Sterben im Internet

Von Agnes Bührig · 04.08.2010
E-Mails von Verstorbenen mit der eigenen Todesanzeige? Dieses Szenario kann in Internetkreisen bald Wirklichkeit werden, wenn die Firma "My Webwill" zweier Schwedinnen ins Netz geht, die sich um die Verwaltung der digitalen Werte nach dem physischen Ableben kümmern will. Eine Geschäftsidee, die aus den USA kommt und jetzt im internetverliebten Schweden Fuß fasst.
Sunniva Geertinger sitzt vor dem Computer und aktualisiert ihr Profil bei Facebook. 488 Freunde zählt das Kontaktverzeichnis der 24-Jährigen Verkäuferin, ihr virtuelles Netz ist engmaschig. Doch als vor einem Jahr ihr Freund starb, lernte die Schwedin die negativen Seiten des Systems kennen. Weil sie die Anmeldedaten ihres Liebsten nicht besaß, konnte sie seinen Account nicht löschen. Bilder, die das Paar zusammen zeigt, blieben im Netz, die Pinnwand ihres Freundes wurde mit Abschiedsgrüßen bombardiert. Hilfe von Facebook? Fehlanzeige.

"Ich habe Facebook angemailt und darum gebeten, die Seite zu schließen. Daraufhin erhielt ich die Antwort, dass ich Angaben zu seinem Konto schicken soll. Das habe ich gemacht und musste dann lesen, dass das Unternehmen entschieden hat, die Seite als Erinnerungsseite für Angehörige und Freunde bestehen zu lassen. Es gehe nicht so einfach, eine Seite auszuradieren. Ich hatte das Gefühl, da würde jemand ein Begräbnis gestalten, der nichts damit zu tun hat."

Eine Situation, die Lisa Granberg und Elin Tybring nur zu gut kennen. In ihrem Büro in einer Industrieetage in der Stockholmer Innenstadt arbeiten die beiden Designerinnen seit Monaten an ihrem Firmenkonzept "MyWebwill".
Die Testseite ist bereits online, jetzt feilen die beiden Schwedinnen an den Verbesserungen. Oben prangt in großen Lettern der Schriftzug "Mein digitales Testament", darunter werden die potentiellen Kunden aufgefordert, Kontakt mit dem Unternehmen aufzunehmen.

In einem Animationsfilm wird gezeigt, wie es geht, seinen letzten digitalen Willen auszusprechen, erklärt Lisa Granberg:

"Du legst ein Konto an und teilst uns mit, bei welchen Anbietern du Kunde bist und wo wir nach deinem Tod Änderungen vornehmen sollen. Du teilst uns zum Beispiel deine Zugangsdaten von Facebook mit, die wir verschlüsselt speichern. Du gibst an, ob wir dein Konto später deaktivieren oder bestimmte Inhalte hochladen sollen. Wenn wir von der Steuerbehörde die Information bekommen, dass du gestorben bist, setzen wir deinen letzten Willen um."

Unser Leben spielt sich immer mehr im Internet ab. Sogenannte soziale Medien wie Facebook und Twitter haben Millionen Anwender, Abermillionen Fotos werden jeden Monat ins Internet hochgeladen. Es geht darum, den anderen an seinem Leben teilhaben zu lassen. Dazu gehört auch der Tod, hat Medienforscher Anders Larsson von der Universität Uppsala festgestellt und nennt ein Beispiel:

"Ein Spieler hinter einer Figur aus dem virtuellen Fantasyspiel World of Warcraft war bei einem Verkehrsunfall gestorben. Seine Spielkameraden veranstalteten daraufhin ein Begräbnis im Spiel, das sie zusätzlich filmten, um sich an ihn zu erinnern."

Im diesem Film sieht man eine große gotische Kathedrale, auf deren Altarplatz ein offener Sarg steht. Um ihn herum bevölkern die verschiedensten Fantasiefiguren die Szene, dazu erklingt ein melancholischer Popsong.

Eine andere Form des Gedenkens ist, eine existierende Seite zu einem Ort der Erinnerung umzugestalten wie es im Fall eines 15-Jährigen Mädchens geschah, das in Schweden im vergangenen Jahr von einem Kameraden ermordet wurde. Anders Larsson findet das nicht verwunderlich:

"Das zeigt, dass wir Menschen rituelle Wesen sind. Auch, wenn wir uns gerne einreden, wir wären säkularisiert und bräuchten keine religiösen Rituale mehr. Aber das Beispiel der Gedächtnisseiten zeigt, dass wir diese Bedürfnisse bis heute haben. Ein Online-Begräbnisritual ist als gingen wir zu einem Grab und legten eine Blume nieder."

Und wer tot ist, soll auch das Recht haben, im Internet einen Schlußstrich zu ziehen, finden die Gründerinnen von My Webwill. Doch lässt sich mit ihrer Geschäftsidee wirklich Geld verdienen? Schließlich gibt es mit Diensten wie Legacy Locker in den USA oder Finalpopup in der Schweiz bereits Konkurrenten. Wer im Internet aktiv ist, ist zudem meist jüngeren Alters, da denkt man nur selten ans Sterben. Lisa Granberg ist dennoch zuversichtlich:

"Wir haben verschiedene Angebote. Es gibt Gratiskonten und solche, die etwas kosten. Ich denke, zuerst werden wir sehr viele Kunden bekommen, die das kostenlose Konto wählen, weil sie sehen wollen, wie das funktioniert. Das Alter der Interessenten reicht von 15 bis 75 Jahre. Das ist breit gefächert."

20 Euro pro Jahr kostet es, sein digitales Testament zu machen. Darin kann man verfügen, dass nach dem Tod eine persönliche, selbst geschriebene E-Mail an alle Freunde im virtuellen Adressbuch rausgeschickt wird oder das E-Mailkonto gelöscht wird. Auch eine lieb gewonnene Figur in virtuellen Spielen wie World-of-warkraft zu übertragen ist möglich. Eine Blutelfe, Stufe 70, kann dann in Zukunft problemlos auf die Tochter vererbt werden. Sunniva Geertinger hält das für einen Schritt in die richtige Richtung.

"Je mehr Zeit vergeht, desto mehr beginnen die Menschen darüber nachzudenken, was sie im Netz präsentieren. Ich hab mein Passwort an meine Freunde verteilt. Falls mir etwas passiert, dann will ich nicht, dass etwas von mir im Netz übrig bleibt. Denn ich weiß, wie schwer es ist, das zu löschen."