Störungen auf der Südschiene
Es ist eine zwieträchtige Eintracht, die sich da im Süden der Republik zwischen Baden-Württemberg und Bayern eingerichtet hat. Wegen wirksamer Kooperation trotz natürlicher Konkurrenz jahrelang mit positiven Schlagzeilen bedacht, mehren sich in letzter Zeit Äußerungen über inhaltliche Differenzen und damit auch über Verstimmungen.
Mehrländer: "Das Außenverhältnis gegenüber ... den anderen Bundesländern, gegenüber der Bundesregierung war freundschaftlich geprägt, also das Verhältnis zwischen der bayerischen Staatsregierung und der Landesregierung von Baden-Württemberg. Aber im Innenverhältnis gab es doch schon die eine oder andere Spannung. ... Der ... Hauptgrund ist, dass beide Bundesländer, und damit auch die politischen Spitzen in einem Wettbewerb zueinander stehen", …"
sagt der Freidemokrat Horst Mehrländer, der von 1996 bis 2006 Staatssekretär mit Kabinettsrang im baden-württembergischen Wirtschaftsministerium war und in dieser Position einen sehr guten Einblick in die Beziehungen zwischen den beiden südlichen Nachbarländern hatte. Die spannungsreiche Innenbeziehung zwischen München und Stuttgart wird von außen nur selten wahrgenommen, weil sowohl die Bayerische Staatskanzlei als auch das baden-württembergische Staatsministerium großen Wert auf Geschlossenheit legen. Auf der Südschiene gibt es weder Störungen noch Bruchstellen. Das ist die Botschaft, die von München und Stuttgart aus in die Welt geht. Schon das Ministerpräsidenten-Tandem Späth und Strauß und erst recht das von Stoiber und Teufel propagierten sie.
Wirtschaftlicher Erfolg, Bodenständigkeit und konstant konservativ-liberale Grundeinstellung weiter Bevölkerungsteile sicherten der CSU in Bayern und der CDU in Baden-Württemberg über Jahrzehnte die Herrschaft, in Bayern sogar lange Zeit die Alleinherrschaft. Solche Gemeinsamkeiten verbinden, und sie verbinden umso mehr, je größer das Wohlstandsgefälle von Süd nach Nord wird. Ein Wohlstandsgefälle, das Begehrlichkeiten ärmerer Bundesländer im Norden und Osten der Republik weckt, die abzuwehren nachgerade zum baden-württembergisch-bayerischen Schulterschluss zwingt.
Das ist die bekannte Außenseite des Nachbarschaftsverhältnisses. Die Innenseite sieht freilich anders aus. Sie ist bestimmt von einer latenten Spannung, die Mehrländer so präzisiert:
Mehrländer: ""Ich komme mal zu dem ... Rangeln im Wettbewerb um die Position eins unter den Bundesländern. ... Also es ging darum, wer hat die niedrigste Arbeitslosenquote. Da waren wir Baden-Württemberger über viele, viele Jahre diejenigen, die die niedrigste hatte(n). Derzeit ist das leider nicht so der Fall. ... Die Wirtschaftskrise schlägt natürlich insbesondere auf Industriezweige nieder; da ist ... die Automobilindustrie mit Zulieferern, da ist der Maschinenbau, Elektroindustrie. Das sind ... Grundpfeiler unseres Wachstums hier in Baden-Württemberg. Dort ist es im Augenblick am schwierigsten. Deswegen haben wir derzeit auch eine höhere Arbeitslosenquote. ... Das schlägt sich dann natürlich auch in der Wirtschaftskraft nieder."
Die ist in Bayern derzeit höher als in Baden-Württemberg. Hier belief sich das Wirtschaftswachstum im letzten Jahr auf 0,7 Prozent, in Bayern fast auf das Doppelte, nämlich 1,6 Prozent. Aber es schlagen noch andere Mängel zu Buch. In drei Monaten – von Oktober bis Dezember 2008 – schnellte die Zahl der Kurzarbeiter von 10.000 auf 100.000 hoch. Das reiche Stuttgart ist derzeit Deutschlands Kurzarbeiter-Hauptstadt, eine ungewohnte Rolle, in der sich das Automobil-Mekka am Nesenbach erst noch zurechtfinden muss.
Auch beim Schuldenabbau ist Bayern weiter. Mit 1767 Euro pro Kopf hat der weiß-blaue Freistaat den geringsten Schuldenstand aller Bundesländer. Die Baden-Württemberger hingegen stehen mit mehr als der doppelten Summe in der Kreide, mit 3878 Euro nämlich. In der Tabelle der am geringsten verschuldeten Länder ist das Platz drei; für ein Land, das an der Spitze stehen will, ein unbefriedigender Rang. Unbefriedigend auch deshalb, weil zumindest im schwäbischen Teil des Südweststaats Sparen eine Grundtugend, mehr noch: ein Gottesgebot ist. Dass ausgerechnet die als protzig verschrieenen Bayern hier mit gutem Beispiel vorangehen, schmerzt manchen schwäbischen Säckelmeister, dem noch die Zornesröte ins Gesicht steigt, wenn er an Krösus Späth zurückdenkt. Diesem Tausendsassa von Ministerpräsidenten, vor allem seinen immer offenen Spendierhosen, 'verdanken' die Landeskinder den Altschuldenberg, der die Bibelfesten unter ihnen auch deshalb drückt, weil das "Cleverle" Späth in den fetten Jahren seiner Regierungszeit das Geld mit vollen Händen ausgab, statt für die jetzt mageren Jahre zu sparen.
Trotz dieser Defizite verfügt Baden-Württemberg gegenüber seinem östlichen Südschienen-Nachbarn über ein paar Trümpfe, die immer noch stechen. Horst Mehrländer weiß, welche das sind.
Mehrländer: "Baden-Württemberg ist ... , bezogen auf die Einwohnerzahl, dasjenige Bundesland mit der höchsten Patentanmeldung. Das beweist für mich, dass Baden-Württemberg nach wie vor das Land der Tüftler und Erfinder ist. ... Dann war und ist Baden-Württemberg immer noch das Exportland Nummer eins, auch aufgrund der Industriestruktur. ...
Was ganz wichtig ist auch für die zukünftige Entwicklung, ist, dass hier in Baden-Württemberg das meiste Geld für Forschung und Entwicklung ausgebaut (!) wird. Wir haben auch ein besonders starkes Netz der Forschungseinrichtungen – Max-Planck-Institute, Helmholtz-Gesellschaft und so weiter. ... Also das war einer der Hauptgründe für innere Spannungen, weil natürlich jeder Ministerpräsident, jeder Wirtschaftsminister, jeder Finanzminister der beiden Länder sagen wollte, also ich bin besonders stark."
In punkto Wirtschaft und Finanzen war es freilich mit der bayerischen Stärke gegenüber Baden-Württemberg lange Zeit nicht weit her. Das Agrarland Bayern gehörte zu den Armenhäusern der Republik und war auf Hilfe angewiesen. Die kam zu großen Teilen aus dem Länderfinanzausgleich. Welches Land in diesen "Opferstock" für die armen Länder seit seiner Gründung 1952 unablässig einzahlt, ohne je zu profitieren, weiß Eberhard Leibing, bis vor wenigen Jahren Spitzenbeamter der baden-württembergischen Landesverwaltung:
Leibing: "Baden-Württemberg ist ja das einzige Land, das ... in all den Jahren in den Finanzausgleich bezahlt haben. Alle übrigen Länder haben zu irgendeinem Zeitpunkt auch davon profitiert."
Einer der Hauptnutznießer des Länderfinanzausgleichs war bis weit in die 70er- Jahre der Freistaat Bayern, dem erst in dieser Zeit die Umwandlung zum modernen Industrieland mit hoher Arbeitsproduktivität gelang. Damit wechselten die Bayern dann auch aus dem Nehmer- ins Geberlager des Länderfinanzausgleichs. Mit diesem Wechsel vollzogen sie einen bemerkenswerten Einstellungswandel, der einiges aussagt über bayerisches Selbstbewusstsein und bayerische Verdrängungskunst. In beidem sind sie Baden-Württemberg haushoch überlegen. Der frühere baden-württembergische Wirtschaftsstaatssekretär Mehrländer erinnert sich:
Mehrländer: "In dem Augenblick, wie sie Zahler wurden, haben sie so getan, als ob sie immer Zahler gewesen sind."
Und selbstredend haben die Bayern auch nie ihren westlichen Nachbarn als Aufbauhelfer für ihren eigenen Aufstieg wahrgenommen, geschweige denn sich bewusst gemacht, dass sie – Ironie der Geschichte – einstmals ausgerechnet das Land verhindern wollten, das ihnen später über den Finanzausgleich die meiste Entwicklungshilfe zukommen ließ. Günther Bradler, Archivar des baden-württembergischen Landtags, schildert die Gründe, die Bayern bewogen, gegen eine Fusion der Länder Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern und (Süd-)Baden zu einem gemeinsamen Südweststaat Front zu machen:
Bradler: "Zum einen wollte Bayern keinen starken westlichen Nachbarn. Bayern ist im Grunde das Land, das im Kern seit dem frühen Mittelalter seine territoriale Substanz vermehren und behaupten konnte. 1945 war natürlich die linksrheinische Pfalz weg, aber auch da waren immer noch Hoffnungen ... Und dann gab es eine sehr subtile Verbindung des badischen Staatspräsidenten Wohleb und seines Kronjuristen Maunz, dem Kommentator des Grundgesetzes. Zu diesem Kreis gehörte dann auch noch der spätere Kultusminister Hans Maier und der Würzburger Politologe Paul-Ludwig Weinacht und sein Bruder. Wohleb war sehr oft in München und hat dort für Altbaden geworben, sodass die offizielle bayerische Politik den Südweststaatsplänen äußerst reserviert bis konträr gegenüberstand."
Warum die Bayern schließlich ihren Widerstand gegen das neue Bundesland an ihrer Westgrenze aufgaben, erzählt Karl Moersch, früher Staatsminister im Auswärtigen Amt, heute Landeshistoriker:
Moersch: "Als dann nach dem Krieg die Vereinigung von Baden und Württemberg kam, waren sie dagegen gewesen, und sie haben nur ihr Veto deswegen schließlich zurückgezogen, weil der Gebhard Müller ihnen gesagt hat, dann kriegen sie Lindau nicht zurück.
Er hat sie damit im Grunde ein bisschen erpresst. Dann haben sie nachgegeben. Aber sie wollten keineswegs einen großen Südweststaat neben sich, denn sie wollten die erste Geige spielen."
Lindau, Bayerns Fenster zum Bodensee, war nach dem Zweiten Weltkrieg der französischen Besatzungszone zugeschlagen worden und kam so zum damals von dem Christdemokraten Gebhard Müller regierten Bundesland Württemberg-Hohenzollern. Müller, Vorkämpfer für die Vereinigung Badens mit Württemberg, setzte das Faustpfand Lindau zur Brechung des bayerischen Widerstandes gegen den Südweststaat ein. Mit Erfolg.
Das Detail aus der Nachkriegsgeschichte zeigt, dass unter dem Deckmantel christdemokratisch-christsozialer Solidarität von Anfang an eine gehörige Portion Rivalität im Spiel war. Sie verstärkt sich bekanntlich in Zeiten der Krise, und sie verstärkt sich erst recht, wenn Krise und Machtschwund zusammenfallen. Dies trifft derzeit auf Bayern zu. Seit dort die CSU bei der Landtagswahl im September die absolute Mehrheit verlor und nun nach über 50-jähriger Alleinherrschaft die Regierung mit der FDP teilen muss, ist aus baden-württembergischer Sicht der Nachbar zu einem bisweilen unberechenbaren Partner geworden, dessen Kapriolen in der Steuerpolitik und bei einer möglichen Bankenfusion zwischen den Staatsbanken beider Länder, ferner in der Umwelt- und Landwirtschaftspolitik auf den Fluren diverser Stuttgarter Ministerien immer wieder Kopfschütteln hervorrufen. In der Außendarstellung ist davon freilich selten etwas zu hören. Aber manchmal eben doch.
Hauk: "Wir sind in der Zielsetzung uns weitgehend einig, weil wir ja ähnliche Verhältnisse haben. Wir haben von der Topographie und vom Klima viele Übereinstimmungen. Wir sind etwas vielfältiger und reichhaltiger gegliedert als ... Bayern. In Bayern überwiegt das Grünland, die Milchwirtschaft. In Baden-Württemberg haben wir sehr ausgeglichene Verhältnisse: ... ein Drittel Sonderkulturen mit Wein- und Obstbau, Gemüsebau. Ein Drittel im Prinzip sind Ackerbau und Schweinehaltung und ein Drittel Grünlandwirtschaft und Milchwirtschaft. Insofern sind wir etwas vielfältiger aufgestellt, und viele Betriebe stehen auch auf mehreren Standbeinen. Das ist ein Unterschied zu Bayern", …"
sagt auf dem Stuttgarter Flughafen ein etwas atemlos wirkender baden-württembergischer Landwirtschaftsminister, dessen diplomatische Charakterisierung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Agrarstruktur in Bayern und Baden-Württemberg eine Menge Sprengstoff enthält; ein Sprengstoff, der freilich nur für den erkennbar ist, der Hintergründe kennt.
Peter Hauk kämpft derzeit an mehreren Fronten. Am Bodensee muss er Winzern und Obstbauern Hilfen versprechen, denen Hagel und Sturm in der Woche vor Pfingsten fast die ganze Ernte vernichteten. Und in Oberschwaben hat er es mit aufsässigen Milchbauern zu tun, die gegen den derzeitigen "Spott-Milchpreis" zu Felde ziehen.
Dabei ist der drastisch gefallene Milchpreis weniger ein baden-württembergisches als vielmehr ein bayerisches Problem, wo infolge ausgeprägter Monokultur das Wohl und Wehe vieler Landwirte vom Milchpreis abhängt. Nicht von ungefähr gehen die Protestaktionen vom Bundesverband deutscher Milchviehhalter (BDM) aus. Der sitzt im benachbarten bayerischen Ostallgäu und wird von Romuald Schaber geführt.
Der streitbare Milchbauer fällt nicht nur mit schrillen PR-Aktionen auf, sondern schreckt mit seinen Aktivisten auch nicht vor der Einschüchterung anderer Landwirte zurück, die sich seiner bislang noch kleinen Organisation verweigern. Im Stuttgarter Landwirtschaftsministerium häufen sich die Klagen baden-württembergischer Bauern über die Pressionen des BDM, der sich der Gunst des bayerischen Ministerpräsidenten Seehofer erfreut - zum Leidwesen von Peter Hauk. Kurz: In punkto Milchreis sind sich Baden-Württemberg und Bayern derzeit nicht grün, sicht- und hörbar nicht grün:
Hauk: ""... wir müssen unseren Landwirten sagen, dass der Weg der Liberalisierung der Märkte im Rahmen einer sozialen Marktwirtschaft für die Landwirte ... ein unumkehrbarer Weg ist. Die Europäische Union hat die Weichen entsprechend gestellt, und da gibt es ... kein Zurück mehr. ... Wer langfristig Interesse hat, ... Regierungsmehrheiten zu organisieren, der muss auch langfristig handeln und darf nicht in kurzfristigen Populismus ... verfallen. ... wichtig ist jetzt, ... dass wir die Landwirte, aber ... auch die Milchwirtschaft für den Markt fit machen ..."
Für Hauk ist deshalb der von Bayern favorisierte Weg zur Rettung der Milchbauern ein Holzweg. Als sein bayerischer Kollege Brunner beim Agrargipfel mit der Kanzlerin am 20. Mai in Berlin Angela Merkel aufforderte, in Brüssel darauf hinzuwirken, dass die Milchquote gesenkt wird, damit die bayerischen Milchbauern wieder höhere Preise erzielen, widersprach Hauk heftig. Die Bundesregierung könne und dürfe nicht ins Marktgeschehen eingreifen, ließ er den bayerischen Landwirtschaftsminister wissen. So scharf trat der Gegensatz zwischen bayerischer Agrarplanwirtschaft und baden-württembergischer Agrarmarktwirtschaft selten ans Licht.
Auch auf anderen Feldern der Landwirtschaftspolitik sind die Südschienenbetreiber derzeit über Kreuz. Etwa wie mit der Veröffentlichung von Empfängern von EU-Agrarsubventionen umzugehen ist. Während sich noch Mitte Mai Bund und Länder, auch Bayern, auf die Offenlegung der Subventionsempfänger geeinigt hatten, machte Bayern Ende Mai eine überraschende Rolle rückwärts. Um seine Bauern vor Ausspähung zu schützen, kündigte es den eingegangenen Konsens auf und nimmt lieber EU-Sanktionen in Kauf, als dass es zur Transparenz des EU-Agrarhilfensystems beiträgt. Vielleicht haben Bayerns Bauern der CSU bei der Europawahl bereits für die Verteidigung ihrer Interessen gedankt.
Zu den agrarpolitischen Reizthemen, die derzeit zwischen München und Stuttgart kaum konsensfähig sind, gehört die "grüne Gentechnik" im allgemeinen und der Genmaisanbau im Besonderen. Letzteren hat die bayerische Regierung inzwischen verboten, erstere möchte sie umgehen, indem sie Bayern zur gentechnikfreien Zone macht. Hauk ist da anderer Meinung.
Hauk: "In Baden-Württemberg wird derzeit kein Genmais angebaut, auch nicht in Versuchsfeldern. Wenn ich mir die Landkarte anschaue, dann stelle ich fest, dass neben kommerziellem Anbau im Norden in Bayern die meisten Versuchsfelder stehen. Also dass ... die grüne Biotechnologie kein Kind des Teufels ist, sondern dass wir sie zumindest an unseren Universitäten und Hochschulen weiter betreiben müssen, dass wir dazu auch Feldversuche brauchen ..., das ist im Interesse der Landwirtschaft. Wir dürfen uns nicht alleine von den Großkonzernen abhängig machen, sondern wir müssen auch selber aufgrund eigener Interessenlage Forschung betreiben."
Es knirscht auf der Südschiene, und zwar deutlich hörbarer als früher. Aber trotz aller aktueller Unstimmigkeiten weiß natürlich auch der Stuttgarter Minister, was er an seinen Bayern hat. Man bleibt sich wie eh und je in zwieträchtiger Eintracht verbunden. Neu ist nur, dass darüber von baden-württembergischer Seite auch mal offen geredet wird. Nochmals Hauk.
Hauk: "… in dieser Konkurrenz, die wettbewerbsfördernd ist und die auch gegenseitig befruchtend ist, ... liegt unsere Stärke. ... und deshalb ... muss man seinen Konkurrenten gegenüber ... immer mit der größten Vorsicht begegnen, aber ... sie sind dann eben auch geeignet, gemeinsame Maßnahmen abzusprechen, mit denen man am Ende dann auch schlagkräftiger ... auftreten kann."
sagt der Freidemokrat Horst Mehrländer, der von 1996 bis 2006 Staatssekretär mit Kabinettsrang im baden-württembergischen Wirtschaftsministerium war und in dieser Position einen sehr guten Einblick in die Beziehungen zwischen den beiden südlichen Nachbarländern hatte. Die spannungsreiche Innenbeziehung zwischen München und Stuttgart wird von außen nur selten wahrgenommen, weil sowohl die Bayerische Staatskanzlei als auch das baden-württembergische Staatsministerium großen Wert auf Geschlossenheit legen. Auf der Südschiene gibt es weder Störungen noch Bruchstellen. Das ist die Botschaft, die von München und Stuttgart aus in die Welt geht. Schon das Ministerpräsidenten-Tandem Späth und Strauß und erst recht das von Stoiber und Teufel propagierten sie.
Wirtschaftlicher Erfolg, Bodenständigkeit und konstant konservativ-liberale Grundeinstellung weiter Bevölkerungsteile sicherten der CSU in Bayern und der CDU in Baden-Württemberg über Jahrzehnte die Herrschaft, in Bayern sogar lange Zeit die Alleinherrschaft. Solche Gemeinsamkeiten verbinden, und sie verbinden umso mehr, je größer das Wohlstandsgefälle von Süd nach Nord wird. Ein Wohlstandsgefälle, das Begehrlichkeiten ärmerer Bundesländer im Norden und Osten der Republik weckt, die abzuwehren nachgerade zum baden-württembergisch-bayerischen Schulterschluss zwingt.
Das ist die bekannte Außenseite des Nachbarschaftsverhältnisses. Die Innenseite sieht freilich anders aus. Sie ist bestimmt von einer latenten Spannung, die Mehrländer so präzisiert:
Mehrländer: ""Ich komme mal zu dem ... Rangeln im Wettbewerb um die Position eins unter den Bundesländern. ... Also es ging darum, wer hat die niedrigste Arbeitslosenquote. Da waren wir Baden-Württemberger über viele, viele Jahre diejenigen, die die niedrigste hatte(n). Derzeit ist das leider nicht so der Fall. ... Die Wirtschaftskrise schlägt natürlich insbesondere auf Industriezweige nieder; da ist ... die Automobilindustrie mit Zulieferern, da ist der Maschinenbau, Elektroindustrie. Das sind ... Grundpfeiler unseres Wachstums hier in Baden-Württemberg. Dort ist es im Augenblick am schwierigsten. Deswegen haben wir derzeit auch eine höhere Arbeitslosenquote. ... Das schlägt sich dann natürlich auch in der Wirtschaftskraft nieder."
Die ist in Bayern derzeit höher als in Baden-Württemberg. Hier belief sich das Wirtschaftswachstum im letzten Jahr auf 0,7 Prozent, in Bayern fast auf das Doppelte, nämlich 1,6 Prozent. Aber es schlagen noch andere Mängel zu Buch. In drei Monaten – von Oktober bis Dezember 2008 – schnellte die Zahl der Kurzarbeiter von 10.000 auf 100.000 hoch. Das reiche Stuttgart ist derzeit Deutschlands Kurzarbeiter-Hauptstadt, eine ungewohnte Rolle, in der sich das Automobil-Mekka am Nesenbach erst noch zurechtfinden muss.
Auch beim Schuldenabbau ist Bayern weiter. Mit 1767 Euro pro Kopf hat der weiß-blaue Freistaat den geringsten Schuldenstand aller Bundesländer. Die Baden-Württemberger hingegen stehen mit mehr als der doppelten Summe in der Kreide, mit 3878 Euro nämlich. In der Tabelle der am geringsten verschuldeten Länder ist das Platz drei; für ein Land, das an der Spitze stehen will, ein unbefriedigender Rang. Unbefriedigend auch deshalb, weil zumindest im schwäbischen Teil des Südweststaats Sparen eine Grundtugend, mehr noch: ein Gottesgebot ist. Dass ausgerechnet die als protzig verschrieenen Bayern hier mit gutem Beispiel vorangehen, schmerzt manchen schwäbischen Säckelmeister, dem noch die Zornesröte ins Gesicht steigt, wenn er an Krösus Späth zurückdenkt. Diesem Tausendsassa von Ministerpräsidenten, vor allem seinen immer offenen Spendierhosen, 'verdanken' die Landeskinder den Altschuldenberg, der die Bibelfesten unter ihnen auch deshalb drückt, weil das "Cleverle" Späth in den fetten Jahren seiner Regierungszeit das Geld mit vollen Händen ausgab, statt für die jetzt mageren Jahre zu sparen.
Trotz dieser Defizite verfügt Baden-Württemberg gegenüber seinem östlichen Südschienen-Nachbarn über ein paar Trümpfe, die immer noch stechen. Horst Mehrländer weiß, welche das sind.
Mehrländer: "Baden-Württemberg ist ... , bezogen auf die Einwohnerzahl, dasjenige Bundesland mit der höchsten Patentanmeldung. Das beweist für mich, dass Baden-Württemberg nach wie vor das Land der Tüftler und Erfinder ist. ... Dann war und ist Baden-Württemberg immer noch das Exportland Nummer eins, auch aufgrund der Industriestruktur. ...
Was ganz wichtig ist auch für die zukünftige Entwicklung, ist, dass hier in Baden-Württemberg das meiste Geld für Forschung und Entwicklung ausgebaut (!) wird. Wir haben auch ein besonders starkes Netz der Forschungseinrichtungen – Max-Planck-Institute, Helmholtz-Gesellschaft und so weiter. ... Also das war einer der Hauptgründe für innere Spannungen, weil natürlich jeder Ministerpräsident, jeder Wirtschaftsminister, jeder Finanzminister der beiden Länder sagen wollte, also ich bin besonders stark."
In punkto Wirtschaft und Finanzen war es freilich mit der bayerischen Stärke gegenüber Baden-Württemberg lange Zeit nicht weit her. Das Agrarland Bayern gehörte zu den Armenhäusern der Republik und war auf Hilfe angewiesen. Die kam zu großen Teilen aus dem Länderfinanzausgleich. Welches Land in diesen "Opferstock" für die armen Länder seit seiner Gründung 1952 unablässig einzahlt, ohne je zu profitieren, weiß Eberhard Leibing, bis vor wenigen Jahren Spitzenbeamter der baden-württembergischen Landesverwaltung:
Leibing: "Baden-Württemberg ist ja das einzige Land, das ... in all den Jahren in den Finanzausgleich bezahlt haben. Alle übrigen Länder haben zu irgendeinem Zeitpunkt auch davon profitiert."
Einer der Hauptnutznießer des Länderfinanzausgleichs war bis weit in die 70er- Jahre der Freistaat Bayern, dem erst in dieser Zeit die Umwandlung zum modernen Industrieland mit hoher Arbeitsproduktivität gelang. Damit wechselten die Bayern dann auch aus dem Nehmer- ins Geberlager des Länderfinanzausgleichs. Mit diesem Wechsel vollzogen sie einen bemerkenswerten Einstellungswandel, der einiges aussagt über bayerisches Selbstbewusstsein und bayerische Verdrängungskunst. In beidem sind sie Baden-Württemberg haushoch überlegen. Der frühere baden-württembergische Wirtschaftsstaatssekretär Mehrländer erinnert sich:
Mehrländer: "In dem Augenblick, wie sie Zahler wurden, haben sie so getan, als ob sie immer Zahler gewesen sind."
Und selbstredend haben die Bayern auch nie ihren westlichen Nachbarn als Aufbauhelfer für ihren eigenen Aufstieg wahrgenommen, geschweige denn sich bewusst gemacht, dass sie – Ironie der Geschichte – einstmals ausgerechnet das Land verhindern wollten, das ihnen später über den Finanzausgleich die meiste Entwicklungshilfe zukommen ließ. Günther Bradler, Archivar des baden-württembergischen Landtags, schildert die Gründe, die Bayern bewogen, gegen eine Fusion der Länder Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern und (Süd-)Baden zu einem gemeinsamen Südweststaat Front zu machen:
Bradler: "Zum einen wollte Bayern keinen starken westlichen Nachbarn. Bayern ist im Grunde das Land, das im Kern seit dem frühen Mittelalter seine territoriale Substanz vermehren und behaupten konnte. 1945 war natürlich die linksrheinische Pfalz weg, aber auch da waren immer noch Hoffnungen ... Und dann gab es eine sehr subtile Verbindung des badischen Staatspräsidenten Wohleb und seines Kronjuristen Maunz, dem Kommentator des Grundgesetzes. Zu diesem Kreis gehörte dann auch noch der spätere Kultusminister Hans Maier und der Würzburger Politologe Paul-Ludwig Weinacht und sein Bruder. Wohleb war sehr oft in München und hat dort für Altbaden geworben, sodass die offizielle bayerische Politik den Südweststaatsplänen äußerst reserviert bis konträr gegenüberstand."
Warum die Bayern schließlich ihren Widerstand gegen das neue Bundesland an ihrer Westgrenze aufgaben, erzählt Karl Moersch, früher Staatsminister im Auswärtigen Amt, heute Landeshistoriker:
Moersch: "Als dann nach dem Krieg die Vereinigung von Baden und Württemberg kam, waren sie dagegen gewesen, und sie haben nur ihr Veto deswegen schließlich zurückgezogen, weil der Gebhard Müller ihnen gesagt hat, dann kriegen sie Lindau nicht zurück.
Er hat sie damit im Grunde ein bisschen erpresst. Dann haben sie nachgegeben. Aber sie wollten keineswegs einen großen Südweststaat neben sich, denn sie wollten die erste Geige spielen."
Lindau, Bayerns Fenster zum Bodensee, war nach dem Zweiten Weltkrieg der französischen Besatzungszone zugeschlagen worden und kam so zum damals von dem Christdemokraten Gebhard Müller regierten Bundesland Württemberg-Hohenzollern. Müller, Vorkämpfer für die Vereinigung Badens mit Württemberg, setzte das Faustpfand Lindau zur Brechung des bayerischen Widerstandes gegen den Südweststaat ein. Mit Erfolg.
Das Detail aus der Nachkriegsgeschichte zeigt, dass unter dem Deckmantel christdemokratisch-christsozialer Solidarität von Anfang an eine gehörige Portion Rivalität im Spiel war. Sie verstärkt sich bekanntlich in Zeiten der Krise, und sie verstärkt sich erst recht, wenn Krise und Machtschwund zusammenfallen. Dies trifft derzeit auf Bayern zu. Seit dort die CSU bei der Landtagswahl im September die absolute Mehrheit verlor und nun nach über 50-jähriger Alleinherrschaft die Regierung mit der FDP teilen muss, ist aus baden-württembergischer Sicht der Nachbar zu einem bisweilen unberechenbaren Partner geworden, dessen Kapriolen in der Steuerpolitik und bei einer möglichen Bankenfusion zwischen den Staatsbanken beider Länder, ferner in der Umwelt- und Landwirtschaftspolitik auf den Fluren diverser Stuttgarter Ministerien immer wieder Kopfschütteln hervorrufen. In der Außendarstellung ist davon freilich selten etwas zu hören. Aber manchmal eben doch.
Hauk: "Wir sind in der Zielsetzung uns weitgehend einig, weil wir ja ähnliche Verhältnisse haben. Wir haben von der Topographie und vom Klima viele Übereinstimmungen. Wir sind etwas vielfältiger und reichhaltiger gegliedert als ... Bayern. In Bayern überwiegt das Grünland, die Milchwirtschaft. In Baden-Württemberg haben wir sehr ausgeglichene Verhältnisse: ... ein Drittel Sonderkulturen mit Wein- und Obstbau, Gemüsebau. Ein Drittel im Prinzip sind Ackerbau und Schweinehaltung und ein Drittel Grünlandwirtschaft und Milchwirtschaft. Insofern sind wir etwas vielfältiger aufgestellt, und viele Betriebe stehen auch auf mehreren Standbeinen. Das ist ein Unterschied zu Bayern", …"
sagt auf dem Stuttgarter Flughafen ein etwas atemlos wirkender baden-württembergischer Landwirtschaftsminister, dessen diplomatische Charakterisierung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Agrarstruktur in Bayern und Baden-Württemberg eine Menge Sprengstoff enthält; ein Sprengstoff, der freilich nur für den erkennbar ist, der Hintergründe kennt.
Peter Hauk kämpft derzeit an mehreren Fronten. Am Bodensee muss er Winzern und Obstbauern Hilfen versprechen, denen Hagel und Sturm in der Woche vor Pfingsten fast die ganze Ernte vernichteten. Und in Oberschwaben hat er es mit aufsässigen Milchbauern zu tun, die gegen den derzeitigen "Spott-Milchpreis" zu Felde ziehen.
Dabei ist der drastisch gefallene Milchpreis weniger ein baden-württembergisches als vielmehr ein bayerisches Problem, wo infolge ausgeprägter Monokultur das Wohl und Wehe vieler Landwirte vom Milchpreis abhängt. Nicht von ungefähr gehen die Protestaktionen vom Bundesverband deutscher Milchviehhalter (BDM) aus. Der sitzt im benachbarten bayerischen Ostallgäu und wird von Romuald Schaber geführt.
Der streitbare Milchbauer fällt nicht nur mit schrillen PR-Aktionen auf, sondern schreckt mit seinen Aktivisten auch nicht vor der Einschüchterung anderer Landwirte zurück, die sich seiner bislang noch kleinen Organisation verweigern. Im Stuttgarter Landwirtschaftsministerium häufen sich die Klagen baden-württembergischer Bauern über die Pressionen des BDM, der sich der Gunst des bayerischen Ministerpräsidenten Seehofer erfreut - zum Leidwesen von Peter Hauk. Kurz: In punkto Milchreis sind sich Baden-Württemberg und Bayern derzeit nicht grün, sicht- und hörbar nicht grün:
Hauk: ""... wir müssen unseren Landwirten sagen, dass der Weg der Liberalisierung der Märkte im Rahmen einer sozialen Marktwirtschaft für die Landwirte ... ein unumkehrbarer Weg ist. Die Europäische Union hat die Weichen entsprechend gestellt, und da gibt es ... kein Zurück mehr. ... Wer langfristig Interesse hat, ... Regierungsmehrheiten zu organisieren, der muss auch langfristig handeln und darf nicht in kurzfristigen Populismus ... verfallen. ... wichtig ist jetzt, ... dass wir die Landwirte, aber ... auch die Milchwirtschaft für den Markt fit machen ..."
Für Hauk ist deshalb der von Bayern favorisierte Weg zur Rettung der Milchbauern ein Holzweg. Als sein bayerischer Kollege Brunner beim Agrargipfel mit der Kanzlerin am 20. Mai in Berlin Angela Merkel aufforderte, in Brüssel darauf hinzuwirken, dass die Milchquote gesenkt wird, damit die bayerischen Milchbauern wieder höhere Preise erzielen, widersprach Hauk heftig. Die Bundesregierung könne und dürfe nicht ins Marktgeschehen eingreifen, ließ er den bayerischen Landwirtschaftsminister wissen. So scharf trat der Gegensatz zwischen bayerischer Agrarplanwirtschaft und baden-württembergischer Agrarmarktwirtschaft selten ans Licht.
Auch auf anderen Feldern der Landwirtschaftspolitik sind die Südschienenbetreiber derzeit über Kreuz. Etwa wie mit der Veröffentlichung von Empfängern von EU-Agrarsubventionen umzugehen ist. Während sich noch Mitte Mai Bund und Länder, auch Bayern, auf die Offenlegung der Subventionsempfänger geeinigt hatten, machte Bayern Ende Mai eine überraschende Rolle rückwärts. Um seine Bauern vor Ausspähung zu schützen, kündigte es den eingegangenen Konsens auf und nimmt lieber EU-Sanktionen in Kauf, als dass es zur Transparenz des EU-Agrarhilfensystems beiträgt. Vielleicht haben Bayerns Bauern der CSU bei der Europawahl bereits für die Verteidigung ihrer Interessen gedankt.
Zu den agrarpolitischen Reizthemen, die derzeit zwischen München und Stuttgart kaum konsensfähig sind, gehört die "grüne Gentechnik" im allgemeinen und der Genmaisanbau im Besonderen. Letzteren hat die bayerische Regierung inzwischen verboten, erstere möchte sie umgehen, indem sie Bayern zur gentechnikfreien Zone macht. Hauk ist da anderer Meinung.
Hauk: "In Baden-Württemberg wird derzeit kein Genmais angebaut, auch nicht in Versuchsfeldern. Wenn ich mir die Landkarte anschaue, dann stelle ich fest, dass neben kommerziellem Anbau im Norden in Bayern die meisten Versuchsfelder stehen. Also dass ... die grüne Biotechnologie kein Kind des Teufels ist, sondern dass wir sie zumindest an unseren Universitäten und Hochschulen weiter betreiben müssen, dass wir dazu auch Feldversuche brauchen ..., das ist im Interesse der Landwirtschaft. Wir dürfen uns nicht alleine von den Großkonzernen abhängig machen, sondern wir müssen auch selber aufgrund eigener Interessenlage Forschung betreiben."
Es knirscht auf der Südschiene, und zwar deutlich hörbarer als früher. Aber trotz aller aktueller Unstimmigkeiten weiß natürlich auch der Stuttgarter Minister, was er an seinen Bayern hat. Man bleibt sich wie eh und je in zwieträchtiger Eintracht verbunden. Neu ist nur, dass darüber von baden-württembergischer Seite auch mal offen geredet wird. Nochmals Hauk.
Hauk: "… in dieser Konkurrenz, die wettbewerbsfördernd ist und die auch gegenseitig befruchtend ist, ... liegt unsere Stärke. ... und deshalb ... muss man seinen Konkurrenten gegenüber ... immer mit der größten Vorsicht begegnen, aber ... sie sind dann eben auch geeignet, gemeinsame Maßnahmen abzusprechen, mit denen man am Ende dann auch schlagkräftiger ... auftreten kann."