Steinbrück: Keine Steuersenkungen auf Pump

Im Gespräch mit Ernst Rommeney und Ulrich Ziegler |
Bundesfinanzminister Peer Steinbrück lehnt weiterhin Steuersenkungen ab. Solange der Haushalt nicht ausgeglichen sei, könne man den Menschen keine Steuererleichterungen versprechen, sagte der SPD-Politiker. "Solange wir die Nettoneuverschuldung nicht auf Null haben, halte ich es für falsch, den Menschen Sand in die Augen zu streuen und zu sagen, dann verschulden wir uns eben neu, um Steuersenkungen zu finanzieren."
Deutschlandradio Kultur: Die Arbeitslosenzahlen sinken, der Haushaltsentwurf 2009 steht. Die Neuverschuldung geht kontinuierlich runter. Jetzt freuen sich alle auf die Sommerpause. Die Sozialdemokraten auch?

Peer Steinbrück: Ja, wir tun ganz gut daran, in dieser Sommerpause mal gelegentlich den Mund zu halten, nicht der Stichwortgeber dafür zu sein, dass alle über uns räsonieren. Wir geben viel Anlass dafür, für eine Art von Selbstbeschäftigung. In den letzten zwei, drei Wochen hat das schon besser geklappt, aber die SPD tut gut daran, sich mit den Inhalten zu beschäftigen und weniger mit sich selbst.

Deutschlandradio Kultur: Sie sehen sich am 7. September wieder, wenn die Führungsmannschaft der SPD zur Klausur zusammenkommt. Wenn wir heute schon mal in die Zukunft schauen, was werden Sie da im Kreise Ihrer Parteikollegen ihnen für die nächste Bundestagswahl an Wahlkampfstrategien empfehlen?

Steinbrück: So weit ist es ja nicht gleich am 7. September, sondern das ist in der Tat der Startschuss, dann an einem Wahlprogramm zu arbeiten. Das wird seine Zeit brauchen. Ich bin auch dagegen, dass man das wie Zieten aus dem Busch nun plötzlich versucht zu entwickeln. Den Haupteinfluss muss dann der Kanzlerkandidat haben. Sie wissen, dass dies im Verfahren in den Händen von Kurt Beck liegt. Ein solcher Kanzlerkandidat, unabhängig davon, wie die Wahl dann auf diesen Kanzlerkandidaten für die SPD ist, muss die Möglichkeit haben, dieses Wahlprogramm maßgeblich zu bestimmen. Das heißt, es werden Verfahren und Strukturen an diesem 7.9. vorbereitet, aber nicht schon irgendwelche inhaltlichen Schwerpunkte festgezurrt.

Deutschlandradio Kultur: Aber es gibt sicherlich einen Goldenen Schnitt sozialpolitische Kompetenz und wirtschaftliche Kompetenz, für die Sie auch stehen. Wird das die Schnittmenge sein, wo man dann erkennen kann, beide Sachen müssen zusammengehen?

Steinbrück: In der Tat. Die SPD ist immer dann am erfolgreichsten gewesen, siehe in den 60er Jahren mit Namen wie Alex Möller oder wie Carl Schiller und in den 70er Jahren mit Helmut Schmidt und dann ab 98 mit Gerhard Schröder, wenn sie drei Dinge hat übereinander bringen können - unabweisbar ihre sozialpolitische Kompetenz, eine solidarische gerechte Gesellschaft mindestens mit zu formen und zweitens eine wirtschaftspolitische, dazu gehört auch eine finanzpolitische Kompetenz, und drittens die interessante Plattform für die gesellschaftspolitischen Debatten in Deutschland zu sein, auch und gerade für Menschen, die sagen: Ich will nicht unbedingt Mitglied der SPD sein, aber ich möchte mich an diesen gesellschaftspolitischen Debatte über die Zukunftsentwicklung dieses Landes beteiligen. Dann ist die SPD mehrheitsfähig.

Deutschlandradio Kultur: Aber ist es nicht zunächst mal notwendig, dass sich die SPD klar wird über die Agenda 2010, dass sie ihren Frieden damit macht?

Steinbrück: Die SPD ist sich klar über die Agenda 2010. Was uns gelegentlich beschäftigt, ist, dass diese Agenda 2010 im Kopf sehr viel mehr akzeptiert ist als im Bauch, weil diese Agenda 2010 natürlich durchaus zu einer gewissen Neuorientierung geführt hat und vielleicht auch zu einem Mentalitätswechsel aufgefordert hat. Wahrscheinlich liegt darin das Hauptverdienst von Gerhard Schröder, über die Agenda 2010 innerhalb der SPD, aber darüber hinaus, zu mentalen Veränderungen zu kommen. Wir sagen, die Bundesrepublik Deutschland wird unter den obwaltenden Bedingungen des 21. Jahrhunderts viele Herausforderungen annehmen müssen und wird nicht einfach nur die Politik oder die Entwicklung aus den 80er und 90er Jahren weiter fortsetzen können.

Deutschlandradio Kultur: Jetzt hat der Bundespräsident gesagt, man bräuchte möglicherweise auch eine Agenda 2020, also eine Fortschreibung dessen, was in den letzten Jahren stattgefunden hat. Wird Ihre Partei da mitgehen?

Steinbrück: Das ist ein Beitrag des Bundespräsidenten. Den habe ich nicht zu kritisieren und zu kommentieren. Die SPD muss sich nicht unbedingt eine Agenda 2020 geben, sondern soll die Reformvorhaben oder die politischen Projekte, um es beim Namen zu nennen, weiter benennen. Also, die Bekämpfung der Kinderarmut, eine solide Haushaltspolitik, die Notwendigkeit, dass wir insbesondere im Bereich der Arbeitsmarktpolitik zu weiteren Reformen kommen, dass wir insbesondere – auch mit Blick auf unsere Mindestlohnvorstellung – dazu beitragen, dass es in Deutschland etwas gerechter zugeht. Dasselbe erstreckt sich natürlich auf bildungspolitische Impulse genauso wie auf Themen der Mittelstandsförderung und der Fragestellung, in welche Zukunftsfelder in Deutschland mehr investiert werden muss.

Deutschlandradio Kultur: FDP und Union wollen Wahlkampf mit Steuersenkungen machen, Sie nicht. Warum eigentlich nicht?

Steinbrück: Weil ich es für falsch halte, Steuersenkungen auf Pump zu finanzieren. Solange wir die Netto-Neuverschuldung nicht auf null haben, halte ich es für falsch, den Menschen Sand in die Augen zu streuen und zu sagen, dann verschulden wir uns eben neu und wieder, um Steuersenkungen zu finanzieren. Im Übrigen ist für viele Menschen in Deutschland die Steuerbelastung zur Überraschung vieler gar nicht das Hauptproblem. In den niedrigen Einkommenskategorien ist die Abgabenlast über Sozialversicherungsabgaben sehr viel stärker und das sehr viel größere Problem als die Steuerbelastung.

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ein verheirateter Arbeitnehmer oder verheiratete Arbeitnehmerin, Alleinverdiener mit zwei Kindern, zahlen bis zu einem Einkommen von 37.000 Euro, unter Berücksichtigung des Kindergeldes, gar keine Steuern. Aber sie dürfen sechs- oder siebentausend Euro Sozialversicherungsabgaben zahlen. Da merkt man, dass das Problem gelegentlich anders geschichtet ist als in sehr eilfertigen Beiträgen.

Deutschlandradio Kultur: Trotzdem haben wir im Moment ein Problem. Wir haben eine Inflationsrate, die über 3 % liegt. Wir haben Tarifabschlüsse vielleicht bei 4 % oder 3,5 % und dann noch die kalte Progression, weil eben der Steuersatz für diejenigen, die Steuer zahlen, im niedrigen Bereich nach oben rutscht. Das heißt, am Schluss bleibt für die Leute weniger als vielleicht noch vor einem Jahr. Das beschäftigt Sie nicht?

Steinbrück: Das beschäftigt alle, aber es ist kaum in den ‚good will’ oder ‚bad will’ der Bundesregierung gestellt, sich einer Inflationsentwicklung entgegen zu stemmen, die erkennbar weltweit getrieben ist, insbesondere von erheblichen Nachfrageverschiebungen und ganz anderen Nachfragevolumina nach Rohstoffen, nach Erdöl und nach Lebensmitteln, insbesondere aus den Schüben, die aus Asien herauskommen. Es steht nicht alleine im Benehmen der Bundesregierung, nun eine Inflationsentwicklung – auch vor dem Hintergrund einer sehr exzessiven Geldpolitik von manchen Ländern – nun plötzlich diese Lasten auf sich zu ziehen und die Bürgerinnen und Bürger mit eilfertigen Vorschlägen zu entlasten.
Ich halte nichts davon, den Menschen etwas zu versprechen, das man nicht halten kann.

Deutschlandradio Kultur: Aber Ihnen wird empfohlen, den Tarif auf Räder zu stellen.

Steinbrück: Ja, aber ich halte nichts davon. Das bedeutet ja eine laufende Anpassung an die wirtschaftliche oder an die inflationäre Entwicklung. Dann würde ich gerne wissen: Gilt das denn auch umgekehrt, wenn die Inflationsrate wieder runter geht? Das heißt, das, was dort an Flexibilität versprochen wird, wird von mir hinterfragt. Geht das nur in eine Richtung oder geht das auch in beide Richtungen.

Dass wir es im Augenblick damit zu tun haben, dass die Inflation wieder die Reallohnzuwächse auffrisst, ist mir sehr bewusst. Aber ich halte nichts davon, den Menschen weismachen zu wollen: Wenn das Benzin an der Tankstelle von 1,55 auf 1,60/ 1,65 hoch geht, dann verteilen wir Trostpflasterchen. Dann kriegen wir den Beifall für zwei Wochen. Aber was machen wir, wenn der Rohölpreis plötzlich nicht mehr bei 143, sondern bei 150, 160, 170 US $ den Barrel? Subventionieren wir da immer gegen an? Können wir das überhaupt heben? Ja oder nein?

Ich glaube, dass diese Republik sich darauf einstellen muss, dass sie Strukturen verändern, dass sie effizienter werden muss, dass sie sparsamer umgehen muss, dass sie in regenerative Energiequellen, in Kraftwärmekopplung hinein investieren muss, um effizienter im Energieverbrauch zu werden, um sich unabhängiger zu machen von Energieimporten.
Im Übrigen, viele Menschen verhalten sich absolut vernünftig. Sie minimieren ihren Energieverbrauch.

Deutschlandradio Kultur: Trotzdem gibt es im Moment eine breite Schicht von Menschen, die besonders leiden unter diesen Steigerungen im Energiebereich und anderswo. Jetzt gibt es von Seiten der CDU und auch der FDP die Forderung: Nehmen Sie wenigstens den Mittelstandsbauch in der Steuerprogression raus, damit es den Leuten etwas besser geht.
Das Thema werden sie also in den nächsten Wochen und Monaten möglicherweise bis zur Bundestagswahl 2009 schon haben.

Steinbrück: Damit rechne ich. Nur die, die von dem Mittelstandsbauch reden, die nennen Ihnen ja keine Zahl. Die Beseitigung des Mittelstandsbauches ist wahrscheinlich nicht unterhalb von 25 Milliarden Euro zu haben. So, dann müssen mir dieselben Menschen ja sagen: Woher kriege ich denn die 25 Milliarden Euro? Bedeutet das, dass ich mehr Schulden mache und damit die Generationsgerechtigkeit wieder verletze, indem die Kinder und Enkelkinder dieser Republik eines Tages den Kapitaldienst zu übernehmen haben?

Sie können sehr schnell für eine solche Maßnahme den Applaus eines Nachmittags bekommen, aber in der längerfristigen Perspektive kann es sehr unvernünftig sein.

Deutschlandradio Kultur: Aber wenn Sie Geringverdienern helfen wollen, dann haben Sie doch gerade im Steuertarif das Problem, dass es von 15 auf 24 % einen ziemlich scharfen Anstieg gibt, also gerade bei den kleinen Einkommen. Später wird es dann etwas schwach ansteigend bis hin zu den großen Einkommen, bis zum Spitzensteuersatz von 42 oder gar 45 %.

Steinbrück: Das ist richtig. Trotzdem ist auch in diesem Bereich für die meisten nicht die Steuerbelastung das Hauptproblem, sondern die Abgabenbelastung. Also, wir nehmen eine alleinerziehende Verkäuferin, die vielleicht mit 2.400 brutto nach Hause geht, feststellt, dass sie ungefähr 1.100 Euro Abzüge hat. Und dann stellt sie fest, dass diese 1.100 Euro vornehmlich Sozialversicherungsabgaben sind und nicht Steuern. Das heißt, der helfe ich mit einer Steuersenkung sehr viel weniger, als wenn ich die Sozialversicherungsabgaben reduzieren würde, so wie wir das bei den Arbeitslosenversicherungsbeiträgen gerade erfolgreich tun.

Deutschlandradio Kultur: Da stellt sich aber doch auch die Frage: Wie wird das denn finanziert, wenn Sie die Sozialabgaben reduzieren wollen? Müssen das die Versicherungsträger unter sich regeln oder hilft der Bundesfinanzminister?

Steinbrück: Nein, das können und sollen sie nach den SPD-Vorstellungen auf der einen Seite über die wachstumsbedingten Mehreinnahmen finanzieren, die sie bei Steuern haben, aber zweitens auch durch eine zusätzliche Belastung von oberen Einkommenskategorien. Das ist der Grund, warum die SPD sagt, der Spitzensteuersatz von 45 % soll nicht nur für diejenigen gelten, die oberhalb von 250.000, als Singles, 500.000, als Verheiratete, verdienen, exorbitant hohe Einkommen, sondern schon ab 125.000 für Singles und 250.000. Das ist eine Kategorie, die wir da vorschlagen.

Die zweite ist, ob wir auf Umwegen nicht doch zu prüfen haben, ob eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer, die eine reine Landessteuer ist, aber dann in den internen Beziehungen zwischen Bund und Ländern gemeinsam auch auf Umwegen zur Verfügung gestellt werden kann, wie ich gesagt habe, um Sozialversicherungsabgabenlasten zu reduzieren.

Deutschlandradio Kultur: Aber ab 2011 wollen Sie, wenn Sie den Haushalt ausgeglichen haben, doch mehr Geld in die Sozialkassen geben. Fünf bis sechs Milliarden heißt es in Ihrem Konzept. Wofür?

Steinbrück: Zur Absenkung der Sozialversicherungsabgaben.
Noch mal: In einem Nullsummenspiel kommen wir sukzessive zu einer Steuerfinanzierung unseres sozialen Sicherungssystems und weg von einer vornehmlichen Abgabenfinanzierung. Schauen Sie sich die skandinavischen sozialen Sicherungssysteme an. Die sind wahrscheinlich zu 70, 75 % steuerfinanziert, übrigens mit ganz anderen Verteilungseffekten. Will sagen: In Deutschland zahlen zum Beispiel Beamte, Minister, Freiberufler keine Sozialversicherungsabgaben, während bei einer vornehmlichen Steuerfinanzierung natürlich auch Beamte, Minister und Freiberufler über ihre Steuerbeiträge in Skandinavien - in Schweden, in Dänemark - zur Finanzierung des Sozialstaates beitragen, was diesen Sozialstaat in seinen Finanzierungsgrundlagen robuster macht, auch vor dem Hintergrund der Demographie.

Ich glaube, dass es konzeptionell richtig ist, sukzessive von einer Abgabenfinanzierung auf eine Steuerfinanzierung des deutschen Sozialstaates überzugehen.

Deutschlandradio Kultur: Da sind Sie doch beim CDU-Modell, beim Prämienmodell in der Krankenversicherung.

Steinbrück: Nee, das hat damit überhaupt nichts zu tun.

Deutschlandradio Kultur: Aber es soll gerechter werden, auch mit dem Modell, das Sie jetzt vorgestellt werden.

Jetzt gibt es beispielsweise den Bundesumweltminister, der sagt: "Bei steigenden Energiepreisen müssen wir uns mal überlegen, ob wir beispielsweise Sozialtarife bei Strom und Gas einführen". Das wäre vielleicht eine Idee, um diese Leute, die im Moment stark belastet werden, zu entlasten. Macht das Sinn und wenn ja, wer muss das organisieren?

Steinbrück: Ein schwieriger Vorschlag. Warum? Weil völlig klar ist, dass Werbungskosten, und dazu gehören ja Wegekosten, bisher natürlich gemäß dem linear progressiven Tarif zu Vergünstigungen führen. Das heißt, derjenige, der viel verdient und eine Aktentasche und von mir aus einen Laptop steuerlich als Werbungskosten absetzen will, der hat natürlich, wenn er in dem oberen Bereich der Progression ist, größere Vorteile davon, als jemand, der in dem unteren Teil des Steuertarifes ist.

Nun möchte Herr Gabriel allerdings dieses Prinzip sehr spezifisch aushebeln, nur bezogen auf die Wegekosten zwischen Wohnort oder Tür bis hin zum Werktor. Da muss man sehr genau prüfen: Welches Prinzip wird da durchbrochen? Ist das verfassungsrechtlich möglich und was bedeutet es im Einzelnen? Ich mache mir diese Position nicht zu Eigen, sondern in Übereinstimmung mit dem Parteivorsitzenden der SPD, Herrn Beck, und auch der Bundeskanzlerin warten wir das Bundesverfassungsgericht ab, was es zur Abschaffung der Entfernungspauschale sagt und der Fragestellung, dass wir eine Härtefallregelung für Fernpendler eingeführt haben.

Deutschlandradio Kultur: Das ist doch eine Grundsatzfrage: Sind Fahrtkosten die Betriebskosten des Arbeitnehmers oder kann man sich die Pendlerpauschale auch sparen und macht eine höhere Arbeitnehmerpauschale?

Steinbrück: Ja, wobei wir die Arbeitnehmerpauschale auf einem sehr hohen Niveau von über 900 Euro haben. Sie haben völlig recht. In der weit überwiegenden Anzahl der europäischen Nachbarländer innerhalb der EU ist die Strecke zwischen Haustür und Werktor nicht als Werbungskosten absetzungsfähig. Da gilt das Werktorprinzip. Ich vermute mal, von 27 EU-Ländern gilt dieses Werktorprinzip in 22 oder 23 Ländern.

Wir haben dieses Werktorprinzip auch abgeschafft. Das Merkwürdige ist ja, alle glauben, es gäbe noch eine Entfernungspauschale. Es gibt sie gar nicht mehr. Wir haben sie abgeschafft, aber wir haben für Fernpendler ab dem 21. Kilometer eine Härtefallregelung eingeführt. Die ist Gegenstand eines Rechtsverfahrens beim Bundesverfassungsgericht. Ich bin dafür, dass man das mal abwartet und nicht nervös jede Woche eine neue Sau durchs Dorf jagt - zur Verwirrung der Menschen.

Deutschlandradio Kultur: Sollte man nicht vielleicht das Ganze abschaffen und sagen, wir machen höhere Arbeitnehmerfreibeträge und lassen das Ganze mit den Pendlerpauschalen, ob 25, 30, 50 Cent, ob ab 21 km oder 7, ob mit dem Fahrrad oder mit dem Auto, einfach weg damit. Dafür erhöhen wir den Arbeitnehmerfreibetrag, Punkt.

Steinbrück: Das muss man rechnen, was das im Einzelnen bedeutet. Die Koalition hat sich mit Beginn ihrer Arbeit im November 2005 verabredet, mit dieser Veränderung oder Abschaffung der Entfernungspauschale und der Härtefallregelung zur Haushaltskonsolidierung einen Beitrag in Höhe von 2,6 Milliarden Euro zu leisten. Diejenigen, die die jetzige Lösung infrage stellen, die müssen mir sagen, wie ich denn die 2,6 Milliarden Euro refinanzieren soll. Die entfallen auf Bund und Länder. Und diejenigen, die eine neue Regelung einführen wollen, müssen mir sagen, was die kosten soll.

Deutschlandradio Kultur: Ein echter Aufreger ist auch die Erbschaftssteuer. Österreich schafft sie ab. Wir bauen sie um. Es ist bereits versteuertes Geld. Müssen wir eine Erbschaftssteuer haben?

Steinbrück: Nee, vorsichtig! Es ist für denjenigen, der vererbt, versteuertes Geld. Aber für denjenigen, der erbt, ist es noch nicht besteuert worden. Man kann sich aus den verschiedenen Steuersystemen in Österreich oder in Schweden, wo die Erbschaftssteuer abgeschafft worden ist, nicht nur die Rosinen herauspicken. Das geht nicht nach dem Motto, ich nehme gerne das österreichische Erbschaftssteuerrecht, aber dazu gerne Irische Einkommenssteuersätze und ich nehme gerne slowenische Körperschaftssteuersätze. So funktioniert das nicht, sondern man muss die Steuersysteme insgesamt sehen.

Ich glaube, dass es erstens eine Frage für die Länder ist, ob sie auf 4 Milliarden Euro verzichten können zur Finanzierung öffentlicher Aufgabe. Aber ich mache auch kein Hehl daraus, dass es unter dem Gesichtspunkt einer gerechten Gesellschaft schon eine Frage ist, vielen Menschen etwas zuzumuten. Die Mehrwertsteuer haben wir erhöht, wir haben den Arbeitnehmersparerfreibetrag gekürzt, aber dann bei den sehr vermögenden Menschen, die hohe Vermögen vererben können, zu sagen, du kriegst jetzt eine totale Steuerbefreiung. Es gibt viele Menschen, die sagen, nee, das ist nicht gerecht.

Ich finde, dass diejenigen, die hohe Erbschaften erhalten, auch einen gewissen Anteil davon zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben bereitstellen können. Diese Auffassung teile ich, zumal wir durch große Freibeträge ja dafür Sorge tragen, dass der normale Erbfall nicht besteuert wird.

Deutschlandradio Kultur: Jetzt fängt Herr Beckstein aus Bayern an zu sagen: Na ja, bei den Privaterben ist es ja so. Wer in Starnberg ein Haus hat, braucht einen höheren Freibetrag als derjenige, der in Mecklenburg-Vorpommern wohnt. Da scheint es doch an allen Ecken und Enden noch zu knirschen.

Steinbrück: Erstens verlässt sich die SPD auf die CDU-Vorsitzende, die Bundeskanzlerin Frau Merkel und auf die Zusagen des CSU-Vorsitzenden Huber, dass wir einen Abschluss im Bundesratsverfahren am 7. November im zweiten Durchgang haben. Das ist für die SPD eine zentrale Frage. Sich da irgendwie rausmauscheln zu wollen und am 31.12. zu sagen, huch, wir konnten uns leider nicht einigen und dann läuft die Erbschaftssteuer wie ablaufendes Badewannenwasser aus, das wird mit der SPD nicht zu machen sein. Dann hätten wir einen sehr tiefen Vertrauensverlust zu bewältigen.

Deutschlandradio Kultur: Was heißt das in der Konsequenz, wenn die das Spiel spielen?

Steinbrück: Es gibt dafür keine Hinweise. Es gibt aus der letzten Koalitionsausschusssitzung die klare Versicherung, dass wir den Zeitplan so einhalten. Darauf verlässt sich die SPD, weil sie gutgläubig ist.

Deutschlandradio Kultur: Dennoch hat man den Eindruck, dass sich in der ganzen Erbschaftssteuerdiskussion, gerade was den unternehmerischen Teil angeht, die Diskussion im Kreise dreht. Ursprünglich gab es die schöne Idee: Wer über 10 Jahre lang ein Unternehmen als Erbe weiterführt, der kann seine Erbschaftssteuer abstottern. Jetzt wird gesagt, uns passen die Auflagen nicht, die wir da dem Finanzamt garantieren müssen. Wollen wir nicht lieber eine einfache Steuer haben mit niedrigen Sätzen und ohne Auflagen?

Steinbrück: Das ist eine groteske Debatte, entschuldigen Sie bitte. Wir verteilen ein Erbschaftssteuerprivileg, was es in Deutschland vorher nie gegeben hat. Es bedeutet, dass 85 % der Vererbung von betrieblichen Vermögen steuerfreigestellt werden. Das ist ein Privileg. Ein solches Erbschaftssteuerprivileg, das es bisher noch nie gegeben hat, muss eine Gegenleistung erfahren, weil Sie sich sonst verfassungswidrig verhalten. Das ist sonst nicht tragbar. Die Gegenleistung muss in der Fortführung dieses Betriebes liegen. Da werden wir Kompromisse machen können, was die Haltefrist betrifft, was die Fallbeilregelung betrifft. Ich will da nicht in technokratische Details gehen. Ich glaube, da wird man sich einigen können.

Aber an erster Stelle steht doch, dass hier etwas gemacht wird, was gegenüber dem jetzigen Zustand eine deutliche Verbesserung ist. 75 % der deutschen mittelständischen Betriebe werden mit der Erbschaftssteuer, bezogen auf ihr Betriebsvermögen, nie wieder etwas zu tun haben. Und ich werde richtig ärgerlich, wenn einige Leute den Eindruck vermitteln, als ob da eine Art Unglück passiert. Es gibt einzelne große Familienunternehmen, wirklich große Familienunternehmen, die uns Argumente liefern, dass sie eine Schlechterstellung haben können. Darum muss man sich kümmern und sehen, ob man für die nachjustieren kann. Aber im Übrigen halte ich daran fest, dass die Debatte dazu - in der Öffentlichkeit von einigen angeheizt - völlig grotesk ist.

Deutschlandradio Kultur: Im Grundsatz haben wir verstanden, dass es dem Bundesfinanzminister darum geht, erstens das irgendwie gerecht zu machen, zweitens so viel Steuern wie möglich einzunehmen, damit man den Haushalt mittelfristig konsolidieren kann. Sie wollen 2011 sogar eine schwarze Null schreiben. Wird Ihnen das auch gelingen, wenn wir eine konjunkturelle Eintrübung bekommen, was keiner hofft?

Steinbrück: Was die Konjunkturentwicklung betrifft, rate ich zur Mäßigung, entgegen der deutschen Neigung, entweder himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt zu sein. Die ersten eher wieder apokalyptischen Stimmen möchte ich doch zurückweisen. Gerade durch den Vortrag letzten Mittwoch im Kabinett, auch von dem Bundesbankpräsidenten, ist deutlich geworden, dass die Bundesregierung mit ihren Schätzungen auf der sehr vorsichtigen Seite liegt. Wir schätzen für dieses Jahr ein Wachstum von 1,7 %. Es spricht einiges dafür, dass das Wachstum in diesem Jahr höher ist und wir deshalb auf der sicheren Seite sind. Wir schätzen für das nächste Jahr 1,2% und es gibt viele Hinweise, dass das Wachstum auch etwas höher als 1,2 % sein könnte. Jedenfalls sind wir mit den 1,2% sehr konservativ. Deshalb sage ich, dass der Ansatz der Bundesregierung, eher die schlechteren Zahlen zu nehmen und nicht zweckoptimistisch zu sein, sich nach wie vor wie in den letzten Jahren ja auch bewährt hat.

Deutschlandradio Kultur: Die Opposition hat Bedenken. Sie sagt, Sie haben die Haushaltskonsolidierung im Wesentlichen über Steuermehreinnahmen gefahren, aber das Ausgabenproblem, nämlich Ausgaben zu kürzen, könnte Ihnen nach 2009, wenn die Konjunktur nicht mitspielt, dann durchaus ein Problem machen.

Steinbrück: Ja, "wenn, wenn, wenn". Es macht keinen Sinn, sich immer am schlechtesten Szenario zu orientieren. Darauf kann ich keine Haushalts- und Finanzpolitik machen. Ich mache das ja auch nicht auf der Basis des besten Szenarios. Aufgabe der Oppositionsfraktion ist es immer, eine gewisse andere Auffassung zu vertreten als die Regierung und sie daraus zu kritisieren. Ich will ein paar wenige Zahlen geben, ohne dass das in einen statistischen Mischmasch ausarten soll: Als diese große Koalition antrat, war das strukturelle Defizit des Bundes 55 Milliarden Euro. Wir sind jetzt runter auf 4 bis 5 Milliarden Euro. Ich fing an mit einer Nettoneuverschuldung für den ersten Haushalt, den ich vorgelegt habe, bei 38 Milliarden Euro. Jetzt bin ich bei 10,5 Milliarden, fast 25 %. Wir haben inzwischen ein gesamtstaatliches Defizit von null. Die gesamtstaatliche Schuldenstandsquote ist runtergegangen von 68 % auf 61,5 %. Und das denke ich mir ja nicht aus im Sinne von Agitation und Propaganda, sondern das ist Finanzstatistik, die jeder nachlesen kann. Also, vor dem Hintergrund bitte ich um ein abgewogenes Urteil.

Die Bundesregierung hat immer gesagt, dass wir nicht nur versuchen die Null zu schreiben in der Neuverschuldung. Sondern wir haben immer auch gesagt, wir wollen für bestimmte Bereiche, die wichtig sind für die Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft zusätzliches Geld ausgeben - für die Kinderbetreuung, für Infrastruktur, für Hochschulen, für Forschung und Entwicklung, auch für Entwicklungshilfe und andere Bereiche. Will sagen: Politik besteht nicht aus einem Entweder-Oder, sondern aus einem Sowohl-als-auch.

Deutschlandradio Kultur: Aber Sie geben eine Zielrichtung vor und Sie wollen noch mal 5 Milliarden einsparen bis 2011, mindestens. Wie wollen Sie das machen?

Steinbrück: Indem ich auch unter anderem beides mache, indem ich aus den Steuermehreinnahmen, die ich bekomme in der jetzigen Projektion, einen großen Teil nehme, um den nicht auszugeben, sondern in die Absenkung der Schulden hineinzustecken, und indem ich andere Etatansätze kürze, indem ich zum Beispiel auch weiter auf der Wegstrecke sein muss, Steuerschlupflöcher, Steuersubventionen zu schließen und auch manche Etatansätze absolut zurückfahre, was ja in den vergangenen drei Jahren nachweisbar gelungen ist.

Deutschlandradio Kultur: In der zweiten Runde der Föderalismusreform will die Union einen Schuldenstopp, einen Stopp für neue Kredite ab 2011 durchsetzen. Eigentlich müsste Ihnen das ja entgegen kommen. Warum sind Sie mit dem rigiden Vorschlag nicht einverstanden?

Steinbrück: Das ist eine Debatte in der Föderalismuskommission, die Sie dort beschreiben. Wo die Bandbreite ist, da wird es etwas komplizierter. Da ist ein Vorschlag des SPD-Vorsitzenden in dieser Föderalismuskommission. Herr Struck sagt, wir sollten 0,75 % strukturelles Defizit erlauben. Also, 0,75 % des Bruttosozialproduktes soll man Schulden machen dürfen. Und die Union sagt: Null! Mein eigener Vorschlag läuft in ziemlicher Analogie gegenüber dem Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt auf 0,5 %. Warum? Ich glaube, dass Haushalte in einem gewissen Ausmaß atmen können müssen.

Deutschlandradio Kultur: Auch in guten Zeiten?

Steinbrück: Ja, wobei ich zugebe, dann muss eine gewisse Symmetrie gewährleistet sein. Ich will sagen: Wenn man in schlechten Zeiten versucht, gegen die schlechte Konjunktur antizyklisch auch Ausgaben zu tätigen, dann muss man in guten Zeiten diese Schulden wieder tilgen.

Deutschlandradio Kultur: Welche Lösung Sie auch immer finden werden, ein anderer Kernpunkt ist die Frage der Sanktionen. Was machen Sie mit finanzschwachen Ländern und Gemeinden, damit sie sich auch an die künftigen Schuldenregeln halten?

Steinbrück: Das ist noch nicht zu Ende diskutiert. Sie reden darüber, dass wir eine Art Stabilitätsrat einführen wollen, so ähnlich, wie das ja auf europäischer Ebene ja der Fall ist. Ich gebe Ihnen recht, dieser Stabilitätsrat sollte nicht nur bestimmte Berichtspflichten definieren können, sondern er muss auch bestimmte - ich will mich vorsichtig und höflich ausdrücken -, er muss auch einen gewissen Druck ausüben können. Ich will die Debatte jetzt nicht darüber verwirren, dass ich da voreilig irgendwelche Steine ins Wasser schmeiße.

Deutschlandradio Kultur: Ende Oktober müsste die Linie festgelegt sein, damit sie die parlamentarischen Hürden im Bundestag und Bundesrat in dieser Legislaturperiode noch überspringen können. Ende Oktober muss Klarheit herrschen.

Steinbrück: Richtig, um das ganze Verfahren in Bundestag und Bundesrat zum Abschluss zu bringen, sollten die jeweiligen Einbringungen in den Bundestag spätestens im späten Herbst diesen Jahres der Fall sein. Wir sollten auch die jetzige Situation natürlich nutzen, dass die Koalition jeweils zwei Drittel Mehrheiten hat, also verfassungsändernde Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat.

Deutschlandradio Kultur: Sie brauchen aber noch einen Dritten im Bunde oder einen Vierten, wenn man will, die Liberalen. Hilft Ihnen das?

Steinbrück: Die Liberalen sind in einigen Landesparlamenten bzw. Landesregierungen natürlich vertreten, haben daher eine Position, das Abstimmungsverhalten auch von großen Ländern, wie Nordrhein-Westfalen, mitzubestimmen. Insofern wird es darum gehen, auch die FDP einzuladen, wobei ich den Eindruck habe, dass prinzipiell die FDP für eine sehr viel rigidere Schuldenregelung ist.

Deutschlandradio Kultur: Also, diese historische Chance besteht, sie muss spätestens im Oktober genutzt werden. Darauf können wir uns einigen?

Steinbrück: Ja. Und ich halte es auch für notwendig, dass die Föderalismuskommission II ein Ergebnis vorlegt, weil es doch ein ziemliches Armutszeugnis wäre, wenn wir uns nicht einigen.

Deutschlandradio Kultur: Herr Steinbrück, wir danken für das Gespräch.