Steffen Mau: "Sortiermaschinen"

Grenzen zementieren Privilegien

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Das Cover des Buches von Steffen Mau, Sortiermaschinen. Die Neuerfindung der Grenze im 21. jahrhundert", auf orange-weißem Grund
Steffen Mau diagnostiziert, es gebe neue Grenzen - und sie übernähmen auch neue Funktionen. © Deutschlandradio / C. H. Beck
Von Vera Linß · 01.09.2021
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Die Globalisierung hat nicht dazu geführt, dass es weniger Grenzen gibt, sondern sie sind viel selektiver geworden, sagt der Soziologe Steffen Mau. Menschenrechte stehen so auf dem Spiel. Ein Buch als Weckruf.
Mauergrenzen stehen hoch im Kurs. Etwa fünfzig findet man weltweit, hinzukommen mehrere Dutzend Grenzzäune, mit denen sich Staaten physisch abschotten. Und das, obwohl die Globalisierung doch eigentlich das Gegenteil offeriert: Mobilität und Freizügigkeit rund um den Globus.
Irrtum! Die Idee einer Welt ohne Grenzen ist ein uneingelöstes Versprechen, sagt der Berliner Soziologe Steffen Mau.

Neue Grenzen

Die Globalisierung habe die nationalen Grenzen sogar noch verstärkt. Und außerdem komplett Neue erfunden! Sichtbar und unsichtbar, fixiert und beweglich, physisch und virtuell, regional und global – Grenzen weisen heute eine ungemeine Vielfalt auf und umfassen weit mehr als nur Mauern und Zäune.
Auch ihre Funktion hat sich erweitert. Statt vor Angreifern zu schützen, gehe es vor allem um "Mobilitätskontrolle", also darum, herauszufiltern, wer ein Land betreten darf und wer nicht.

Ausgebremste Mobilität

Das Paradox: Je mehr Bewegung die Globalisierung einigen wenigen Privilegierten ermöglicht, desto mehr werden jene ausgebremst, deren Mobilität für das globalisierte Wirtschaftssystem als "Risiko" gilt: sozial Schwache, vom Krieg bedrohte, gering Qualifizierte. Aber auch, wie jetzt bei Corona, Infizierte.
Die neuen Grenzen seien deshalb zuallererst "Sortiermaschinen", so der Wissenschaftler.

Was hat sich verändert?

Doch was genau funktioniert dort jetzt anders als zuvor? Steffen Mau erklärt die Veränderungen aus drei Perspektiven: politisch, räumlich und technologisch.
Mauern etwa seien heute Wohlstandsgrenzen, politisch-ökonomisch motivierte Bollwerke, die Wohlstandsgefälle regulieren, sprich: Ungleichheiten zwischen arm und reich stabilisieren sollen.
Andere Grenzen dagegen haben sich von den Territorien, denen sie zuzuordnen sind, räumlich abgelöst. Bestes Beispiel: die Vorverlagerung europäischer Grenzkontrollen in den Niger. Das afrikanische Land hält für die EU Flüchtlinge auf, die sich – via Libyen – auf dem Weg nach Europa machen.

Smart Borders

Am effektivsten jedoch seien sogenannte Smart Borders, bei denen digitale Technologien zum Einsatz kommen. Spannend und bedrohlich zugleich: die Pilotprojekte, die Steffen Mau vorstellt.
Angefangen bei Avataren als Grenzposten bis hin zu "Smart Path", einem Service, bei dem man sein Gesicht und ein paar Daten einscannen lässt und von da an nicht mehr bei der Einreise kontrolliert wird. Das System reicht die Informationen automatisch an alle Kontrollpunkte weiter. Die Gefahr: "Datasurveillance", sprich: Überwachung pur, wie Steffen Mau kritisiert.
Der Autor schärft aber nicht nur für diese Entwicklung den Blick. Eindringlich warnt er in seinem wichtigen Buch immer wieder davor, dass die neuen Grenzen zu neuen Benachteiligungen führen. Die Kehrseite der Öffnung sei eine "Schließungsglobalisierung" – mit fatalen Folgen etwa mit Blick auf Menschenrechte.
Viele Migrantinnen und Migranten könnten Schutzrechte gar nicht einfordern, weil sie erst das Territorium erreichen müssten, wo diese gelten. Unerreichbar! Missstände, denen sich vor allem demokratische Staaten dringend stellen müssten.

Steffen Mau: "Sortiermaschinen. Die Neuerfindung der Grenze im 21. Jahrhundert"
C.H. Beck, München 2021
189 Seiten, 14,95 Euro

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