Staus, Stress, verlorene Lebenszeit

Lust und Leid der Pendler

Berufsverkehr am Kölner Hauptbahnhof
Die Zahl der Pendler in Deutschland hat einen neuen Höchststand erreicht. © picture alliance / Marius Becker/dpa
Antje Ducki und Claas Tatje im Gespräch mit Klaus Pokatzky · 09.12.2017
Deutschlands Arbeitnehmer sind immer öfter auf Achse: 60 Prozent aller Beschäftigten pendelten 2016 zu ihrem Job – 18,4 Millionen, so viele wie nie zuvor. Auch die Arbeitswege sind länger geworden: sie liegen bei durchschnittlich 17 Kilometern. Wie können wir den Pendlerwahnsinn durchbrechen?
Deutschlands Arbeitnehmer sind immer öfter auf Achse: 60 Prozent aller Beschäftigten pendelten 2016 zu ihrem Job – 18,4 Millionen, so viele wie nie zuvor. Besonders betroffen sind die Ballungsräume, allen voran München; den höchsten Anstieg verzeichnet Berlin. Auch die Arbeitswege sind länger geworden: sie liegen bei durchschnittlich 17 Kilometern. Mediziner warnen vor langfristigen gesundheitlichen Schäden, Umweltschützer beklagen die Schadstoffbelastung.
Was sind die Gründe für die steigenden Pendlerzahlen? Was bedeutet das Pendeln für die Betroffenen und ihre Familien? Wie können wir den Pendlerwahnsinn durchbrechen?
"Das Pendeln ist ein Beziehungs- und Gesundheitskiller", sagt Claas Tatje. Der Journalist und dreifache Vater fährt jeden Tag mit dem Zug von Hannover nach Hamburg; dort arbeitet er als Redakteur im "ZEIT"-Wirtschaftsressort. Zuvor ist er viele Jahre nach Brüssel gependelt. Seine Erfahrungen hat er in dem Buch "Fahrtenbuch des Wahnsinns. Unterwegs in der Pendlerrepublik" beschrieben.
"Je tiefer man eintaucht, desto spannender wird's. Ich habe zumindest nicht erwartet, dass ich auf dem Weg zur Arbeit Stresshormone ausschütte wie ein Kampfjetpilot im Einsatz. Stimmt aber."
Vielen Pendlern sei nicht bewusst, wie sehr sie ihrer Gesundheit schaden. Den meisten sei auch nicht klar, wie viel Geld sie das Pendeln kostet.
"Wenn man alle Pendlerbewegungen in Deutschland zusammenzählt, ergibt das eine tägliche Fahrt zur Sonne und wieder zurück. Das wissen auch nicht viele. Allein nach Wolfsburg pendeln jeden Morgen 70 000 Menschen. Das ist doch irre!"

Seine Mahnung: "Pendeln frisst Lebenszeit, die man nicht wiederholen kann."

"Sind die Ausgangsbedingungen gut, schlägt sich der ständige Ortswechsel nicht so negativ nieder. Dazu zählen eine stabile Partnerschaft und eine entsprechende innere Haltung wie Offenheit für Neues", sagt Prof. Dr. Antje Ducki, Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Beuth Hochschule für Technik in Berlin. Sie beschäftigt sich seit Jahren mit den Auswirkungen des Pendelns und der Frage, wie man die Situation der Betroffenen verbessern kann.

Ihre Erfahrung: "Die Freiwilligkeit der Entscheidung ist wichtig dafür, wie ich das Pendeln verarbeite. Wenn ich mich entschieden habe, dass die Kinder draußen im Grünen aufwachsen sollen – dann pendele ich lieber, als wenn sich der Standort meiner Firma ändert, und ich dorthin fahren muss."

Allerdings zehre der Zwang, sich ständig neu organisieren zu müssen an vielen Paaren. "Frauen haben es weitaus schwerer als Männer beim Pendeln und übernehmen letztlich ihre 'traditionelle' Rolle als Hausfrau." Die Folge: Nicht wenige Ehen scheitern am Pendeln. 16 Prozent der Pendlerpaare lassen sich in den ersten fünf Jahren scheiden. Viele Unternehmen, so Antje Ducki, kümmerten sich noch zu wenig um die Bedürfnisse der Pendler und sähen das Pendeln als Privatsache.
Ihr Rat: Firmen sollten sich ein Mobilitätsmanagement zulegen. Dazu gehörten flexible Arbeitszeiten und die Möglichkeit, tageweise auch Home Office zu betreiben.

Lust und Leid der Pendler: Darüber diskutiert Klaus Pokatzky von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr mit Antje Ducki und Claas Tatje. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 0800 2254 2254, per E-Mail unter gespraech@deutschlandfunkkultur.de – sowie auf Facebook und Twitter.

Informationen im Internet:
Über Prof. Dr. Antje Ducki: Link
Über Claas Tatje: Link
Literaturhinweis:
Claas Tatje: "Fahrtenbuch des Wahnsinns. Unterwegs in der Pendlerrepublik", Kösel Verlag, 2014
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