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Bratwurst mit Datteln

Von Marina Schweizer · 16.12.2013
Sie wollen die Welt öffnen und sie ein Stückchen besser machen, indem sie Gewürze aus aller Herren Länder verkaufen. Dabei ahmen die drei Gründer der "Gewürzkampagne" ganz frech ein anderes Unternehmen nach.
Lammbratwürste mit Datteln. Dazu Sauerkraut mit Curry und Rosinen. Um mich herum sitzen etwa 30 junge Menschen vor ihren Tellern. Meine beiden Tischnachbarinnen kosten die gelbe Chutney. Ich beobachte, wie sie die Paste - ganz ohne Schmatzen - mit der Zunge gegen den Gaumen reiben und anfangen zu rätseln.
Anne und Nancy: "Ist auf jeden Fall was mit Senf. Aber ich finde nicht raus, was. Es hat schon was vom Chutney, finde ich, durchaus. Ich würde jetzt auf Ananas oder Mango tippen, aber ich würde Ananas sagen."
Mir steigt die Schärfe in die Nase und auch ich bin unschlüssig. Tatsächlich drin sind: Aprikosen, Balsamico, Senf. Das Geschmacksevent heißt "Kampagnentisch" und gehört zur Geschäftsidee der Gewürzkampagne, erzählt einer der drei Gründer, Steven Lange.
Die Welt über den Geschmack erfahren
"Die Leute können, wenn sie Lust haben, vorbeikommen, mitnaschen, mitkosten und die Welt über den Geschmack erfahren sozusagen. Und es greifbar machen, es selbst riechen, das war eigentlich so die Idee."
Das Herzstück der Gewürzkampagne liegt ein paar Kilometer nördlich von hier. Am Schiffbauerdamm in Berlin Mitte, in einem schlichten Keller.
„So, das wäre jetzt unser Lager aus dem wir quasi unsere Gewürze heraus versenden."
Der 23-jährige Richard Friedrich führt mich in den kleinen Kellerraum, eingerahmt von deckenhohen Holzregalen. Der Mitgründer zieht ein paar silberne Päckchen aus den Kisten: Fleur de Sel, Salbei, Curry, Rosmarin. Die Beutel sind etwas größer als eine Handfläche. Ungewöhnlich große Packungen für ein Gewürz - und das ist hier das Prinzip.
Ein hochwertiges Produkt erschwinglich machen
"Wir haben halt versucht, durch das Konzept, was wir auch in den Prinzipien von der Teekampagne übernommen haben, für jedermann ein hochwertiges Produkt erschwinglich zu machen. Günstig zu machen und mehr Bewusstheit dafür wieder zu fördern, dass man sich darüber Gedanken macht: Wo kommt es denn her und wie riecht denn das einzelne und nicht immer die fertige Mischung aus dem Supermarkt."
Die Kampagne versucht mit ihren großen Beuteln Geld einzusparen - im Vergleich zu handelsüblichen kleinen Gewürzmengen, bei denen immer wieder aufs Neue die Verpackung und die Abfüllung mitbezahlt werden. Außerdem sorgen wenige Zwischenhändler für geringere Ausgaben, erklärt Richard. Hundert Gramm Basilikum aus Ägypten kosten fünf Euro. Alle Produkte sind bio-zertifiziert. Im Supermarkt kann die gleiche Menge Basilikum gut das Doppelte kosten - ohne Bio-Siegel.
"Der höchste Betrag soll wirklich dem Gewürz zugutekommen. Und wir haben uns dann für diese einheitliche Packungsgröße entschieden: Je nach Gewürz passt in die Tüte mehr oder weniger rein."
Das Ersparte in die Idee gesteckt
Richard nimmt eine silberne Blechdose in die Hand und drückt fest den Deckel auf: Die Idee: Gewürze zum Nachfüllen und Teilen. Die Aromaschutzdosen können Kunden auf der Website mitbestellen. Während er mir stolz die poppig bunten Etiketten zeigt, erzählt er, dass einer von ihnen sich mittlerweile hauptberuflich um die Gewürzkampagne kümmert, zwei von ihnen machen es neben dem Studium.
Zur Gründung stecken die drei Chemnitzer Jugendfreunde ihr Erspartes in ihre Idee und profitieren von dem Knowhow von vier Berlinern, die mit einem ähnlichen Konzept schon auf dem Markt sind.
"Und dann kam so eins aufs andere, dass wir überlegt hatten, Mensch, gibt es das Konzept der Teekampagne? Könnte man das nicht zum Beispiel auf Gewürze anwenden und dem Ganzen noch so eine menschliche Komponente hinzufügen?"
"Geschmack ist eine Essenz für uns"
Für die menschliche Komponente, wie Richard Friedrich es nennt, sollen Abende, wie der Kampagnentisch sorgen. 30 Euro kostet so ein Geschmackserlebnis - die Gäste haben die Karten über ein Onlineportal im Internet gekauft. Im Laufe des Abends essen wir uns an der langen Tafel durch vier Gänge.
"Also, es ist ja immer so, dass wir auch ein haptisches Produkt haben und online kann man das nicht riechen, nicht schmecken, und so weiter."
Mitgründer Steven Lange untermalt, was er sagt, mit kreisrunden Handbewegungen.
"Und Geschmack ist ja eine Essenz für uns. Die können wir online nur visuell kommunizieren und wenn wir eine Erfahrung schenken wollen, müssen wir das irgendwie offline holen."
Die Gäste löffeln genüsslich
Heute machen sie das zum Beispiel mit maisgelber Popcornsuppe.
"Wir haben die Suppen für Euch angerichtet, damit wir alle in Bewegung kommen…"
Im Teller liegen rohe Garnelen, Steven schöpft heiße Suppe aus Popcorn-Mais darauf.
"Das ist jetzt gerade noch roh und deswegen müssen wir das jetzt mit dem heißen überbrühen - auch Popcorn?"
Am Tisch, mit Walnüssen, Tannenzapfen und dreiarmigen Kerzenständern dekoriert, löffeln die Gäste genüsslich Suppe. Viele von ihnen sind Freunde der Kampagnen-Gründer oder Bekannte um ein paar Ecken.
"Ich hätte noch an so ein paar Popcornflocken oben drauf noch gedacht - aber sonst wars echt interessant der Geschmack."
Nancy und Anne, meine beiden Tischnachbarinnen, sind Foodblogerinnen - sie schreiben online über Essen. Beide haben sich gerade erst am Tisch kennengelernt und fachsimpeln schon.
Mit viel Pathos erzählt
Im Kleinen könnte es das sein, was die Gewürzkampagne erreichen will und was mir Gründer Steven, am Anfang des Abends mit viel Pathos erzählt:
"Also: Es mag vielleicht ein bisschen pathetisch klingen, aber wir wollen eigentlich so ein bisschen die Welt verändern. Und das wollen wir machen, indem wir die Menschen zusammenbringen und das machen wir eben mit Gewürzen."
...sagt er und nippt genüsslich am Glas mit selbstgemachter Ingwer-Minz-Limettenlimonade. Die Welt verändern ist das Fernziel. Innerhalb des nächsten Jahres soll eine wichtige Etappe erreicht sein: Die drei Kampagnengründer wollen vom Geschäft mit dem Geschmack leben können.