Stölzl: Streit über Biermanns Ehrenbürgerschaft "ein Witz"

Moderation: Jürgen König |
Der Historiker und frühere Berliner Wissenschaftssenator Christoph Stölzl hat die Entscheidung der SPD für eine Berliner Ehrenbürgerschaft von Wolf Biermann begrüßt. Es sei ein "wunderbarer Zug", dass die Berliner SPD offenbar die Kraft gehabt habe, sich aus dem Fraktionszwang mit der PDS zu lösen, sagte Stölzl. Das Verhalten der PDS nannte Stölz hingegen "schizophren". Es sei ehrlicher, die alten Feindschaften offen zuzugeben.
König: Christoph Stölzl ist zu Gast im Studio, er war Gründungsdirektor des Deutschen Historischen Museums. Er hatte als Mitglied der Findungskommission wesentlichen Anteil an der Entscheidung in Berlin für den Entwurf von Peter Eisenman für das Denkmal für die ermoderten Juden in Europa. Christoph Stölzl verpflichtete den Stararchitekten Pei für den Anbau des Berliner Zeughauses. Er war Kultursenator, Vizepräsident des Abgeordnetenhauses und Vorsitzender der Berliner CDU, also ein kulturelles Berliner Urgestein. Guten Morgen, Herr Stölzl!

Stölzl: Guten Morgen! Da wird einem ganz angst, wenn man seinen Lebenslauf so hört.

König: Ja, das waren nur einige Punkte, die ich da genannt habe. Hatten Sie damit gerechnet, dass die SPD umschwenken wird in der Casa Biermann?

Stölzl: Eigentlich nicht. Ich bin richtig glücklich, dass die zu Verstand gekommen sind, denn Koalitionen sind ja immer so was merkwürdig Mechanisches. Wenn Koalitionen geschlossen werden, muss man schwören, es wird auch unterschrieben, dass nichts separat abgestimmt wird, denn sonst wird jede Koalition natürlich zu Papier, und dass die SPD oder die Fraktion die Kraft gehabt hat, offenkundig gegen die Fraktionsführer, finde ich einen ganz wunderbaren Zug. Richtig so, und wenn man überhaupt dieses Ehrenbürgeramt noch ernst nimmt, dann kann es eigentlich nicht überhaupt mit parteipolitischen Dingen zu tun haben. Das ist ja ein Witz, das ist ja doch gar keine Entscheidung über höhere Steuern oder höhere Gaspreise oder andere Ampeln, sondern es geht um ein Bekenntnis zu einer Person, und selbstverständlich ist die Person aller Ehren wert.

König: Sollte man meinen. Rekapitulieren wir doch die Geschichte: Der CDU-Abgeordnete Uwe Lehman-Brauns bringt im Oktober in einer Rede quasi wie nebenbei die Rede darauf, dass man doch Wolf Biermann die Ehrenbürgerwürde Berlins verleihen könnte. Grüne und FDP finden das gut, SPD und PDS, beide in Berlin Regierungsfraktionen, lehnen das ab. Das war doch schon eine sehr eigenartige Geschichte.

Stölzl: Also das muss man erklären, denn Lehmann-Brauns kennt Biermann schon ganz lange persönlich. Ich habe ihn, glaube ich, auch im Hause Lehmann-Brauns den Biermann damals gesehen, den ich aber auch von Michel Werner aus Paris kannte. Also das ist mal ausnahmsweise so eine richtige persönliche Sache, die natürlich dadurch, dass die handelnden Personen Parteipolitiker sind, sofort augenblicklich in den Reißwolf parteipolitischer Häme, Stimmen und Gegenstimmen geraten ist. Nun meine ich also, Parteien halten zu Gnaden, sind nicht der Staat, die müssen auch mal ein bisschen neben sich treten können und sagen, hier gibt es gar keinen Sieg und gar keine Niederlage, was soll denn das.

Und die Frage ist, ob man neben den vielen automatischen Ehrenbürgern wie den Bundespräsidenten und den Kanzlern, die einfach Ehrenbürger werden, ob sie nun Berlinfreunde waren oder nicht, ob man daneben manchmal auch tatsächlich einen Akzent setzen kann und eine große Sympathie ausdrücken kann, und da, muss ich noch mal sagen, war ich ganz traurig, dass die Parteiräson und die Fraktionsräson der SPD erst so getan hat, als könne man mit diesem Hinweis auf Biermanns außenpolitische Meinung hier irgendetwas sabotieren.

König: Also das heißt, es gab zwei Stimmen in der SPD, die einen haben gesagt, Biermann hat die amerikanischen Kriege richtig gefunden, so einen wollen wir nicht, andere haben gesagt, die parteipolitischen Spielchen der CDU, ich glaube, so wörtlich, die wolle man nicht mitmachen, und Sie sagen, Letzteres sei alleine ausschlaggebend gewesen für diese Ablehnung?

Stölzl: Ich glaube, das mit der außenpolitischen Haltung, das ist doch an den Haaren herbeigezogen, da hängt in Öl gemalt strahlend Ronald Reagan, sicher kein besonderer Freund der SPD-Politik der damaligen Zeit und umgekehrt, und trotzdem wird es selbstverständlich angenommen. Hier geht es doch darum, ist der Ehrenbürger, ist die Ehrenbürgerin symbolisch für Berlin, gibt es eine Liebesbeziehung, hat das was zu tun, wird man in 100 Jahren sagen: Na klar, der oder die musste Ehrenbürger werden. Nur darum kann es doch gehen.

König: Reden wir über die PDS oder die Gründe der Ablehnung bei denen. Haben sie Biermann nicht verziehen, dass er 1976 die DDR so unsouverän plötzlich aussehen ließ?

Stölzl: Ich glaube, das wird nie verziehen. Die Ausbürgerung Biermanns war der Anfang vom Ende der DDR, das kann man in jedem Geschichtsbuch nachlesen, und zwar deswegen, weil er ja selbst ein überzeugter Kommunist war. Er war ein Kommunist, er ist freiwillig in die DDR, er war Freund oder Ziehkind von Margot Honecker, er war einer, der den Sozialismus wollte und die Wirklichkeit dieser schäbigen stalinistischen Funktionärsgesellschaft widerwärtig fand als Kommunist, und ich kann mich erinnern, ich habe dieses Konzert im Fernsehen gesehen, dieses Kölner Konzert, und das war ja eigentlich ein flammender sozialistischer Appell.

König: Dem die ganze Westlinke zu Füßen lag.

Stölzl: Natürlich, im Grunde war es so, man sagte, trotz Baader-Meinhof, trotz Ernüchterung, vielleicht geht es mit der Linken noch mal los im Westen durch Biermann, und das war natürlich, dass aus dem Herzen des Kommunismus heraus auf die SED-Bonzenbürokratie gezielt wurde, konnten die nicht verzeihen. Sie haben es, glaube ich, auch nie verziehen. Er war von Anfang an wirklich ein Pfahl im Fleisch dieses Ostkommunismus, und dass er dann nach der Wende, in der Wende 89/90 in diesen vielen Spiegelartikeln natürlich auch losgefetzt hat, und zwar auch auf die Westlinke, die die deutsche Einheit nicht wollte, also er ist ein wortgewaltiger Mann, das haben viele Menschen ihm, glaube ich, auch persönlich nicht verziehen.

Und die PDS, das ist ja, wenn man die Stellungnahme jetzt hört, ist ja schizophren. Was heißt "die Verantwortung übernehmen"? Wenn sie die Verantwortung übernehmen würden für diese schändliche Ausbürgerung, würden sie sagen, wir machen das dadurch gut, dass wir ihn jetzt an unser Herz pressen als großen Künstler. Also im Grunde ist doch, glaube ich, schimmert hindurch, man nimmt Rücksicht auf die Wählerschaft, diese Rentner-SED-Wählerschaft, die natürlich den Biermann nicht ausstehen kann.

König: Und sich jetzt enthalten zu wollen, ist irgendwie auch eine schlaffe Reaktion, dann kann man auch sagen, wir wollen es nicht, und sich dagegen entscheiden.

Stölzl: Ja, dann sagen, der war unser Feind und das verzeihen wir ihm nicht. Darüber kann man doch reden. Jeder weiß, dass es so ist, und dann, finde ich, sollte man das auch ehrlich sagen.

König: Kulturstaatsminister Neumann hat gesagt, das alles sei eine Blamage für die Politiker in dieser Stadt gewesen. Hat er Recht?

Stölzl: Da hat er schon Recht. Er sagt es natürlich auch wieder parteipolitisch, na klar, weil er ein CDU-Politiker ist und weil hier Rot-Rot regiert, aber ich finde schon, wenn Berlin die Rolle als Hauptstadt, nicht Kulturhauptstadt, das gibt es in Deutschland nicht, aber als kultureingefärbte Hauptstadt, repräsentative Stadt der Deutschen wahrnehmen will, dann müssen die Parteipolitiker unterscheiden können zwischen diesen kleinen Punktsiegen, wie würge ich dem anderen noch ein Tor rein, das ist ja das, was im Parlament stattfindet, draußen merkt es kaum jemand, ich kann da lange Lieder von singen, und dem, welchen Eindruck das im ganzen Land macht.

Biermann ist vom Bundespräsidenten mit Recht, ich finde, viel zu spät, mit dem großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden. Er war immer eine ungeheuer repräsentative Figur unserer Generation, und es ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, ganz egal wer den Gedanken aufbringt, ob es ein Grüner, Roter, Gelber, Schwarzer oder jemand, oder der Handelskammerpräsident oder ein einfacher Bürger ist, in dem Moment, wo er sagt, Biermann Ehrenbürger, müssten alle eigentlich sagen, ja wunderbar, klingelingeling, wir läuten die Glocken, schade, dass wir nicht früher darauf gekommen sind. Das hat doch mit Parteipolitik gar nichts zu tun. Das ist ein großer Mann, und allein für das Lied vom preußischen Ikarus, das ein Jahrhundertgedicht, ein Jahrhundertlied ist über die Schmerzen der deutschen Teilung in Berlin, hätte er alle Ehren verdient.

Also ich finde schon, das Kultur-Berlin muss sich ein bisschen am Riemen reißen und sagen, es gibt solche Themen und solche Themen, und da, wo es gar nicht um Macht geht, wo man überhaupt nichts gewinnen kann, sondern nur den anderen, diesen anderen 85 Millionen gegenüber, die eben auf uns schauen, wenn wir da Symbole verteilen und vergeben, dann müssen die richtig sein, da muss es auch ein bisschen flotter gehen und nicht sich hinziehen ein paar Wochen lang.

König: Apropos Kultur in der Stadt, Klaus Wowereit ist ja regierender Bürgermeister und Kultursenator, hat gestern gar nichts dazu gesagt, er ließ nur seinen Sprecher Donnermeyer verkünden, Wowereit sehe "das Institut der Ehrenbürgerschaft durch den innenpolitischen Streit beschädigt".

Stölzl: Na ja, das sagen Politiker immer, wenn sie es schlecht handwerklich hingekriegt haben, dann ist das Institut falsch.

König: Es wird auch nicht gesagt, wer nun da was beschädigt hat.

Stölzl: Quatsch, also es gab einen Riesenstreit um Bersarin, wo die Sache wirklich sehr viel schwieriger war: Sind die einrückenden sowjetischen Truppen Befreier oder Quäler gewesen? Und sie sind eben beides gewesen und es ist ungeheuer schwierig, da eine Bilanz zu ziehen. Also da hat das Parlament auch schrecklich gestritten und dann auch Mehrheit gegen Minderheit entschieden. Also ich finde, wenn Ehrenbürgerschaft nicht verliehen wird von dem Stadtältesten oder von einem Gremium, das unpolitisch ist, dann ist es eben politisch, und Politik heißt Streit um Mehrheiten. Da ist gar nichts beschädigt.

Das Ehrenbürgerinstitut ist ehrwürdig und alt, auch rührend, Sie haben es schon gesagt, mit der Freifahrkarte der BVG und dem, was für die Familien vielleicht langfristig das Beste ist, nämlich das Ehrengrab, das, auch wenn die Urenkel keine Lust mehr haben, wird es gepflegt. Aber natürlich stammt es aus einer Zeit, wo man ein Bürgerrecht richtig erwerben musste und wo man nicht einfach nach Berlin zuziehen konnte, und ist insofern hoffnungslos altmodisch, antiquiert und rührend.

König: Und nennen wir auch ruhig noch mal das Abonnement des Berliner Amtsblattes, das fand ich besonders kurios. Ist das nicht wirklich auch ein bisschen dürftig, also diese Ehrenbürgerwürde mit solchen Dingen noch auszustatten?

Stölzl: Also ich finde, auch da können die nun mal reformieren, weil vermutlich die meisten zum ersten Mal in die Akten geschaut haben, was eigentlich mit der Ehrenbürgerschaft verbunden ist. Also wenn man da einen goldenen Ring bekäme oder irgendwas anderes, das irgendeinem symbolisch nützt, oder ein großes Festessen, wo man seine Tausend Freunde einladen kann, wäre das vielleicht etwas würdiger als die Idee, das Abendblatt abonniert zu bekommen. Aber ich bin doch sehr froh, dass es endgültig geklappt hat, denn diese lange Reihe der Ehrenbürger, der unendlich viele Polizeipräsidenten, Verwaltungspräsidenten, Wasserinfrastrukturschöpfer und so weiter…

König: Womit wir nichts gegen Polizei- und Verwaltungspräsidenten gesagt haben wollen!

Stölzl: Nichts, gar nichts, nein, das ist klar, die, sagen wir mal, für die Zivilität dieser Großstadt zuständig waren und Verdienste haben, aber es gibt ganz wenig Künstler und Musiker, ich habe nachgeschaut: Fischer-Dieskau, Marlene Dietrich, Paul Linke und Herbert von Karajan. Da ist doch ein Barde, der die Gitarre virtuos bedient und der wunderbare Verse macht und der tatsächlich viele große Berlinsongs gemacht hat, endlich mal an richtiger Stelle.

König: Der frühere Berliner Kultursenator Christoph Stölzl im Gespräch über den mühsamen Weg der Berliner Regierungsfraktion, Wolf Biermann zum Ehrenbürger der Stadt zu machen. Herr Stölzl, vielen Dank!
Bundespräsident Horst Köhler verleiht das Bundesverdienstkreuz an Liedermacher Wolf Biermann.
Bundespräsident Horst Köhler verleiht das Bundesverdienstkreuz an Liedermacher Wolf Biermann.© AP
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