Stellenweise glänzend

20.09.2012
Neuerdings versuchen sich deutsche Feuilleton-Chefs gerne als Literaten. Auch Jens Jessen von der "ZEIT" will da nicht fehlen. Sein Roman "Im falschen Bett" nimmt die Münchener Schickeria Anfang der 90er aufs Korn. Ein Erstlingswerk mit Höhen und Tiefen, meint Arno Orzessek.
Oha, da kommt was zusammen! - denkt man nach ein paar Mal umblättern. "Im falschen Bett" ist nämlich ein wahres Genre-Chamäleon. Teils liest man Sex & Crime, teils eine Persiflage auf die Popliteratur, teils ein fernsehkritisches Traktat, teils Richard-David-Prechtartige Weisheiten. Dann wieder scheint Jens Jessen einen Schlüsselroman vorgelegt zu haben. Falls es dem Literaturkritiker nicht doch um ein fieses Deutschland-Gleichnis ging. Oder um Sozialkritik, Bürgertumsschelte, verfremdete Biografie... Formale Analogien zu Ovids "Metamorphosen" sind bestimmt unbeabsichtigt, nicht aber zum Zappen beim Fernsehen: "Das Unheimliche ist die Verschiebung der Atmosphäre. Was gerade noch Gesellschaftssatire war, wandelt sich zur Liebesgeschichte, von dort zum Thriller und wieder zurück."

Dabei ist die Handlung, die ein Fernseh-Praktikant erzählt, leicht zugänglich. Im München der frühen 90er-Jahre lässt sich die aparte Casting-Kandidatin Christina mit einem korrupten Fernsehproduzenten ein. Wobei "der Bonze" gleich skeptisch ist: "Dieses Unglücksgeschöpf, dachte er, Scheiße, man kann sich ja nicht einmal vorstellen, wo man da eine Muschi finden soll." Beginnt so eine stolze Affäre? Gewiss nicht. Die Geschichte, in der allerlei Vertreter der lokalen Aufgeblasenheit - ein Oberkirchenrat als Rundfunkrat, die "Partygräfin", jede Menge kurzberockte "Rehäugige", Männersammlerin Bea - miteinander im Clinch liegen, tendiert überhaupt zu Komplikation, Zerfall und Untergang. Zwischendrin dominieren Intrigen, Hinterfotzigkeiten und Mord, am Ende wird oft gestorben. Bei diesem Plot kann natürlich kein gutes Licht auf die Fernseh-Branche fallen, auf Chichi-München sowieso nicht. Dort wohnen offenbar nur Menschen, die man nicht ernst nehmen muss.

Dafür wirft der Roman bisweilen ein glänzendes Licht auf den Debütanten Jessen. Ihm gelingen Beschreibungen in Sichtweite zur Hochliteratur. "Während die anderen Mädchen mit breitem Pinsel getuscht waren, auf grobem, stark saugendem Papier, [...] war sie mit spitzer Feder auf hartem Karton gezeichnet. Sie hatte etwas Präzises, Ausformuliertes...", erläutert der Erzähler die Casting-Sonderrolle von Christina. Und dass auf den Messen überqualifizierte Hostessen hoffen, "durch bloßes Herumstehen am Rand ihrer Träume" entdeckt zu werden, trifft's auch gut. Anderswo formuliert der Autor RTL-reif: "München war eine Vorabendserie." An bestimmt Stellen zwingt Jessen allerdings auch zum Fremdschämen, zum Schämen-für-Jessen. Etwa, als der Bonze als Bea-Liebhaber und Christina-Aufreißer gedanklich in den Norden ihrer Schenkel strebt: "Im Gegensatz zu Bea, die sorgfältig rasiert war, was er als etwas banal empfand, dachte er sich bei Christina einen struppigen, drahthaarigen Busch, eine unberührte Wildnis, die er zu roden und urbar zu machen hatte." Oh je, Jessen! Gibt's etwa einen Preis für senile Erotik?

Aber nun. "Im falschen Bett" liest sich als After-Work- oder Zug-Begleiter sicher nicht unlustig. Insgesamt ist der Roman, mit einem Wort Jessens, ein leichtes "Unterhaltungsdelikt". Darauf steht keine harte Schmähstrafe. So etwas lächelt man weg.


Besprochen von Arno Orzessek

Jens Jessen: Im falschen Bett
Carl Hanser Verlag, München 2012
224 Seiten, 17,90 Euro