Stimmungsbild der 20er-Jahre
"Odile" ist ein typischer Zeitroman, der die Beweggründe des Existenzialismus vorwegnimmt, Männern jede Stilisierung zubilligt, die Stadt Paris als Treffpunkt der Intellektuellen preist und aus dem Mädchen Odile jenes duldsame Wesen macht, das im 21. Jahrhundert von der Welt verschwunden ist.
Raymond Queneaus Roman "Odile" erschien 1937 in Paris in einer Auflage von 3300 Exemplaren. Es ist das einzige Buch des Autors mit einem Ich-Erzähler und einem stark autobiografischen Hintergrund. Wie sein Held Roland Travy war Queneau während seines Militärdienstes in Marokko, eine Erfahrung, die ihn selbst wie seinen Helden tief verstörte. Roland Travy behauptet in "Odile", erst als 21-Jähriger, also nach seiner Militärzeit, "zur Welt gekommen zu sein".
Wie Roland Travy war Queneau der Gruppe der Surrealisten um André Breton beigetreten. Raymond Queneau heiratete Janine Kahn, Roland Travy Odile. Der Autor und seine Figur reisen nach Griechenland und vor allem, das ist das ironische Kernstück dieses Romans, haben sie mit der Gallionsfigur der Avantgarde ein Hühnchen zu rupfen, mit dem Übervater der Surrealisten, André Breton.
Zwar heißt Breton im Roman Anglaès, aber der Leser merkt bald, wer mit diesem eitlen Herrn in Künstlerpose mit unbedingtem Machtanspruch gemeint ist. Und damit das ganze nicht einfach eine freche Persiflage ist, erfindet Queneau eine lockere Handlung, die in den Gesprächen mit einem gewissen Saxel, einem befreundeten Schriftsteller, zum Ausdruck kommt. Gespräche, die sich weniger um Literatur, als um Mathematik drehen, denn Roland Travy ist Mathematiker, jedenfalls bildet er sich das ein und behauptet, der Mathematik "sein ganzes Leben" zu widmen, indem er in seinem Pariser Pensionszimmer sitzt und Zahlenreihen neben Zahlenreihen setzt.
Durch eine kleine Apanage eines Onkels ist er vom langweiligen Zwang, Geld zu verdienen, befreit. Sein Verhältnis zu Odile, einem Mädchen vom Lande, ist distanziert. Dass er sie heiratet, gehört zur Persönlichkeitsstruktur dieses eigenbrötlerischen Erzählers, der sich davor fürchtet, vereinnahmt zu werden. So versteckt er sich hinter seinen Zahlenexperimenten und der "Inneren Objektivität der Mathematik". Roland Travy ist ein früher Vertreter existentieller Weltverachtung. Nicht die Gesellschaft anderer erfreut ihn, sondern die eigene Einsamkeit.
"Odile" ist ein typischer Zeitroman, der die Beweggründe des Existenzialismus vorwegnimmt, Männern jede Stilisierung zubilligt, die Stadt Paris als Treffpunkt der Intellektuellen preist und aus dem Mädchen Odile jenes duldsame Wesen macht, das im 21. Jahrhundert von der Welt verschwunden ist.
Geschrieben im Ton einer melancholischen Gefühlskälte, bildet Quenau in einfachen Worten eine Wirklichkeit ab, die er für die einzig mögliche halten mag, die aber dem heutigen Leser wie ein entferntes Stück Literatur erscheint. Als Zeitgeschichte, Literaturgeschichte und Mentalitätsgeschichte der späten 20er- und der frühen 30er-Jahre in Frankreich ist das kleine schöne Manessebändchen, hervorragend von Eugen Helmlé übersetzt, eine ironisch funkelnde Beschreibung über die Irrtümer von künstlerischen und politischen Bewegungen wie dem Surrealismus und dem Kommunismus.
Besprochen von Verena Auffermann
Raymond Queneau: Odile. Roman.
Aus dem Französischen übersetzt von Eugen Helmlé
Nachwort von Tilman Spreckelsen
Manesse Verlag, Zürich 2009
240 Seiten, 19,95 Euro
Wie Roland Travy war Queneau der Gruppe der Surrealisten um André Breton beigetreten. Raymond Queneau heiratete Janine Kahn, Roland Travy Odile. Der Autor und seine Figur reisen nach Griechenland und vor allem, das ist das ironische Kernstück dieses Romans, haben sie mit der Gallionsfigur der Avantgarde ein Hühnchen zu rupfen, mit dem Übervater der Surrealisten, André Breton.
Zwar heißt Breton im Roman Anglaès, aber der Leser merkt bald, wer mit diesem eitlen Herrn in Künstlerpose mit unbedingtem Machtanspruch gemeint ist. Und damit das ganze nicht einfach eine freche Persiflage ist, erfindet Queneau eine lockere Handlung, die in den Gesprächen mit einem gewissen Saxel, einem befreundeten Schriftsteller, zum Ausdruck kommt. Gespräche, die sich weniger um Literatur, als um Mathematik drehen, denn Roland Travy ist Mathematiker, jedenfalls bildet er sich das ein und behauptet, der Mathematik "sein ganzes Leben" zu widmen, indem er in seinem Pariser Pensionszimmer sitzt und Zahlenreihen neben Zahlenreihen setzt.
Durch eine kleine Apanage eines Onkels ist er vom langweiligen Zwang, Geld zu verdienen, befreit. Sein Verhältnis zu Odile, einem Mädchen vom Lande, ist distanziert. Dass er sie heiratet, gehört zur Persönlichkeitsstruktur dieses eigenbrötlerischen Erzählers, der sich davor fürchtet, vereinnahmt zu werden. So versteckt er sich hinter seinen Zahlenexperimenten und der "Inneren Objektivität der Mathematik". Roland Travy ist ein früher Vertreter existentieller Weltverachtung. Nicht die Gesellschaft anderer erfreut ihn, sondern die eigene Einsamkeit.
"Odile" ist ein typischer Zeitroman, der die Beweggründe des Existenzialismus vorwegnimmt, Männern jede Stilisierung zubilligt, die Stadt Paris als Treffpunkt der Intellektuellen preist und aus dem Mädchen Odile jenes duldsame Wesen macht, das im 21. Jahrhundert von der Welt verschwunden ist.
Geschrieben im Ton einer melancholischen Gefühlskälte, bildet Quenau in einfachen Worten eine Wirklichkeit ab, die er für die einzig mögliche halten mag, die aber dem heutigen Leser wie ein entferntes Stück Literatur erscheint. Als Zeitgeschichte, Literaturgeschichte und Mentalitätsgeschichte der späten 20er- und der frühen 30er-Jahre in Frankreich ist das kleine schöne Manessebändchen, hervorragend von Eugen Helmlé übersetzt, eine ironisch funkelnde Beschreibung über die Irrtümer von künstlerischen und politischen Bewegungen wie dem Surrealismus und dem Kommunismus.
Besprochen von Verena Auffermann
Raymond Queneau: Odile. Roman.
Aus dem Französischen übersetzt von Eugen Helmlé
Nachwort von Tilman Spreckelsen
Manesse Verlag, Zürich 2009
240 Seiten, 19,95 Euro