Steine gegen Minderheiten

Von Kai Küstner |
Pakistan nennt sich seit seiner Gründung Heimstatt aller Muslime. Der Islam ist Staatsreligion. Seit fundamentalistische Strömungen dort an Einfluss gewinnen, haben es allerdings muslimische und christliche Minderheiten schwer.
Heilige Jungfrau Maria, Du bist vom Himmel herabgestiegen, Du vergibst denen, die Unrecht getan haben. Jeden Sonntag hallen Choräle wie dieser durch die kleine katholische Kirche im Osten Pakistans und hinaus in das kleine Dorf im Distrikt Kasur. Das Gotteshaus ist kärglich eingerichtet. An den weißen Wänden ein Kreuz. Keine Sitzbänke für die Gemeinde. Doch die Kirche hat sich als widerstandsfähig erwiesen. Und dem Angriff einer wütenden Menschenmenge getrotzt:

„Es geschah im Sommer 2009, als ein Junge, ein Christ, mit seinem Traktor von der Arbeit nach Hause fuhr. Und ein anderer Junge, ein Muslim, mit seinem Motorrad die Straße versperrte.“

So erzählt es Dorfbewohner Bashir. Es kam zum Streit. Der dann – wie ein Stein, der in einen See geworfen, immer größere Kreise zieht – sich ausweitet, auf die Familien, das Dorf, die ganze Gegend:

„Zwei Tage später habe die Familie des muslimischen Jungen einen Plan ausgeheckt",“

erinnert sich Bashir. Offenbar noch angestachelt von lokalen Geistlichen, den Christen eine Lehre zu erteilen, zeigte die Familie den katholischen Jungen bei der Polizei an. Wegen Gotteslästerung, Blasphemie. Am selben Abend brach sich dann die Gewalt Bahn.

„Wir kamen gerade von der Arbeit auf den Feldern zurück,“ erzählt Rani, als der Angriff erfolgt. 500 bis 700 Menschen aus den umliegenden Dörfern hätten all die Häuser attackiert, die sie Christen zuschrieben. Sie warfen Steine und Benzin-Brandbomben, verwüsteten die Einrichtung. Legten Feuer:

„"Wir flohen alle sofort auf die Felder. Vermutlich war das der Grund, warum es keine Todesopfer gab.“

In anderen Gemeinden im Punjab, der bevölkerungsreichsten Provinz Pakistans, gab es die im selben Sommer bei ähnlichen Vorfällen durchaus. Babu Sakab, Religionslehrer und Prediger an der Kirche in dem Distrikt Kasur, findet das alles durchaus besorgniserregend:

„Ja, das macht mir große Angst. Die Christen in Pakistan sind Menschen, die sehr hart arbeiten. Die versuchen, sozial aufzusteigen. Das ist für viele Muslime schwer zu ertragen. Der einfachste Weg, sie klein zu halten, ist die Religion. Es ist also ein soziales Phänomen, das religiös eingefärbt wird.“

Nach dem großen Kulturkampf Islam gegen Christentum klingt das nicht. Vielmehr müsse die Religion als Sündenbock herhalten, um soziale Probleme zu lösen, findet genauso der Politikexperte I A Rehman. Dass auch viele muslimische Minderheiten, Schiiten und andere, in Pakistan zuletzt zunehmend zum Ziel von Extremisten, von Taliban geworden sind, stützt diese Deutung:

„Wir haben es gerade mit einer extremistischen, fundamentalistischen Variante des Islam zu tun. Deren Denkweise lässt keinen Raum für Nicht-Muslime. Auch nicht für Schiiten. Diese Erhebung eines militanten, intoleranten Islam erhöht den Druck auf Minderheiten. Die Angriffe auf sie haben zugenommen. Weil die nicht als Pakistanis gelten. Die Christen gelten als Handlanger des Westens. Die Hindus als indische Spione. Die Ahmadis als Abtrünnige vom Islam. In diesem Umfeld wird sich die Lage für sie verschlimmern.“

Selbstmordattentäter, die sich unter die Menschen mischen und sich mitten in Prozessionen der schiitischen Minderheit in die Luft sprengen, Überfall-Kommandos, die zum Freitagsgebet Gotteshäuser der Ahmadi-Sekte stürmen – angebliche Muslime morden im Namen des Islam Muslime. All das sind tödliche Anzeichen dafür, dass sich das Klima in den vergangenen Jahren verändert hat, meint auch Peter Jacob von der Pakistanischen Bischofs-Konferenz:

„Die Intoleranz hat insgesamt zugenommen. Und was die Sicherheit angeht, so haben es religiöse Minderheiten schwerer als etwa in den 90er Jahren. Die Wirtschaftslage hat sich verschlechtert. Und wir haben den Verdacht, dass einige extremistische Gruppen gerade versuchen, sich im Punjab eine Basis zu schaffen. Mehr Menschen anzusprechen als bisher. Das versuchen sie mit diesen Attacken.“

Die Menschen, die in dem jetzt und auch bis zum Sommer 2009 noch so friedlich scheinenden Dorf in Kasur Unfrieden stifteten, Häuser anzündeten, waren keine Taliban. Vermutlich auch keine Islamisten.

„Das war einfach eine Privatfehde, eine Sache des Egos“, meint Dorfbewohner Bashir. Aber die wütende Menschenmenge attackierte in einem Klima, das manche hysterisch nennen würden: in dem es nicht mehr so abwegig erscheint, alles Böse, was einem widerfährt, auf die Religion des Nachbarn zu schieben. Äußerst hilfreich dabei, diese Hysterie zu schüren, ist die pakistanische Gesetzgebung. Die nämlich enthält noch immer einen sogenannten Blasphemie-Paragrafen:

Sakab: „Dieses Gesetz ist ein riesengroßes Problem. Es verhindert den Zusammenhalt der Gemeinden. Es arbeitet gegen Frieden und Fortschritt im Land. Das Gesetz sollte abgeschafft werden.“

Besagter Blasphemie-Paragraf sieht unter anderem vor, dass jede Beleidigung des Koran oder des Islam strafbar ist.

Shahbaz Bhatti: „Dieses Gesetz wird missbraucht, um gegen Minderheiten vorzugehen. Es ist ein Werkzeug in den Händen der Extremisten, um ihre persönlichen Fehden auszufechten. Wir versuchen, diesen Missbrauch einzudämmen. Das Gesetz wurde von Diktator Zia ul-Haq eingeführt, der das Land entlang religiöser Linien spalten wollte.“

Meint Pakistans Minister für Minderheiten, Shahbaz Bhatti. Das Problem: Es ist ja so einfach, jemanden bei der Polizei anzuzeigen und der Beleidigung des Islam zu bezichtigen. Das war auch im Fall von Asia Bibi so. Die Katholikin geriet kürzlich, ebenfalls in der Provinz Punjab, auf dem Feld in einen Streit mit anderen Frauen. Die zeigten sie an – wegen Beleidigung des Koran wurde Asia Bibi zum Tod durch den Strang verurteilt:

Shahbaz Bhatti: „Meine Untersuchungen haben ergeben, dass Asia Bibi unschuldig ist. Sie ist fälschlicherweise der Gotteslästerung angeklagt worden. Es gibt viele Fälle wie diesen, dass aufgrund von persönlichen Streits, aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen Menschen der Blasphemie bezichtigt werden.“

Tatsächlich vollstreckt wird in diesen Fällen die Todesstrafe kaum. Begnadigt zu werden – darauf hofft auch Asia Bibi noch. Nur: Der Blasphemie-Paragraf ist damit nicht aus der Welt. Zu druckvoll scheint das Einwirken der Geistlichen, als dass der so schnell aus den Gesetzbüchern zu tilgen wäre:

I A Rehman: „Das Blasphemie-Gesetz ist ein schlechtes Gesetz. Eigentlich sind Gesetze dazu da, Verbrechen zu verhindern. Dieses aber stiftet dazu an, welche zu begehen. Die Mullahs üben so viel Druck auf die Gerichte aus, dass die sich nicht trauen, jemanden laufen zu lassen. Die Berufungsgerichte aber sind oft anderer Meinung. Und das ist der Grund, warum so schnell niemand gehängt wird.“

Heilige Jungfrau Maria, Du bist vom Himmel herabgestiegen, Du vergibst denen, die Unrecht getan haben. In der Kirche und auch in dem Dörfchen des Distrikts Kasur ist wieder Ruhe eingekehrt. Die Angst, dass sich die Vorfälle vom Sommer 2009 wiederholen könnten, ist nicht mehr allgegenwärtig, aber ganz weg ist sie nicht. Und ganz vergeben, wie es die Jungfrau Maria in dem Choral tut, ist die Attacke keineswegs:

Er habe viele Freunde unter den Muslimen gehabt, erzählt dieser Mann. Vor dem Angriff. Aber an diesem schicksalhaften Tag sei niemand zu Hilfe gekommen. Jetzt vermeide er den Kontakt mit seinen ehemaligen Freunden.