"stargaze" spielt "Blackstar" in der Elbphilharmonie

Liebevolle Hommage an David Bowie

"Blackstar" - das letzte Album von David Bowie, zu sehen ist die CD und ein Foto von dem Künstler mit Sonnenbrille und Zigarette
"Blackstar" bekommt fast den Charakter eines Requiems. © picture alliance / dpa / Veronika Simkova
Von Juliane Reil · 03.05.2018
"Blackstar" – das letzte Album von David Bowie – erschien an seinem 69. Geburtstag. Zwei Tage später erlag der Musiker einem Krebsleiden. Das Orchesterkollektiv "stargaze" hat die Songs neu interpretiert und in der Elbphilharmonie aufgeführt.
Aus der Phase, als David Bowie noch mit seinem Alter Ego Ziggy Stardust unterwegs war, und auch aus seiner Berliner Zeit gab es einzelne Songs. Tatsächlich bildeten die sieben Lieder aus Blackstar den Kern. In der Chronologie des Albums wurden sie performt. Streicher, Bläser, Flügel, aufwendiges Schlagwerk und sogar eine Orgel wurden von Andre de Ridder dirigiert. Er leitet das Berliner Orchesterensemble "stargaze", das auf der Grenze von Pop und Klassik operiert. Zum Beispiel hat es schon mit Owen Pallett und The National-Gitarrist Bryce Dessner zusammengearbeitet. Gestern stand außerdem noch der amerikanische Komponist Jehrek Bischoff an der Bassgitarre auf der Bühne . Die Mehrzahl der Stücke hat er arrangiert.
Den Gesangspart von David Bowie übernahmen drei hochkarätige Frauen der Independent-Szene abwechselnd: die österreichische Avantgarde-Popmusikerin Anna Plaschg alias Soap & Skin, die französiche Stereolab-Sängerin Laetitia Sadier und die britische Neo-Blues-Chansonette Anna Calvi, die auch die E-Gitarre gespielt hat. Insbesondere wenn sie zweistimmig gesungen haben, konnte man Gänsehaut bekommen: Das war ausdruckstark und manchmal fast engelsgleich. Dabei stach Anna Calvi – zierlich, in schwarzen Hosen, dramatisch geschminkt – besonders hervor. Ganz einfach, weil Bowies Songs wirklich zu ihren wurden. Mal flüsterte sie zart, dann riss sie den Mund auf und die Stimme schwoll fordernd an. Dass sie so expressiv als Sängerin ist, hat auch viel mit Bowie zu tun, sagte sie nach dem Konzert:
"Ich habe viel gelernt, indem ich David Bowie gehört habe, weil er wirklich in seinen Songs lebt. Er holt so viel wie möglich aus seiner Stimme raus - sowohl was seine Haltung als Sänger angeht als auch die kleinsten Nuancen. Als Sängerin versuche ich das auch. Ich denke, dass das wirklich unglaublich ist bei seinen Songs. Trotzdem wird seine Stimme oft unterschätzt. Ganz einfach, weil das Songwriting so gut ist."

Bowies musikalisches Vermächtnis

Wahrscheinlich war es gut, starke Frauen zu besetzen. Andererseits auch Männer haben es schon geschafft, Bowie überzeugend zu covern. Kurt Cobain und Billy Corgan von den Smashing Pumpkins zum Beispiel, weil sie eigenwillige, unangepasste Typen sind bzw. waren.
"Blackstar" - das letzte Album von Bowie – gilt ein bisschen als sein musikalisches Vermächtnis, und es ist ein Abschied, wie wir kurz nach der Veröffentlichung erfahren mussten - mit dem Tod des Künstlers. Bei "stargaze" und Andre de Ridder bekam das Album den Charakter eines Requiems. Fragile Musik, die mit der Orgel stellenweise etwas sehr Sakrales bekam. Das Motiv des Trauermarsches, das im Album subtil angelegt ist, wurde mehrmals aufgegriffen. Es hatte aber etwas Warmes und Versöhnliches und zwischendurch swingte es sogar. Eine liebevolle Hommage, die das Publikum begeistert hat.
Bowie war ein Visionär und Grenzgänger: "Blackstar" ist ein schroffes, waghalsiges Album von rätselhafter Schönheit, das Unbehagen ausdrückt. Refrains deuten sich nur an und verschwinden dann wie eine Fata Morgana. Die Version von "stargaze" war gut gemacht, aber überrascht oder gar mitgerissen hat sie mich nicht. Ich hätte mir weniger schwelgerische Streicher und etwas mehr Experimentierfreude gewünscht.

Internationales Musikfest mit dem Motto "Utopie"

Eigentlich ist Popmusik die perfekte Projektionsfläche für Utopien. Allerdings weniger im Sinne von Gesellschaftsentwürfen. Es geht um die Flucht aus einer Realität, es geht um lauten oder leisen Protest, das Anderssein zu feiern und damit die Realität und die Gesellschaft in Frage zu stellen. Schon allein optisch und durch seine wechselnden Bühnenfiguren hat Bowie das getan: vom androgynen Ziggy Stardust Anfang der 70er-Jahre in Kimono und rotem Vokuhila über den Mann, der vom Himmel fiel zum blutarmen "Thin White Duke". David Bowie stellt eher Fragen, als dass er antwortet. Für Anna Calvi unterscheidet ihn das schon von einem Utopisten:
"Ein Utopist meint, dass er die Antwort hat. Ich glaube nicht, dass Bowie daran interessiert war. Weil er immer schon beim Nächsten war. Aber wenn man seine Musik hört, klingt sie schon utopisch, weil die Songs so schön sind. Bei seiner Musik ist es merkwürdig, dass Du nicht weißt, wer er als Person ist. Aber seine Kreativität ist so groß, dass das vollkommen egal ist. Wer ist David Bowie? Er ist die Musik. Das ist wunderschön und selten und der Grund, warum viele Leute mit ihm etwas anfangen können."
Dass das Publikum etwas mit Bowie anfangen konnte, war sicherlich auch besonders Anna Calvi zu verdanken, die zum Schluss eine beeindruckende Version von dem Song "Lady Grinning Soul" aus dem Album "Aladdin Sane" performt hat. Eine Ballade, bei der sie ihre Stimme langsam hochgeschraubt hat und die E-Gitarre aufschreien ließ. Für mich der Höhepunkt des Konzertes, das an dieser Stelle aus dem Requiem ausgebrochen ist.
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