Straffe Gedankenpakete

Der Rechtswissenschaftler Christoph Möllers fasst in "Demokratie – Zumutungen und Versprechungen" in 173 Thesen das Ereignis namens Demokratie zusammen. Er fixiert deren politische, rechtliche und geistige Substanz und skizziert Grenzen, Widersprüche und Bruchstellen.
Mit seiner neuen Reihe "Politik bei Wagenbach" verfolgt der Berliner Verlag ein weiteres Mal hohe idealistische Ziele. Die Bände von jeweils weniger als 150 Seiten sollen der "apolitischen Tendenz der postmodernen Gesellschaft" entgegenwirken und zeigen, "was linke Politik heute bedeuten kann". Sicher kein klassischer Linker, wohl aber ein brillanter Demokratieverfechter und liberaler Gegner obrigkeitsstaatlicher Traditionen ist der Rechtswissenschaftler Christoph Möllers.

In "Demokratie – Zumutungen und Versprechen" fasst er in 173 knapp begründeten Thesen, "Aphorismen" genannt, das Ereignis namens Demokratie zusammen, fixiert deren politische, rechtliche und geistige Substanz, skizziert Grenzen, Widersprüche und Bruchstellen. Möllers Maxime lautet: "Wir stellen im Namen der Demokratie einen Anspruch an uns - und wir geben diesen Anspruch nicht auf, nur weil wir ihm nicht immer genügen."

"Demokratie – Zumutungen und Versprechen" ist eines dieser raren Bücher, in denen man fast jeden Satz unterstreichen möchte – weil er richtig ist, weil er wichtig ist, weil man zustimmt oder weil man widerspricht. Der aphoristische Stil des Ganzen und die apodiktische Tendenz vieler Aussagen sorgen für dynamische Lektüre, vorausgesetzt, man investiert viel Konzentration. Denn auf Beispielgeschichten, auf Nacherzählung der historischen Entwicklung zur Demokratie, auf wohlfeile Aktualisierungen und Prunkzitate von einschlägigen Denkern verzichtet Möllers fast ganz – wie auch auf einen roten Faden. Er durchdringt das Phänomen Demokratie äußerst selbstständig, im vollen Vertrauen auf seine eigene Stoffkenntnis und seine immense, von Fachchinesisch und Stilblüten freie Formulierungskraft. Die Kapitelüberschriften lauten etwa "Demokratische Demokratietheorie", "Demokratische Versprechen", "Demokratischer Wille" – aber das sind recht lose Klammern für äußerst straffe Gedankenpakete.

Für Möllers ist Demokratie ein "normatives Konzept", das zuallererst mit unserem Selbst- und Menschenbild zu tun hat: "Wir leben nicht in einer demokratischen Ordnung, um bestimmte Probleme zu lösen, sondern weil dies am besten zum Ausdruck bringt, wie wir uns selbst verstehen: als freie Personen unter wechselseitiger Anerkennung der Freiheit aller anderen." Weshalb Möllers, anders als viele Staatsrechtler, keinen "Willen des Volkes" erkennen kann, der unserer politischen Ordnung vorherginge. Er glaubt vielmehr: "Demokratien funktionieren nicht repräsentativ, sondern expressiv. Sie produzieren einen demokratischen Willen durch Verfahren." Das gefällt Möllers an der Demokratie: Dass permanent gestritten wird; dass Herrschaft nicht geleugnet, sondern sichtbar gemacht wird; dass sie durch Abwahl erneuert werden kann; dass die Legitimation von Entscheidungen allein durch Verfahren entsteht, nicht einfach durch "gute Gründe".

Als sozialer Weichspüler gibt sich der Göttinger Lehrstuhlinhaber für öffentliches Recht nicht zu erkennen. Er bezieht das demokratische Gleichheitsversprechen nur auf die Freiheit, nicht auf gesellschaftlichen Status oder Auskommen, nicht einmal auf die Gleichheit der Chancen. Und Möllers verklärt nichts. Er weiß, dass die Demokratie mit Grundrechten kollidieren kann und dass es zu Konflikten zwischen demokratischer Verfassung und demokratischen Gesetzen kommt. Genauso weiß er, dass Demokratien nicht immer die stärksten Systeme sind. Aber gemach, meint der Autor mit Blick auf die deutsche Geschichte: "Wir sind ein sehr erfolgreiches demokratisches Entwicklungsland." "Demokratie – Zumutungen und Versprechen" ist ein kraftvolles, modernes, liberales Bekenntnis zur Demokratie aus Rechtsperspektive und endet im Übrigen witzig: "Es ist leicht zu sehen, warum Demokratie gerade bei Gruppen, die sich selbst für Eliten halten, nicht immer beliebt ist. Aber die demokratische Zumutung der Demut mag ihnen nicht nur im politischen Leben weiterhelfen."

Rezensiert von Arno Orzessek

Christoph Möllers: Demokratie – Zumutungen und Versprechen,
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin, 2008, 125 Seiten, 9,90 Euro