Stasi-Akten kommen ins Bundesarchiv

Ende einer Behörde

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Archiv der Stasi-Unterlagenbehörde: Blick auf ein Regal voller Akten.
Blick ins Archiv der Stasi-Unterlagenbehörde in Berlin. Künftig sollen Akten digital eingesehen werden können. © imago / epd
Von Christiane Habermalz · 19.11.2020
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Unumstritten ist die Entscheidung nicht: Die Stasi-Unterlagenbehörde wird geschlossen. Das entschied der Bundestag 30 Jahre nach Ende der DDR. Die Akteneinsicht gehe nicht verloren, versprach Kulturstaatsministerin Monika Grütters.
Es ist eine historische Entscheidung, die der Bundestag nun getroffen hat. 30 Jahre nach dem Ende der DDR soll mit dem Auslaufen der Amtszeit des derzeitigen Beauftragten für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, die Behörde dichtgemacht werden und die Akten in das Bundesarchiv eingegliedert werden.
Das sei keinesfalls ein Schlusspunkt, betonte Kulturstaatsministerin Monika Grütters: "Sondern ganz im Gegenteil: Es ist die Fortsetzung der Aufarbeitung unter gesamtdeutschen Vorzeichen, eine späte deutsch-deutsche Vereinigung, wie es vor ein paar Tagen in einer Sonntagszeitung so treffend formuliert war."

Akteneinsicht wird digital

Auch die Akteneinsicht werde uneingeschränkt weitergehen, versicherte Grütters. Ja, sie werde sich sogar verbessern durch Digitalisierung und bundesweite Zugänglichkeit.
"Mit dem jetzt vorliegenden Gesetz wollen wir die Stasi-Unterlagen dauerhaft und für künftige Generationen bewahren, als Teil unseres gesamtstaatlichen Gedächtnisses und unter dem juristischen Dach des Bundesarchivs, im Kontext weiterer Archivbestände, die einen Bezug zur ehemaligen DDR und zur Zeit der deutschen Teilung haben."

Auch das Amt des Stasi-Beauftragten, des Herrn über die 111 Kilometer Akten, das vor Roland Jahn von Joachim Gauck und dann von Marianne Birthler ausgeübt wurde, wird es ab dem nächsten Sommer nicht mehr geben.
Stattdessen soll am Bundestag ein "Bundesbeauftragter für die Opfer der SED-Diktatur" eingerichtet werden, gewählt für jeweils fünf Jahre. Eine wichtige Errungenschaft für die Opfer, erklärte die Vorsitzende des Kulturausschusses im Bundestag, die SPD-Abgeordnete Katrin Budde:
"Mit der Einrichtung eines Opferbeauftragten beim Deutschen Bundestag geben wir den Opfern und Verfolgten, ihrem Anliegen eine Stimme. Ermöglichen mit größtmöglicher Unabhängigkeit, dem Bundestag, seinen Gremien und anderen öffentlichen Stellen zu berichten, zu beraten, und auf Notwendiges hinzuweisen, und wenn nötig auch weitere Gesetze zu veranlassen."

Eine umstrittene Entscheidung

Die Entscheidung wurde von einer breiten Basis aus CDU, SPD, FDP und Grünen mitgetragen. Unumstritten war sie nicht. Denn die Akten seien auch wichtiges Kulturgut, die Stasi-Unterlagenbehörde ein hochsymbolischer Ort, so der Einwand von früheren Bürgerrechtlern.
Bis zuletzt gab es Kritik, unter anderem vom SPD-Politiker Wolfgang Thierse und dem früheren DDR-Bürgerrechtler und Theologen Richard Schröder, die bemängelten, dass die Stasi-Behörde und ihre Forschungsabteilung auch unter dem Dach des Bundesarchivs weiterhin eine Sonderstellung behalten werde. Damit bleibe der Blick auf die DDR-Geschichte zu sehr verengt auf die Stasi. Der eigentliche Machtapparat und die SED, deren Nachfolgepartei im Bundestag sitze, sei dadurch aus dem Fokus geraten.
Die Linksfraktion unterstützte heute die Neuregelungen, enthielt sich aber, weil in ihren Augen die Finanzierung der Aufarbeitung nicht ausreichend gesichert sei.
Kritik kam von der AfD. "Mit dem Gesetz, das heute eine Mehrheit in diesem Hause beschließen wird, beerdigt der Deutsche Bundestag eine der herausragendsten, wenn nicht die herausragendste Errungenschaft, ein weltweites einmaliges Erbe, der friedlichen Revolution", so der bildungspolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Bundestag, Götz Frömming.

Aufarbeitung bleibe wichtiges Thema

Die breite Mehrheit im Bundestag sieht das anders und stimmte heute für die Neuregelungen, die auf Grundlage eines von Roland Jahn und dem Leiter des Bundesarchivs, Michael Hollmann, entwickelten Konzeptes erarbeitet wurden.
Die Aufarbeitung der DDR-Geschichte bleibe noch lange wichtiges Thema für die Gesellschaft, betonte der FDP-Politiker Thomas Hacker: "Eine Gesellschaft, die stark sein will gegen populistische Verführer, braucht Forschung über totalitäre Systeme, sie braucht Bildungsarbeit, um die Geschichte, den Terror, die Schrecken auch der kommunistischen Diktatur auf deutschem Boden für die junge Generation zu erschließen."
Die Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft ist ebenfalls zufrieden: Vor allem die Einrichtung eines Opferbeauftragten war lange von ihr gefordert worden. Beschlossen wurde auch, die Außenstellen der Stasi-Unterlagenbehörde in den neuen Bundesländern von bislang 12 auf fünf zu reduzieren. Damit bleibt in jedem Land eine Zweigstelle mit Archivstandort erhalten.
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