Steinbach: Stauffenberg darf kein Mythos werden
Der Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Peter Steinbach, hat vor einer Mythenbildung um die Person des Hitler-Attentäters Stauffenberg gewarnt. Aufgabe der Historiker sei es, einer Heroisierung entgegenzuwirken, sagte er am 100. Geburtstag des Widerständlers.
Dieter Kassel: Was wäre wohl geschehen, wäre das Attentat auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 geglückt? Diese Frage haben sich sehr viele Menschen schon gestellt. Claus Graf von Stauffenberg, der Ausführende des missglückten Anschlages, sicher auch, er aber hatte dafür nicht viel Zeit. Wenige Stunden nach dem Stauffenberg erst am Abend des 20. erfahren hatte, dass Hitler noch lebte, wurde er hingerichtet. Danach passierte genau das, was er selbst zu Lebzeiten noch prophezeit hatte, Stauffenberg galt als Verräter. Das blieb eine Weile so. Inzwischen, das wissen wir, hat sich das grundlegend geändert, und Stauffenberg zählt inzwischen als einer der größten Helden des deutschen Widerstandes. Heute, an seinem 100. Geburtstag, wird er ausführlich gewürdigt, unter anderem im Zollernalbkreis in Baden-Württemberg, wo auf Schloss Lautlingen eine neue Gedenkstätte eingeweiht wird. Wir würdigen Claus von Stauffenberg auch, und zwar mit einem Gespräch mit dem Stauffenberg-Biografen und Leiter der Gedenkstätte "Deutscher Widerstand" Peter Steinbach. Schönen guten Morgen, Herr Steinbach!
Peter Steinbach: Guten Morgen!
Kassel: Ab wann, wenn man das festmachen kann ab einem Datum, wurde Stauffenberg plötzlich von einer doch umstrittenen Person zu einem großen Helden in Deutschland?
Steinbach: Das geschah stufenweise. Zunächst galt er den Deutschen als Verräter. Mehrheitlich lehnten die Deutschen Anfang der 50er Jahre ab, überhaupt eine Straße oder eine Schule nach Stauffenberg zu nennen. Das änderte sich dann allerdings Mitte der 50er Jahre in dem Moment, als die Bundeswehr begann, eine eigene Tradition zu bilden. Da bediente man sich des militärischen Widerstandes offiziell. Inoffiziell war der Widerstand weiterhin umstritten. Träger des Namens von Widerstandskämpfern hatten es bei der Bundeswehr zunächst wirklich nicht leicht. Ein weiterer Schub setzte dann eigentlich allerdings erst nach der Jahrhundertwende ein durch die ganz großen Spielfilme von Jo Baier und von anderen. Da merken wir einfach, dass die Auseinandersetzung mit Geschichte heute vor allen Dingen medial vermittelt ist. Historiker, Zeithistoriker, die dicke Biografien geschrieben haben, die haben eigentlich das öffentliche Stauffenberg-Bild gar nicht so verändern können, denn das war geprägt durch die Diskussionen an den Stammtischen über den angeblichen Dilettantismus, an die Vermessenheit, an zwei Orten gleichzeitig sein zu können, aber auf Stauffenberg selbst hat man sich eigentlich gar nicht so sehr eingelassen.
Kassel: Was auch Folgen hatte eben für diese Gedenkkultur, denn man muss ja sagen, Stauffenberg ist geboren natürlich im Bundesland Bayern, aber er hat ja einen großen Teil seiner Jugend und Kindheit in Stuttgart verbracht, und auch die Stuttgarter, die Baden-Württemberger haben ja nach dem Krieg eine Weile gebraucht, um ihn plötzlich ehren zu wollen.
Steinbach: Die Baden-Württemberger haben zwei bedeutende Regimegegner hervorgebracht, nämlich Elser, den Schreiner, der 1939 Hitler fast beseitigt hätte durch den Anschlag auf den Bürgerbräukeller, und Stauffenberg. Und sie haben in beiden Fällen lange gebraucht, angemessene Ehrung zu finden. Stauffenberg hat nun zwei Gedenkstätten im Ländle, im Alten Schloss und in Lautlingen. Elser hat eine wunderbare Gedenkstätte in seinem Heimatort. Ich denke, das ist eine ganze Menge, und zeigt eigentlich, dass die Deutschen inzwischen in der Lage sind zu begreifen, dass sich Widerstand gegen ein Unrechtsregime richtete, und dass er deshalb eben auch moralisch und ethisch gewürdigt werden kann.
Kassel: Ist aber nicht, Herr Steinbach, die Sichtweise, die wir heute oft erleben, wenn wir wieder bei Stauffenberg bleiben, die Sichtweise auf eine Lichtgestalt, einen reinen Helden? Manchmal haben wir das Gefühl, da wird bald ein Heiligenschein entstehen. Ist die nicht genauso einseitig wie die alte Sichtweise auf jemanden, den man als Verräter empfand? War er nicht eine viel vielschichtigere Person?
Steinbach: Unbedingt ja. Und ich glaube auch, dass unsere Aufgabe als Historiker darin liegt, diese Mythenbildung, diese Erzeugung von Fraglosigkeit zu zerstören. Tatsache ist, dass Stauffenberg Brüche in seinem Leben zu bewältigen hatte. 1907 geboren, ist er elf Jahre alt, als die Monarchie zusammenbricht. Das bedeutet einen sozialen Abstieg. Er ist 1926 mit Mühe in die Reichswehr reingekommen, eine bewaffnete Macht, die ganz, ganz geringe Karriereaussichten bot. Das veränderte sich erst mit der nationalsozialistischen Machtergreifung, mit der Expansion der Wehrmacht. Stauffenberg beteiligt sich an den Kriegsplänen. Er beteiligt sich auch an der Kriegsführung. Er kämpft in Polen, er kämpft in Frankreich. Und er wird dann zwischen 1942 und 1943 allmählich zum Regime-Kritiker, der sich aber noch nicht auflehnt. Das geschieht im Grunde erst seit 1943, als er die Kritik an dem Regime in Handlung, sein Bruder Alexander sprach von "reiner Tat", bündelte. Wichtig für Stauffenberg sind ganz sicherlich Traditionsbezüge, die er nicht ablegt, ist etwa die Orientierung an dem uns heute sehr fremd anmutenden Georgeschen Weltbild. Aber wir können das integrieren, wir können die Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit des Dritten Reiches, mit verbrecherischer Kriegsführung, verantwortungsloser Verheizung von Mannschaften mit einem wirklich verbrecherischen Umgang mit der Bevölkerung in den besetzten Gebieten zusammenbringen mit den Traditionen, die Stauffenberg dann demonstrativ mobilisiert, indem er etwa Stefan George zitiert.
Kassel: Wir haben Stefan George damit ausführlich erwähnt, der etwas eigenartige Dichter. Ich glaube, dieser Freundeskreis, den er damals um sich scharrte, das sagen ja auch einige Historiker, den würde man heute bei jemandem anderen durchaus als Fangruppe sogar bezeichnen.
Steinbach: Er bezeichnet sich als Meister, als Lehrer und er verlangt im Grunde auch die Gestaltung der Lebensform, aber er verlangt keinen unbedingten Gehorsam, und er verlangt von seinen Leuten, dass sie in die Welt gehen, dass sie im Grunde das Konzept dieses Kreises, das Ästhetische, massendemokratisch sehr kritische Konzept vertreten.
Kassel: Wenn man das mal zusammenfasst, zuerst, als noch relativ junger Mann, war Claus von Stauffenberg auch zusammen mit seinem Bruder ein Teil dieses Jüngerkreises von Stefan George. Später war er am Anfang ja infiziert von diesem NS-Virus und hatte da eine gewisse Begeisterung. War das eine ganze Weile lang ein leicht verführbarer Mensch offenbar?
Steinbach: Ich glaube, wir müssen akzeptieren, dass auch Regimegegner, zumindest wenn sie aus dem bürgerlichen und aus dem militärischen Umkreis kommen, viele Ziele mit den Nationalsozialisten geteilt haben, die sie erst im Laufe der Zeit überwinden. Natürlich wären uns geborene Regimegegner, Sozialdemokraten, Kommunisten, entschiedene Christen viel, viel lieber. Aber die Überwindung von Positionen, die man mit den Gegnern, die man bedingungslos bekämpft, zunächst geteilt hat, ist natürlich eine ganz spannende Geschichte. Welche Traditionen werden mobilisiert? Wie reagiert man auf die Wirklichkeit, in der man steht? Wie versucht man, andere zu überzeugen, Freunde zu gewinnen? Wie bereitet man im Grunde dann einen Umsturzversuch unter extremen Bedingungen vor? Das sind Fragen, die Sie im Grunde durch die von Ihnen angesprochene, kritisch angesprochene, Heroisierung überhaupt nicht in den Griff bekommen. Deshalb möchte ich wirklich ganz deutlich sagen, Historiker haben auch angesichts der Biografie von Stauffenberg zunächst einmal als Zerstörer zu wirken. Sie haben im Grunde jede Mystifizierung kritisch zu hinterfragen, um auf diese Art und Weise an menschliche Handlungsdimensionen heranzukommen, die dann für alle, die sich damit auseinandersetzen, wichtig sind. Das müsste ein Anliegen sein, gerade am 100. Geburtstag von Stauffenberg.
Kassel: Wir reden hier im Deutschlandradio Kultur gerade an diesem 100. Geburtstag mit Peter Steinbach, dem Leiter der Gedenkstätte "Deutscher Widerstand" und Stauffenberg-Biografen. Dann lassen Sie uns über diese Operation "Walküre" reden. Dazu muss man ja mehrere Dinge sagen. Stauffenberg ist ja auch der große Held, weil er am Ende, am 20. Juli 1944, der Mann mit der Bombe war. Das heißt, er war das ausführende Organ. Wie groß war denn aber tatsächlich bei der Vorbereitung, bei der Planung der gesamten Operation, das Attentat wäre ja nur der Anfang gewesen, wenn es funktioniert hätte, wie wichtig war da Stauffenberg auch im Kontext mit den anderen?
Steinbach: Er kommt relativ spät erst in diesen Kontext rein. Die Operation "Walküre" ist von General Olbricht, von Oberst Tresckow erdacht worden. Sie nutzten im Grunde die Urangst der Nationalsozialisten vor einem Aufstand im Heimatgebiet aus und haben den Nationalsozialisten eingeredet, auf solch einen Umsturzversuch könnte man sich vorbereiten. Und sie haben dann im Grunde diese Pläne benutzt für den Fall eines von ihnen selbst herbeigeführten Umsturzes nach Ausschaltung der NS-Führung. Sie brauchten im Grunde einen Attentäter, oder nein, sie brauchten im Grunde einen Offizier, der unmittelbaren Zugang zu Hitler hatte. Er hatte nur wenige Tage Zeit, um dieses Attentat vorzubereiten und auszuführen. Wir wissen bis heute nicht, warum er dann im Grunde so stark forcierte. Vieles hängt sicherlich damit zusammen, dass den Nationalsozialisten unmittelbar vor dem Anschlag gelungen war, einen nach dem anderen der Unterstützer zu verhaften. Das waren alles Dinge, die Stauffenberg antrieben.
Kassel: Stauffenberg ist, deshalb reden wir ja heute auch so ausführlich über ihn, inzwischen eine akzeptierte Figur. Sie haben ja schon gesagt, man muss sogar davor warnen, es da zu übertreiben mit der Heroisierung. Im Jahr 2007, Herr Steinbach, wie ist es denn mit den Menschen des Widerstandes im Dritten Reich? Es gab ja viele, von ganz kleinen Fällen bis hin zu größeren. Ist eigentlich die Zeit, wo einige noch immer nicht anerkannt sind, wo sie verleugnet werden, wo sie ignoriert werden mindestens, ist die inzwischen völlig vorbei, oder gibt es da noch andere zu entdecken?
Steinbach: Nein, wir haben in den vergangenen 50, 60 Jahren natürlich die Breite und die Vielfalt des Widerstandes wahrgenommen. Der militärische Aspekt oder der militärische Widerstand, über den wir reden, ist ja nur ein Teilaspekt. Ich denke, dass wir weitere Dimensionen erschließen müssen. Wir haben die Anerkennung der Desertion hinter uns. Das ist gewissermaßen durchgesetzt worden. Das, was das ganz große Thema der Zukunft in der Widerstandsgeschichte ist, ist die Auseinandersetzung mit Menschen, die wirklich Zivilcourage zeigen, indem sie zum Beispiel verfolgten Menschen, verfolgten Juden beistehen. Wir sprechen von unbesungenen Helden, wir sprechen von stillen Helfern. Ich denke, das ist ein Thema der Widerstandsgeschichte, das genauso bedeutend ist, wie die Auseinandersetzung mit dem militärischen Widerstand. Generell geht es ja bei der Beschäftigung mit dem Widerstand darum, die Grenzen und Ziele des Staates kritisch zu reflektieren. Widerstand richtet sich gegen einen übertriebenen Herrschaftsanspruch von staatlichen Gemeinwesen, und insofern handelt es sich um ein Thema, das wahrscheinlich niemals an Aktualität verlieren wird.
Kassel: Peter Steinbach, der Leiter der Gedenkstätte "Deutscher Widerstand" und Autor einer neuen Stauffenberg-Biografie, die gerade in diesem Moment pünktlich zum 100. Geburtstag im DRW Verlag erschienen ist. Herr Steinbach, ich danke Ihnen!
Steinbach: Ich danken Ihnen auch!
Peter Steinbach: Guten Morgen!
Kassel: Ab wann, wenn man das festmachen kann ab einem Datum, wurde Stauffenberg plötzlich von einer doch umstrittenen Person zu einem großen Helden in Deutschland?
Steinbach: Das geschah stufenweise. Zunächst galt er den Deutschen als Verräter. Mehrheitlich lehnten die Deutschen Anfang der 50er Jahre ab, überhaupt eine Straße oder eine Schule nach Stauffenberg zu nennen. Das änderte sich dann allerdings Mitte der 50er Jahre in dem Moment, als die Bundeswehr begann, eine eigene Tradition zu bilden. Da bediente man sich des militärischen Widerstandes offiziell. Inoffiziell war der Widerstand weiterhin umstritten. Träger des Namens von Widerstandskämpfern hatten es bei der Bundeswehr zunächst wirklich nicht leicht. Ein weiterer Schub setzte dann eigentlich allerdings erst nach der Jahrhundertwende ein durch die ganz großen Spielfilme von Jo Baier und von anderen. Da merken wir einfach, dass die Auseinandersetzung mit Geschichte heute vor allen Dingen medial vermittelt ist. Historiker, Zeithistoriker, die dicke Biografien geschrieben haben, die haben eigentlich das öffentliche Stauffenberg-Bild gar nicht so verändern können, denn das war geprägt durch die Diskussionen an den Stammtischen über den angeblichen Dilettantismus, an die Vermessenheit, an zwei Orten gleichzeitig sein zu können, aber auf Stauffenberg selbst hat man sich eigentlich gar nicht so sehr eingelassen.
Kassel: Was auch Folgen hatte eben für diese Gedenkkultur, denn man muss ja sagen, Stauffenberg ist geboren natürlich im Bundesland Bayern, aber er hat ja einen großen Teil seiner Jugend und Kindheit in Stuttgart verbracht, und auch die Stuttgarter, die Baden-Württemberger haben ja nach dem Krieg eine Weile gebraucht, um ihn plötzlich ehren zu wollen.
Steinbach: Die Baden-Württemberger haben zwei bedeutende Regimegegner hervorgebracht, nämlich Elser, den Schreiner, der 1939 Hitler fast beseitigt hätte durch den Anschlag auf den Bürgerbräukeller, und Stauffenberg. Und sie haben in beiden Fällen lange gebraucht, angemessene Ehrung zu finden. Stauffenberg hat nun zwei Gedenkstätten im Ländle, im Alten Schloss und in Lautlingen. Elser hat eine wunderbare Gedenkstätte in seinem Heimatort. Ich denke, das ist eine ganze Menge, und zeigt eigentlich, dass die Deutschen inzwischen in der Lage sind zu begreifen, dass sich Widerstand gegen ein Unrechtsregime richtete, und dass er deshalb eben auch moralisch und ethisch gewürdigt werden kann.
Kassel: Ist aber nicht, Herr Steinbach, die Sichtweise, die wir heute oft erleben, wenn wir wieder bei Stauffenberg bleiben, die Sichtweise auf eine Lichtgestalt, einen reinen Helden? Manchmal haben wir das Gefühl, da wird bald ein Heiligenschein entstehen. Ist die nicht genauso einseitig wie die alte Sichtweise auf jemanden, den man als Verräter empfand? War er nicht eine viel vielschichtigere Person?
Steinbach: Unbedingt ja. Und ich glaube auch, dass unsere Aufgabe als Historiker darin liegt, diese Mythenbildung, diese Erzeugung von Fraglosigkeit zu zerstören. Tatsache ist, dass Stauffenberg Brüche in seinem Leben zu bewältigen hatte. 1907 geboren, ist er elf Jahre alt, als die Monarchie zusammenbricht. Das bedeutet einen sozialen Abstieg. Er ist 1926 mit Mühe in die Reichswehr reingekommen, eine bewaffnete Macht, die ganz, ganz geringe Karriereaussichten bot. Das veränderte sich erst mit der nationalsozialistischen Machtergreifung, mit der Expansion der Wehrmacht. Stauffenberg beteiligt sich an den Kriegsplänen. Er beteiligt sich auch an der Kriegsführung. Er kämpft in Polen, er kämpft in Frankreich. Und er wird dann zwischen 1942 und 1943 allmählich zum Regime-Kritiker, der sich aber noch nicht auflehnt. Das geschieht im Grunde erst seit 1943, als er die Kritik an dem Regime in Handlung, sein Bruder Alexander sprach von "reiner Tat", bündelte. Wichtig für Stauffenberg sind ganz sicherlich Traditionsbezüge, die er nicht ablegt, ist etwa die Orientierung an dem uns heute sehr fremd anmutenden Georgeschen Weltbild. Aber wir können das integrieren, wir können die Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit des Dritten Reiches, mit verbrecherischer Kriegsführung, verantwortungsloser Verheizung von Mannschaften mit einem wirklich verbrecherischen Umgang mit der Bevölkerung in den besetzten Gebieten zusammenbringen mit den Traditionen, die Stauffenberg dann demonstrativ mobilisiert, indem er etwa Stefan George zitiert.
Kassel: Wir haben Stefan George damit ausführlich erwähnt, der etwas eigenartige Dichter. Ich glaube, dieser Freundeskreis, den er damals um sich scharrte, das sagen ja auch einige Historiker, den würde man heute bei jemandem anderen durchaus als Fangruppe sogar bezeichnen.
Steinbach: Er bezeichnet sich als Meister, als Lehrer und er verlangt im Grunde auch die Gestaltung der Lebensform, aber er verlangt keinen unbedingten Gehorsam, und er verlangt von seinen Leuten, dass sie in die Welt gehen, dass sie im Grunde das Konzept dieses Kreises, das Ästhetische, massendemokratisch sehr kritische Konzept vertreten.
Kassel: Wenn man das mal zusammenfasst, zuerst, als noch relativ junger Mann, war Claus von Stauffenberg auch zusammen mit seinem Bruder ein Teil dieses Jüngerkreises von Stefan George. Später war er am Anfang ja infiziert von diesem NS-Virus und hatte da eine gewisse Begeisterung. War das eine ganze Weile lang ein leicht verführbarer Mensch offenbar?
Steinbach: Ich glaube, wir müssen akzeptieren, dass auch Regimegegner, zumindest wenn sie aus dem bürgerlichen und aus dem militärischen Umkreis kommen, viele Ziele mit den Nationalsozialisten geteilt haben, die sie erst im Laufe der Zeit überwinden. Natürlich wären uns geborene Regimegegner, Sozialdemokraten, Kommunisten, entschiedene Christen viel, viel lieber. Aber die Überwindung von Positionen, die man mit den Gegnern, die man bedingungslos bekämpft, zunächst geteilt hat, ist natürlich eine ganz spannende Geschichte. Welche Traditionen werden mobilisiert? Wie reagiert man auf die Wirklichkeit, in der man steht? Wie versucht man, andere zu überzeugen, Freunde zu gewinnen? Wie bereitet man im Grunde dann einen Umsturzversuch unter extremen Bedingungen vor? Das sind Fragen, die Sie im Grunde durch die von Ihnen angesprochene, kritisch angesprochene, Heroisierung überhaupt nicht in den Griff bekommen. Deshalb möchte ich wirklich ganz deutlich sagen, Historiker haben auch angesichts der Biografie von Stauffenberg zunächst einmal als Zerstörer zu wirken. Sie haben im Grunde jede Mystifizierung kritisch zu hinterfragen, um auf diese Art und Weise an menschliche Handlungsdimensionen heranzukommen, die dann für alle, die sich damit auseinandersetzen, wichtig sind. Das müsste ein Anliegen sein, gerade am 100. Geburtstag von Stauffenberg.
Kassel: Wir reden hier im Deutschlandradio Kultur gerade an diesem 100. Geburtstag mit Peter Steinbach, dem Leiter der Gedenkstätte "Deutscher Widerstand" und Stauffenberg-Biografen. Dann lassen Sie uns über diese Operation "Walküre" reden. Dazu muss man ja mehrere Dinge sagen. Stauffenberg ist ja auch der große Held, weil er am Ende, am 20. Juli 1944, der Mann mit der Bombe war. Das heißt, er war das ausführende Organ. Wie groß war denn aber tatsächlich bei der Vorbereitung, bei der Planung der gesamten Operation, das Attentat wäre ja nur der Anfang gewesen, wenn es funktioniert hätte, wie wichtig war da Stauffenberg auch im Kontext mit den anderen?
Steinbach: Er kommt relativ spät erst in diesen Kontext rein. Die Operation "Walküre" ist von General Olbricht, von Oberst Tresckow erdacht worden. Sie nutzten im Grunde die Urangst der Nationalsozialisten vor einem Aufstand im Heimatgebiet aus und haben den Nationalsozialisten eingeredet, auf solch einen Umsturzversuch könnte man sich vorbereiten. Und sie haben dann im Grunde diese Pläne benutzt für den Fall eines von ihnen selbst herbeigeführten Umsturzes nach Ausschaltung der NS-Führung. Sie brauchten im Grunde einen Attentäter, oder nein, sie brauchten im Grunde einen Offizier, der unmittelbaren Zugang zu Hitler hatte. Er hatte nur wenige Tage Zeit, um dieses Attentat vorzubereiten und auszuführen. Wir wissen bis heute nicht, warum er dann im Grunde so stark forcierte. Vieles hängt sicherlich damit zusammen, dass den Nationalsozialisten unmittelbar vor dem Anschlag gelungen war, einen nach dem anderen der Unterstützer zu verhaften. Das waren alles Dinge, die Stauffenberg antrieben.
Kassel: Stauffenberg ist, deshalb reden wir ja heute auch so ausführlich über ihn, inzwischen eine akzeptierte Figur. Sie haben ja schon gesagt, man muss sogar davor warnen, es da zu übertreiben mit der Heroisierung. Im Jahr 2007, Herr Steinbach, wie ist es denn mit den Menschen des Widerstandes im Dritten Reich? Es gab ja viele, von ganz kleinen Fällen bis hin zu größeren. Ist eigentlich die Zeit, wo einige noch immer nicht anerkannt sind, wo sie verleugnet werden, wo sie ignoriert werden mindestens, ist die inzwischen völlig vorbei, oder gibt es da noch andere zu entdecken?
Steinbach: Nein, wir haben in den vergangenen 50, 60 Jahren natürlich die Breite und die Vielfalt des Widerstandes wahrgenommen. Der militärische Aspekt oder der militärische Widerstand, über den wir reden, ist ja nur ein Teilaspekt. Ich denke, dass wir weitere Dimensionen erschließen müssen. Wir haben die Anerkennung der Desertion hinter uns. Das ist gewissermaßen durchgesetzt worden. Das, was das ganz große Thema der Zukunft in der Widerstandsgeschichte ist, ist die Auseinandersetzung mit Menschen, die wirklich Zivilcourage zeigen, indem sie zum Beispiel verfolgten Menschen, verfolgten Juden beistehen. Wir sprechen von unbesungenen Helden, wir sprechen von stillen Helfern. Ich denke, das ist ein Thema der Widerstandsgeschichte, das genauso bedeutend ist, wie die Auseinandersetzung mit dem militärischen Widerstand. Generell geht es ja bei der Beschäftigung mit dem Widerstand darum, die Grenzen und Ziele des Staates kritisch zu reflektieren. Widerstand richtet sich gegen einen übertriebenen Herrschaftsanspruch von staatlichen Gemeinwesen, und insofern handelt es sich um ein Thema, das wahrscheinlich niemals an Aktualität verlieren wird.
Kassel: Peter Steinbach, der Leiter der Gedenkstätte "Deutscher Widerstand" und Autor einer neuen Stauffenberg-Biografie, die gerade in diesem Moment pünktlich zum 100. Geburtstag im DRW Verlag erschienen ist. Herr Steinbach, ich danke Ihnen!
Steinbach: Ich danken Ihnen auch!

"Stauffenberg"-Film von Jo Baier mit Sebastian Koch (Mitte) in der Hauptrolle, Axel Milberg (links) als Generaloberst Fromm und Christopher Buchholz als Berthold Stauffenberg.© AP-Archiv