Stefan Raue zur "No Billag"-Entscheidung

"Wir müssen darstellen, was wir eigentlich machen"

Der Intendant des Deutschlandradios, Stefan Raue, aufgenommen am 08.06.2017 nach seiner Wahl in Köln (Nordrhein-Westfalen). Foto: Marius Becker/dpa | Verwendung weltweit
Deutschlandradio-Intendant Stefan Raue. © Marius Becker/dpa
Stefan Raue im Gespräch mit Ute Welty · 05.03.2018
Die Initiative für die Abschaffung der Rundfunkgebühren in der Schweiz ist klar gescheitert. Deutschlandradio-Intendant Stefan Raue begrüßt diese Entscheidung und betont, dass der Öffentliche Rundfunk noch deutlicher machen müsse, wofür das Geld der Beitragszahler genutzt wird.
Ute Welty: "No Billag", das ist erst mal Geschichte, denn die Schweizerische Erhebungsstelle für Radio- und Fernsehempfangsgebühren wird es weiter geben. Die Schweizer haben sich in einer Volksabstimmung gegen die Abschaffung der Rundfunkgebühren und damit für das öffentlich-rechtliche System entschieden. Die Abstimmung wurde auch in Deutschland mit großem Interesse verfolgt, denn auch hier gibt es viel Kritik an ARD, ZDF und Deutschlandradio. Intendant von Deutschlandradio ist Stefan Raue. Er zeichnet verantwortlich für Deutschlandfunk, Deutschlandfunk Nova und natürlich Deutschlandfunk Kultur. Mit ihm habe ich über die Entscheidung in der Schweiz gesprochen, und ich wollte wissen, was diese Entscheidung für die Diskussion in Deutschland bedeutet.
Stefan Raue: Zunächst mal freue ich mich wirklich für die Kolleginnen und Kollegen in der Schweiz von der SRG, die ja ein tolles und engagiertes Programm für ihre vier Sprachen, vier großen Regionen auch machen. Aber für Deutschland bedeutet das, dass wir das auswerten müssen. Wir müssen die Argumente auswerten, wir müssen die Mobilisierung der Gegner der SRG genau auswerten – mit welchen Argumenten haben die es geschafft, doch immerhin fast 30 Prozent auch zu gewinnen für ihre Interessen. Und wir müssen schauen, was es für uns bedeutet, in den Diskussionen über die Legitimation des öffentlich-rechtlichen Systems in den nächsten Jahren.

Diskussionen, die ein Land zerreißen können

Welty: In welche Richtung muss sich diese Diskussion dann entwickeln, damit das öffentlich-rechtliche System wirklich zukunftsfest ist?
Raue: Wir können uns nicht jeden Monat und jedes Jahr eine solche Art Wahlkampf leisten, wie er jetzt in der Schweiz zu beobachten war. Der hat ja wirklich tiefe Zäsuren in der Schweizerischen Gesellschaft auch hinterlassen. Das ging ja sehr emotional dort zur Sache. Und das tut der politischen Kultur einer solchen Gesellschaft nicht gut, wenn an solchen Fragen sich gewissermaßen ein Land zerreißt. Wir müssen aber sehen, dass wir stärker als bisher, alle öffentlich-rechtlichen Anstalten, alle öffentlich-rechtlichen Sender uns darstellen, und zwar nicht im Sinne von Public Relation, keine Werbekampagnen, sondern wir müssen darstellen, was wir eigentlich machen, wofür wir eigentlich das Geld, das wir vom Beitragszahler in Deutschland bekommen, wofür wir das nutzen. Unser Auslandsstudio-System, unsere politischen Redaktionen, unsere Wissenschaftsredaktion, unser hoher technischer Standard, die hohe Qualität unserer Berichterstattung. Das kostet alles Geld, und wir haben es vielleicht in den letzten Jahren versäumt, das mal so deutlich zu machen, wie es notwendig ist.
Welty: Warum hat die Akzeptanz für die öffentlich-rechtlichen Programme überhaupt so gelitten. Viele fragen sich ja inzwischen, warum soll ich für etwas zahlen, was ich gar nicht nutze?
Raue: Die öffentlich-rechtlichen Rundfunksender leiden unter einem ganz ähnlichen Phänomen wie die Verleger im Übrigen auch, wie die Privatsender häufig auch, wie die Musiker auch, nämlich, dass viele Menschen, gerade die jüngeren glauben, dass alles, was im weitesten Sinne mit Kultur und mit Radio und Fernsehen zu tun hat, auf irgendeine Weise umsonst, also kostenfrei ist. Das Internet bietet die Möglichkeit – wir denken mal an die ganzen Diskussionen über das Musikstreaming, wo wir unseren Kindern erst mal beibringen mussten, dass auch Musik Geld kostet, dass der Künstler auch Geld für sein Werk haben möchte, und so ähnlich ist diese Problematik auch in Sachen der Angelegenheit der Sender und der Verleger.
Wir erleben ja, dass die Verleger seit vielen Jahren versuchen, für ihre Angebote im Netz auch Geld zu bekommen, also Bezahlschranken einzuziehen. Das rechnet sich nicht richtig, weil viele sagen, es gibt genügend andere Angebote aus dem Ausland, aus dem Inland, die können wir nutzen, dafür brauchen wir die Verlegerangebote nicht. Und ähnlich sieht es auch aus mit den Rundfunkangeboten von ARD und ZDF und Deutschlandradio.

"Eine Gegenantwort auf den Staatsrundfunk"

Welty: Was setzen Sie dem Vorwurf entgegen, öffentlich-rechtlicher Rundfunk sei Staatsrundfunk?
Raue: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, wie er in Deutschland existiert, ist ja eine Antwort, eine Gegenantwort auf den Staatsrundfunk, wie wir ihn im Dritten Reich und auch in der DDR erlebt haben. Er ist eine Antwort auf den totalitären Zugriff auf ein Massenmedium. Er ist der Versuch, alle gesellschaftlichen Gruppen, alle gesellschaftlich relevanten Gruppen auch zusammenzunehmen, einzubeziehen, durch die Aufsichtsgremien, aber auch durch die Art, wie er finanziert wird und wie er auch unabhängig seine Berichterstattung sicherstellen kann. "Staatsrundfunk" ist eine ganz bewusste Provokation, eine demagogische Überzeichnung. Natürlich leben wir nicht außerhalb des Staates.
Der Staat ist ja nun auch kein Untier, er ist ja auch kein Dämon. Die Verfassungslage sieht so aus, dass Rundfunk in Deutschland Ländersache ist. Das ist natürlich eine staatliche Organisation, ein Bundesland, und die Bundesländer sind mit uns im Dialog, um über unseren Auftrag, über unseren Beitrag und unsere Vernetzung und Verankerung auch in der Gesellschaft. Das ist auch völlig in Ordnung, aber es ist etwas völlig anderes als Staatsrundfunk, wo der Staat bestimmt, was berichtet wird.
Welty: Und was setzen Sie dem Vorwurf entgegen, dass dieses Gespräch bis ins Kleinste vorgegeben ist, dass ich nur das frage, was Ihnen genehm ist?
Raue: Wir haben in den letzten Wochen allein in unserem Programm des Deutschlandradios so viele unterschiedliche Stimmen und Einschätzungen über die sehr strittigen Fragen der Zeit gehabt. Wer das genau aufnimmt, wer das genau wahrnimmt, wer das genau registriert, was dort alles diskutiert wurde und mit welcher Vehemenz die unterschiedlichen Argumente auch ausgetauscht wurden, der kann nicht wirklich daran glauben, dass so etwas einer staatlichen Entscheidung oder gar einer staatlichen Lenkung unterliegt.

Ein Jahr der Entscheidungen

Welty: Von wem wünschen Sie sich mehr Unterstützung für das öffentlich-rechtliche System?
Raue: Ich habe in den letzten Monaten die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen aus allen gesellschaftlichen Gruppen mir sagen, wir finden das toll, was ihr macht. Manches stört uns, manches gefällt uns auch nicht, über manches ärgern wir uns, aber insgesamt, gerade, wenn wir viel uns im Ausland bewegt haben, dann merken wir, was wir an diesem öffentlich-rechtlichen System haben. Und was ich mir wünsche, ist, dass diejenigen, die mir das sagen im Vieraugengespräch oder im kleinen Kreis, dass die das auch in ihrem Arbeitsfeld, in ihren Lebensbereichen, in der Öffentlichkeit auch sagen. Wir müssen erreichen, dass diejenigen, die sich zu uns bekennen, dies auch öffentlich tun.
Welty: Medienpolitisch gilt dieses Jahr 2018 als ausgesprochen wichtig. Da ist nicht nur die Entscheidung in der Schweiz, da sind auch die deutschen Bundesländer, die den Telemedienauftrag formulieren müssen und damit festlegen, wer was im Internet darf und was nicht. Wo, glauben Sie, stehen wir am Ende des Jahres?
Raue: Das ist eine sehr gute Frage. Wenn ich die Ihnen jetzt richtig beantworten könnte und ich könnte mich dann daran messen lassen, was ich heute gesagt habe, am Ende des Jahres, dann könnte ich den Job wechseln und Spekulant werden. Mein Gefühl ist nur, dass sich die Diskussion auch in Deutschland versachlicht, sowohl was den Telemedienauftrag angeht, was den Rundfunkbeitrag angeht, was die Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen angeht. Ich glaube, mancher, der uns auch sehr hart rangenommen hat in den letzten Jahren, der hat in den letzten Monaten gemerkt, wie fragil die ganze Situation ist und wie schwierig die Dinge werden, wenn sie sich emotional aufheizen und so total werden. Wir haben ja eben über das Schimpfwort "Staatsrundfunk" gesprochen.
Wer das in den Mund nimmt und das tatsächlich in die öffentliche Diskussion bringt, der vergiftet den Brunnen und der vergiftet auch die politische Diskussionskultur. Ich persönlich glaube, dass wir am Ende des Jahres in vielen Dingen zu Kompromissen gekommen sind. Das wird den Telemedienauftrag betreffen, das wird die Neuformulierung oder die Neudefinition des Rundfunkbeitrags angehen, also wie viel wird voraussichtlich in der nächsten Gebührenperiode für uns möglich sein an Rundfunkbeitrag, damit wir unseren Auftrag auch ausfüllen können. Ich glaube, die Zeiten, diese Art geistigen Bürgerkriegs über die Zukunft des Öffentlich-Rechtlichen, die müssen vorbei sein. Und ich habe eine zarte Hoffnung, dass das auch der Fall sein wird Ende des Jahres.
Welty: Nach der schweizerischen Entscheidung für Rundfunkgebühren Deutschlandradio-Intendant Stefan Raue im "Studio 9"-Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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