Steinreich und trotzdem unglücklich

25.09.2013
Louis Begley führt mit seinen "Erinnerungen an eine Ehe" mitten hinein in die amerikanische Oberschicht der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Man geht jung nach Paris, lebt später am Central Park, folgt Partyeinladungen. Der Roman lebt von der Milieu- und Menschenkenntnis des Autors.
Eine Ehe ist immer Sache der Perspektive. Meist gehören nicht nur zwei dazu, sondern ein halbes Dorf, Kinder, Eltern, Verwandte, Freunde. Sie alle machen sich ein Bild von einem Paar, das dem Selbstbild der beiden Zentralfiguren oft nicht entspricht.

Das ist keine neue Einsicht, aber sie kann einen Roman nach wie vor antreiben, wie Louis Begleys "Erinnerungen an eine Ehe". Philip, der Ich-Erzähler, ist ein erfolgreicher Schriftsteller um die siebzig. Lange hat er in Paris gelebt, nun ist er wieder in New York, in guter Gesellschaft, aber doch ein wenig einsam. Früh hat er seine Tochter bei einem Unfall und seine Frau an den Krebs verloren.

Im Theater trifft er nach Jahrzehnten eine alte Freundin wieder. Lucy de Bourgh ist immer noch eine elegante Erscheinung – zugleich wirkt sie verbittert, schimpft nachhaltig über ihren Ex-Mann Thomas, von dem sie allerdings seit einem Vierteljahrhundert geschieden - und der überhaupt seit zehn Jahren tot ist.

Mosaik einer fatalen Mesalliance
Philip ist irritiert. Was ist dran an den schweren Vorwürfen? Thomas Snow war eine angesehene Persönlichkeit, ein überaus erfolgreicher Investmentbanker, der auf internationaler Ebene die Politik beriet. Hatte er eine dunkle Seite, die nur Lucy kennt? Da Philip sowieso gerade ein Buch über die "Zerrüttung einer Ehe" plant, versucht er die Sache aufzuklären. Er führt lange Gespräche mit Lucy, zieht dann noch andere Freunde und Angehörige zu Rate, und schließlich setzt sich wie ein Mosaik das Bild einer fatalen Mesalliance zusammen.

Lucy de Bourgh, die reiche Erbin, stammt ab von Einwandererfamilien, die mit der Mayflower kamen – uramerikanischer Sklavenhändler-Adel. Thomas Snow dagegen war ein Emporkömmling. Sein Vater war ein Automechaniker, der die Luxuskarossen der Menschen aus Lucys Kreisen reparierte. Mangelnde Etikette und Geschliffenheit macht Lucy ihm zum Vorwurf.

Hohe Augenbrauen, gerümpfte Nase und dazu das Talent "todunglücklich" zu sein: Lucy ist keine sympathische, aber eine interessante Figur. Die etwas fade, allzu moderate Erzählerfigur Philip braucht dringend eine Gegenkraft, braucht eine Lucy mitsamt ihren Ressentiments und Aversionen: "Diese Männer in den New Yorker Verlagen, zweitklassige Typen mit schlechten Manieren und Egos wie Panzerwagen, waren sexistische Schweine", weiß die ehemalige Lektorin.

Panorama der amerikanischen Oberschicht
Nach einem schleppenden ersten Drittel entwickelt sich eine Ehegeschichte voller Hass und Verrat. Nebenbei entwirft der Roman ein Panorama der amerikanischen Oberschicht in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es sind verwöhnte, anspruchsvolle Existenzen, mit denen es der Leser hier zu tun bekommt. Man verlebt junge Jahre in Paris, heiratet später einträglich, hat exklusive Wohnungen in Central-Park-Lage (auch wenn man sehr daran leiden kann, dass die Wohnung auf der falschen Straßenseite liegt), verbringt die Freizeit mit Segeln und Tennis und bestätigt seinen sozialen Marktwert bei Dinner-Einladungen und Cocktail-Partys, fördert Kunst und Literatur, sofern man sie nicht selbst produziert. Begley ist der Epiker einer ökonomischen und am Rand auch intellektuellen Elite.
Er schreibt eine unaufwändige, manchmal allerdings etwas blasse Prosa. Nicht von der Sprache lebt dieser Roman, sondern von der sozialen Intelligenz, der genauen Milieu- und Menschenkenntnis. Er bietet eine einfache, aber sicherlich wahre Lehre: "Ohne schlichte Zuneigung, nicht Sex, sondern Neigung, kann eine Ehe nicht funktionieren."

Besprochen von Wolfgang Schneider

Louis Begley: Erinnerungen an eine Ehe
Aus dem Englischen von Christa Krüger
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013
222 Seiten, 19,95 Euro