hilfe und mit allen Anstrengungen und allen Kräften können wir es in drei, vier Jahren schaffen."

Vorausgesetzt die ehrwürdige Hansestadt Stralsund hat Geld für die Rettung der Bücher. Im laufenden Haushalt wurden 250 000 Euro bereitgestellt. Doch das ist nicht mehr als eine erste Rate. Holger Albrecht, Kultursenator der Stadt, ist zuversichtlich, dass die Mittel auch für die nächsten Jahre bereitstehen:

#"Es gibt da Angaben von dem Unternehmen, was jetzt die Untersuchung gemacht hat, das Gutachten erstellt hat. Und dort wurden also Schätzungen vorgenommen, was kostet ein laufender Meter Bücher oder Zeitschriften. Und wenn man das mal hochrechnet, käme man auf etwa eine Million Euro."

Albrecht, gleichzeitig Stellvertreter des Oberbürgermeisters, ist die Zuversicht in Person. Geld – kein Problem. Rettung der Sammlungen - kein Problem. Und wie war das in der Vergangenheit? Erst der illegale Verkauf von Teilen der Gymnasialbücherei machte die Stadtverantwortlichen aufmerksam auf die Schimmel-Archive. Der Senator wehrt sich gegen den Vorwurf, die Weltkulturerbe-Stadt habe ihre Archivschätze schlicht und einfach vergessen:

"Nein, natürlich nicht. Die Stadt weiß sehr wohl, dass sie historische Bücher hat, hier im Stralsunder Stadtarchiv und das schon viele Jahre und die Bibliothek verzeichnet 125 000 Bände und das konnte nicht unbemerkt bleiben."

Die gefeuerte Archivchefin hatte schon 1992, so regionale Zeitungen, vor dem desolaten Zustand des Archivgebäudes gewarnt, wo Wasser und Frost den Büchern zusetzten. Doch damals wurden ihre Ängste von der Verwaltung als "unbegründet" abgetan. Jetzt zürnt der Senator:

"Doch, doch, die Bibliothek erfuhr immer schon eine große Aufmerksamkeit und war auch immer bei vielen, vielen Besuchen ein Vorzeigeobjekt."

Die Bibliotheksgeschichte der Hansestadt geht zurück auf die Reformationszeit. Damals wurden die Bücher der umliegenden Klöster nach Stralsund gebracht. Dazu kamen später Schenkungen von Ratsmitgliedern oder Bücherkäufe der Generalgouverneure aus der schwedischen Besatzungszeit. Herzstück der Sammlungen ist jedoch die Gymnasialbibliothek, so der Archivbeauftragte Burkhard Kunkel.

"Und eine der ersten Bibliotheksbestandteile war die Gymnasialbibliothek, die mit der Gründung des Stralsunder Gymnasiums im Jahr 1560 zusammenpasst. Da sind Kinder, Jugendliche zur Schule gegangen, die haben in Greifswald, Göttingen, Helmstedt und Wittenberg studiert und sind dann als ausgebildete Theologen, Mediziner oder Juristen wieder nach Stralsund zurückgekommen und sind hier Ratsmitglieder geworden. Und die haben natürlich Bücherschätze bzw. Bücher besessen und haben die in die Ratsbibliothek eingebracht."

Zweimal wurden Bände aus der Gymnasialbibliothek verkauft. Einmal mit Genehmigung der Stadtverwaltung und einmal ohne. Als die Verkäufe zufälligerweise bekannt wurden, gab es bundesweite Proteste. Die Stadt entschloss sich daraufhin zum sofortigen Rückkauf. Für Kultursenator Holger Albrecht endlich mal eine Erfolgsgeschichte.

"Der Bestand, der verkauft wurde, das waren etwa 5600 Bücher. Und wir haben 90 Prozent zurückerhalten."

Ursprünglich zählte die Gymnasialbibliothek 11.000 Bände. Allerdings sind nur noch 6000 Bücher vorhanden, der Rest ist offenbar bereits in den letzten Jahrzehnten verschwunden. Von "Verkäufen unter der Hand" ist die Rede, doch genaueres weiß derzeit niemand.