Steuerparadies im Kirchenstaat

Von Thomas Migge · 13.04.2013
Blutrünstige Mafia-Bosse und korrupte Unternehmer sollen hier ihr Geld gewaschen haben: Die berühmt-berüchtigte Vatikanbank sorgt immer wieder für Negativschlagzeilen, im Vatileaksbericht spielt sie eine zentrale Rolle. Viele hoffen nun auf einen radikalen Kurswechsel durch den neuen Papst Franziskus.
"Offiziell hieß es, dass wir den Vatikan aufsuchten, um in der Vatikanapotheke ein Medikament zu kaufen, ein Medikament, das es nur in der Schweiz und in der Apotheke des Kirchenstaates gibt. Einmal drinnen, wartete schon ein Prälat, der meinen Vater direkt in das IOR brachte."

Der Unternehmer Massimo Ciancimino wurde wegen seiner Nähe zur Cosa Nostra, der sizilianischen Mafia, angeklagt. Heute ist er Mitarbeiter der Justiz im Kampf gegen die organisierte Kriminalität. Massimos Vater war Vito Ciancimino. Gegen den prominenten sizilianischen Christdemokraten wurde wegen seiner Nähe zur Cosa Nostra ermittelt. Der Sohn packte in den letzten Jahren einiges über seinen Vater aus. Darunter dessen Kontakte zur Vatikanbank:

"Die Beziehungen zwischen meinem Vater und dem IOR? Er hatte dort zwei Konten, nicht auf seinen Namen, sondern er besaß nur die Zugangsmöglichkeit. Mein Vater brachte in 99 Prozent der Fälle Bargeld ins IOR. Das Gute dieser Bank: Da kann man mit Bargeld operieren, sie ist mitten in Rom, und niemand kann einen kontrollieren. Mein Vater traf in der Bank viele Politiker und auch Mitglieder der Cosa Nostra."

Unglaublich, aber wahr: Vito Ciancimino traf im mittelalterlichen Wehrturm von Papst Nikolaus V. sizilianische Mafiabosse vom Kaliber eines Salvatore Buscemi, Franco Bonura und der Famiglia Bontate. Personen, die aufgrund ihrer Skrupellosigkeit und ihres Mordens zu den blutrünstigsten Bossen Italiens gehören. Sie wuschen jahrelang ihre Einnahmen aus schmutzigen Geschäften im Vatikan – mit der Hilfe von Strohmännern wie Vito Ciancimino.

Dessen Sohn berichtete in einem Aufsehen erregenden Fernsehinterview Ende vergangenen Jahres auch von Geldern, die der 2006 verhaftete Superboss Bernardo Provenzano im IOR auf einem Konto lagerte. Das sind ungeheuerliche Geschichten aus den 70er- bis 90er-Jahren. Die Ermittlungen zahlloser italienischer Staatsanwälte berichten von Hunderten solcher Geschichten.

Keine Filialen, keine Schalter
Tempi passati? Vergangene Zeiten? Keineswegs, meint der investigative Journalist und Vatikanexperte Gianluigi Nuzzi:

"Im November 2009 unterzeichnete der Vatikan eine Konvention mit der europäischen Währungsunion, mit dem Ziel, bis Dezember 2010 auch im Kirchenstaat die EU-Gesetze gegen Geldwäsche anzunehmen. Wir wissen nicht, was aus dieser Absicht geworden ist. Wir wissen nur, dass ein gewisser Balducci, berühmt wegen seiner kriminellen Aktivitäten im Umfeld Berlusconis, erst kürzlich erklärte, ein Konto beim IOR zu haben."

Das IOR gerät immer wieder in Schlagzeilen. Und das, obwohl die Skandale um den mit korrupten Unternehmern und Exponenten der Cosa Nostra kungelnden Erzbischof Paul Marcinkus, den damaligen Präsidenten der Vatikanbank, rund 30 Jahre zurückliegen. Obwohl im Kirchenstaat mehrfach versichert wurde, dass das IOR einen neuen Kurs fahren werde, ermitteln italienische Staatsanwälte immer wieder wegen des Verdachts von Geldwäsche über Konten des 1942 von Papst Pius XII gegründeten, so der offizielle Name, Instituts für Werke der Religionen.

Eigentliches Ziel dieses Instituts, das keine Bank im eigentlichen Sinn ist, also über keine Filialen und Schalter verfügt: die Verwaltung des Kapitals aus frommen Stiftungen. Das heißt: die Mehrung jener Gelder, die Gläubige der Kirche vermachen. Theoretisch dürfen keine Privatleute ein Konto beim IOR unterhalten. Theoretisch, denn die Realität sieht seit Jahrzehnten anders aus.

Das wissen vor allem italienische Staatsanwälte und die italienische Notenbank. Sie drängen das IOR seit Jahren, entschiedene Schritte gegen Geldwäsche einzuleiten. Doch im Vatikan kann man diesen Druck nicht nachvollziehen, denn schließlich, so heißt es, sei das IOR keine Bank wie andere.

Alberto Mellini, Wirtschaftshistoriker der Universität Modena:

"Je mehr die europäische Gesetzgebung die Banken in Sachen Geldflüsse an die Kandare nimmt und kontrolliert, umso mehr gerät die Vatikanbank unter Druck. Solange sie nicht reagiert, gerät sie immer wieder ins negative Rampenlicht."

Off-Shore-Staat Vatikan
Im vergangenen Februar wurde der deutsche Jurist und Investmentbanker Ernst von Freyberg neuer Präsident des Aufsichtsrats der IOR. Er folgt auf den italienischen Bankier Ettore Gotti Tedeschi, einen Vertrauensmann von Papst Benedikt XVI. Im Mai 2012 wurde er vom vatikanischen Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone ohne Angabe von Gründen gefeuert. Wie es heißt, sei Bertone nicht daran interessiert gewesen, dass Gotti Tedeschi entschieden gegen undurchsichtige Geldgeschäfte vorging.

Von Freyberg wird zu tun haben, meint der römische Staatsanwalt Luca Tescaroli, der in den 80er-Jahren im Fall des Mafiabankiers Roberto Calvi ermittelte, der enge Geschäftskontakte mit der IOR unterhielt:

"Wir haben es hier im Wesentlichen mit einem Off-Shore-Staat zu tun, mit einem Steuerparadies. Es wäre wünschenswert, wenn es jetzt endlich einen Wandel geben würde, damit bestimmte Hintergründe endlich aufgedeckt werden."

In einem Kommentar des neuen IOR-Präsidenten vom 9. März dieses Jahres in "la Repubblica" stellt sich von Freyberg ganz offen die Frage, ob es nicht sinnvoller sei, die Vatikanbank aufzulösen und das Geld der Kirche bei einem normalen Bankinstitut verwalten zu lassen. So könne niemand mehr dem IOR vorwerfen, bestimmte finanzielle Transaktionen verstecken zu wollen. Um das Geld des Vatikans verwalten zu können, so von Freyberg, brauche man eigentlich keine Bank des Vatikans.

Sicherlich gibt es im Vatikan auch Personen, die endlich innerhalb der IOR aufräumen wollen, meint Vatikanexperte Gianluigi Nuzzi:

"Es gab und gibt heftige Zusammenstöße im Vatikan um die Zukunft des IOR. Es gab Leute, die Ordnung schaffen wollten, und sie wurden bei diesem Versuch blockiert. Und es gibt aufgeklärte Kardinäle, die Klarheit haben wollen. Man darf die Verantwortlichen im Vatikan nicht alle über einen Kamm scheren. Doch immer noch ist das IOR eine Bank, die so gut wie keiner Kontrolle unterliegt."

Neue Berichte über einen Geldwäschering
Und so darf man sich nicht wundern, dass das IOR auch in den letzten Wochen wieder ins Gerede gekommen ist. So wurde bekannt, dass die römische Staatsanwaltschaft gegen Michele Briamonte ermittelt, den Rechtsberater der Vatikanbank. Briamonte wird vorgeworfen, über das IOR Geld gewaschen zu haben. Für wen? Darüber schweigen sich die römischen Ermittler noch aus.

Am vergangenen Karfreitag berichtete die Tageszeitung "la Repubblica" von einem Geldwäschering, dem der katholische Geistliche Don Salvatore Palumbo wie auch Ernesto Diotallevi angehört. Diotallevi ist einer der wichtigsten Exponenten der so genannten Banda della Magliana, eine der gefährlichsten kriminellen Organisationen Roms. Don Palumbo, so die römische Staatsanwaltschaft, verfüge über ein Konto beim IOR. Auf diesem Konto, so der gravierende Vorwurf, seien Einnahmen aus kriminellen Geschäften der Banda della Magliana eingezahlt worden.

Staatsanwälte, Gläubige und viele Geistliche im Kirchenstaat erhoffen sich jetzt einen radikalen Kurswechsel vom neuen Papst Franziskus. Er wird den von seinem Amtsvorgänger in Auftrag gegebenen Vatileaksbericht gelesen haben, in dem auch Abgründiges über die Arbeit des IOR geschrieben steht.

Wie sich Papst Franziskus konkret im Fall des immer noch skandalumwitterten Bankhauses entscheiden wird ist unklar. Es wird aber nicht ausgeschlossen, dass dieser Papst tabula rasa machen könnte - was nichts anderes bedeuten würde, als das Ende krummer Touren des IOR. Wenn er die Vatikanbank IOR nicht ganz schließt.
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