Star der Terrorszene

Rezensiert von Andreas Baum |
Dem Autor Jean-Charles Brisard ist mit "Das neue Gesicht der Al-Quaida" ein Portrait über einen Mann gelungen, der durch seine ungewöhnliche Brutalität zu einem Star der Terrorszene geworden ist: Abu Mussab al-Sarkawi. Brisard begann nach den Terroranschlägen vom 11. September damit, die Hintergründe von Al-Quaida zu durchleuchten, Finanzströme aufzuzeigen und Mitwisser aufzudecken.
Dieses Buch ist eigentlich ein Abfallprodukt. Der Autor, Jean-Charles Brisard, ist Leiter einer Wirtschaftsauskunftei, deren Spezialität es ist, auch unter widrigen Bedingungen Informationen zu sammeln und einzuordnen. Nach dem 11. September 2001 begann er, die Hintergründe des Terrornetzwerkes Al-Qaida zu durchleuchten, Finanzströme aufzuzeigen, Mitwisser und Hintermänner aufzudecken. Dies zunächst, um die Hinterbliebenen der Opfer der Attentate vom 11. September 2001 zu beraten und ihnen zu helfen, gegen die Finanziers des Terrors zu prozessieren. Als Ergebnis dieser Recherchen ist nun das Portrait eines Mannes entstanden, der durch seine ungewöhnliche Brutalität zu einem Star der Terrorszene geworden ist: Abu Mussab al-Sarkawi. Seine traurige Berühmtheit verdankt er dem Umstand, dass er seinen Geiseln im Irak vor laufender Kamera eigenhändig die Kehle durchschneidet.

Vom Kleinkriminellen zum Gotteskrieger

Al-Sarkawi wurde 1966 als Ahmed Fadil Nasal al-Kaleileh im jordanischen Sarka geboren. In seiner Jugend führte er den Recherchen zufolge ein höchst unislamisches Leben. Menschen in seiner Umgebung - es wurden Hunderte von Interviews für dieses Buch geführt - beschreiben ihn als Räuber und Vergewaltiger, als am ganzen Körper tätowierten Trunkenbold. In den achtziger Jahren erlebt er sein religiöses Erweckungserlebnis und findet den Weg zum radikalen Islamismus. Er wandelt sich zu einem fleißigen Leser des Korans, verfügt aber über kein besonderes intellektuelles Format. Er ist ein Mann der Tat, der seine Anhänger durch Brutalität und Kompromisslosigkeit zu faszinieren versucht. Zweimal verpasst Sarkawi den Heiligen Krieg. 1989 wird er nach Afghanistan geschleust, um gegen die Sowjets zu kämpfen. Als er dort eintrifft, verlassen die Besatzer das Land. Mit Gotteskriegern aus aller Welt in Bosnien vermeintlich für die Sache des Islam zu kämpfen, gelingt ihm einige Jahre später nicht. Aus Frustration hierüber, so schreibt es Brisard, radikalisiert sich Sarkawi weiter. In den neunziger Jahren stößt er zur Al Qaida von Osama bin Laden und steigt nach und nach in der Hierarchie auf. Eigentlich zu 15 Jahren Haft verurteilt, wird er 1999 im Zuge einer Amnestie entlassen. Er reist nach Afghanistan und leitet dort ein Ausbildungslager für Untergrundkämpfer. Nach der Entmachtung der Taliban durch die US-Amerikaner und ihre Verbündeten setzt er sich ab und baut im Irak seine Strukturen wieder auf. Der zweite Golfkrieg und das darauf folgende Chaos ist dann die Chance für Al-Sarkawi, nun kann er vor Ort mit seinem Netzwerk die US-Amerikaner bekämpfen.

Der Medienprofi unter den Terroristen

Sarkawi gehört nicht zu denjenigen Terroristen, die den US-Amerikanern und ihren Verbündeten die meisten Opfer abfordern. Dennoch gelingt es ihm, die Aufmerksamkeit der Welt zu erlangen, er gilt mittlerweile als größter Feind der US-Amerikaner im Irak. Denn er hat, das zeigt dieses Buch, die Gesetzmäßigkeiten der Massenmedien auf teuflische Weise verstanden. Am 9. April 2004 entführt er den US-amerikanischen Geschäftsmann Nicholas Berg und ermordet ihn vor laufender Kamera, das Video wird daraufhin im Internet verbreitet. Seitdem sorgt er dafür, dass pro Monat mindestens ein Mensch auf diese grässliche Art und Weise ermordet wird. Sarkawi pflegt Kontakte zu radikalen Islamisten in aller Welt, auch nach Deutschland, wo er ihnen regelmäßig strategische Befehle per Telefon erteilt. An der Planung des Anschlages von Madrid am 11. März 2004 soll er ebenfalls beteiligt gewesen sein.

Dieses Buch bietet eine ungewöhnlich detailreiche Innenansicht des globalen islamistischen Terrorismus, gleichzeitig versucht es, die ideologischen Beweggründe der Dschihadisten zu erklären. Es ist vor allem als Warnung gemeint: Gelingt es uns nicht, die Strukturen des Terrors zu verstehen, dann werden immer mehr Dschihadisten aus aller Welt dem Ruf Al-Sarkawis folgen. Deren Idol, sagt Brisard, ist er schon jetzt.

Jean-Charles Brisard: "Das neue Gesicht der Al-Qaida. Sarkawi und die Eskalation der Gewalt"
Übersetzt von Damien Martinez
Propyläen Verlag 2005
335 Seiten, € 22,00