Steinbach: "Es geht nicht um meine Person"

Erika Steinbach im Gespräch mit Patrick Garber und Ulrich Ziegler |
Der Bund der Vertriebenen (BdV) will auch künftig auf seinen bisher unbesetzten Platz im Stiftungsrat der Gedenkstätte für die Vertriebenen in Berlin nicht verzichten. Ihr Verband habe sich für das Mittel des "leeren Stuhls" entschieden, weil sonst eine Blockade des gesamten Projekts durch die SPD gedroht habe, betonte BdV-Präsidentin Erika Steinbach.
Deutschlandradio Kultur: Frau Steinbach, Sie sind unter anderem gelernte Geigerin. Für dieses Instrument braucht man ja ein sehr feines Gehör. Stören Sie da nicht manchmal die Dissonanzen speziell im deutsch-polnischen Verhältnis?

Erika Steinbach: Es gibt ja viele zeitgenössisches Kompositionen, die sehr dissonant sind und trotzdem interessant.

Deutschlandradio Kultur: Allerdings geht es da ja oft nicht so sehr um das Zeitgenössische, sondern um die Vergangenheit.

Erika Steinbach: Auch zeitgenössische Musik lebt aus dem Erbe der Vergangenheit. Das muss man eindeutig sehen. Unsere ganzen heutigen Debatten, die sehr lebendig sind, zum Teil auch kontrovers, haben ja ihre Wurzeln auch in der Vergangenheit.

Deutschlandradio Kultur: Jetzt unterstellen wir Ihnen mal, dass Sie gerne einen harmonischen Klang im Verhältnis zwischen den Deutschen und den Polen haben wollen. Welchen Beitrag können Sie als Präsidentin des Bundes der Vertriebenen leisten?

Erika Steinbach: Es ist wichtig, dass wir ein gutes Miteinander zwischen allen Ländern haben, mit denen wir hier in der Europäischen Union zusammenleben. Und Deutschland, Polen leben Tür an Tür. Vor dem Hintergrund bin ich sehr zuversichtlich, dass wir in der Zukunft auch viele Gemeinsamkeiten entdecken werden. Die gibt es heute schon. Insbesondere die Mitglieder des Bundes der Vertriebenen, meine Landsmannschaften, reisen ja tagtäglich in die Heimat, ob das in dem Bereich Schlesien oder Ostpreußen ist oder in die Tschechische Republik, in den Sudetenbereich oder auch nach Ungarn, aus dem Deutsche auch vertrieben wurden, also, die deutschen Heimatvertriebenen stammen ja aus ganz Mittel-, Ost-, Südost-Europa. Da wird vieles an Gemeinsamkeiten dabei herauskristallisiert. Das dient dem Miteinander und da gibt es inzwischen sehr viele, sogar freundschaftliche Kontakte. Ich bin überzeugt, wenn es überall so konstruktiv wäre, wie in diesen Gesprächen an der Basis, von Mensch zu Mensch, dann stünde es um manches nicht so verkrampft.

Deutschlandradio Kultur: Steckt dahinter auch ein Vorwurf? Wenn wir mal nach Polen schauen, dass Sie sagen, die polnische Seite müsste mehr auf Ihre Befindlichkeiten zugehen?

Erika Steinbach: Insgesamt ist wichtig, dass man aufeinander hört, die Regierungen versuchen Sensibilität zu wecken für die jeweils anderen Befindlichkeiten. Das ist von Mensch zu Mensch so, aber unter Regierungen sollte das vielleicht ähnlich sein, dass man versucht die Traumata der eigenen Bevölkerung den anderen auch plausibel zu machen und zu erklären, warum, und daraus dann auch die Gemeinsamkeiten herauszufinden.

Deutschlandradio Kultur: Bei diesem Versuch haben Sie als Person gerade in Polen eine sehr schlechte Presse. Aber auch jemand wie Wladyslaw Bartoschewski, der Deutschlandbeauftragte der polnischen Regierung, hat Sie in letzter Zeit sehr scharf angegriffen. Ob er Sie eine "blonde Bestie" genannt hat oder nicht, das mag dahingestellt sein, aber er hat Sie zum Beispiel in die Nähe des Holocaust-Leugners Willemsen gerückt. Ist das nicht sehr verletzend?

Erika Steinbach: Bartoschewski ist in dieser Frage inzwischen fast eine tragische Figur und ich möchte mich zu ihm wirklich nicht öffentlich äußern, weil er auf der einen Seite große Verdienste um das deutsch-polnische Miteinander hat und das, was in den letzten Wochen zu hören war, ihm persönlich sehr geschadet hat. Es hat eine tragische Note und darum möchte ich das auch nicht weiter kommentieren.

Deutschlandradio Kultur: Lassen wir mal Herrn Bartoschewski weg und nehmen die gesamte polnische Regierung, den Eindruck, den die Medien in Polen dokumentieren, was Ihre Person betrifft. Die haben Schwierigkeiten mit Ihnen, trotz all der Positionen, die Sie nennen und sagen, Versöhnung ist eigentlich das, was im Vordergrund steht. Warum läuft die Kommunikation nicht?

Erika Steinbach: Alle Präsidenten des Bundes der Vertriebenen waren in Polen Feindbilder. Sie wurden missbraucht, um Emotionen zu schüren. Das ging meinen Vorgängern so. Herbert Czaja, der ja nun sogar polnisch gesprochen hat, der in Polen aufgewachsen ist, weil die Stadt, in der er lebte, nach dem 1. Weltkrieg an Polen gefallen ist, der in Krakau an der Universität gelehrt hat und der sich weigerte der NSDAP beizutreten, als dann Polen okkupiert wurde, aber auch er war DAS Feindbild in Polen, obwohl er ein Polenfreund gewesen ist. Also, damit lebe ich. Ich weiß, dass das mit diesem Amt zwangsläufig irgendwie verbunden ist. Ich hatte eigentlich gehofft, dass sich das in diesem Jahrtausend vielleicht etwas mildert. Aber ich bin von Hause aus Optimist und ich bin auch überzeugt, es wird sich irgendwann wieder glätten.

Deutschlandradio Kultur: In Polen wird Ihnen vorgehalten, dass Sie 1991 gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze gestimmt haben. Sie haben nicht gegen den EU-Beitritt oder den Nato-Beitritt Polens gestimmt. Allerdings haben Sie da doch auch gewisse Vorbehalte durchscheinen lassen. Macht das Sie zur geeigneten Person, um dieses diffizile Thema Vertreibung, das ja zwischen Deutschen und Polen nach wie vor sehr belastet ist, die deutsche Seite zu vertreten?

Erika Steinbach: Man muss immer aufrichtig miteinander umgehen. Insofern ist es schon wichtig zu wissen, dass der Grund, weshalb Kollegen und ich gegen den Grenzbestätigungsvertrag gestimmt haben - in einer Protokollnotiz des Deutschen Bundestages auch festgehalten ist. Wir haben nämlich damals deutlich gemacht, dass es wichtig sei, auch die Eigentumsfrage gleichzeitig mit zu regeln, weil wir darin ein großes Gefahrenpotenzial für das deutsch-polnische Miteinander gesehen haben. Wie recht wir damals hatten, hat sich an den heftigen Debatten über die Eigentumsfrage gezeigt, die mit Gründung der Preußischen Treuhand hier in Deutschland und der anschließenden Gründung der Polnischen Treuhand in Polen aufgekommen sind. Das ist ein großer Stein des Anstoßes und macht natürlich Menschen in Polen Angst, dass sie das Dach über dem Kopf verlieren könnten. Das wollten wir damals mit geregelt haben, haben das auch zu Protokoll gegeben.

Deutschlandradio Kultur: 2006 gab es den Versuch der Preußischen Treuhand, die Rückübertragung von verlorenem Eigentum wieder zu erstreiten, und zwar über den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Der hat das Ganze für unzulässig erklärt. Jetzt könnte man einfach sagen: Jetzt ist die Geschichte da erledigt. Es ist eine Entscheidung gefallen und wir lassen die Finger davon. Stehen Sie dahinter?

Erika Steinbach: Die Klage ist abgewiesen worden, aber ich bin überzeugt davon, das Thema ist trotzdem nicht erledigt. In Europa kann jeder klagen. Und wenn ein anderer Anwalt andere Begründungen findet, dann ist es durchaus denkbar, dass diese Klagen Erfolg haben könnten. Aber ich sage Ihnen: Themen, die nicht ausgeräumt sind, die offenkundig liegen geblieben sind, das ist eine Verantwortung der Politik.

Deutschlandradio Kultur: Sie sind ja auch Politikerin.

Erika Steinbach: Ja. Deutschland hat sich damals geweigert, das Problem gleichzeitig mit anzupacken. Polen hätte es gerne gehabt. Ich nehme nicht hin, dass der Bund der Vertriebenen der Prügelknabe für ein Thema ist, das politisch gelöst werden muss. Wir sind ein Opferverband. Die Opfer, denen all das widerfahren ist, können das nicht regeln. Sie müssen darauf vertrauen, dass die Politik eine gemeinwohlverträgliche sensible Lösung findet.

Deutschlandradio Kultur: Wie soll die denn aussehen?

Erika Steinbach: Das ist mir jetzt völlig egal. Das muss die Politik regeln. Aber sie muss es regeln. Sie kann sich nicht drücken und sagen: Ihr müsst damit leben, wie es ist, und ihr seid letzten Endes die Schuldigen. In einer Demokratie ist das nicht erträglich.

Deutschlandradio Kultur: Aber Sie teilen sich doch da auf, einerseits als Präsidentin der Vertriebenen, andererseits als Politikerin. Sie sagen, als Vertriebenenpräsidentin argumentiere ich so. Als Politikerin müssten Sie doch versuchen dieses Thema voranzutreiben und schnellstmöglich zu lösen, so dass in Polen niemand mehr Angst haben muss, dass irgendwelche Vertriebenenverbände ihnen irgendwann das Haus wegnehmen.

Erika Steinbach: Als Politikerin habe ich meine Meinung dazu beim Grenzbestätigungsvertrag protokolliert. Ich habe gesagt, es ist nötig, die Eigentumsfrage zu regeln.

Deutschlandradio Kultur: Aber wie?

Erika Steinbach: Zurzeit ist kein Wille vorhanden.

Deutschlandradio Kultur: Aber als hochrangige Vertreterin des Opferverbandes müssten Sie doch eine Vorstellung haben, wie eine gerechte Lösung der Eigentumsfrage aussehen könnte.

Erika Steinbach: Eines ist wichtig. Sie muss gemeinwohlverträglich sein. Aber ich sage auch eines: Das zentrale Anliegen meines Verbandes ist das, was die Menschen an Leib und Seele erlitten haben. Das heißt, wir als Opferverband haben primär auch die Aufgabe, an das Schicksal der Menschen zu erinnern und dass das ein Thema aller Deutschen ist und nicht nur eines Teils der Deutschen. Ein Münchner, und Hitler sagte ja, "Hauptstadt der Bewegung München", wurde nicht vertrieben, weil er in München lebte. Aber ein Breslauer, ein Königsberger wurde vertrieben, obwohl er nicht mehr oder weniger Schuld an Hitler war. Ein Sudetendeutscher wurde auch vertrieben, obwohl er Hitler überhaupt nicht mitwählen konnte. Das heißt, es geht alle an.

Deutschlandradio Kultur: Das klingt so, als ginge es Ihnen vor allem um moralische Wiedergutmachung, um Anerkenntnis des Leides, das zugefügt worden ist, und nicht um materielle Dinge.

Erika Steinbach: Die Eigentumsfrage spielt in den Reihen meiner Mitglieder eine ganz nachrangige Rolle. Es ist eine Minderheit, für die das ein Kernthema ist. Die Mehrheit sagt, ich weiß, ich bekomme das nicht zurück. Das muss man auch sehen. Der größte Teil der Menschen hatte weder Haus noch Hof, sondern die lebten zur Miete. Das ist ja nicht so, dass das alles Großgrundbesitzer gewesen wären. Also, zu glauben, dass die Eigentumsfrage ein zentrales Thema unseres Verbandes wäre, ist ein Irrglaube. Vor dem Hintergrund kann man das ja auch feststellen, dass die Preußische Treuhand ja nun nicht den Zulauf hat, den sie sich selber versprochen hat.

Deutschlandradio Kultur: Also geht es Ihnen hauptsächlich um die symbolische Anerkennung des Leides, und zwar innerhalb der deutschen Gesellschaft, aber dann auch natürlich im Dialog mit der polnischen Gesellschaft. Was muss denn da zunächst stattfinden?

Erika Steinbach: Zunächst einmal, es ist nicht nur ein deutsch-polnisches Thema. Ich sage, es verstellt den Blick. Manche in Deutschland glauben ja inzwischen schon, dass Deutsche ausschließlich aus dem heute polnischen Bereich vertrieben worden wären. Das ist eben nicht so. Das sind praktisch alle Staaten Mittel-Süd-Ost-Europas gewesen. Es geht natürlich - da haben Sie völlig recht - um das Mitgefühl und das Mitgefühl zunächst einmal im eigenen Lande. Da konnte man ja durchaus feststellen, dass die Vertriebenen hier nicht mit großer Herzlichkeit aufgenommen worden sind, dass sich natürlich die einheimische Bevölkerung in weiten Teilen auch überfordert gefühlt hat, als auf einmal Hunderttausende, Millionen Menschen hier hineinkamen mit nichts als dem, was sie auf dem Körper trugen, und dann auch noch heruntergekommen aussahen, wenn sie vielleicht zwei Wochen in einem Viehwaggon durch die Landschaft gekarrt wurden. Das kann man vielleicht auch nachvollziehen, denn die Großstädte waren ja hier zerbombt und da war selber Elend vorhanden. Aber das Gefühl, nicht mit Herzlichkeit aufgenommen zu werden, das war schon weit verbreitet. Und das hat natürlich auch Schmerzen hinterlassen.

Ich glaube, es ist gelungen, in der deutschen Gesellschaft das Mitgefühl ein bisschen mehr wieder deutlich zu machen. Die Debatten, die sich in unseren Nachbarländern abspielen sind ja sehr heterogen. Da gibt es in der Slowakei eine andere Diskussion als in der Tschechischen Republik, obwohl die unter den gleichen Rechtsbedingungen damals vertrieben haben, wobei heute noch die Vertreibungsgesetz sind. In dem einen Land geht man pfleglich mit den Vertriebenen um, in den Gemeinsamkeiten in der Slowakei. In der Tschechischen Republik verweigert man jedes Gespräch auf Regierungsebene. Das ist sehr unterschiedlich. Ich glaube, für die Menschen, für die deutschen Vertriebenen ist es das Wichtigste, dass sie das Gefühl haben, der andere hört mir zu und versteht mich wenigstens ein bisschen, hat etwas Mitgefühl. Das hilft mehr, als Geld jemals helfen könnte.

Deutschlandradio Kultur: Ist das nicht auch eine Generationenfrage. Man kann sich als vielleicht jüngerer Mensch vorstellen, dass es in den 60er/ 70er Jahren des letzten Jahrhunderts eine zentrale und wichtige Frage war. Mittlerweile gibt es die zweite, die dritte Generation. Es gibt den EU-Beitritt Polens. Es gibt das Schengen-Abkommen. Es gibt die Nato-Partnerschaft. Die Mauer ist gefallen, so dass man sagen könnte und auch fragen muss: Die Fragen im 21. Jahrhundert, auch im Verhältnis zu osteuropäischen Ländern, die mittlerweile in der EU sind, sind doch völlig andere. Und diejenigen, die dieses Leid erfahren haben, werden doch immer weniger. Und ihre Kinder sind mittlerweile hier gut angekommen.

Erika Steinbach: Es gibt ja nun Studien, dass Traumata sich auch auf die Kinder und auf die Enkelkinder hin auswirken. Das hat die Holocaust-Forschung ergeben. Das haben jetzt inzwischen auch sehr viele Psychoanalytiker in Deutschland, bezogen auf die Vertriebenen und deren Nachkommen, erforscht. Es ist richtig. Mit der Europäischen Union sind die Grenzen offen. Ich glaube, das ist gut, weil man leichter dahin fahren kann, wo man hinfahren möchte. Im Bereich der Vertriebenen sind es natürlich die Orte, aus denen die Menschen stammen. Auch die hoch betagte Generation, das sehe ich innerhalb meines Verbandes, fährt häufig und gerne in die Heimatgebiete und pflegt die Kontakte dort, ohne Groll im Herzen. Und die Enkelgeneration ist neugierig. Die Kindergeneration dazwischen, wo ich eigentlich dazu gehöre, ist die sperrigste. Diese Kindergeneration, zu der ich gehöre, das sind diejenigen, wo auch heute auch noch manifest aggressive Ablehnung zu dem Thema artikuliert. Aber die Enkelgeneration ist durchgängig neugierig. Und das finde ich sehr gut. Denn die Zukunft unserer europäischen Länder liegt ja in der Jugend, dass die Jugend miteinander Gedanken austauscht, dass sie sich treffen, dass sie versuchen gemeinsame Aktivitäten zu entfalten und miteinander zu sprechen und dann vielleicht auch mal die Wurzeln des jeweils anderen zu ergründen. Das hilft uns in Europa. Und es ist nötig, dass wir in Frieden und auch ein bisschen in Zugewandtheit miteinander leben.

Deutschlandradio Kultur: Rudi Pawelka, einer Ihrer führenden Verbandsfunktionäre, Vorsitzender der Schlesischen Landsmannschaft, hat Polen vorgeworfen, sie würden sich sozusagen als "Berufsopfer" sehen. Sie würden einen Alleinvertretungsanspruch auf die Opferrolle für sich in Anspruch nehmen. Andererseits gibt’s doch auch Diskussionen in Polen und in den anderen Ländern, aus denen Deutsche vertrieben wurden, die sich durchaus kritisch mit der eigenen Vergangenheit, mit dem Vertreibungsgeschehen auseinandersetzen. Wird das hierzulande nicht genug wahrgenommen?

Erika Steinbach: In allen unseren Nachbarländern gibt es Historiker und auch Politiker, die sich engagiert mit der Vertreibung der Deutschen auseinandersetzen und auch deutlich machen, dass es verkehrt gewesen ist. Jetzt wollte ich mal die Vokabel "Berufsvertriebene" aufgreifen. Also, alles lasse ich mir nachsagen, nur unsere einzelnen landsmannschaftlichen Vertreter, einschließlich meiner Person, sind reine Ehrenämter. Ich lasse mir nicht mal meinen Aufwand durch meinen Verband von irgendjemandem erstatten. Das ist ein reines Ehrenamt, das ich aus voller Überzeugung deshalb mache, weil ich auch zum Beispiel für andere Menschen, Rechtsthemen mich sehr früh eingesetzt habe aus Überzeugung. Heute bin ich auch die menschenrechtspolitische Sprecherin der CDU-CSU-Bundestagsfraktion. Ich bin auch sehr froh, dass die CDU-CSU-Fraktion und die CDU sehr engagiert an der Seite des BdV stehen in der Errichtung der Erinnerungsstätte für die Vertriebenen in Berlin.

Deutschlandradio Kultur: Diese Gedenkstätte, die in Berlin errichtet werden soll, hat ja zu sehr viel Unmut geführt, vor allem die Besetzung des Stiftungsrates. Nach langem Hin und Her haben Sie auf einen Sitz in diesem Stiftungsrat vorerst verzichtet. Der Sitz bleibt leer. Fühlen Sie sich da genug von der deutschen Politik, von der Bundesregierung in dieser Kontroverse unterstützt? Oder war das polnische Erpressung, wie man manchmal lesen kann?

Erika Steinbach: Von der deutschen Politik insgesamt, das will ich nicht behaupten, aber ich fühle mich von der CDU und CSU engagiert unterstützt, auch von der Bundeskanzlerin sehr unterstützt. Die Kanzlerin wollte diese Erinnerungsstätte. Sie hat auch deutlich gemacht, dass es das Recht unseres Verbandes ist, die Sitze eigenständig zu benennen, so wie es in jeder anderen Organisation auch ist. Es war die SPD, die gesagt hat: Wenn der BdV Frau Steinbach benennt, stimmen wir nicht zu. Damit war erkennbar, das Gesamtprojekt würde dadurch blockiert werden. Denn die Koalitionsvereinbarungen lauten so, dass es nur einvernehmlich im Kabinett über die Bühne gehen kann. Da standen wir als Bund der Vertriebenen vor der Frage: Auf der einen Seite müssen wir unser originäres demokratisches Recht wahrnehmen können, frei zu entscheiden, wen wir benennen. Auf der anderen Seite wollen wir aber unbedingt, dass diese Einrichtung geschaffen wird. Dann haben wir zum Mittel des leeren Stuhls gegriffen.

Deutschlandradio Kultur: Das heißt aber nach der Bundestagswahl, sollte es eine schwarz-gelbe Mehrheit geben, sind Sie wieder da und werden den Platz einnehmen?

Erika Steinbach: Unser Verband will auf jeden Fall erreichen, dass er sein legitimes demokratisches Recht auch wahrnehmen kann. Und ich möchte mal sehen, wie man in Deutschland reagieren würde, wenn man dem DGB zum Beispiel vorschreiben würde…

Deutschlandradio Kultur: Also, Sie würden den Platz wieder gerne einnehmen nach der Bundestagswahl?

Erika Steinbach: Es geht nicht um meine Person. Es geht um die Frage des Besetzungsrechtes. Es ist keine Personenfrage. Und wenn jemand einer Organisation in einer Demokratie vorschreibt, ihr habt zwar das Recht zu benennen, aber letzten Endes bestimmen wir, wen ihr benennt, sage ich, dann ist das diktatorisch.
Mein Verband wird sich sicherlich noch mal dazu positionieren.

Deutschlandradio Kultur: Dann haben wir wieder den außenpolitischen Ärger.

Erika Steinbach: Es ist zunächst einmal eine innerdeutsche Angelegenheit. Wir kümmern uns da auch nicht, wer in der Tschechischen Republik, wer in Polen, wer in Ungarn in welcher Organisation sitzt bei welcher Gedenkeinrichtung. Ich bitte Sie, um alles in der Welt!

Deutschlandradio Kultur: Dann müsste man vielleicht auch diesen historischen Kontext noch mal verstehen. Wann hat denn Ihrer Meinung nach, wenn wir auf Polen blicken, diese Vertreibung stattgefunden? War das 1945? War es 1939 mit dem Einmarsch? Also, man muss diesen gesamten Kontext sehen. Dann kann man beide Seiten vielleicht eher verstehen.

Erika Steinbach: Die Vertreibung ist ja ein sehr heterogenes Geschehen gewesen. Das ist nicht monochrom. Das kann man nicht mit einem Stichtag versehen. Die ersten Vertriebenen waren die deutschen Juden, das muss man sagen, die mit Antritt des Hitlerregimes hier in Deutschland das Land verlassen haben. Und die das Land verlassen haben, waren Gott sei Dank diejenigen, die dann überleben konnten. Dann, mit Beginn des Krieges und dem Hitler-Stalin-Pakt, wurden die Deutsch-Balten ausgesiedelt. Die Bessarabien-Deutschen, zu der die Familie Köhler ja gehört, wurden aus Bessarabien durch Hitler und Stalin ausgesiedelt und dann angesiedelt, ein Teil im polnischen Bereich, ein Teil aber auch in Deutschland. Und mit Ende des Krieges wurden dann massenhaft Deutsche aus allen mittel-ost-europäischen Ländern vertrieben. Es ist also eine sehr komplexe, sehr schwierige Materie.

Deutschlandradio Kultur: Wenn Sie den Bundespräsidenten schon zitiert haben, er hat vor zwei oder drei Jahren gesagt: "Die auslösende Ursache von Flucht und Vertreibung war das nationalsozialsozialistische Unrechtsregime und der von Deutschland begonnene 2. Weltkrieg." Das ist doch der Ansatz, wo man anfangen muss, um überhaupt über Vertreibung im historischen Kontext reden zu können.

Erika Steinbach: Es gibt keine Rede von mir am Tag der Heimat, wo ich nicht sage, Hitler hat die Büchse der Pandora geöffnet. Ohne den Nationalsozialismus und die Expansionspolitik von Hitler und das menschenverachtende Regime wäre es nicht möglich gewesen, selbst wenn man es gewollt hätte, diese Vertreibungsaktionen durchzuführen. Es wäre unmöglich gewesen. Das ist selbstverständlich.

Aber Unrecht bleibt Unrecht. Das eine Unrecht rechtfertigt nicht das andere. Das hat auch der Pole Jan Josef Lipski, ein sehr renommierter Schriftsteller in Polen, gesagt: "Ein Unrecht, selbst das größte, was uns widerfahren ist", sagte er als Pole, "rechtfertig nicht das, was wir den Deutschen angetan haben mit Ende und nach Ende des Krieges." Wir haben eine schwierige europäische Geschichte mit unendlich vielem Leid. Und ich glaube, dem anderen jeweils zuzuhören, hilft uns gemeinsam weiter, nur nicht das Wegschieben. Das hilft nicht weiter.

Deutschlandradio Kultur: Spräche das nicht dafür, wenn das eine gesamteuropäische Leidensgeschichte ist, sich dieser Geschichte nicht auch gesamteuropäisch zu erinnern? Es gab ja mal dieses Projekt des gesamteuropäischen Vertriebenenzentrums. Der isolierte Blick auf das Leid einzelner Gruppen ist ja dann doch eher dazu geeignet, Konflikte wieder aufbrechen zu lassen.

Erika Steinbach: Sie haben vielleicht verfolgt, dass der BdV ja die Stiftung "Zentrum gegen Vertreibungen" gegründet hat und wir ausdrücklich darin aufgenommen haben, was für einen Opferverband ja nicht selbstverständlich ist, dass wir nicht nur an unsere eigenen Geschicke erinnern wollen, sondern auch das Leid der anderen europäischen Vertriebenen darin mit behandeln wollen, was wir auch in unserer allerersten Ausstellung im Jahre 2006 hier in Berlin im Kronprinzenpalais deutlich gemacht haben. Die Ausstellung "Erzwungene Wege" hat darauf hingewiesen durch das 20. Jahrhundert, welche Völker vertrieben wurden, wie diese Vertreibungen geschahen, was es für Konsequenzen hatte. Es ist richtig, dass das wünschenswert wäre, aber Sie haben vielleicht auch verfolgt, die damalige Staatsministerin für Kultur, Frau Weiß, hat ja dieses europäische Netzwerk gegründet. Kaum Länder wollten in Europa mitmachen, weil es einen Abwehrreflex gibt, dieses Thema in unseren Nachbarländern zu behandeln.

Deutschlandradio Kultur: Deshalb könnten wir ja den Ansatz anders suchen, möglicherweise sagen: Die Geschichte des 20. Jahrhunderts ist auch die Aufarbeitung totalitärer Systeme. Sie fokussieren immer wieder die Frage auf diese Vertreibungen. Damit stranden Sie immer und werden auch zukünftig wieder stranden.

Erika Steinbach: Wir sind ein Vertriebenenverband.

Deutschlandradio Kultur: Aber Sie wollen auch die geschichtliche Aufarbeitung.

Erika Steinbach: Aber Sie sagen, das ist eine Folge totalitärer Regime. Das ist verkehrt. Die Tschechoslowakei war damals eine Demokratie nach dem Krieg. Das war kein totalitäres Regime. Benesch hat sich von Stalin das Einverständnis erkauft die Sudetendeutschen zu vertreiben, indem er sich unter Stalins Knute begeben hat. Aber es war eine Demokratie. Das ist nicht nur eine Sache der totalitären Regime.

Zum Beispiel die Umschichtung der Griechen und Türken 1920/22 war eine Maßnahme des Völkerbundes, die etwas so Unrechtmäßiges veranlasst hat, weil sie dachten, es schafft Frieden. Ich sage nur, deshalb ist wichtig erst mal zu sagen, da sind Menschen, die bis heute an ihren Traumata leiden - die Polen leiden an ihren Traumata, die deutschen Vertriebenen leiden an ihren Traumata -, miteinander sprechen. Das hilft. Und das tun deutsche Vertriebene mit polnischen Vertriebenen. Denn in den Wohnungen und Häusern, wo früher Deutsche lebten, leben ja heute Polen, von denen ein erheblicher Teil auch vertrieben wurde, die sich schon ihre Geschichten gegenseitig erzählen und sehr viel Verständnis dadurch auch miteinander entwickeln.

Deutschlandradio Kultur: Das hört sich sehr schön an, wie Sie das beschreiben - miteinander sprechen, auf die Leute zugehen. Gleichzeitig, darüber hatten wir am Anfang gesprochen, gibt es doch erhebliche Widerstände, auch was Ihre Person betrifft, in den Medien in Polen. Gibt es Parallelwelten?

Erika Steinbach: Die gibt’s, ja. Sie haben völlig Recht. Es gibt Parallelwelten.

Deutschlandradio Kultur: Und wie kriegen Sie die zusammen?

Erika Steinbach: Ich, als Einzelperson, werde die nicht zusammenkriegen, aber da ist die deutsche Gesellschaft genauso gefragt, wie die polnische Gesellschaft. Und was vielleicht erfreulich dabei ist: Aus der Landsmannschaft Ostpreußen zum Beispiel heraus bilden sich Heimatkreise. Die, die aus Marienburg stammen, sind Heimatkreis Marienburg, und aus anderen Städten auch. Inzwischen sind es 36 Heimatkreise und heute polnische Städte, wo sich einmal im Jahr die Bürgermeister in Polen mit unseren Heimatkreisen treffen, einmal im Jahr in Deutschland. Zu Zeiten des Ministerpräsidenten Kaczynski wurde von Warschau aus versucht, das zu unterbinden. Nur einer von den polnischen Bürgermeistern hat sich davon beeindrucken lassen. Alle anderen haben gesagt, nein, das ist gut, dass wir das machen.

Das ist doch eigentlich eine erfreuliche Entwicklung. Ich bin überzeugt, irgendwann wird das von dem, was ich "Basis" nenne, jetzt auch bis nach Warschau durchdringen. Und diese Aufgeregtheiten werden sich dann legen.

Deutschlandradio Kultur: Frau Steinbach, auf die Frage, was Sie gern tun würden, wenn Sie denn könnten, haben Sie einmal gesagt: "In blühenden Wiesen sitzen und die Natur malen." Greifen Sie demnächst zu Farbe und Pinsel oder kandidieren Sie noch einmal für den Deutschen Bundestag?

Erika Steinbach: Ich kandidiere noch mal für den Deutschen Bundestag. Aber Malen ist etwas sehr Schönes. Mein schlesischer Großvater war Maler und Lithograph. Der kam aus Neurode im Glazer Land und hat dann eine Wanderschaft, wie es damals üblich war, durch Europa gemacht und hat auch mit Lithographie sein Geld verdient. Daher auch meine Neigung zur Bildenden Kunst, unabhängig von der Musik.

Deutschlandradio Kultur: Was den Bund der Vertriebenen betrifft, wann findet dort der Generationswechsel an der Spitze statt?

Erika Steinbach: Der überwiegende Teil unseres Präsidiums steht im Berufsleben.

Deutschlandradio Kultur: Aber Sie sind im Rentenalter.

Erika Steinbach: Ich bin im Rentenalter, ja, das ist richtig. Aber gut, das macht ja nichts. Wir fordern ja als Politiker, die Menschen sollen alle länger arbeiten.

Deutschlandradio Kultur: Frau Steinbach, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.

Erika Steinbach: Ich bedanke mich. Es hat mich sehr gefreut.