Störenfried in Israels Medienbetrieb

24.03.2011
Er ist der Liebling der jüdischen Presse, die seinen Spott goutiert. Seine Romane schreibt er auf Hebräisch. Und nun hat er auch noch eine Doku-Soap im israelischen Fernsehen. Doch Sayed Kashua ist Moslem.
Kashua wirkt schläfrig, als er die Tür öffnet. Tags zuvor wurde sein neuer Roman auf die shortlist für den hoch dotierten Sapir-Preis gesetzt. Er musste kurzfristig den ganzen Tag mit seinen Verlegern in Tel Aviv zubringen und Fernsehinterviews geben. Und abends, da hat man ihn doch tatsächlich in ein Hotel im Rotlichtmilieu einquartiert.

Sayed tut empört. All die Huren und Freier um ihn herum. Er ist verheiratet und hat zwei kleine Kinder. Dem liberalen Tel Aviver Flair zieht Sayed das konfliktreichere Leben in Jerusalem vor.

"Es ist fast unmöglich, eine Wohnung im arabischen Ost-Jerusalem zu kaufen. Und es kam für mich nicht in Frage, ein Haus oder ein Grundstück in einer Gegend zu erwerben, die nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 besetzt wurde. Deshalb sind wir nach West-Jerusalem gezogen. Leicht war das nicht, denn kaum waren wir hier, ging der Krieg in Gaza los, und ich glaubte, ich hätte den größten Fehler meines Lebens gemacht. Aber inzwischen fühlen wir uns absolut wohl. Wir kommen sehr gut aus mit unseren Nachbarn."

Er ist der Liebling der jüdischen Presse, die seinen Spott goutiert. Der trifft Juden wie Araber gleichermaßen unverblümt. In den Augen mancher Araber ist Sayed schon "ein halber Jude".

"So etwas wie halb-jüdisch gibt es nicht. Da muss man sich schon entscheiden, wenn man in diesem Land akzeptiert werden will. Hierhin passt man nur, wenn man 100 Prozent jüdisch ist. Die Hälfte reicht nicht!" (Lachen)"

Sayed ist hundert Prozent arabisch und muslimisch. Er spielt die Rolle des Störenfrieds, der illusionslos, doch gut gelaunt Selbstgefälligkeiten bloßstellt, perfekt.

""Jeder will herausfinden, wo du politisch stehst, woher du kommst, in welchem Lager du dich engagierst. Unsere Herkunft, unsere kulturellen Wurzeln, diese ganze Folklore wird hier ungemein wichtig genommen. Mit meinen Texten wehre ich mich gegen diese Reduzierung, und manchmal möchte man von einem 'Baum' auch gar nichts lernen. Die israelische Erziehung ist dermaßen nationalistisch ausgerichtet. Am Ende geht’s doch nur darum, Soldaten heranzuziehen."

Sayed selbst hat ein Elite-Internat besucht und eine umfassende Bildung erhalten. Arabisch sprechen durfte er dort nicht. Er erinnert sich, wie er die jüdischen Jugendlichen in allem nachahmte und um keinen Preis auffallen wollte. Er trug nur Markenkleidung, hörte anglo-amerikanischen Poprock. Das allerdings bis heute. Den Gruppenzwang will er seinen Kindern ersparen.

"Meine Kinder besuchen eine bilinguale Schule, in der es auch einen Kindergarten gibt. Sie sind seit dem dritten Lebensjahr dort, lernen Arabisch und Hebräisch und vor allem, andere Religionen, andere Geschichtsauffassungen zu respektieren. Es war das Beste, was wir finden konnten. Aber noch lieber wäre mir eine Schule gewesen, in der man vor nichts Respekt haben muss. Dahin hätte ich meine Tochter gern geschickt! (Lachen)"

Da blitzt es wieder auf, Sayed Kashuas anarchisches Temperament. Er spricht auffällig leise und wirkt manchmal ein bisschen versonnen. Wie durchsetzungsfähig er ist, zeigt sich daran, dass er seine Doku-Soap-Serie "Arabische Arbeit" im Fernsehsender Channel two platzieren konnte.

Die Serie wird als Meilenstein betrachtet, denn zum ersten Mal kamen mit ihr palästinensische Charaktere und Darsteller zur besten Sendezeit ins israelische Fernsehen. Der Journalist Amjad ist mit Frau und Kind von einem arabischen Dorf nach West-Jerusalem gezogen – ganz so wie Sayed selbst. Hat sein satirischer Ansatz vielleicht etwas Friedenstiftendes?

"Ich weiß nicht, denn schließlich hat es nach zwei Staffeln immer noch kein Friedensabkommen zwischen Israelis und Palästinensern gegeben. Aber wir haben es geschafft, selbst die Vertreibung der Palästinenser im Jahr 1948 zum Thema zu machen. Wir haben Fotos von Flüchtlingen gezeigt. Man nimmt Amjad nicht als Bedrohung wahr. Er ist ein Palästinenser, der einfach nur versucht, sich in die israelische Gesellschaft einzufügen, und natürlich machen wir uns über seine Anstrengungen und all die Hindernisse lustig."

Im Winter will der bekannte Regisseur Eran Rickles Kashuas Roman "Tanzende Araber" verfilmen. Künftig etwas weniger zu arbeiten, bleibt wohl eher ein frommer Wunsch. Oder sieht er Möglichkeiten, sein Zeitproblem zu lösen?

"Ich könnte ein paar billige palästinensische Arbeiter anheuern, die in meinem Namen schreiben. Der Zeitdruck ist schon verrückt, aber jetzt ist mein dritter Roman endlich erschienen, und ich schreibe nur noch für die Ha’aretz und die Fernsehserie. Dieses Jahr wird schon einfacher als das letzte."


Der arabische Israeli Sayed Kashua ist zu Gast bei der LitCologne. Er liest morgen (25.3.) um 18 Uhr im Kölner Theaterhaus aus seinem neuen Roman "Zweite Person Singular". Das Buch erscheint im Berlin Verlag und kommt Anfang April in den Handel.