Störenfriede in der Kunst

Wenn es tätowierte Haut ins Museum schafft

Keinen Titel hat das Kunstwerk von Wim Delvoye aus dem Jahr 2005, das unter anderem aus tätowierter Schweinehaut besteht, aufgenommen 2007 auf der Kunstmesse Art Forum Berlin
Keinen Titel hat das Kunstwerk von Wim Delvoye aus dem Jahr 2005, das unter anderem aus tätowierter Schweinehaut besteht © picture-alliance/ dpa / Stephanie Pilick
12.08.2017
Tätowierte Schweine und sogar die tätowierte Haut lebender Menschen erklärt Wim Delvoye zu Kunstwerken. Damit mischt der belgische Künstler den Kunstmarkt auf. Der Bürgerschreck aus Gent ist einer der Störenfriede in der Kunst, die wir hier vorstellen.
Der belgische Künstler Wim Delvoye mischt den Kunstmarkt auf, wo Millionen hingeblättert werden. Er tritt in diesem Prestigespiel als Spielverderber auf, indem er tätowierte Schweine und sogar die tätowierte Haut lebender Menschen als Kunstwerke anbietet. Delvoye macht mit seiner berüchtigten Cloaca, einer Verdauungsmaschine, die intimste und zugleich menschlichste aller Aktivitäten transparent und öffentlich. Der Bürgerschreck Wim Delvoye aus Gent gilt als flämischer Meister der Provokation. Dabei will der 54-Jährige eigentlich gar nicht provozieren, sondern demaskieren und korrigieren, relativieren und enttäuschen.
Der belgische Künstler Wim Delvoye auf der Eröffnung einer Ausstellung mit seiner Mimicry-Serie im Staatlichen Moskauer Puschkin Museum der Bildenden Künste 2014
Der belgische Künstler Wim Delvoye© imago/ITAR-TASS
Die Moskauer Aktionskünstlerin Katrin Nenaschewa will auf ausgegrenzte Randgruppen der Gesellschaft aufmerksam machen. Ihre Aktion "Zwischen Hier und Dort" war den Insassen geschlossener psychiatrischer Heime in Russland gewidmet. Vier Wochen lief sie mit einer Virtual Reality Brille durch Moskau. Alltagsbilder aus den Heimen vor Augen, tastete sie sich über den Roten Platz, durch Supermärkte, durch die Metro. Viele Passanten reagierten aggressiv. Am Kreml wurde Katrin Nenaschewa festgenommen und selbst in die Psychiatrie gebracht: Sie verstoße gegen Verhaltensnormen der Gesellschaft.
Die Aktionskünstlerin Katrin Nenaschewa mit Virtual Reality Brille unterwegs in Moskau
Die Aktionskünstlerin Katrin Nenaschewa mit Virtual Reality Brille unterwegs in Moskau© Gesine Dornblüth
Der italienische Schriftsteller Walter Siti ist einer der bekanntesten und auch umstrittensten Autoren seines Landes. Zunächst arbeite er als Literaturkritiker an verschiedenen Universitäten, entschied sich dann aber für eine Karriere als Autor. Schonungslos und in einer manchmal brutal wirkenden literarischen Klarheit beschreibt er die Gefühlszustände seiner zumeist homosexuellen Protagonisten. Siti spricht in seinen Romanen Themen an, die in Italien immer noch gern verschwiegen werden. Sitis Werk hält diesem heuchlerischen Verhalten den Spiegel vor. Das stößt auf viel Kritik, und doch erhielt er 2013 Italiens begehrtesten Literaturpreis Premio Strega. Sein jüngsten Buch, 2017 erschienen, thematisiert Priesterpädophilie.
Der italienische Schriftsteller Walter Siti (undatiertes Foto)
Der italienische Schriftsteller Walter Siti © picture alliance / dpa / Rizzoli
Der japanische Filmemacher und Künstler Nobuyuki Oura ist ein Rebell. Einer, der in allen Aspekten das Gegenteil dessen verkörpert, was man erwartet. 14 Collagen, in denen Fotos des japanischen Kriegskaisers Hirohito Verwendung finden, verhalfen Nobuyuki Oura Anfang der 90er-Jahre zu zwiespältiger Prominenz. Die meisten seiner Werke sind in Galerien zu finden, auch in den USA, wo Oura zehn Jahre seines Künstlerdasein verbracht hat. Er ist Bildhauer, ohne jemals eine Kunstschule besucht zu haben, Filmemacher ohne formale Ausbildung, ein Lithograph und Seidensiebdrucker, der sich alle Techniken selbst beigebracht hat. Gefragt nach seinen künstlerischen Vorbildern nennt Oura auf Anhieb zwei Namen: den Dadaisten Man Ray und den 2010 verstorbenen Shusaku Arakawa. Sieben Jahre lang war er Assistent des berühmten Malers und Grafikers in New York.
Der japanische Filmemacher und Künstler Nobuyuki Oura
Der japanische Filmemacher und Künstler Nobuyuki Oura© Jürgen Hanefeld
Der spanische Bildhauer Eugenio Merino sagt: Kunst darf nicht nur, sie muss sogar provozieren. Die Installationen des Madrider Künstlers sorgen immer wieder für Polemiken, weil sie mit satirischem Blick gesellschaftliche Missstände offenlegen – in Spanien und anderswo. Für seinen Picasso – aus Silikon, aufgebahrt, im charakteristischen Ringelhemd, die Augen geschlossen –, standen Touristen Schlange, um sich mit dem künstlichen Leichnam fotografieren zu lassen. Die Aufgabe der Kunst sei es eben, die wichtigen Themen anzusprechen und in Málaga sei das nun einmal der Tourismus, kommentiert der Künstler das Happening um seine Installation. Die Stadt habe sich Picasso zur Markenbildung zunutze gemacht. Humor ist ein wichtiges Stilmittel für Merino – und manchmal fällt er eben drastisch aus.
Der spanische Bildhauer Eugenio Merino
Der spanische Bildhauer Eugenio Merino © Julia Macher
Die niederländische Performerin Tinkebell bewegt sich auf dem Grad zwischen Aktivismus und Kunst. So zeigte sie in einer Galerie getrocknete Blumen aus Fukoshima, die leicht radioaktiv sind. Ein paar dieser Blumen steckte sie zudem in Briefumschläge, die sie an Atomkraft-Befürworter, Politiker, Vertreter der Atomkraftlobby, verschickte. Verglichen mit ihrer allerersten Kunstaktion, die sie schlagartig weltweit berühmt machte, ist das jedoch noch wenig skandalös: Tinkebell ist jene Frau, die 2004 ihrer Katze eigenhändig den Hals umdrehte und aus ihrem Fell eine Handtasche machte. Seitdem haftet ihr das Etikett der Katzenkillerin an. Dabei lasse sie nur die Wirklichkeit sehen, mehr nicht, so Tinkebell.
Die Künstlerin Tinkebell weiß zu provozieren.
Die Künstlerin Tinkebell weiß zu provozieren.© Kerstin Schweighöfer