Steinbrück "muss der Kandidat werden, der möglichst viele Wähler anspricht"

Elke Ferner im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 01.10.2012
"Was uns eint, ist, dass wir die konservativ-liberale Regierung ablösen wollen", sagt Elke Ferner, stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende und Vertreterin der Parteilinken, zur Kanzlerkandidatur Peer Steinbrücks. Diesem Ziel werde sich während des Wahlkampfes vieles unterordnen.
Jan-Christoph Kitzler: Eigentlich war das ja ganz anders verabredet. Eigentlich sollte die K-Frage in der SPD erst Ende des Jahres offiziell entschieden werden oder Anfang des kommenden, aber jetzt ist es denn doch ziemlich schnell gegangen. Am vergangenen Freitag musste sich die Troika in aller Eile vor die Berliner Presse stellen und verkünden: Peer Steinbrück wird Kanzlerkandidat der SPD. Das, was die drei Herren, Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier und eben Peer Steinbrück da beschlossen haben, soll heute noch der Parteivorstand noch mal beschließen. Das letzte Wort hat dann aber ein Sonderparteitag im Dezember. Jetzt gibt es aber auch Kritik an Peer Steinbrück, vor allem die Parteilinken fremdeln. Und darüber habe ich mit Elke Ferner gesprochen. Sie ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag und Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen. Zuerst habe ich sie gefragt, ob Peer Steinbrück denn auch ihre erste Wahl war.

Elke Ferner: Also es geht, glaube ich, nicht darum, ob jetzt einer von dreien die erste Wahl ist, sondern was ist die erste Wahl für die Partei. Und ich denke, so wie die Lage der Dinge jetzt ist, ist das Peer Steinbrück, und ich glaube, dass wir mit ihm auch einen sehr zugespitzten Wahlkampf machen können, und die Unterschiede zwischen uns und der Union auch deutlich machen können.

Kitzler: Aber macht die SPD jetzt nicht mal wieder den Fehler, dass erst über Personen geredet wird und dann über das Programm?

Ferner: Gut, man könnte das natürlich sagen, aber die Partei ist bisher immer so selbstbewusst gewesen, auch zu sagen, was sie inhaltlich will, egal, ob jetzt die Kandidaten schon festgestanden haben oder nicht. Und ich gehe davon aus, dass das auch dieses Mal der Fall sein wird.

Kitzler: Sie gehören ja zum linken Flügel in der SPD. Jetzt liest man immer, Steinbrück sei inzwischen salonfähig geworden bei der Parteilinken. Ist das denn wirklich so?

Ferner: Es gibt sicherlich Positionen, wo wir unterschiedlicher Meinung sind. Es gibt aber auch Positionen, wo wir einer Meinung sind. Was uns eint, ist, dass wir die konservativ-liberale Regierung ablösen wollen, und ich glaube, dem Ziel wir sich dann auch vieles während des Wahlkampfes unterordnen. Und ich will mal sagen, das Papier zur Regulierung der Finanzmärkte, das Peer Steinbrück letzte Woche vorgelegt hat, daran gibt es auch Sicht der Linken nichts auszusetzen.

Kitzler: Ganz konkret gefragt, wo muss denn Steinbrück, der Kandidat, noch liefern, damit er auch der Kandidat der Herzen der Parteilinken wird?

Ferner: Ich glaube, er muss nicht unbedingt in erster Linie der Kandidat der Herzen der Parteilinken werden, sondern er muss der Kandidat werden, der möglichst viele Wähler und Wählerinnen anspricht. Da hat auch jeder in der Partei seine eigenen Aufgaben. Natürlich wird auch die Parteilinke ihre Position nicht völlig aufgeben. Und für uns ist natürlich auch sehr wichtig, dass in der Frage der sozialen Gerechtigkeit auch ein klares Profil für die SPD erkennbar ist im Wahlkampf.

Kitzler: Also die Streitthemen Rente, die Folgen von Hartz IV – sind das die wichtigen Themen, um die noch gerungen wird?

Ferner: Es wird aktuell natürlich um das Thema Rente gerungen. Das wird dann beim Parteikonvent Ende November entschieden werden. Derzeit wird in der SPD diskutiert. Ich halte die Frage des Rentenniveaus für ein sehr wichtiges Thema. Wir haben ein Pflichtversicherung, in die viele Menschen einbezahlen müssen, die können sich gar nicht dagegen wehren, und wenn man so eine Pflichtversicherung für die Altersvorsorge hat, dann muss diese auch ein Minimum gewährleisten im Alter, und das ist mit einem Absinken auf 43 Prozent aus meiner Sicht nicht gewährleistet.

Kitzler: Aber so, wie die Dinge liegen, hat Steinbrück doch jetzt die Partei in der Hand. Er ist der Kandidat, er kann dem Wahlprogramm seinen Stempel aufzwingen. Er hat ja an diesem Wochenende auch schon gesagt, das Programm müsse zum Kandidaten passen und nicht umgekehrt – er brauche Beinfreiheit.

Ferner: Ja, er hat aber auch gesagt, auch der Kandidat muss zum Programm passen, und insofern denke ich, ist das ein Geben und ein Nehmen. Natürlich muss am Ende beides zusammenpassen. Aber ich habe es bisher noch nicht erlebt, dass ein Kandidat sich überhaupt nicht um das gekümmert hat, was dann die Partei an Inhalten in ein Programm hineingeschrieben hat. Natürlich wird er auch seine Meinung zu dem einen oder anderen sagen, das ist völlig klar. Ich gehe aber nicht davon aus, dass er sozusagen in erpresserischer Manier sagen würde, wenn ihr das beschließt, dann bin ich nicht mehr euer Kandidat, sondern es wird in der SPD immer um Mehrheiten auch für verschiedene Inhalte gerungen. Und am Ende, wenn die Mehrheit dann entschieden hat, versucht man, möglichst einig dann auch in den Wahlkampf zu gehen. Denn wir kämpfen ja nicht gegeneinander in erster Linie, sondern in erster Linie wollen wir die Regierung ablösen.

Kitzler: Gegen das, was Sie gerade gesagt haben, spricht aber, dass Peer Steinbrück am Freitag in der Pressekonferenz ein Vorbild für seinen Wahlkampf genannt hat, nämlich Gerhard Schröder. Das klingt schon fast wieder ein wenig nach "Basta"-Politik. Sind Sie da auch ein wenig zusammengezuckt?

Ferner: Nein. Ich glaube nicht, dass die "Basta"-Politik zurückkehren wird. Ich glaube, das haben alle gesehen, dass das nicht funktioniert. Das funktioniert bestenfalls eine kurze Zeit, aber dann wird es umso schwieriger. Insofern glaube ich, ist es immer besser, im Team zu spielen, und ich glaube, Peer Steinbrück kann auch im Team spielen.

Kitzler: Wie wird denn das konkret laufen jetzt, die innerparteiliche Diskussion?

Ferner: Das wird derart laufen, dass derzeit in den Landesverbänden über beispielsweise das Thema Rente diskutiert wird. Wir haben ja im Übrigen auch jetzt angestoßen einen sogenannten Bürgerdialog, wo wir mit Bürgern und Bürgerinnen über Inhalte unserer Politik reden, wo wir versuchen, auch die Wünsche einzubinden. Da wird nicht alles erfüllbar sein, aber das ist eine sehr breit angelegte Dialogreihe, die da stattfinden wird, und da werden auch viele Dinge Eingang in unser Wahlprogramm finden. Das wird vielleicht dem einen oder anderen Flügel in der Partei nicht gefallen, möglicherweise der Linken nicht, möglicherweise der Rechten nicht, vielleicht auch dem Kandidaten nicht. Aber wenn man so einen Bürgerdialog ernst nimmt, dann muss man natürlich auch gewissermaßen ein Stück weit darauf einlassen. Man wird, wie gesagt, da nicht alles erfüllen können, aber auch das ist Teil unseres Willensbildungsprozesses bis ins Frühjahr nächsten Jahres.

Kitzler: Eigentlich sollte die K-Frage in der SPD ja später geklärt werden, erst im Frühjahr, Anfang nächsten Jahres. Jetzt war am Freitag ganz offensichtlich, dass der Vorsitzende bei der Kandidatenkür nicht der Herr des Verfahrens war. Er wurde von der Entwicklung überrascht. Ist Sigmar Gabriel jetzt in Ihren Augen geschwächt?

Ferner: Nein. Also ich meine, die Diskussion wabert ja nun auch schon über den ganzen Sommer, und ich glaube nicht, dass er da geschwächt ist. Es war jetzt Zeit dann auch, den Sack zuzumachen, und insofern schauen wir jetzt nach vorne. Ich glaube auch, es geht jetzt gar nicht mehr um die Frage, wie und wann der SPD-Kandidat gekürt worden ist, sondern es geht um die Frage, was unterscheidet uns von der Union und von Schwarz-Gelb und wie können wir eine gute Mehrheit für Rot-Grün bekommen.

Kitzler: Man hat ja ein wenig den Verdacht, die drei Männer der Troika haben einen Deal gefunden und die Sache unter sich ausgemacht. Steinbrück hat schon gesagt, dass er nicht unter einer Kanzlerin Merkel ins Kabinett geht. Dann könnte ja vielleicht Steinmeier Vizekanzler werden und Gabriel wird Fraktionschef. Regt Sie das als Vertreterin der SPD-Frauen nicht furchtbar auf, dass die drei Herren das offenbar unter sich ausmachen?

Ferner: Ich weiß nicht, was die drei unter sich ausgemacht haben, aber für mich steht eines fest: dass, egal, wer Kandidat der SPD ist, jetzt in dem Falle Peer Steinbrück, mit Sicherheit auch Wert darauf legen wird, auf ein paritätisch besetztes Team, und dass Frauen auch in dem Wahlkampfteam eine bedeutende und hervorragende Rolle spielen werden.

Kitzler: Elke Ferner war das, die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag und zugleich auch Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen. Vielen Dank für das Gespräch und einen schönen Tag!

Ferner: Gerne!

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