Stasi in der Kirche

Der nette Professor verpfiff Dutzende Brüder und Schwestern

Blick auf die Nikolaikirche im Zentrum von Leipzig im Gegenlicht der gleißenden Sonne
Die Nikolaikirche in Leipzig - Symbol des friedlichen Widerstands gegen die Staatsgewalt der DDR © picture alliance/dpa(Hendrik Schmidt
Von Blanka Weber · 02.11.2014
Einerseits waren die Kirchen in der DDR ein Hort der Opposition. Andererseits war die Stasi auch dort fest etabliert und bekam regelmäßig Informationen von Spitzeln. Eigentlich hat die Kirche sich um Aufarbeitung bemüht - aber nicht so gründlich, wie man glauben mag.
"Es kommen Menschen zu mir, die zum Teil über viele Jahre gelitten haben in der DDR und die gelitten haben unter diesem Leiden, daran, dass sie nicht anerkannt werden, daran, dass sie nicht ausreichend gehört werden. Es kommen Menschen, die schon oft ihre Geschichte erzählt haben und manchmal frage ich dann, wenn wir anderthalb Stunden zusammen gesessen haben: Was wollen Sie jetzt erreichen?"
Curt Stauss , Jahrgang 1948, war bis 2011 evangelischer Pfarrer in Merseburg, in Sachsen-Anhalt. Heute lebt er in Halle. Bis 2015 wird er offiziell Ansprechpartner der EKD sein für jene, die, wie er selbst, in Konflikt mit dem Staat DDR kamen: Er verweigerte als Jugendlicher den Armeedienst, das galt als Boykott. Sein Abitur durfte er erst später nach einer Autoschlosserlehre an der Abendschule ablegen. Er studierte Theologie, arbeitete als Pfarrer und erfuhr immer wieder von Repressalien des DDR-Staates und der Staatssicherheit. Heute blickt er zurück und sagt: Ich möchte helfen, dass Menschen aus der Opferrolle heraus treten können.
"Und es ist ganz, ganz oft eine ähnliche Grenze der Hilflosigkeit, wie es eine Grenze darstellt, dass die früher Verantwortlichen nicht erreichbar sind, dass kaum jemand von denen bereit ist zum Gespräch. Es gibt so eine Art des hilflosen Ausgebremstseins."
Bis zwei Prozent der DDR-Kirchenmitarbeiter pflegten Kontakte zur Stasi
Einzelne reden. Auch einzelne ehemalige IM – inoffizielle Mitarbeiter, sogar Stasi-Offiziere. Doch das "hilflose Ausgebremstsein" bestimmt auch knapp 25 Jahre nach dem Ende der DDR das Empfinden derer, die bespitzelt und bestraft worden sind.
Etwa 1,5 bis zwei Prozent der haupt- und ehrenamtlichen DDR-Kirchenmitarbeiter hätten enge Kontakte zur Staatssicherheit gepflegt. Es könnten allerdings, je mehr Akten nun zusammengefügt werden, neue Namen hinzukommen. Eine große Welle wird nicht mehr erwartet. Wohl aber einzelne Namen, die aufhorchen lassen. Wie der des Altbischofs Ingo Braecklein, dem der Landeskirchenrat nach "eingehender Überprüfung" eigentlich das Vertrauen ausgesprochen hatte. 1996 tauchten allerdings erste Dokumente auf, die ihn schwer belasteten und schließlich war klar: Er hatte 30 Jahre lang für die Stasi gearbeitet.
"Wir haben im Moment zwei wesentliche Namen, das ist zum einen der frühere Bischof Braecklein, der als IM zusammengeschnipselt worden ist, das ist zum anderen Alexander Radler, ein früherer Theologie-Professor, der dann nach Schweden ging, nachdem er enttarnt worden ist 1993, und wo man erst jetzt durch die zusammengeschnipselten Akten gefunden hat, in welchem großen Umfang, wahrscheinlich 23 vielleicht sogar 30 Menschen, die durch seine Spitzeltätigkeit inhaftiert worden sind. Also ein sehr erfolgreicher IM, wenn man so will."
Im Wesentlichen hätten die Kirchen ihre Mitarbeiter bereits Anfang der 90er Jahre überprüft. In Einzelfällen habe man sich von Personal getrennt. Dass sich manch einer über juristische Wege wieder einklagen konnte, das sei gewiss bei einigen Kirchenmitgliedern damals nicht gut angekommen, weiß der EKD-Beauftragte.
In das Thema kommt derzeit wieder Bewegung. Eine neue Generation fragt nach, neue Decknamen tauchen in Akten auf. Doch nicht alle Namen auf Karteikarten der Staatssicherheit, waren auch Inoffizielle Mitarbeiter. Manche seinen angesprochen und registriert worden, hätten aber nie gespitzelt.
"Man muss sehen, dass das in vielen Fällen funktioniert hat, das wir allen jungen Leuten, die neu bei der Kirche angefangen haben, die Theologie studiert haben oder so etwas, gesagt haben: Wenn die dich zu werben versuchen, dann sage denen bitt: das werde ich auch meinem Seelsorger, meinem Dienstvorgesetzen oder Professor mitteilen. Das hat in vielen Fällen dazu geführt, dass wir nur noch Vermerke haben aber nicht mal den IM–Vorlauf. Also es hat Zivilcourage gegeben."
Wie viele Mitarbeiter Informationen aus der Kirche an die Staatssicherheit weitergaben, kann bis heute nicht exakt benannt werden. Von 77 Fällen ging allein der Bundesbeauftragte für die Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen aus, wohlgemerkt: nur bei der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen. 59 davon waren als IM registriert, darunter 48 Pfarrer. Die Daten basieren auf Akten, die man Ende der 90er Jahre kannte.
Im Zweifel für den Angeklagten
Das Bild sei verzerrt, hieß es 2006 in einem Bericht der Landeskirche. Denn Karteieinträge würden noch nichts über die Spitzeltätigkeit aussagen, wenn Berichts- und Arbeitsakten nicht vorlägen. Und, aus Sicht der Kirche würde man immer nach eigener Überprüfung "in dubio pro reo" – im Zweifel für den Angeklagten – entscheiden.
Aus Sicht der Landeskirche in Thüringen waren es lediglich 20 kirchliche Verantwortungsträger, die zur Zeit der Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit Kontakte zum Staat pflegten.
Der heutige Landesbeauftragte Thüringens für die Aufarbeitung der SED-Diktatur Christian Dietrich ist selbst evangelischer Pfarrer und weiß um die Schwierigkeit der Aufarbeitung.
"Ich selber habe Theologie studiert an dem kirchlichen Seminar in Naumburg und dort gingen die Dozenten davon aus, dass die Stasi im Haus ist. Und wenn ich es richtig sehe, ich bin der Meinung, ich hab als Noch-nicht-Student damals den Wirtschaftsleiter enttarnt, als einen der mit dem Staat zusammenarbeitet. Da hatte ich gleichzeitig damals den Eindruck, der kirchliche Teil in diesem Seminar wollte: lieber der als wir wissennicht wer."
Auch aus seiner Sicht ist es heute nicht leicht, aufzuklären, wo Kirche als Überlebensstrategie endete und Anmaßungen einer Diktatur begann. "Wenn wir heute nach Kirche in der DDR fragen", sagt Christian Dietrich, so sollten wir nicht nur nach Mitarbeitern fragen, die in den 90er Jahren aktiv waren. Als Beispiel nennt er einen ehemaligen Kirchenjuristen, der sich 1989 in der Opposition betätigte und eine politische Karriere begann, bis bekannt wurde, dass auch er ein IM war:
"Also einer der wichtigen IMs innerhalb der Kirche, Kirchner, der dann Generalsekretär der CDU gewesen war, und aus dem kirchlichen Dienst heraus ging, kam auch gar nicht mehr in der Überprüfung vor."
Ob sich die Kirche während der DDR-Zeit untreu geworden ist? Das sei bis heute eine Frage, auf die er keine Antwort geben möchte:
"Und das ist auch eine Frage, die von den Kirchen beantwortet werden muss und als Landesbeauftragter, auch wenn ich Theologe bin, werde ich mich hüten, ein Urteil zu fällen. Aber ich glaube, das ist auch noch offen, die Antwort auf diese Frage."
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