Steuerbetrug

"Der Imageschaden ist immens"

Alice Schwarzer sieht sich nach ihrer Steuer-Beichte scharfer Kritik ausgesetzt.
Alice Schwarzer sieht sich nach ihrer Steuer-Beichte scharfer Kritik ausgesetzt. © picture alliance / dpa
Wolfgang Franzen im Gespräch mit Julius Stucke · 11.02.2014
Schwarzer, Hoeneß, Schmitz: Die Liste der prominenten Steuerhinterzieher wächst. Der Soziologe Wolfgang Franzen glaubt, das Bekanntwerden der Fälle könnte sich positiv auf die Steuermoral auswirken.
Julius Stucke: Ob Uli Hoeneß, Alice Schwarzer oder André Schmitz – große Namen bringen das Thema Steuerhinterziehung und Steuermoral in die Öffentlichkeit. Aber neben diesen öffentlichkeitswirksamen Fällen gibt es natürlich auch eine ganze Menge mehr jedes Jahr. Steuerhinterziehung ist vielleicht kein Volkssport, aber ist doch ziemlich weit verbreitet. Milliarden gehen den Staatskassen und damit ja auch der Gemeinschaft verloren. Die meisten Steuerhinterzieher wissen wohl: rechtens ist es nicht, was sie tun. Aber warum tun sie es trotzdem? – Eine Frage für einen Soziologen, in diesem Fall Wolfgang Franzen von der Forschungsstelle für empirische Sozialökonomie in Köln. Hallo, Herr Franzen.
Wolfgang Franzen: Hallo, Herr Stucke.
Stucke: Fangen wir mal beim Vorher an, also vor der Tat. Man weiß: man darf es nicht. Man entscheidet sich, es zu tun. Welche Begründung legt man sich da psychologisch zurecht?
Franzen: Ja, das ist eine sehr gute Frage. Das geht genau in die richtige Unterscheidung. Das eine ist vielleicht der tatsächliche Grund, das andere sind die Gründe, die man sich zurecht legt, und bei beiden gibt es Unterschiede. Die tatsächlichen Gründe dürften sein, dass man einfach das Geld haben will, dass man aber auch möglicherweise in den Widerstand gegen den Staat tritt, dass das so eine Art Protest oder Rebellion ist, oder aber auch, weil man Gefallen am Spiel gegen die Finanzbehörden findet und sich da cleverer vorkommt, schlauer vorkommt und glaubt, die Finanzbeamten austricksen zu können. Die Gründe, die dafür angeführt werden, das sehen wir ja auch häufig in der öffentlichen Diskussion, sind oft andere.
Stucke: Wenn man erwischt worden ist und die Gründe, die man dann hinstellt?
Franzen: Genau. Die zählen nicht nur unbedingt für die Öffentlichkeit, sondern die zählen zum Teil auch für sich selbst. Wenn wir da jetzt mal einen kurzen Ausflug in die Psychologie machen, dann kennen wir aus der Theorie der kognitiven Dissonanz, dass man nicht gerne mit diesem Selbstbild ... wenn die Steuerhinterziehung ein gewisses Ausmaß erreicht hat, ist es ja ein kriminelles Delikt. Man lebt nicht gerne mit diesem kriminellen Stigmata, sondern man versucht, das in gewisser Weise zu neutralisieren. Man versucht es etwa über die Erklärung, das machen ja alle, also ist es dann auch nicht so schlimm, oder ich mache es aus einem Zwang heraus, weil diese Steuer eigentlich überhaupt nicht legitim ist und ich sie deswegen aus moralischen Gründen oder aus politisch-ethischen Gründen auch gar nicht bezahlen muss, also ich versuche, mein Verhalten im Nachhinein zu erklären. Das kann natürlich aber auch schon umgekehrt sein: Diese Neutralisierung kann ich mir auch vorher schon zurecht legen und kann damit mein Verhalten ermöglichen.
Stucke: Das heißt aber auch, wenn ich das richtig verstehe, dass man sagen könnte, dass die prominenten Fälle, die jetzt in die Öffentlichkeit kommen, dass die allen anderen eigentlich auch so eine psychologische Unterstützung geben nach dem Motto: Na, wenn das so viele tun, wenn die Reichen so viel hinterziehen, dann muss ich als Durchschnittsverdiener ja nicht der Dumme sein und alles ehrlich versteuern.
Franzen: Das wäre möglich. Auf der anderen Seite sehen wir ja auch, dass diese Fälle, wenn sie dann an die Öffentlichkeit kommen – und das kommen sie ja jetzt durch die Steuer-CDs und die Selbstanzeigen verstärkt -, dann kann das natürlich auch dazu führen, dass man wiederum denkt, oh, die Möglichkeit besteht, die Möglichkeit der Hinterziehung, aber es besteht auch die Möglichkeit der Entdeckung. Und selbst wenn gesagt wird, na ja, bei einigen ist es so, dass die nur einen Teil ihrer Steuerschuld nachzahlen müssen, man sieht, dass der Image-Schaden doch immens ist.
"Ich will kein Griechenland-Bashing betreiben"
Stucke: Ist denn die psychologische, ich nenne es mal, Erlaubnis, die Menschen sich geben, bevor sie das tun, ist die anders, je nach Schwere des Falls? Ist die Psychologie des Reichen anders als die des kleinen Betrugs?
Franzen: Ja. Ich würde das allerdings nicht nur von der Summe der Steuern abhängig machen, sondern ich denke auch, dass hier andere Faktoren mit reinspielen. Wir haben häufig festgestellt, wenn wir versucht haben, die Neigung zur Steuerhinterziehung mit dem Einkommen in Relation zu setzen, dass eigentlich nicht nur die Einkommenshöhe, sondern eigentlich noch stärker die Einkommensart entscheidend ist, weil darüber auch die Gelegenheitsstruktur mit hineinkommt. Jemand, der ein Einkommen hat, was nicht so gut den Finanzbehörden sichtbar ist, läuft eher Gefahr, dass er da diese schwache Sichtbarkeit auch ausnutzt.
Stucke: Ticken da psychologisch alle Menschen ungefähr ähnlich in Europa, oder sind wir in Deutschland Profis, was das psychologische Verdrängen und Erlauben angeht?
Franzen: Ich glaube, das psychologische Verhalten, das dürfte in etwa gleich sein. Was hier stärker reinspielt an internationalen Unterschieden ist eigentlich eher der kulturelle Einfluss. Beispielsweise in Ländern mit einer sehr positiven Steuerkultur wie Schweden, wo die Leute zum einen ein viel besseres Verhältnis zum Staat haben und ein besseres Verhältnis zum Steuersystem, wo auch eine stärkere Transparenz herrscht, dass in diesen Ländern die Steuerkultur besser ist und damit aber auch eine bessere Grundlage für eine hohe Steuermoral existiert, während in anderen Ländern – ich nehme jetzt mal das Beispiel Griechenland raus, obwohl ich will kein Griechenland-Bashing betreiben, sondern es hat schon was damit zu tun, dass hier auch das Misstrauen gegenüber dem Staat und seinen Institutionen besonders groß ist, weil die Bevölkerung den Eindruck hat, der Staat repräsentiert uns nicht eigentlich und er sorgt eigentlich nur dafür, dass es den eigenen Leuten gut geht. Damit ist die Steuerkultur relativ schlecht und damit ist auch keine gute Voraussetzung für eine positive Steuermoral der Bürger gegeben.
Stucke: Wie tickt der Steuersünder? Dazu der Soziologe Wolfgang Franzen von der Forschungsstelle für empirische Sozialökonomie Köln. Danke Ihnen fürs Gespräch, Herr Franzen.
Franzen: Ich danke Ihnen.
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