Istanbul-Biennale

Kunst als subversiver Komposthaufen

08:39 Minuten
Istanbul bei Nacht.
Bei der diesjährigen Kunstschau gibt es keinen zentralen Veranstaltungsort, stattdessen werden die Arbeiten über die ganze Stadt verteilt gezeigt. © IMAGO / ZUMA Wire / IMAGO / Onur Dogman
Ingo Arend im Gespräch mit Sigrid Brinkmann · 17.09.2022
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Bei der 17. Istanbul-Biennale setzt man wie bei der documenta voll und ganz auf die Kraft der Kollektive. Politische Themen werden eher indirekt angesprochen. Die Initiativen sollen sich stattdessen gegenseitig befruchten.
Das politische Klima in der Türkei hat sich in den vergangenen neun Jahren seit den Gezi-Protesten 2013 und dem Putschversuch 2016 extrem verschärft. Viele Künstler, Intellektuelle und Bürger wurden inhaftiert, viele haben das Land verlassen – und unabhängige Medien gibt es im Land kaum noch.
„Kann eine Biennale auch die Zeitung ersetzen?“, fragt Ute Meta Bauer. Sie ist eine der Kuratorinnen der 17. Istanbul-Biennale, die mit einem Jahr pandemiebedingter Verspätung am 17. September begonnen hat.

Orientierung an der documenta

Für die diesjährige Kunstschau hat man sich an der aktuellen documenta orientiert, wie der Kunstkritiker Ingo Arend erklärt. Es gibt keinen zentralen Veranstaltungsort, stattdessen werden die Arbeiten – insgesamt nur 60 – über die ganze Stadt verteilt in den Räumen von unabhängigen Initiativen gezeigt. Über dem Ganzen schwebt das Konzept des Komposthaufens.
„Mit dieser Idee will man zur Vernetzung lokaler und internationaler Initiativen beitragen, also Kompost und unsichtbare Fermentation", erklärt Arend. Die Initiativen sollen also auf fruchtbaren Boden fallen – und alle sollen voneinander lernen. Die documenta lässt grüßen. Arend vermisst ein bisschen die spektakulären Dinge, wie er sagt, "aber andererseits ist das vielleicht auch ein ganz guter Ansatz".

Politische Themen werden indirekt angesprochen

Umweltthemen spielen diesmal eine große Rolle. „Manchmal hat man den Eindruck, dass Probleme wie die der Landwirte in Indonesien auf ähnliche Probleme in der Türkei hinweisen sollen, ohne dass man das offen sagt“, so Arend. Überall sei eine Art Autozensur zu spüren. Was sich stattdessen etabliert hat, sei „so ein ironisches Katz-und-Maus-Spiel“ wie zu Zeiten der DDR: der Intellektuelle, der die Staatsmacht überlistet.

Bis zum 20. November 2022 kann man sich die über die ganze Stadt verteilten Kunstwerke anschauen.

Die Stiftung des ermordeten armenischen Journalisten Hrant Dink wollte zum Beispiel eine Konferenz zum armenischen Erbe in der Stadt abhalten, was zweimal verboten wurde. Daraufhin meldete man eine Konferenz an, bei der es nur darum gehen sollte, wie man die gefüllten türkischen Teigtaschen "Manti" zubereitet. Im Anschluss an die Konferenz gab man dann eine gleichnamige Zeitung mit vielen politischen Artikeln heraus.
Die Stiftung, die die Istanbul-Biennale trägt, hat diese Zeitung unterstützt, sagt Arend, „woran man sehen kann: Da passieren doch noch einige Dinge. Die Lage der Kunst ist durchwachsen. Sie ist sehr, sehr schwierig, aber sie ist eben nicht aussichtslos.“

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