Stradivari-Aufnahmen in Cremona

Wehe, wenn der Hund bellt

Eine Geige und der Bogen liegen auf Notenblättern.
Die Stradivari ist vollendete Handwerkskunst. © imago/Photocase
Thomas Koritke im Gespräch mit Carsten Beyer  · 29.01.2019
Der Klang einer Stradivari ist unverwechselbar. Doch weil diese Instrumente mit zunehmendem Alter unspielbar werden, wird der Klang ausgewählter Instrumente in der Geigenbauerstadt Cremona archiviert. Doch die Aufnahmen waren störanfällig.
Im italienischen Cremona findet derzeit eines der aufregendsten und heikelsten Musikaufnahmeprojekte statt, die die Welt erlebt hat: Die 70.000-Einwohner-Stadt in der Lombardei ist berühmt für ihre Geigenbauer – der große Stradivari ist ein Sohn der Stadt, ebenso Guarneri del Gesu, aber vor ihnen hat dort schon die Geigenbauerdynastie der Amati die feinsten Geigen, Violas und Cellos der Welt gefertigt.

Geigenzentrum in Cremona

Viele der heute unbezahlbaren Instrumente haben ihr Zuhause im "Museo del Violino" in Cremona. Sie werden dort unter besten Bedingungen konserviert, und dennoch werden sie bald nicht mehr spielbar sein. Um den einzigartigen und nie wieder erreichten Klang dieser Instrumente zu bewahren, werden die Klänge einiger ausgewählter Stücke nun archiviert.
Leiter der Aufnahmen ist Thomas Koritke aus Hamburg, ein Experte für virtuelle Instrumente.
Carsten Beyer: In wieweit hat die Stadt Cremona das Projekt unterstützt?
Thomas Koritke: Die Stadt Cremona ist uns unglaublich entgegen gekommen. Wir nehmen die Instrumente in einer Konzerthalle auf, die an das Museum angegliedert ist, die extra gebaut und designt wurde für den Klang dieser Instrumente. Sie ist relativ klein, 460 Plätze ungefähr, aber wie die meisten Konzerthallen liegt sie mitten in der Stadt. Um die Halle herum verlaufen drei Straßen.
Das Museo del Violino in Cremona, Italien.
Das Museo del Violino in Cremona, Italien.© imago/imagebroker
Zwei davon mit Kopfsteinpflaster. Und da wir nachträglich am Klang der Instrumente , bzw. an den Aufnahmen möglichst wenig verändern wollen, zum Beispiel Störgeräusche entfernen wollen, haben wir die Stadt gebeten, die Straßen zu sperren. Und da sind wir tatsächlich auf große Unterstützung gestoßen.
Cremona hat zu Beginn des Projektes eine Pressekonferenz gegeben und alle Anwohner gebeten, in der Zeit der Aufnahme möglichste leise zu sein. Und sie hat die Straßen rundherum während der Aufnahmen tatsächlich gesperrt.
Carsten Beyer: Ich habe gelesen, die Bewohner sollten in der Umgebung auf Stöckelschuhe verzichten und es habe ein heruntergefallenes Wasserglas in einem Café in der Nähe sogar eine Aufnahme gestört. Stimmt das?
Thomas Koritke: Ja, das stimmt. Das ist ein kleines Beispiel. Aber auch wenn mal ein Hund bellt, dann fällt das tatsächlich während der Aufnahmen auf. Sie müssen sich vorstellen, wir haben in der Halle 32 Mikrofone verteilt, hochempfindlich, und es sitzt ein Geiger mitten im Saal. Dieser spielt dann ganz leise pizzicato-Töne (angezupfte Töne) und dann fällt natürlich jedes Störgeräusch, das von außen in die Halle dringt, auf. Wenn tatsächlich so etwas auftritt, dann müssen wir den Ton wiederholen.
Carsten Beyer: Dabei sind die Italiener eigentlich dafür bekannt, auch gern etwas lauter zu sein.
Thomas Koritke: Mir ist zu Ohren gekommen, dass hier rundherum auch Bürger von Cremona sich gegenseitig zur Ruhe ermahnen.
Carsten Beyer: Für die Aufnahmen wurden aus den Beständen zwei Geigen, eine Viola und ein Cello ausgesucht. Wie wurde diese Auswahl genau getroffen?
Thomas Koritke: Diese hat das Museum für uns getroffen. Das sind Exponate, von denen das Museum meinte, diese wären am wichtigsten. Und in einem Zustand, der sich wirklich lohnt, den Klang zu konservieren.
Aufgenommen am 20.02.2008 auf dem 5. Internationalen "Musical Hermitage Festival" in St. Petersburg, das dem 100. Geburtstag von Boris Piotrovsky gewidmet ist. 
Der polnische Cellist und Komponist Adam Klocek spielt ein Stradivari-Cello von 1717.© picture alliance / dpa / Tass Belinsky Yuri
Carsten Beyer: Und das sind alles Stradivari-Instrumente?
Thomas Koritke: Das ist eine Geige von Stradivari, aus dem Jahr 1727, dann ein Cello von Stradivari – Celli-Instrumente von ihm gibt es nur sehr wenige. Eine Bratsche von Amati und dann eine zweite Geige von Guaneri.
Carsten Beyer: Müsste man nicht jedes Instrument des Museums archivieren, denn jedes der Instrumente hätte seinen eigenen Charakter?
Thomas Koritke: Das ist richtig, aber der Aufwand ist wirklich enorm. Wir haben jetzt für diese Aufnahmen der vier Instrumente fünf Wochen Zeit, und das bedeutet auch, dass in diesen fünf Wochen kein einziges Konzert stattfinden kann in der Konzerthalle.
Unsere Mikrofone sind in unserer Halle verteilt, dürfen in der Zeit auch nicht verrückt oder abgebaut werden. Die Halle ist also fünf Wochen komplett außer Betreib, und das lässt sich für einen längeren Zeitraum schwerlich realisieren.
Ein Blick durch die Schalllöcher, wo der Namenszug des Geigenbauers zu sehen ist.
Der Namenszug von Stradivari wurde in vielen Geigen gefälscht - hier ein Original© deutschlandfunk / Cornelia de Reese
Carsten Beyer: Wie laufen diese Aufnahmen ab? Was wird da eingespielt? Und von wem?
Thomas Koritke: Das sind vier außergewöhnliche Musiker. Nicht jeder darf einfach auf diesen Instrumenten spielen. Auch da gibt es eine Auswahl, und die spielen keine Musik, sondern wir haben das, was man normalerweise auf einer Geige spielen kann – und die Ausdrucksmöglichkeiten sind ja wirklich weit gefächert – herunter gebrochen auf einzelne Artikulationen und Spielweisen.
Das sind dann einzelne Töne in unterschiedlichen Variationen und unterschiedlichen Artikulationen, Längen und verschiedenen Stärken von Vibrato, auch verschiedene Tonübergänge von Ton zu Ton, ganz unterschiedliche Intervalle, in unterschiedlichen Lautstärken. Und das ergibt pro Instrument und Musiker mehrere hunderttausend einzelne Tonschnipsel.
Carsten Beyer: Was muss ich mir vorstellen? Es werden keine klassischen Musikstücke eingespielt, sondern einzelne Töne? Was machen Sie mit diesen Aufnahmen?
Thomas Koritke: Die Essenz dessen, wie man sich auf einer Geige ausdrücken kann, diese einzelnen Töne, die schneiden wir und übertragen sie in eine Software. Damit kann man dann im Prinzip wiederum komponieren oder produzieren. Also Musiker auf der ganzen Welt können dann den Klang dieser Instrumente wiederum nutzen und mit ihnen wie auf einer Geige spielen.
Carsten Beyer: Jeder, der später Zugriff auf diese Software erhält, kann dann zu Hause für eine Stradivari komponieren?
Thomas Koritke: Genau. Das ist eine Demokratisierung, weil auf diese Instrumente nur Wenige Zugriff haben. Man kann sie zwar hören, aber spielen kann sie kaum jemand. Und für seine eigene Komposition kann sie erst recht kaum einer nutzen.
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