Stau im Sommer

Tunnel könnte Usedom zur Stauinsel machen

Polnische Verkehrsschilder, das Ortseingangsschild von Swinoujscie und ein Europaschild der Republik Polen stehen am Grenzübergang Garz - Swinemünde auf Usedom.
Polnische Verkehrsschilder, das Ortseingangsschild von Swinoujscie und ein Europaschild der Republik Polen stehen am Grenzübergang Garz - Swinemünde auf Usedom. © dpa-Zentralbild / Jens Kalaene
Von Silke Hasselmann · 25.06.2018
Das polnische Swinemünde liegt auf zwei Inseln: Usedom und Wollin. Brücken gibt es nicht, nur eine Stadtfähre. Das könnte sich bald ändern, denn Polen will die Swine untertunneln. Die deutschen Usedomer fürchten, vollends zur Stauinsel zu werden.
Tomasz Ucinski kommt aus Swinemünde, arbeitet aber wenige Kilometer entfernt als Notarzt in der Rettungswache Heringsdorf. Die deutsch-polnische Grenze auf der Insel Usedom überschreitet er in zwei Sekunden. Will er jedoch zwischen den Swinemünder Stadthälften - eine auf der Insel Wollin, die andere auf Usedom - pendeln, muss er die Fähre über die Swine nehmen. Und das bedeutet in Stoßzeiten langes Warten. Gut, dass die Stadt eine kostenlose App mit Bildern der aktuellen PKW- und LKW-Schlangen anbietet.
"Sehen Sie, das ist im Zentrum. Und das ist die Fähre, wenn Sie östlich fahren wollen, wo Sie sich anstellen müssen…"

Wasser ist zeitraubendes Hindernis

Man sehe an der Stadtfähre durchaus auch deutsche Kennzeichen, sagt Tomasz Ucinski. Denn für Leute, die von Nordwesten kommend an die polnische Ostseeküste oder weiter nach Zentralpolen fahren möchten, ist der Weg über die Insel Usedom, Swinemünde, Insel Wollin und weiter mit Abstand der kürzeste. Doch die breitgefächerte Wasserscheide auf polnischer Seite ist ein zeitraubendes Hindernis, weshalb die meisten einen großen Südbogen um Usedom schlagen. Noch - sagt Tomasz Ucinski.
"Wenn der Tunnel gebaut ist, dann verkürzt sich die Strecke um die - sage ich mal - zwei Stunden. Die Fahrer, die z.B. aus Hamburg oder aus Rostock über die Ostseeküste nach Danzig und weiter fahren wollen, die werden nicht über Stettin, sondern lieber über Swinemünde fahren. Auch die Leute, die z.B. an der östlichen Seite der Stadt Swinemünde arbeiten - das ist auch schon ein Gewinn am Tag von fast einer Stunde, kann man sagen. Und das wird Urlauberzahlen enorm steigern. Denn bis jetzt war das eine Art Begrenzung oder Abschreckung: Wenn man nach Swinemünde will, muss man erst mal diese zwei, drei Stunden abwarten in der Warteschlange, bis man auf der anderen Seite ist."

Der Tunnel ist ein Segen

Der nächste Einsatz ruft. Tomasz Ucinski hofft auf halbwegs fließenden Verkehr für den Notarztwagen und verabschiedet sich von seinem Kollegen Sebastian Antczak. Der sagt über den Tunnel-Plan der polnischen Nachbarn:
"Ich bin ja Deutsch-Pole und fahre auch oft nach Stettin. Für mich wäre das ein Segen, der Tunnel. Dann muss ich nicht mehr auf die Stadtfähre zu warten, wäre nicht mehr auf die Betriebszeiten der Fähre angewiesen, sondern kann frei entscheiden, wann ich rüberfahre, und den Tunnel nutzen. Also ich bin ein Befürworter dieses Tunnels."
Umgekehrt wäre der Swine-Tunnel auch für Usedom-Besucher aus Richtung Berlin ein Segen. Bislang kann man den deutschen Teil der Insel nur über die Nadelöhre Wolgast und Zecheriner Brücke befahren, was sich im Sommer extrem schleppend gestaltet. Endlich würde es sich lohnen, lieber auf der polnischen Seite per Schnellstraße vom grenznahen Stettin nach Swinemünde zu fahren. Mit dem Swine-Tunnel wäre das Weiterfahren bis zur offenen Grenze auf Usedom nur noch eine Sache weniger Minuten.

Urlauberverkehr in der Hochsaison: eine Katastrophe

"Ich bin halt darauf gespannt, wenn der Swine-Tunnel tatsächlich fertig ist, was da noch für ´ne Zusatzbelastung für die Insel kommt, weil: Dann sind die deutlich schneller an der Küste. Deshalb bin ich eigentlich davon überzeugt, dass der Verkehr dann zunimmt."
Die beiden einzigen Bundesstraßen auf deutscher Inselseite sind schon jetzt chronisch überlastet. Der Urlauberverkehr in der Hochsaison: eine Katastrophe nicht nur für die schnelle medizinische Hilfe, sagt Rettungsassistent Sebastian Antczak. Die Einheimischen könnten durchaus nachvollziehen, dass die Swinemünder den Tunnel brauchen.
"Es wird verstanden, aber man hat halt Angst. Die Verkehrssituation ist jetzt schon mehr als grenzwertig. Wenn man sich das anguckt, dass man teilweise auf einer Strecke von Ahlbeck nach Bansin eineinhalb Stunden bis maximal zwei Stunden braucht, wenn hier voll Betrieb ist - Anreisezeit, Abreisezeit."

Kommt noch mehr Verkehr wegen des Tunnels?

In diesem Beispiel geht es um lediglich sechs, sieben Kilometer. Kaum auszudenken die Mehrbelastung, würde der Swine-Tunnel dann auch noch den grenzüberschreitenden LKW-Verkehr anziehen.
Dafür freilich müsste auf deutscher Seite die B 110 ab dem Grenzübergang Garz ertüchtigt werden. Doch man findet in Deutschland wohl kaum jemanden, der der Politik so dankbar ist für Nichtstun wie die Usedomer in diesem Fall. Denn weil die schmale Bundesstraße nicht ausgebaut wird, ist sie für Schwerlasttransporter ungeeignet. Ein Schild an der Grenze stellt klar: Durchfahrtsverbot für Fahrzeuge über 7,5 Tonnen Gewicht. Dabei sollte es der für Bundesstraßen zuständige Bund belassen, meint Landesverkehrsminister Christian Pegel (SPD). Einen Ausbaubedarf meldet Mecklenburg-Vorpommern jedenfalls nicht an, denn:
"Wenn du dort ausbaust und die Tonnagebegrenzung wegnimmst, dann würden vermutlich auch größere Teile der LKW, die momentan die Fähre verlassen, den Tunnel nutzen, um dann tatsächlich über die Insel Usedom schneller auf die A 20 zu kommen und dann in den deutschen Verkehrsraum vor allem Richtung Hamburg zu gelangen. Das sind aber für die Insel Usedom reine Durchlaufverkehre. Die hätten überhaupt keinen Effekt, würden aber riesige Verkehrsmengen einbringen."

Doppelt so viel Verkehr auf Usedoms Straßen

Ein Gutachten hat inzwischen ergeben: Bis 2030 werde der Gesamtverkehr auf Usedoms Straßen schon ohne Swine-Tunnel um 13 Prozent zunehmen, der Schwerlasttransport sogar um ein Drittel. Fast doppelt so viele PKW und LKW würden sich über Usedom wälzen, wenn alles zusammenkäme: der Tunnel gebaut, die Bundessstraßen ertüchtigt und das LKW-Verbot am Grenzübergang aufgehoben, so Verkehrsminister Pegel:
"Deswegen sind davon überzeugt, dass es eigentlich kein Interesse gibt und auch keine Notwendigkeit, diese Straße über den jetzigen Zustand hinaus zu ertüchtigen. Für PKW-Verkehre wird sie weiterhin interessant bleiben. Da wird sicherlich auch der PKW-Verkehr zunehmen. Davon geht der Gutachter aus. Nicht so, dass die Insel im Verkehr erstickt. Aber es werden mehr Verkehre sein."

Mehr Straßen gleich mehr Umweltbelastung

Sebastian Antczak - zuständig für die Wasserrettung in den Kaiserbädern - hat unterdessen seinen sechsrädrigen Rettungsquad startklar für den heutigen Einsatz gemacht. Er sei froh, wenigstens fünf Monate im Jahr am Strand zu arbeiten. Denn auch ohne den Zusatzverkehr eines Swine-Tunnels sorge die Masse an Urlauber-PKW und Versorgungsfahrzeugen schon jetzt für Schritttempo auf den Straßen der Insel.
"Ich muss sagen, ich bin froh, nicht in der Politik zu sein, um so eine Entscheidung zu treffen. Ich wüsste nicht, was wir da für ein Konzept entwickeln könnten. Mehr Straßen heißt mehr Umweltbelastung. Weniger Urlauber heißt auch weniger Arbeitsplätze, weniger Einnahmen. Lassen wir uns mal überraschen."
Mehr zum Thema