"Sterbebegleitung" statt "Sterbehilfe"
Den Begriff der "aktiven oder passiven Sterbehilfe" zu ersetzen, dafür wirbt der Nationale Ethikrat in einer heutigen Stellungnahme. Dabei gehe es nicht um die Begrifflichkeit, sondern um die Präzisierung dessen, was geschehe, erklärte der Mediziner und Mitglied des Ethikrates, Eckardt Nagel.
Eckardt Nagel: Es wird deutlich, dass wir eigentlich persönliche Erfahrung mit dem Sterben im Alltag heute nicht mehr haben. Die letzten Jahrzehnte haben dazu beigetragen, dass das, was vielleicht für Generationen vor uns noch eher zur Selbstverständlichkeit gehörte, nämlich den Tod des eigenen Großvaters, der eigenen Großmutter, persönlich als Kind mitzuerleben und dann auch in einer anderen Form des Schon-Kennens dieses Vorgangs, die eigenen Eltern zu begleiten, dass das heute nicht mehr zur Realität gehört, sondern die Anonymität des Sterbens ist eigentlich die Regel.
Ich erlebe das selbst auch bei Angehörigen von Patienten die versterben im Krankenhaus, dass das Abschiednehmen von den Verstorbenen eher Ängste auslöst, nicht mehr zu einer selbstverständlichen Zeremonie gehört. Und das macht deutlich, dass wir sehr viel Angst und Sorge ganz offensichtlich vor diesem Prozess haben. Und mit zunehmender Unkenntnis wird diese Sorge verstärkt. Und dann bleibt eben dieses von Ihnen skizzierte Bild zurück, weil man eben gar keine Vorstellung mehr hat, was real das Sterben bedeutet.
Liane von Billerbeck: Ließe sich denn dieser Prozess überhaupt noch aufhalten?
Nagel: Ich glaube, sicher. Und ich denke, dass die Thematisierung dieser Problematik, so wie wir sie in den letzten Jahren jetzt in unserer Gesellschaft erkennen können, ein Zeichen dafür ist, dass eben diese völlige Ausgrenzung des Sterbens völlig irreal ist. Weil ja, nun, wie Sie gesagt haben, ganz richtig, das Sterben für uns alle ein unabwendbarer Teil unseres Daseins ist. Und jeder von uns es sozusagen erwarten kann und muss und natürlich zu einem spätestens letztendlichen Zeitpunkt sich damit auseinander wird setzen müssen. Und dass dieses völlige Ausgrenzen dann eben eher Verunsicherung als, ja, Umgang bedeutet: Ich glaube, das ist der Grund, warum wir jetzt so intensiv darüber diskutieren. Und natürlich ist es so, dass die moderne Medizin andere Bedingungen geschaffen hat für den Tod und für das Sterben generell. Und dementsprechend müssen wir uns mit diesen Entwicklungen wirklich befassen, und das tut die Gesellschaft insgesamt, weil sie aktiv darüber diskutiert.
Von Billerbeck: … und unter anderem dieses Papier dadurch entstanden ist, das heute veröffentlicht wird. - In der öffentlichen Debatte um Tod und Sterben wird ja immer wieder ein Begriff benutzt und zwar der Begriff der Sterbehilfe - meistens noch unter Hinzufügung zweier Adjektive, nämlich der aktiven oder passiven Sterbehilfe. Diese Wörter will der Nationale Ethikrat, dieses Wort will der Nationale Ethikrat jetzt ersetzen: Also Sie haben in Ihrem Papier andere Wörter vorgeschlagen. Warum sollen wir nicht mehr Sterbehilfe sagen?
Nagel: Also es geht uns nicht um den Begriff der Sterbehilfe. Die eigentliche Begrifflichkeit sozusagen, aus dem Griechischen kommend, heißt ja Euthanasie. Das ist auch der englische Begriff für Sterbehilfe. Und Euthanasie ist ja, übersetzt aus dem Griechischen, das gute Sterben. Und die Sterbehilfe soll dann ja auch in diesem Kontext bedeuten: Was können wir tun, um Menschen eben einen guten Tod zu ermöglichen? Das ist immer etwas, was die Frage aufwirft, was tue ich aktiv dafür, als Außenstehender, was kann ich im Sinne einer Begleitung tun und was darf ich tun? Und dass ich aktiv nicht zum Sterben helfen darf, ergibt sich natürlich einfach aus einem Tötungsverbot, aus einem ethisch bedingten Tötungsverbot. Also geht es hier um den Aspekt, wie kann man diesen Begriff ausformulieren?
Und wir haben natürlich in Deutschland hier - und da gehen wir auch in unserem Papier darauf ein - eine besondere Geschichte mit der Euthanasie. Der Begriff ist ja ganz anders belegt und verwendet, als das in anderen Ländern der Fall ist, einfach aufgrund der Vergangenheit, der Verbrechen im Nationalsozialismus. Und daraus hat sich ergeben in der Nachkriegszeit so eine etwas ungenaue, unpräzise Formulierung, was denn Sterbehilfe sein kann. Man hat das eben dann mit Adjektiven versehen wie aktiv, passiv, indirekt. Und man merkt doch sehr deutlich in der gesamten Diskussion, vor allen Dingen eben auch in der allgemeinen Diskussion, dass man mit diesen Begriffen nicht sehr viel anfangen kann. Und darum haben wir versucht, noch einmal genauer zu definieren und zu präzisieren, was mit diesen Begriffen gemeint ist, und haben festgestellt, dass man einfach andere Termini verwenden sollte, um dann eben eine Klarheit zu haben, worüber man eigentlich spricht.
Von Billerbeck: Viele Menschen, die zwar schmerzfrei sterben wollen, werden ja auch von der Angst beherrscht, dass möglicherweise ein anderer vorzeitig eine Entscheidung über ihren Tod treffen könnte, wenn sie selbst dazu nicht in der Lage sind. Wie sind denn die Erfahrungen in Ländern mit liberaleren Regelungen als in Deutschland? Öffnen solche liberaleren gesetzlichen Regelungen quasi Tür und Tor für Tötungen, auch ohne Verlangen?
Nagel: Also ich glaube, dass gerade in diesem Kontext und insbesondere auch in der politischen Diskussion, ja immer wieder sehr viele Befürchtungen geäußert werden, dass durch eine Liberalisierung des Umgangs mit dem Sterben hier Missbräuche und Fehlentwicklungen entstehen würden. Und es gibt nun einige Länder, die durchaus liberalere Gesetzgebungen in diesem Zusammenhang haben. Ein immer wieder zitiertes Beispiel sind die Niederlande, in denen ja auch die aktive Sterbehilfe möglich ist und durchführbar ist. Und man kann feststellen, dass das durchaus zu einer, ja, zu einem tiefgreifenden Wandel innerhalb des gesellschaftlichen Verständnisses vom Sterben führt.
Und dass sehr viele konträre Positionen, die wir jetzt in Deutschland nur theoretisch diskutieren, jetzt ganz praktisch als Problem in einem solchen Land auftauchen. Ich würde das jetzt an dieser Stelle gar nicht bewerten wollen, im positiven oder negativen Sinne. Sondern es führt einfach zu einer Veränderung des gesellschaftlichen Miteinanders, und eine Gesellschaft muss sich entscheiden, ob sie das möchte oder nicht. Aber es ist auf jeden Fall nicht ohne Konsequenzen zu haben, eine solche Liberalisierung.
Von Billerbeck: Was wird aus Ihrem Papier, wo landet das?
Nagel: Also ich hoffe erst einmal, dass es in der öffentlichen Wahrnehmung landet und zur Diskussion beiträgt, damit wir am Ende eben über ein Gesetz zur Patientenverfügung und eine politische Diskussion hier Klarheit für unser Land bekommen.
Ich erlebe das selbst auch bei Angehörigen von Patienten die versterben im Krankenhaus, dass das Abschiednehmen von den Verstorbenen eher Ängste auslöst, nicht mehr zu einer selbstverständlichen Zeremonie gehört. Und das macht deutlich, dass wir sehr viel Angst und Sorge ganz offensichtlich vor diesem Prozess haben. Und mit zunehmender Unkenntnis wird diese Sorge verstärkt. Und dann bleibt eben dieses von Ihnen skizzierte Bild zurück, weil man eben gar keine Vorstellung mehr hat, was real das Sterben bedeutet.
Liane von Billerbeck: Ließe sich denn dieser Prozess überhaupt noch aufhalten?
Nagel: Ich glaube, sicher. Und ich denke, dass die Thematisierung dieser Problematik, so wie wir sie in den letzten Jahren jetzt in unserer Gesellschaft erkennen können, ein Zeichen dafür ist, dass eben diese völlige Ausgrenzung des Sterbens völlig irreal ist. Weil ja, nun, wie Sie gesagt haben, ganz richtig, das Sterben für uns alle ein unabwendbarer Teil unseres Daseins ist. Und jeder von uns es sozusagen erwarten kann und muss und natürlich zu einem spätestens letztendlichen Zeitpunkt sich damit auseinander wird setzen müssen. Und dass dieses völlige Ausgrenzen dann eben eher Verunsicherung als, ja, Umgang bedeutet: Ich glaube, das ist der Grund, warum wir jetzt so intensiv darüber diskutieren. Und natürlich ist es so, dass die moderne Medizin andere Bedingungen geschaffen hat für den Tod und für das Sterben generell. Und dementsprechend müssen wir uns mit diesen Entwicklungen wirklich befassen, und das tut die Gesellschaft insgesamt, weil sie aktiv darüber diskutiert.
Von Billerbeck: … und unter anderem dieses Papier dadurch entstanden ist, das heute veröffentlicht wird. - In der öffentlichen Debatte um Tod und Sterben wird ja immer wieder ein Begriff benutzt und zwar der Begriff der Sterbehilfe - meistens noch unter Hinzufügung zweier Adjektive, nämlich der aktiven oder passiven Sterbehilfe. Diese Wörter will der Nationale Ethikrat, dieses Wort will der Nationale Ethikrat jetzt ersetzen: Also Sie haben in Ihrem Papier andere Wörter vorgeschlagen. Warum sollen wir nicht mehr Sterbehilfe sagen?
Nagel: Also es geht uns nicht um den Begriff der Sterbehilfe. Die eigentliche Begrifflichkeit sozusagen, aus dem Griechischen kommend, heißt ja Euthanasie. Das ist auch der englische Begriff für Sterbehilfe. Und Euthanasie ist ja, übersetzt aus dem Griechischen, das gute Sterben. Und die Sterbehilfe soll dann ja auch in diesem Kontext bedeuten: Was können wir tun, um Menschen eben einen guten Tod zu ermöglichen? Das ist immer etwas, was die Frage aufwirft, was tue ich aktiv dafür, als Außenstehender, was kann ich im Sinne einer Begleitung tun und was darf ich tun? Und dass ich aktiv nicht zum Sterben helfen darf, ergibt sich natürlich einfach aus einem Tötungsverbot, aus einem ethisch bedingten Tötungsverbot. Also geht es hier um den Aspekt, wie kann man diesen Begriff ausformulieren?
Und wir haben natürlich in Deutschland hier - und da gehen wir auch in unserem Papier darauf ein - eine besondere Geschichte mit der Euthanasie. Der Begriff ist ja ganz anders belegt und verwendet, als das in anderen Ländern der Fall ist, einfach aufgrund der Vergangenheit, der Verbrechen im Nationalsozialismus. Und daraus hat sich ergeben in der Nachkriegszeit so eine etwas ungenaue, unpräzise Formulierung, was denn Sterbehilfe sein kann. Man hat das eben dann mit Adjektiven versehen wie aktiv, passiv, indirekt. Und man merkt doch sehr deutlich in der gesamten Diskussion, vor allen Dingen eben auch in der allgemeinen Diskussion, dass man mit diesen Begriffen nicht sehr viel anfangen kann. Und darum haben wir versucht, noch einmal genauer zu definieren und zu präzisieren, was mit diesen Begriffen gemeint ist, und haben festgestellt, dass man einfach andere Termini verwenden sollte, um dann eben eine Klarheit zu haben, worüber man eigentlich spricht.
Von Billerbeck: Viele Menschen, die zwar schmerzfrei sterben wollen, werden ja auch von der Angst beherrscht, dass möglicherweise ein anderer vorzeitig eine Entscheidung über ihren Tod treffen könnte, wenn sie selbst dazu nicht in der Lage sind. Wie sind denn die Erfahrungen in Ländern mit liberaleren Regelungen als in Deutschland? Öffnen solche liberaleren gesetzlichen Regelungen quasi Tür und Tor für Tötungen, auch ohne Verlangen?
Nagel: Also ich glaube, dass gerade in diesem Kontext und insbesondere auch in der politischen Diskussion, ja immer wieder sehr viele Befürchtungen geäußert werden, dass durch eine Liberalisierung des Umgangs mit dem Sterben hier Missbräuche und Fehlentwicklungen entstehen würden. Und es gibt nun einige Länder, die durchaus liberalere Gesetzgebungen in diesem Zusammenhang haben. Ein immer wieder zitiertes Beispiel sind die Niederlande, in denen ja auch die aktive Sterbehilfe möglich ist und durchführbar ist. Und man kann feststellen, dass das durchaus zu einer, ja, zu einem tiefgreifenden Wandel innerhalb des gesellschaftlichen Verständnisses vom Sterben führt.
Und dass sehr viele konträre Positionen, die wir jetzt in Deutschland nur theoretisch diskutieren, jetzt ganz praktisch als Problem in einem solchen Land auftauchen. Ich würde das jetzt an dieser Stelle gar nicht bewerten wollen, im positiven oder negativen Sinne. Sondern es führt einfach zu einer Veränderung des gesellschaftlichen Miteinanders, und eine Gesellschaft muss sich entscheiden, ob sie das möchte oder nicht. Aber es ist auf jeden Fall nicht ohne Konsequenzen zu haben, eine solche Liberalisierung.
Von Billerbeck: Was wird aus Ihrem Papier, wo landet das?
Nagel: Also ich hoffe erst einmal, dass es in der öffentlichen Wahrnehmung landet und zur Diskussion beiträgt, damit wir am Ende eben über ein Gesetz zur Patientenverfügung und eine politische Diskussion hier Klarheit für unser Land bekommen.