Stille Wasser

Von Natascha Pflaumenbaum · 27.09.2009
John Dews inszeniert Leo Janáčeks Oper "Katja Kabanowa" am Darmstädter Staatstheater. Leider werden die verborgenen Trümpfe der Geschichte um die Liebschaft zwischen Katja und Boris nur wenig herausgearbeitet.
So wie es auf aussieht, spielt am Ende wohl doch die Wolga die Hauptrolle in John Dews Inszenierung von Leos Janáčeks Oper "Katja Kabanowa". Leider, denn sie ist drei Akte lang sehr stumm, und eigentlich hätten Katja, Marfa, Boris und Tichon, die singenden Protagonisten dieser Geschichte, eine Menge zu sagen. Aber die Wolga raubt erst einmal alle Aufmerksamkeit: Ruhig schimmernd liegt sie auf dem Bühnengrund des Großen Hauses in Darmstadt. Man hat die Bühne komplett geflutet und über den See eine historisch anmutende Stahlträgerbrücke gehängt. Kein schlechtes Bühnendesign, für ein Bühnenbild allerdings zeichentechnisch doch sehr einsilbig.

John Dew, der Intendant des Staatstheaters Darmstadt, hat die neue Spielzeit mit Janáčeks Oper "Katja Kabanowa" eröffnet, mit einem Werk also, das immer öfter auf den Spielplänen steht. Die Geschichte, die hier in Sprache und Musik eigentlich auf Tschechisch erzählt wird, scheint nicht besonders spektakulär. Katja – eine Frau aus dem 19. Jahrhundert - ist mit Tichon verheiratet, liebt aber Boris, fängt kurz was mit ihm, wird von den anderen geächtet und springt dann vor Scham in die Wolga.

Na und? In unserer Welt werden heute Menschen auf Bahnsteigen totgeprügelt. Was kratzt uns also ein Ehebruch? Man muss sich bei dieser Oper in der Tat auf die Suche nach einem Subtext machen. Denn der Ehebruch ist ja ein Symptom. Wer – wie John Dew jetzt in Darmstadt – die Geschichte aber nur fein auf der Bühne erzählt, Sänger zu dauernden Verzweiflungsposen nötigt, macht den Stoff klein.

Dew löst in Darmstadt wenig von den verborgenen Trümpfen dieser Geschichte ein. Man versteht nicht, warum sich Katja in Boris verliebt, obwohl die beiden sich bislang nur von weitem gesehen haben. Man versteht nicht, warum sich die beiden gleich beim ersten Treffen in Sekundenschnelle so heftig ineinander verlieben. Man versteht auch nicht, warum sich Katja nach diesem ersten Treffen mit Boris so schämt: eigentlich kuscheln die nur kurz. Was hat diese Frau eigentlich für ein gravierendes psychisches Problem, das sie dazu treibt, sich wegen solcher Sachen am Ende umzubringen?

Dew deutet einiges an Antworten an, bleibt aber vage. Susanne Serflings scharfer Gesang könnte Hinweise auf die psychische Disposition der Figur geben, oder zeigt er doch eher die stimmlichen Grenzen der Sängerin? Zudem verspielt John Dew den großen Joker dieser Oper, den die Figur Marfa bereithält, Katjas "böse" Schwiegermutter. Er besetzt diese Rolle mit einer zierlichen Sängerin (Sonja Borowski-Tudor) und unterschätzt so, dass eine gravitätische Bühnenpräsenz zwischen Madonna und Matrone diese Figur erst glaubwürdig macht. Marfas erster Auftritt, bei dem sie sich stimmlich durch hysterische Intervallsprünge und eine ruppige Bruststimme eindrucksvoll Autorität zu verschaffen sucht, geht in Darmstadt unter, weil die Sängerin nicht gegen das Orchester ankommt.

Das Orchester des Staatstheaters Darmstadt allerdings leistet unter dem Dirigat seines 1. Kapellmeisters Martin Lukas Meister einiges, es bringt die Musik, in der es keine Arien und Rezitative, sondern viele Melodiefetzen gibt, gut zusammen. Der Grundton ist zu scharf, zu hart, die Zwischentöne könnten subtiler sein: mitunter wünschte man sich einfach stärkeres tschechisches Kolorit.