Stalkerware

Die private Totalüberwachung

07:04 Minuten
Paar liegt im Bett, die Frau schaut auf ihr Smartphone, während der Mann Kopfhörer aufhat und auf sein Laptop starrt.
Der Download von Apps, mit denen sich das Smartphone des Partners überwachen lässt, ist während der Pandemie um fast 50 Prozent gestiegen. © imago images / photothek / Ute Grabowsky
Von Anna Loll · 15.03.2021
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Mit wem chattet er denn jetzt schon wieder? Viele Menschen betrachten die Handyaktivität ihrer Partner mit Misstrauen. Manche greifen sogar zu "Stalkerware", um etwa WhatsApps oder Chatprotokolle mitlesen zu können. Der Ausgespähte merkt nichts davon.
Berlin-Neukölln, am Karl-Marx-Platz. Es ist ein sonniger Tag Anfang März. Draußen laufen Kinder am "Webspace" vorbei: ein Laden für den Verkauf und die Reparatur von Computern, Handys und Zubehör. Drinnen telefoniert der Ladenbesitzer mit einem Kunden. Ich treffe hier Dennis, 28, kurze blonde Haare, eckige Brille, schwarzer Kapuzenpulli.
"Ich bin freiberuflich und bin im Außendienst tätig, sodass ich halt Menschen, die zum Beispiel das Internet eingerichtet haben wollen, helfe."
Dennis trifft jedoch nicht nur auf Menschen mit Internetproblemen, sondern auch auf die, "die auf ihrem Handy eine Software haben, womit sie den eigenen Partner ausspionieren können, die letztlich eigentlich dafür konzipiert war, das Kind zu überwachen".

Stalkerware hat ihren Preis

Sogenannte "Stalkerware". Dennis zeigt mir die Demoversion einer solchen App am Computer. Die Nutzung auf dem Handy kostet im Abomodell ordentlich Geld, je nach Produkt 30 Euro pro Monat oder mehr.
"Da wird mir natürlich gesagt, was alles aufgenommen wird: zum Beispiel WhatsApp, es werden Screenshots gemacht von den Chats. Man kann auf die Kamera zugreifen, ja, sehen, was die Person eintippt und auch wieder löscht."
Private Totalüberwachung. Verfügbar für alle Marken, alle Modelle: iPhone, Android, iPad, Computer.
"Deren Slogan ist: ‘The World’s most powerful montoring software for computers, mobile phones and tablets’", erklärt Dennis. "Da wird zum Beispiel ein Kind dargestellt, das einen Text schreibt, dass halt der Vater nicht zu Hause ist und man sie um zehn Uhr treffen könnte."
Ein junger Mann mit blondem Bürstenhaarschnitt und Hornbrille lehnt im schwarzen Kapuzenpulli an einer Straßenlaterne. Im Hintergrund das Schaufenster eines Computer- und Handyladens.
Mit Stalkerware lässt sich sogar verfolgen, was eine Person in ihr Smartphone eintippt, erklärt der 28-jährige Dennis.© Deutschlandradio / Anna Loll
"Und dann denke ich, es ist wichtig zu erwähnen, dass diese Apps an sich, meistens bekannt als Kindersicherungs-Apps, durchaus ihren Nutzen haben. Sie erlauben den Eltern, ein Auge auf die Online-Kommunikation der Kinder zu haben", sagt Joanna Rusin-Rohrig, Country Managerin Deutschland beim Unternehmen NordVPN.
"Traurigerweise werden solche Tools, die ohne die Zustimmung des Gerätebesitzers heruntergeladen werden, auch als mächtige Überwachungs- und Spionagesoftware benutzt."

Fast 50 Prozent mehr Downloads

NordVPN verkauft Software zum Schutz der Privatsphäre und beobachtet die Trends in dem Bereich. 2019 und 2020 hat das Unternehmen die Downloads von vier der beliebtesten Kinderüberwachungs-Apps aus dem Apple-iStore und von Google Play analysiert.
"Wir haben herausgefunden, dass es in Deutschland im Jahr 2020 tatsächlich einen deutlichen Anstieg bei den Downloads der populärsten Überwachungs-Apps gegeben hat. Und zwar war der Anstieg um 49 Prozent im Vergleich zum Jahr davor."
Damit liegt Deutschland laut NordVPN deutlich über dem weltweiten Durchschnitt von fünf Prozent.
Joanna Rusin-Rohrig bezweifelt, dass die Nutzer der Kinderschutz-Apps in Zeiten der Pandemie alles nur besorgte Eltern sind. Die Downloads von Apps, die Überwachung auf dem eigenen Gerät entdecken können, sind nämlich auch gestiegen: in Deutschland um 10 Prozent.

Stalkerware ist digitale Gewalt

"Normalerweise sieht man sich acht bis zehn Stunden am Tag gar nicht, und dann sieht man auch nicht, wie viel Zeit am Handy verbracht wird oder am Tablet. In der Situation, wo man wirklich 24 Stunden lang plötzlich zusammen ist, fällt diese Zeit viel mehr ins Gewicht", sagt Ann Cathrin Riedel. "Und je nach Charaktereigenschaft kann das dann als verdächtig klassifiziert und ausgelegt werden."
Riedel ist Vorsitzende von "Load", einem der FDP nahestehenden Verein für liberale Netzpolitik. Beim Spaziergang im Park spricht die Expertin im Zusammenhang mit Stalkersoftware von digitaler Gewalt:
"Ich glaube, wir sind da häufig noch ganz naiv. Sehr viele geben ihre Passwörter an den Partner, an die Partnerin weiter, teilen gemeinsame Accounts oder kontrollieren auch nicht nach einer Trennung, ob der Partner, die Ex-Partnerin noch Zugang auf diese Accounts hat. Und so kann man natürlich auch teilweise verfolgen: Welche Suchanfragen macht der- oder diejenige im Internet, wo hält er oder sie sich auf?"

Auf digitale Gewalt folgt physische Gewalt

Zwischen Cyberstalking und psychischer wie physischer Gewalt gibt es oft einen Zusammenhang: Laut einer Studie der TU München litten rund drei Prozent der Frauen unter physischer Gewalt im Lockdown. Bei 4,6 Prozent kontrollierte der Partner die Kontakte – auch die digitalen. In den USA sagten im Jahr 2014 75 Prozent der Opfer von häuslicher Gewalt, dass ihre Täter sie mit versteckten Überwachungs-Apps abhörten.
Ann Cathrin Riedel von Load fordert eine Zentrale für digitale Aufklärung, damit Betroffene sich Rat holen können, wie sie sich gegen Überwachung wehren.
"Darüber reden wir viel zu wenig. Was viele nicht wissen: Die Auswirkungen sind psychisch, also ich habe dann Schmerzen, Depressione und Angst, rauszugehen."

Medienkompetente Eltern sind besser als Apps

Doch was tut man, wenn man seine Kinder berechtigterweise vor Gefahren der digitalen Welt schützen möchte, zum Beispiel vor sexueller Belästigung oder Betrug? Thomas-Gabriel Rüdiger ist Cyberkriminologe an der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg. Er meint: Apps könnten da helfen, seien jedoch nicht die beste Lösung.
"Wir brauchen, wenn wir Kinder schützen wollen, eigentlich medienkompetente Eltern. Also Eltern, die wissen, was im Netz passiert, sich mit diesen Risiken auseinandersetzen können, die Programme selber beherrschen. Das wird aber dazu führen, dass wir immer auch Eltern haben, die das nicht wollen. Die einfach kein Interesse an ihren Kindern haben."
Hier müsse die Schule ins Spiel kommen. Schon ab der ersten Klasse sollte eigentlich Medienkompetenz unterrichtet werden. Was jedoch gar nicht ginge, sei, die Kinder ohne deren Wissen zu überwachen. Erwachsene wiederum könnten sich in der Regel gut gegen digitale Stalking-Apps schützen: nicht ihren Geräte-Code rausgeben.
"Natürlich ist es dann ja meistens in solchen Geschichten so, dass es dann heißt: Vertraust du mir nicht mehr? Und da sollte man von vornherein tatsächlich klare Grenzen ziehen und sagen: Ja, ich vertraue dir natürlich, aber den Code kriegst du nicht."
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