Stein: Internationale Schutztruppe ist nicht bevorzugte Option Israels
Eine internationale Schutztruppe im Süden des Libanons, wie in der UNO-Resolution vorgesehen, ist nicht Israels bevorzugte Option zur Lösung des Konflikts. Der israelische Botschafter in Deutschland, Shimon Stein, sagte im Deutschlandradio Kultur, da aber die libanesische Armee nicht in der Lage sei, ihrer Verantwortung gerecht zu werden, müsse ihr eben mit einer von der UNO legitimierten internationalen Truppe mit einem robusten Mandat geholfen werden.
Deutschlandradio Kultur: Herr Stein, Sie sind als Botschafter Vertreter Ihres Landes, Ihrer Regierung im Ausland. Welche Auswirkungen haben die militärischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und der Hisbollah seit nun genau vier Wochen auf Ihre Arbeit hier in Deutschland?
Stein: Zunächst bin ich auch die Person Shimon Stein und dazu ein Israeli. Insofern bekomme ich ja alles mit. Ich empfange bei mir zu Hause das israelische Fernsehen, den Hörfunk, die Zeitungen, zahlreiche Telefongespräche mit Freunden, Familienangehörigen. Ich glaube, so bin ich voll auf dem Laufenden. Zur Arbeit der Botschaft in dieser Zeit: Wir sehen unsere Hauptaufgabe darin, unsere Multiplikatoren, alle, die eben Interesse für diese Problematik haben, jetzt mit Material, Hintergrund zu versorgen. Ich persönlich mache zahlreiche Interviews im Hörfunk und mit Zeitungen, Fernsehen mit der Hauptaufgabe, zu versuchen die Dinge einigermaßen darzustellen, wie sie aus unserer Sicht aussehen.
Deutschlandradio Kultur: Herr Botschafter, seit einem Monat herrscht Krieg. Es gibt viele Tote, Menschen sind auf der Flucht auf beiden Seiten, im Libanon oft auch ohne ausreichende Versorgung. Es gibt zerstörte Häuser, zerstörte Infrastruktur und ein Ende, eine Lösung scheint nicht in Sicht zu sein. Oder sehen Sie das anders? Sind Sie optimistischer?
Stein: Am 12. Juli waren wir überrascht. Wir haben nicht erwartet, dass das auf uns zukommen wird, dass zwei israelische Soldaten entführt werden, acht Soldaten ums Leben kommen und dass Israel mit Raketen beschossen wird. Das war nicht unsere Absicht. Das war von der Hisbollah beabsichtigt. Auf Ihre Frage: Wir hätten uns das - mit allen Folgen für den Staat Libanon wie auch für die israelische Bevölkerung - ersparen können. Gleichzeitig gibt es Konsultationen in New York mit der Hoffnung, dass es uns gelingt zu einer Resolution zu kommen, die weitgehend auf die Problematik eingeht, die diese letzte Auseinandersetzung verursacht hat, und eine langfristige - ich betone - langfristige Lösung zu finden.
Deutschlandradio Kultur: Ziel der israelischen Angriffe ist, die Hisbollah soll ausgeschaltet werden, soll unschädlich gemacht werden. Ministerpräsident Olmert hat gesagt, es sei "nicht möglich sie komplett zu zerstören". Was dann eigentlich?
Stein: Wissen Sie, wenn Sie mir die Frage stellen, was eigentlich die Ziele nach vier oder fünf Wochen Auseinandersetzung sind, sage ich: Das einzige neue Ziel ist, dass die entführten israelischen Soldaten bedingungslos zurückkehren. Alle anderen Ziele finden Sie in den UNO-Resolutionen des Weltsicherheitsrates seit September 2004, die berühmte, oft zitierte Resolution 1559, und die Resolution vom Mai diesen Jahres 1680, es lohnt sich, mal einen Blick hineinzuwerfen, wo die Ziele der Staatengemeinschaft ausführlich, detailliert aufgeführt sind. Das ist, dass die libanesische Regierung nun endlich ihre volle Souveränität auf den Süden des Landes ausweitet, dass die libanesische Armee die Positionen entlang der Grenze bezieht und nicht die Hisbollah, dass man die Milizen im eigenen Land auflöst - das bedeutet die Hisbollah - und die auch entwaffnet und dass zwischen dem Libanon und Syrien, wo keine diplomatische Beziehungen herrschen, wo Syrien nie den Staat Libanon anerkannt hatte, eine friedliche Lösung gefunden wird. Das war unsere große Hoffnung und auch unsere Enttäuschung, dass man erst dann, wenn eine Krise entsteht, eigentlich auf die Resolutionen zurückkommt, die man schon längst hätte friedlich implementieren können.
Deutschlandradio Kultur: Herr Stein, es ist ja das Gegenteil von dem geschehen, was eigentlich Ziel der Resolution 1559 war, nämlich die Entwaffnung der Hisbollah. Sie ist jetzt eine effektive und sehr gut ausgerüstete, hoch gerüstete Miliz, deren Ausdauer und Durchhaltevermögen offensichtlich auch die israelische Armee überrascht hat. Wie konnte man die Hisbollah so unterschätzen?
Stein: Unterschätzt haben wir die Hisbollah nicht. Denn seitdem sich Israel im Mai 2000 bedingungslos zur "Blauen Linie" bekannt hat und sich auch der Libanon dazu bereit erklärt hätte und es zu einer internationalen Grenze zwischen uns und dem Libanon gekommen wäre, dann - glaube ich - hätten wir heute nicht darüber debattieren müssen. Aber seit 2000 sehen wir die Aufrüstung der Hisbollah. Wir sprechen seit geraumer Zeit von einer ungeheuren Entwicklung, wo immerhin eine Terrororganisation mit ein paar tausend Terroristen 12.000 Raketen in ihrem Arsenal hat. Die Bundesrepublik, die Bundeswehr hat nicht die Hälfte dieses Arsenals. So haben wir das gesehen, aber gehofft, dass es hier nie zu deren Einsatz kommen wird.
Davon waren wir also nicht überrascht, sondern wir waren von der Tatsache überrascht, dass Nasrallah die Entscheidung getroffen hat. Er hatte eigentlich gehofft: Er entführt Soldaten, er feuert ab, darauf antworten wir begrenzt und so ist die Sache erledigt. So war er überrascht, dass wir nach sechs Jahren nach dem Motto enough is enough nicht bereit waren das hinzunehmen. Aber ich gebe Ihnen vollkommen Recht, dass diese Guerilla für uns auch eine neue Herausforderung ist. Nach dieser Auseinandersetzung wird die Hisbollah nicht mehr dieses ungeheure Potential haben, das sie eben hatte. Ich glaube, Israel hat bei der Hisbollah Schaden angerichtet und es wird für die Hisbollah ganz schwer sein, wieder zu der Position wie am Anfang der Auseinandersetzung zu gelangen.
Deutschlandradio Kultur: Das bedeutet aber doch eigentlich, dass der Terror in der Region nur besiegt werden kann, wenn es eine Zusammenarbeit zwischen Libanon, Israel und Syrien geben wird.
Stein: Das haben wir auch immer gesagt. Terror ist zu einem internationalen Phänomen geworden. Seit Ende des Kalten Krieges sprechen wir über die neuen asymmetrischen Kriege. Seit Ende des Kalten Krieges sprechen wir über Staaten, die Terror unterstützen. Seit Ende des Kalten Krieges sprechen wir über den radikalen Islam, der eine neue qualitative Herausforderung für Israel, den Westen und die gemäßigten moslemischen Staaten ist. Deshalb sage ich: Israel, der Westen und alle, die Terror als Bedrohung empfinden, müssen das auch als eine gemeinsame Anstrengung auf sich nehmen.
Syrien ist für diese Auseinandersetzung kein Partner, denn die Hisbollah hätte ohne die moralische, politische und militärische Unterstützung von Syrien und dem Irak nicht zu einem solchen Monster wachsen können, wie es aufgewachsen ist. Deshalb glaube ich, Staaten, die Terror unterstützen, muss die Staatengemeinschaft auch Grenzen setzen und bereit sein, diese Staaten - wenn Sie bereit sind, wie z.B. Gaddafi, sich aus diesem Lager zu entziehen - zu belohnen und - wenn sie dazu nicht bereit sind - diese Staaten auch zu bestrafen.
Deutschlandradio Kultur: Herr Botschafter, halten Sie es denn für völlig verfehlt, wenn sich der deutsche Außenminister Steinmeier bemüht oder versucht gerade mit Syrien das zu tun, es auch aus der engen Bindung an den Iran herauszulösen, um es zu einer konstruktiven Rolle im Nahen Osten zu veranlassen?
Stein: Es steht mir nicht zu, Frau Limberg, die Außenpolitik der Bundesrepublik als verfehlt zu beschreiben. Der Außenminister hat auch bei der letzten Reise Damaskus nicht besucht. Ich kann mir wohl vorstellen, dass - als man hier die Entscheidung getroffen hat, ja oder nein - standen (noch nicht) die Äußerungen des syrischen Außenministers auch von letzter Woche, wo er gesagt hat, "ich bin bereit ein Soldat bei Nasrallah zu sein". So äußert sich eben kein konstruktiver Außenminister. Das ist der Außenminister, der uns sagte, dass er auch bereit wäre, dass es zu einer regionaler Auseinandersetzung unter Beteiligung von Syrien kommt. Das ist kein konstruktives Verhalten. Deshalb bleibe ich beim alten.
Wissen Sie, die Europäische Union hat ein Assoziierungsabkommen mit Syrien ausgehandelt. Dieses Abkommen ist ja reif für die Unterzeichnung. Warum hat die Europäische Union das eben seit 2000 noch nicht unterzeichnet? Weil auf dem Konto des syrischen Staatspräsidenten der Melis-Bericht über den Mord von Hariri steht. Assad kann, um sich konstruktiv zu verhalten, ein gutes Zeichen und vertrauensbildende Maßnahmen schaffen, uns alle z.B. etwas mehr über den Mord an Hariri und die Rolle Syriens aufklären. Die Terrororganisationen, die in Damaskus aktiv sind, zu schließen, die israelischen Soldaten - wo wir glauben, dass er auch eine Rolle spielen kann - frei zu entlassen. Insofern hat er eine ganze Reihe von Dingen auf seinem Konto, was eben aus unserer Sicht alles andere als konstruktiv ist, aber nicht nur aus unserer Sicht.
Deutschlandradio Kultur: Aber muss man sich auch um Staaten kümmern, sie versuchen einzubinden, selbst wenn sie Äußerungen tun, die widerwärtig sind, wenn sie so handeln, wie wir es für unvertretbar halten, wenn man eine Gesamtlösung will?
Stein: Für eine Gesamtlösung muss man auch die Staaten gewinnen und auch zu einem Umdenken führen. Wissen Sie, Assad, der Sohn, verhält sich eigentlich trotz unserer Erwartungen nicht in einer Art und Weise, die uns ein Signal gibt, dass er eben bereit ist etwas anderes zu tun. Der Assad-Sohn ist im Vergleich zu seinem Vater ein unberechenbarer Anführer. Sein Vater hätte in Damaskus nie und nimmer islamische Demonstranten durch die Straßen ziehen lassen. Sein Vater hätte Nasrallah klare Grenzen gezeigt. Das hat er auch nicht getan.
Ich glaube, Assad pendelt. Er sitzt am Zaun und sieht seine Optionen - mal mit Hisbollah gegen den Libanon, mal mit dem Iran gegen den Libanon und Israel. Deshalb, glaube ich, muss man ihm eine Alternative bieten. Und die Europäische Union war zu dieser Alternative bereit und er ging eben auf diese Alternative nicht ein. Insofern glaube ich, ein konstruktives Verhalten verdient eine "Belohnung", aber ein dekonstruktives Verhalten verdient keine Belohnung, sondern man muss die Grenzen zeigen, dass wir nämlich nicht bereit sind das hinzunehmen. Ich glaube, Sprechen allein reicht manchmal nicht, weil manche Anführer nicht diese Sprache verstehen, die Sie mir als Frage gestellt haben.
Deutschlandradio Kultur: Welche Sprache müsste es denn sein?
Stein: Ich glaube, diese Sprache muss eigentlich sein, wie ich eben ausgeführt habe: Syrien ist ein Staat, der Terror aktiv unterstützt. In Damaskus befinden sich Terrororganisationen, deren Hauptquartiere alles andere als konstruktiv sind. Der Anführer der Hamas, Maschal, sitzt in Damaskus, ein Radikaler unter den radikalen Hamas. Darüber hinaus, mit dem Fall von Hariri gibt es Dinge, wie er eigentlich dann durch ein konstruktives Verhalten uns allen signalisieren will, dass er bereit ist, sich von seiner Strategie abzuwenden.
Ich habe vorhin Gaddafi gesagt. Gaddafi war auch eine zeitlang im falschen Lager. Man hat ihm ein Angebot gemacht und er hat aus seinem nationalen Interesse gesagt, "ja, ich bin bereit darauf einzugehen" und war auch bereit auf nukleare, chemische und andere Dinge zu verzichten, auch zu kooperieren in Sachen Aufklärung der Terrorfälle, in die Libyen verwickelt war.
Deutschlandradio Kultur: Das heißt also, die internationale Staatengemeinschaft muss Druck ausüben auf Länder wie z.B. Syrien, damit da Bewegung rein kommt. Das andere ist aber eine internationale Schutztruppe. Ihre Regierung ist ja jetzt immerhin bereit, eine solche Schutztruppe im Libanon zu akzeptieren. Steht dahinter die Erkenntnis, dass man es allein nur mit den Vereinigten Staaten von Amerika im Rücken nicht schafft?
Stein: Die internationale Schutztruppe ist ja eben nicht unsere bevorzugte Option. Da wir heute wissen, dass die libanesische Armee nicht in der Lage ist, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und dafür zu sorgen, dass sich entlang der Grenze keine Hisbollah-Terroristen befinden, kamen wir auf die Idee, und nicht nur wir, dass der libanesischen Idee mit einer internationalen robusten Truppe geholfen werden muss, die der libanesischen Regierung und Armee helfen wird, diese Resolutionen zu implementieren.
Das war nicht die erste Aufgabe, aber da wir uns realistisch im Klaren sein müssen über das, was im Moment geht oder nicht, um die Ziele zu erreichen, glauben wir heute, dass eine internationale Truppe - legitimiert durch die Vereinten Nationen, ausgerüstet und nach dem Artikel 7, wo sie auch in der Lage ist vorzugehen - Libanon und uns helfen kann bei der Befreiung von der Bedrohung dieser Terrororganisation.
Deutschlandradio Kultur: Mit deutschen Soldaten?
Stein: Wir sprechen über eine "robuste internationale Einheit". Wenn wir so weit sind über die Zusammensetzung zu reden, wollen wir, dass sich daran europäische Staaten beteiligen werden. Wer genau dieser Truppe angehören wird, wird eine nationale Entscheidung der jeweiligen europäischen und anderen Staaten sein.
Deutschlandradio Kultur: Herr Botschafter Stein, Israel steht weltweit wegen des Vorgehens im Libanon am Pranger. Das nimmt inzwischen ja durchaus auch bedrohliche Züge an, dann nämlich, wenn das Existenzrecht Israels bestritten wird. Da war jetzt der norwegische Schriftsteller Jostein Gaarder, der Schlagzeilen mit dahingehenden Äußerungen gemacht hat - der Staat Israel in gegenwärtiger Form sei Geschichte, da hat er eine Vision von der Austreibung Israels. "Möge die neue Umgebung einsichtig und barmherzig sein", so sagte er. Aber auch ein durchaus ernsthafter und bisher ja nicht als Israelkritiker hervorgetretener Mann wie der Intendant des Südwest-Rundfunks, Peter Voß, hat kürzlich gesagt, er glaube nicht, dass sich Israel langfristig halten könne. Wie ernst nehmen Sie so etwas?
Stein: Ich bedaure solche Äußerungen. Der berühmte Schriftsteller Amos Oz hat mal eine interessante Bemerkung gemacht: Als die Juden hier in Europa vor dem Krieg waren und dann leider die Shoa kam, da war der Anruf: Juden, aus Europa weg! "Dann sind wir nach Palästina gegangen", so Amos Os. Jetzt sind die Juden in Palästina, da sagt man: Juden raus aus Palästina! Ich glaube, das ist eine traurige Feststellung. Auf jeden Fall haben wir seit 1948 dort unter schwierigen Umständen einen Staat und sind entschlossen - alle sind entschlossen - die Existenz dieses Staates langfristig auch zu sichern. Wir brauchen auch Freunde und Partner.
Was die Kritik anbelangt, glaube ich, so geht einfach in dieser Diskussion unter, was Ursache und Wirkung ist. Ich habe gesagt, dass wir das nicht gewollt haben. Deshalb führen wir momentan einen gerechten Krieg. Israel und der Westen befinden sich in einem Dilemma. Die neue Kriegsführung sieht eigentlich vor, Zivilisten einerseits zu missbrauchen und Zivilisten als Hauptziel zu treffen. Wie geht man mit dieser Problematik um, mit diesem Dilemma? Ich höre nur Menschen, die uns sagen, was man nicht tun soll. Aber ich höre niemand, der uns sagt, wie geht man mit diesem Dilemma um. Wenn man moralisch anderen predigt, muss man zunächst mal diese Frage stellen und sich in die Lage versetzen. Wenn man eine Antwort auf dieses neue Dilemma der neuen Kriegsführung, wo Zivilisten im Mittelpunkt sind und wir trotzdem äußerst vorsichtig umgehen, wir hätten genauso wie die Europäer in Sarajewo schonungslos bombardieren können (....). Wir haben es nicht getan. Wir gehen vorsichtig eigentlich um. Deshalb, glaube ich, sind wir eine moralische Armee, wo wir uns tagtäglich, Stunden, Minuten auch die Frage stellen: Wie können wir vermeiden, dass unschuldige Zivilisten hier nicht zum Opfer fallen.
Deutschlandradio Kultur: Muss man nicht trotzdem sagen, dass die Hisbollah den Kampf um die Bilder schon gewonnen hat?
Stein: Wissen Sie, ich glaube, dass es eine neue Bereicherung der Diskussion in der letzten Woche ist, wo plötzlich auch die Frage nach der Quelle des Bildes, nach der Quelle der Bilder, wie Bilder projiziert werden, wie Szenen inszeniert werden, gestellt wird. Ich glaube, das ist schon eine interessante Diskussion und auf die Medien kommt eine große Verantwortung zu, hier nicht missbraucht, nicht instrumentalisiert zu werden, sondern der Frage nachzugehen, durch wessen Interesse sie die Bilder aus Libanon bekommen? Wer produziert die? Ja, es gibt Bilder, die auch zum Teil emotional einwirken. Leider finde ich, dass hier die Berichterstattung nicht so sehr ausgewogen ist.
Deutschlandradio Kultur: Dennoch ist es so, dass in Deutschland keine generelle anti-israelische Stimmung festzustellen ist. Befürchten Sie das?
Stein: Ich hoffe, dass es eben nicht dazu kommt. Ich hoffe, dass man hier Wirkung und Ursache auch sieht. Ich glaube, dass man den Zusammenhang auch sieht. Ich hoffe, dass die Krise - genauso wie das, was in London passiert ist - zum Anlass genommen wird, um die große Frage zu stellen, um den großen Zusammenhang herzustellen, um die Herausforderung, die vor uns auch steht, zu debattieren und nicht in dem Moment, in dem die Bilder vom Bildschirm sind, zu meinen, nun ist das Thema auch gelöst. Deshalb ist meine Hoffnung, dass die Staatengemeinschaft nach dieser Krise - nicht wie es bis heute eigentlich war - diese Auseinandersetzung, diese Krise zum Anlass nimmt, um den Libanon langfristig zu stabilisieren und uns und den Libanon von der Terrororganisationsbedrohung zu befreien.
Deutschlandradio Kultur: Herr Botschafter, Israel ist ein kleines Land, etwas größer als Hessen. In den 58 Jahren seiner Existenz als Staat hat es nie wirklich Frieden gefunden - immer wieder Konflikte und Kriege. Sie haben als Diplomat seit fast 30 Jahren auch den Blick von außen auf Ihr Land werfen können. Was betrübt Sie am meisten in den all den Jahren? Was wünschen Sie sich für Ihr Land und seine Bewohner?
Stein: Wissen Sie, wenn Sie meinen Eltern als Shoa-Überlebenden im Jahre '45 diese Frage gestellt hätten, drei Jahre vor Gründung des Staates Israel, wären meine Eltern nicht in der Lage gewesen zu sagen, dass wir zunächst nach dieser Katastrophe ein Land aufbauen, ein blühendes Land, ein Land, das es trotz des Krieges geschafft hat, zu den Spitzennationen in Sachen High-tech, Forschung und Entwicklung und Kultur zu gehören. Ich glaube deshalb, als Angehöriger dieses Volkes kann ich sagen, 58 Jahre waren nicht leicht, aber weil wir keine andere Alternative haben, sind wir entschlossen - und geschlossen - dort zu sein, wo wir sind. Wir hoffen, dass die Umgebung das zur Kenntnis nimmt, hoffentlich mit friedlichen Mitteln. Und wenn es erforderlich ist, werden wir für unsere Existenz auch weiter kämpfen, hoffentlich mit der moralischen, politischen und notwendigen Unterstützung des Westens.
Deutschlandradio Kultur: Herr Botschafter, vielen Dank für dieses Gespräch.
Stein: Zunächst bin ich auch die Person Shimon Stein und dazu ein Israeli. Insofern bekomme ich ja alles mit. Ich empfange bei mir zu Hause das israelische Fernsehen, den Hörfunk, die Zeitungen, zahlreiche Telefongespräche mit Freunden, Familienangehörigen. Ich glaube, so bin ich voll auf dem Laufenden. Zur Arbeit der Botschaft in dieser Zeit: Wir sehen unsere Hauptaufgabe darin, unsere Multiplikatoren, alle, die eben Interesse für diese Problematik haben, jetzt mit Material, Hintergrund zu versorgen. Ich persönlich mache zahlreiche Interviews im Hörfunk und mit Zeitungen, Fernsehen mit der Hauptaufgabe, zu versuchen die Dinge einigermaßen darzustellen, wie sie aus unserer Sicht aussehen.
Deutschlandradio Kultur: Herr Botschafter, seit einem Monat herrscht Krieg. Es gibt viele Tote, Menschen sind auf der Flucht auf beiden Seiten, im Libanon oft auch ohne ausreichende Versorgung. Es gibt zerstörte Häuser, zerstörte Infrastruktur und ein Ende, eine Lösung scheint nicht in Sicht zu sein. Oder sehen Sie das anders? Sind Sie optimistischer?
Stein: Am 12. Juli waren wir überrascht. Wir haben nicht erwartet, dass das auf uns zukommen wird, dass zwei israelische Soldaten entführt werden, acht Soldaten ums Leben kommen und dass Israel mit Raketen beschossen wird. Das war nicht unsere Absicht. Das war von der Hisbollah beabsichtigt. Auf Ihre Frage: Wir hätten uns das - mit allen Folgen für den Staat Libanon wie auch für die israelische Bevölkerung - ersparen können. Gleichzeitig gibt es Konsultationen in New York mit der Hoffnung, dass es uns gelingt zu einer Resolution zu kommen, die weitgehend auf die Problematik eingeht, die diese letzte Auseinandersetzung verursacht hat, und eine langfristige - ich betone - langfristige Lösung zu finden.
Deutschlandradio Kultur: Ziel der israelischen Angriffe ist, die Hisbollah soll ausgeschaltet werden, soll unschädlich gemacht werden. Ministerpräsident Olmert hat gesagt, es sei "nicht möglich sie komplett zu zerstören". Was dann eigentlich?
Stein: Wissen Sie, wenn Sie mir die Frage stellen, was eigentlich die Ziele nach vier oder fünf Wochen Auseinandersetzung sind, sage ich: Das einzige neue Ziel ist, dass die entführten israelischen Soldaten bedingungslos zurückkehren. Alle anderen Ziele finden Sie in den UNO-Resolutionen des Weltsicherheitsrates seit September 2004, die berühmte, oft zitierte Resolution 1559, und die Resolution vom Mai diesen Jahres 1680, es lohnt sich, mal einen Blick hineinzuwerfen, wo die Ziele der Staatengemeinschaft ausführlich, detailliert aufgeführt sind. Das ist, dass die libanesische Regierung nun endlich ihre volle Souveränität auf den Süden des Landes ausweitet, dass die libanesische Armee die Positionen entlang der Grenze bezieht und nicht die Hisbollah, dass man die Milizen im eigenen Land auflöst - das bedeutet die Hisbollah - und die auch entwaffnet und dass zwischen dem Libanon und Syrien, wo keine diplomatische Beziehungen herrschen, wo Syrien nie den Staat Libanon anerkannt hatte, eine friedliche Lösung gefunden wird. Das war unsere große Hoffnung und auch unsere Enttäuschung, dass man erst dann, wenn eine Krise entsteht, eigentlich auf die Resolutionen zurückkommt, die man schon längst hätte friedlich implementieren können.
Deutschlandradio Kultur: Herr Stein, es ist ja das Gegenteil von dem geschehen, was eigentlich Ziel der Resolution 1559 war, nämlich die Entwaffnung der Hisbollah. Sie ist jetzt eine effektive und sehr gut ausgerüstete, hoch gerüstete Miliz, deren Ausdauer und Durchhaltevermögen offensichtlich auch die israelische Armee überrascht hat. Wie konnte man die Hisbollah so unterschätzen?
Stein: Unterschätzt haben wir die Hisbollah nicht. Denn seitdem sich Israel im Mai 2000 bedingungslos zur "Blauen Linie" bekannt hat und sich auch der Libanon dazu bereit erklärt hätte und es zu einer internationalen Grenze zwischen uns und dem Libanon gekommen wäre, dann - glaube ich - hätten wir heute nicht darüber debattieren müssen. Aber seit 2000 sehen wir die Aufrüstung der Hisbollah. Wir sprechen seit geraumer Zeit von einer ungeheuren Entwicklung, wo immerhin eine Terrororganisation mit ein paar tausend Terroristen 12.000 Raketen in ihrem Arsenal hat. Die Bundesrepublik, die Bundeswehr hat nicht die Hälfte dieses Arsenals. So haben wir das gesehen, aber gehofft, dass es hier nie zu deren Einsatz kommen wird.
Davon waren wir also nicht überrascht, sondern wir waren von der Tatsache überrascht, dass Nasrallah die Entscheidung getroffen hat. Er hatte eigentlich gehofft: Er entführt Soldaten, er feuert ab, darauf antworten wir begrenzt und so ist die Sache erledigt. So war er überrascht, dass wir nach sechs Jahren nach dem Motto enough is enough nicht bereit waren das hinzunehmen. Aber ich gebe Ihnen vollkommen Recht, dass diese Guerilla für uns auch eine neue Herausforderung ist. Nach dieser Auseinandersetzung wird die Hisbollah nicht mehr dieses ungeheure Potential haben, das sie eben hatte. Ich glaube, Israel hat bei der Hisbollah Schaden angerichtet und es wird für die Hisbollah ganz schwer sein, wieder zu der Position wie am Anfang der Auseinandersetzung zu gelangen.
Deutschlandradio Kultur: Das bedeutet aber doch eigentlich, dass der Terror in der Region nur besiegt werden kann, wenn es eine Zusammenarbeit zwischen Libanon, Israel und Syrien geben wird.
Stein: Das haben wir auch immer gesagt. Terror ist zu einem internationalen Phänomen geworden. Seit Ende des Kalten Krieges sprechen wir über die neuen asymmetrischen Kriege. Seit Ende des Kalten Krieges sprechen wir über Staaten, die Terror unterstützen. Seit Ende des Kalten Krieges sprechen wir über den radikalen Islam, der eine neue qualitative Herausforderung für Israel, den Westen und die gemäßigten moslemischen Staaten ist. Deshalb sage ich: Israel, der Westen und alle, die Terror als Bedrohung empfinden, müssen das auch als eine gemeinsame Anstrengung auf sich nehmen.
Syrien ist für diese Auseinandersetzung kein Partner, denn die Hisbollah hätte ohne die moralische, politische und militärische Unterstützung von Syrien und dem Irak nicht zu einem solchen Monster wachsen können, wie es aufgewachsen ist. Deshalb glaube ich, Staaten, die Terror unterstützen, muss die Staatengemeinschaft auch Grenzen setzen und bereit sein, diese Staaten - wenn Sie bereit sind, wie z.B. Gaddafi, sich aus diesem Lager zu entziehen - zu belohnen und - wenn sie dazu nicht bereit sind - diese Staaten auch zu bestrafen.
Deutschlandradio Kultur: Herr Botschafter, halten Sie es denn für völlig verfehlt, wenn sich der deutsche Außenminister Steinmeier bemüht oder versucht gerade mit Syrien das zu tun, es auch aus der engen Bindung an den Iran herauszulösen, um es zu einer konstruktiven Rolle im Nahen Osten zu veranlassen?
Stein: Es steht mir nicht zu, Frau Limberg, die Außenpolitik der Bundesrepublik als verfehlt zu beschreiben. Der Außenminister hat auch bei der letzten Reise Damaskus nicht besucht. Ich kann mir wohl vorstellen, dass - als man hier die Entscheidung getroffen hat, ja oder nein - standen (noch nicht) die Äußerungen des syrischen Außenministers auch von letzter Woche, wo er gesagt hat, "ich bin bereit ein Soldat bei Nasrallah zu sein". So äußert sich eben kein konstruktiver Außenminister. Das ist der Außenminister, der uns sagte, dass er auch bereit wäre, dass es zu einer regionaler Auseinandersetzung unter Beteiligung von Syrien kommt. Das ist kein konstruktives Verhalten. Deshalb bleibe ich beim alten.
Wissen Sie, die Europäische Union hat ein Assoziierungsabkommen mit Syrien ausgehandelt. Dieses Abkommen ist ja reif für die Unterzeichnung. Warum hat die Europäische Union das eben seit 2000 noch nicht unterzeichnet? Weil auf dem Konto des syrischen Staatspräsidenten der Melis-Bericht über den Mord von Hariri steht. Assad kann, um sich konstruktiv zu verhalten, ein gutes Zeichen und vertrauensbildende Maßnahmen schaffen, uns alle z.B. etwas mehr über den Mord an Hariri und die Rolle Syriens aufklären. Die Terrororganisationen, die in Damaskus aktiv sind, zu schließen, die israelischen Soldaten - wo wir glauben, dass er auch eine Rolle spielen kann - frei zu entlassen. Insofern hat er eine ganze Reihe von Dingen auf seinem Konto, was eben aus unserer Sicht alles andere als konstruktiv ist, aber nicht nur aus unserer Sicht.
Deutschlandradio Kultur: Aber muss man sich auch um Staaten kümmern, sie versuchen einzubinden, selbst wenn sie Äußerungen tun, die widerwärtig sind, wenn sie so handeln, wie wir es für unvertretbar halten, wenn man eine Gesamtlösung will?
Stein: Für eine Gesamtlösung muss man auch die Staaten gewinnen und auch zu einem Umdenken führen. Wissen Sie, Assad, der Sohn, verhält sich eigentlich trotz unserer Erwartungen nicht in einer Art und Weise, die uns ein Signal gibt, dass er eben bereit ist etwas anderes zu tun. Der Assad-Sohn ist im Vergleich zu seinem Vater ein unberechenbarer Anführer. Sein Vater hätte in Damaskus nie und nimmer islamische Demonstranten durch die Straßen ziehen lassen. Sein Vater hätte Nasrallah klare Grenzen gezeigt. Das hat er auch nicht getan.
Ich glaube, Assad pendelt. Er sitzt am Zaun und sieht seine Optionen - mal mit Hisbollah gegen den Libanon, mal mit dem Iran gegen den Libanon und Israel. Deshalb, glaube ich, muss man ihm eine Alternative bieten. Und die Europäische Union war zu dieser Alternative bereit und er ging eben auf diese Alternative nicht ein. Insofern glaube ich, ein konstruktives Verhalten verdient eine "Belohnung", aber ein dekonstruktives Verhalten verdient keine Belohnung, sondern man muss die Grenzen zeigen, dass wir nämlich nicht bereit sind das hinzunehmen. Ich glaube, Sprechen allein reicht manchmal nicht, weil manche Anführer nicht diese Sprache verstehen, die Sie mir als Frage gestellt haben.
Deutschlandradio Kultur: Welche Sprache müsste es denn sein?
Stein: Ich glaube, diese Sprache muss eigentlich sein, wie ich eben ausgeführt habe: Syrien ist ein Staat, der Terror aktiv unterstützt. In Damaskus befinden sich Terrororganisationen, deren Hauptquartiere alles andere als konstruktiv sind. Der Anführer der Hamas, Maschal, sitzt in Damaskus, ein Radikaler unter den radikalen Hamas. Darüber hinaus, mit dem Fall von Hariri gibt es Dinge, wie er eigentlich dann durch ein konstruktives Verhalten uns allen signalisieren will, dass er bereit ist, sich von seiner Strategie abzuwenden.
Ich habe vorhin Gaddafi gesagt. Gaddafi war auch eine zeitlang im falschen Lager. Man hat ihm ein Angebot gemacht und er hat aus seinem nationalen Interesse gesagt, "ja, ich bin bereit darauf einzugehen" und war auch bereit auf nukleare, chemische und andere Dinge zu verzichten, auch zu kooperieren in Sachen Aufklärung der Terrorfälle, in die Libyen verwickelt war.
Deutschlandradio Kultur: Das heißt also, die internationale Staatengemeinschaft muss Druck ausüben auf Länder wie z.B. Syrien, damit da Bewegung rein kommt. Das andere ist aber eine internationale Schutztruppe. Ihre Regierung ist ja jetzt immerhin bereit, eine solche Schutztruppe im Libanon zu akzeptieren. Steht dahinter die Erkenntnis, dass man es allein nur mit den Vereinigten Staaten von Amerika im Rücken nicht schafft?
Stein: Die internationale Schutztruppe ist ja eben nicht unsere bevorzugte Option. Da wir heute wissen, dass die libanesische Armee nicht in der Lage ist, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und dafür zu sorgen, dass sich entlang der Grenze keine Hisbollah-Terroristen befinden, kamen wir auf die Idee, und nicht nur wir, dass der libanesischen Idee mit einer internationalen robusten Truppe geholfen werden muss, die der libanesischen Regierung und Armee helfen wird, diese Resolutionen zu implementieren.
Das war nicht die erste Aufgabe, aber da wir uns realistisch im Klaren sein müssen über das, was im Moment geht oder nicht, um die Ziele zu erreichen, glauben wir heute, dass eine internationale Truppe - legitimiert durch die Vereinten Nationen, ausgerüstet und nach dem Artikel 7, wo sie auch in der Lage ist vorzugehen - Libanon und uns helfen kann bei der Befreiung von der Bedrohung dieser Terrororganisation.
Deutschlandradio Kultur: Mit deutschen Soldaten?
Stein: Wir sprechen über eine "robuste internationale Einheit". Wenn wir so weit sind über die Zusammensetzung zu reden, wollen wir, dass sich daran europäische Staaten beteiligen werden. Wer genau dieser Truppe angehören wird, wird eine nationale Entscheidung der jeweiligen europäischen und anderen Staaten sein.
Deutschlandradio Kultur: Herr Botschafter Stein, Israel steht weltweit wegen des Vorgehens im Libanon am Pranger. Das nimmt inzwischen ja durchaus auch bedrohliche Züge an, dann nämlich, wenn das Existenzrecht Israels bestritten wird. Da war jetzt der norwegische Schriftsteller Jostein Gaarder, der Schlagzeilen mit dahingehenden Äußerungen gemacht hat - der Staat Israel in gegenwärtiger Form sei Geschichte, da hat er eine Vision von der Austreibung Israels. "Möge die neue Umgebung einsichtig und barmherzig sein", so sagte er. Aber auch ein durchaus ernsthafter und bisher ja nicht als Israelkritiker hervorgetretener Mann wie der Intendant des Südwest-Rundfunks, Peter Voß, hat kürzlich gesagt, er glaube nicht, dass sich Israel langfristig halten könne. Wie ernst nehmen Sie so etwas?
Stein: Ich bedaure solche Äußerungen. Der berühmte Schriftsteller Amos Oz hat mal eine interessante Bemerkung gemacht: Als die Juden hier in Europa vor dem Krieg waren und dann leider die Shoa kam, da war der Anruf: Juden, aus Europa weg! "Dann sind wir nach Palästina gegangen", so Amos Os. Jetzt sind die Juden in Palästina, da sagt man: Juden raus aus Palästina! Ich glaube, das ist eine traurige Feststellung. Auf jeden Fall haben wir seit 1948 dort unter schwierigen Umständen einen Staat und sind entschlossen - alle sind entschlossen - die Existenz dieses Staates langfristig auch zu sichern. Wir brauchen auch Freunde und Partner.
Was die Kritik anbelangt, glaube ich, so geht einfach in dieser Diskussion unter, was Ursache und Wirkung ist. Ich habe gesagt, dass wir das nicht gewollt haben. Deshalb führen wir momentan einen gerechten Krieg. Israel und der Westen befinden sich in einem Dilemma. Die neue Kriegsführung sieht eigentlich vor, Zivilisten einerseits zu missbrauchen und Zivilisten als Hauptziel zu treffen. Wie geht man mit dieser Problematik um, mit diesem Dilemma? Ich höre nur Menschen, die uns sagen, was man nicht tun soll. Aber ich höre niemand, der uns sagt, wie geht man mit diesem Dilemma um. Wenn man moralisch anderen predigt, muss man zunächst mal diese Frage stellen und sich in die Lage versetzen. Wenn man eine Antwort auf dieses neue Dilemma der neuen Kriegsführung, wo Zivilisten im Mittelpunkt sind und wir trotzdem äußerst vorsichtig umgehen, wir hätten genauso wie die Europäer in Sarajewo schonungslos bombardieren können (....). Wir haben es nicht getan. Wir gehen vorsichtig eigentlich um. Deshalb, glaube ich, sind wir eine moralische Armee, wo wir uns tagtäglich, Stunden, Minuten auch die Frage stellen: Wie können wir vermeiden, dass unschuldige Zivilisten hier nicht zum Opfer fallen.
Deutschlandradio Kultur: Muss man nicht trotzdem sagen, dass die Hisbollah den Kampf um die Bilder schon gewonnen hat?
Stein: Wissen Sie, ich glaube, dass es eine neue Bereicherung der Diskussion in der letzten Woche ist, wo plötzlich auch die Frage nach der Quelle des Bildes, nach der Quelle der Bilder, wie Bilder projiziert werden, wie Szenen inszeniert werden, gestellt wird. Ich glaube, das ist schon eine interessante Diskussion und auf die Medien kommt eine große Verantwortung zu, hier nicht missbraucht, nicht instrumentalisiert zu werden, sondern der Frage nachzugehen, durch wessen Interesse sie die Bilder aus Libanon bekommen? Wer produziert die? Ja, es gibt Bilder, die auch zum Teil emotional einwirken. Leider finde ich, dass hier die Berichterstattung nicht so sehr ausgewogen ist.
Deutschlandradio Kultur: Dennoch ist es so, dass in Deutschland keine generelle anti-israelische Stimmung festzustellen ist. Befürchten Sie das?
Stein: Ich hoffe, dass es eben nicht dazu kommt. Ich hoffe, dass man hier Wirkung und Ursache auch sieht. Ich glaube, dass man den Zusammenhang auch sieht. Ich hoffe, dass die Krise - genauso wie das, was in London passiert ist - zum Anlass genommen wird, um die große Frage zu stellen, um den großen Zusammenhang herzustellen, um die Herausforderung, die vor uns auch steht, zu debattieren und nicht in dem Moment, in dem die Bilder vom Bildschirm sind, zu meinen, nun ist das Thema auch gelöst. Deshalb ist meine Hoffnung, dass die Staatengemeinschaft nach dieser Krise - nicht wie es bis heute eigentlich war - diese Auseinandersetzung, diese Krise zum Anlass nimmt, um den Libanon langfristig zu stabilisieren und uns und den Libanon von der Terrororganisationsbedrohung zu befreien.
Deutschlandradio Kultur: Herr Botschafter, Israel ist ein kleines Land, etwas größer als Hessen. In den 58 Jahren seiner Existenz als Staat hat es nie wirklich Frieden gefunden - immer wieder Konflikte und Kriege. Sie haben als Diplomat seit fast 30 Jahren auch den Blick von außen auf Ihr Land werfen können. Was betrübt Sie am meisten in den all den Jahren? Was wünschen Sie sich für Ihr Land und seine Bewohner?
Stein: Wissen Sie, wenn Sie meinen Eltern als Shoa-Überlebenden im Jahre '45 diese Frage gestellt hätten, drei Jahre vor Gründung des Staates Israel, wären meine Eltern nicht in der Lage gewesen zu sagen, dass wir zunächst nach dieser Katastrophe ein Land aufbauen, ein blühendes Land, ein Land, das es trotz des Krieges geschafft hat, zu den Spitzennationen in Sachen High-tech, Forschung und Entwicklung und Kultur zu gehören. Ich glaube deshalb, als Angehöriger dieses Volkes kann ich sagen, 58 Jahre waren nicht leicht, aber weil wir keine andere Alternative haben, sind wir entschlossen - und geschlossen - dort zu sein, wo wir sind. Wir hoffen, dass die Umgebung das zur Kenntnis nimmt, hoffentlich mit friedlichen Mitteln. Und wenn es erforderlich ist, werden wir für unsere Existenz auch weiter kämpfen, hoffentlich mit der moralischen, politischen und notwendigen Unterstützung des Westens.
Deutschlandradio Kultur: Herr Botschafter, vielen Dank für dieses Gespräch.