Still, berührend, tragikomisch

Von Carsten Probst · 08.02.2011
Hans-Peter Feldmann sympathisiert mit der Figur und mit dem Humor Theo Lingens. Er ist selbst ein Meister der Ironie und des Hintersinns. Seine künstlerische Methode ist das Dokumentarische, seine Ausstellungen eher Installationen.
"Man muss jahrelang dasselbe machen, wenn man damit einmal einen gewissen Erfolg zu verzeichnen hatte, und so wurde ich dann gewissermaßen gezwungen, jahrelang immer denselben Gang zu machen. Jahrelang musste ich immer auf dieselbe stereotype Art hüsteln. Und dabei wäre ich so gern einmal als Liebhaber auf der Leinwand erschienen. Mein Gott, ich hätte so gern im Urwald als Tarzan einem leichtgeschürzten jungen … nein wirklich, im Ernst!"

So kennen ihn wohl noch diejenigen, die ihn vielleicht als Kinder selbst noch erlebt haben, wie sich ihre Eltern vor dem Fernseher amüsierten über diesen Schauspieler mit dem klingenden Namen Theo Lingen, der entweder vertrottelte, stocksteife Lehrer spielte und dabei slapstickartig über Tische und Bänke stolperte. Oder der als Diener, Kammerherr, Butler auf eine schräg-komische Weise immer etwas schlauer zu sein schien als seine Herren, durch die eigene Schlauheit aber auch oft genug erst recht in die Bredouille kam. Berühmt war Theo Lingen in den 50er und 60er Jahren als Komiker, von seiner einstigen Bedeutung als einer der wichtigen Schauspieler in der Weimarer Republik wusste freilich kaum mehr einer etwas. Lingen selbst thematisierte es auch nicht. Doch Hans-Peter Feldmann, der Künstler, macht heute eine andere Rechnung auf:

"Humor ist erst mal ne ganz wichtige Grundlage, um Leben zu genießen und Leben auch zu bewältigen. Humor ist in meinen Augen sowieso ne Art, Dinge zu bewältigen, zu überwinden, die man nicht sonst irgendwie auf die Reihe kriegt und nicht verstehen kann. Und Lingen war ja nicht nur ein Komiker, sondern schon so grotesk, dass er schon irgendwo drüber hinaus war über den normalen Humor - eben um die Bedingungen, in die er da gekommen war, doch vielleicht irgendwie in eine Reihe zu kriegen. Durch Humor."

Keine Frage, Hans-Peter Feldmann sympathisiert mit der Figur und mit dem Humor Theo Lingens. Feldmann, 1941 in Hilden bei Düsseldorf geboren, ist selbst ein Meister der Ironie und des Hintersinns. Seine künstlerische Methode ist das Dokumentarische, jedoch nicht im wissenschaftlichen oder journalistischen Sinn. Er legt Archive an und bestreitet aus den gesammelten Materialien und Bildern Ausstellungen, die eigentlich eher Installationen sind.

"Mein Archiv ist sehr entspannt, Bananenkartons, Schuhkartons und hier ne Garage und da ne Garage, also vollkommen unsortiert, unaufgeräumt und unübersichtlich. Ein Archiv sieht anders aus. Ich geh da sehr persönlich vor, sehr intuitiv, ohne jede wissenschaftliche Anlage."

So nun auch im Fall Theo Lingens. Der Raum mit Feldmanns Materialinstallation besteht im Wesentlichen aus historischem Bildmaterial und Textauszügen, die als eine Rundum-Collage an die Wände geklebt oder an Schnüren durch den Raum gehängt sind. Außerdem gibt es einige Vitrinen mit Büchern und von Feldmann angelegten Heften zu sehen. Theo Lingens Leben wird hier erzählt, seine Karriere, vor allem in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, als Lingen zur Avantgarde gehörte, wie Hans-Peter Feldmann in der Ausstellung erklärt:

"Der Film 'M' von Fritz Lang, wo er auch ne wesentliche Rolle spielte - ich meine, da kamen nur Leute rein, die wirklich ganz oben schon waren damals da, und da gehört Lingen dazu. Brecht hat ihn besetzt in wichtigen Aufführungen in Berlin schon. Also Lingen war mehr als nur der Schauspieler, den wir heute sehen. Und die fünfziger Jahre, aus heutiger Sicht sind die sehr banal und sehr schlicht gestrickt. Aber die kamen aus der Nazizeit, da war nichts an Kultur und alles, was nach Kultur aussah, war heiß, toll und begehrt gewesen. Vergisst man leicht, weil die Sachen aus der Rücksicht immer anders aussehen, wie wenn Sachen passieren."

Hinter dem scheinbaren Erfolg des Schauspielers, der nicht zuletzt Brecht seine erste Frau Marianne Zoff ausspannte, der sich im Dritten Reich verbog und trotz Gegnerschaft zum Naziregime auf der Bühne und im Film auftrat, weil Goebbels ihn schätzte und weil Lingen andernfalls wegen "jüdischer Anteile" in seiner Familie um sein eigenes Überleben und das seiner Familie hätte fürchten müssen - hinter dem scheinbar netten und lustigen Onkel, den er während und nach dem Krieg im Film unter anderem mit Heinz Rühmann gab, steckt eine von der blanken Not getriebene Persönlichkeit, die nach dem Krieg nie wieder zu altem Glanz zurückfand. So ist Hans-Peter Feldmann in Hannover eine weitere stille, berührende, zugleich tragikomische Arbeit gelungen, die das kurze Gedächtnis im sogenannten Medienzeitalter erfolgreich mit den Mitteln der künstlerischen Recherche auffrischt.

"Die schlimmsten Sachen sind vergessen, weil einfach - die Menschen sind tot, sind umgebracht worden oder verschwunden. Und einige Wenige wie Lingen haben eben das überlebt und nachher weitergemacht, und das kann man nachher nachvollziehen, was da passiert ist. Aber ich glaube, die schlimmsten Fälle weiß man gar nicht, kennt man gar nicht."

Zum Thema:
Homepage des Sprengel Musesums Hannover