Wirtschaftliche Folgen des Ukraine-Kriegs

Es geht nicht nur um Öl und Gas

07:22 Minuten
Ein leerer Einkaufswagen auf einem Parkplatz in der Dunkelheit.
Auch in Deutschland werden viele Verbraucher wegen der Ukrainekrise wohl den Gürtel enger schnallen müssen, sagen Experten. © imago / PantherMedia / Ian Mendel
Von Mischa Ehrhardt |
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Unterbrochene Lieferketten, dramatisch ansteigende Energiepreise und Produktionsstätten, die wegen fehlender Teile stillstehen: Die wirtschaftlichen Folgen des Kriegs in der Ukraine sind bereits jetzt deutlich zu spüren. Wie weit werden sie gehen?
Spätestens seit der Finanzkrise 2008 ist der Aufbau von Schutzschirmen in Mode gekommen. Damals mussten in Schieflage geratene Banken gerettet werden. Jetzt werden Hilfen für die Verbraucher gefordert.
„Wir haben eine hohe Belastung, die wir gerade spüren für die Menschen, also ein Energiepreisschutzschirm wäre ein Modell, wie wir allen Beteiligten wirtschaftlich gestaffelt und sozial gerecht helfen. Das wird eine große Herausforderung sein“, sagte Niedersachsens Energieminister Olaf Lies, SPD, in der Tagesschau.
Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine sind die ohnehin hohen Energiepreise stark angestiegen.
„Der Krieg in der Ukraine lässt die Ölpreise steigen. Das macht sich auch an den Tankstellen bemerkbar. Mit Ausbruch des Krieges gingen sie massiv hoch… In Deutschland warnen Politik und Wirtschaft, Energieimporte aus Russland sofort zu stoppen.“

"Sperrung des Luftraums wird viel Geld kosten"

Russland ist nicht nur einer der weltweit wichtigsten Anbieter von Kohle, Öl und Gas, sondern verfügt auch über große Vorkommen an Metallen und anderen Rohstoffen. Auch diese Preise sind deutlich gestiegen. Selbst Brot wird teurer. Denn Russland und die Ukraine steuern zusammen rund ein Drittel der globalen Weizenexporte bei. Die von den westlichen Alliierten verhängten Sanktionen gegen Russland  wiederum belasten die ohnehin pandemiegeschädigten globalen Lieferketten. Auch das treibt die Preise.
„Die Sperrung des Luftraumes wird auch unglaublich viel Geld kosten. Das heißt nämlich für viele Fluggesellschaften, dass sie ihre Strecken, ihre Routen ändern müssen, dadurch länger fliegen müssen und höhere Kosten haben. Wir befinden uns hier wirklich in einer sehr angespannten Situation – nicht nur durch den Krieg in der Ukraine, militärisch und von Menschenleben her besehen, sondern auch wirtschaftlich", sagt Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING Bank.

Deglobalisierung führt zu weniger Handel

Nachdem die globalen Lieferketten sich bereits infolge der Pandemie als nur bedingt verlässlich erwiesen, dürfte die Erfahrung des Krieges verstärkt zu einer Renationalisierung beitragen. Oder einer Deglobalisierung, wie es der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer ausdrückt:
„Deglobalisierung bedeutet, dass der Handel zwischen dem Westen und China/Russland relativ zum Bruttoinlandsprodukt abnehmen wird. Also das Gegenteil dessen, was wir in den Jahrzehnten vor der Finanzkrise gesehen haben, wo der Welthandel stets schneller gewachsen ist als das globale Bruttoinlandsprodukt. Und diese Deglobalisierung ist natürlich vor allem ein Problem für Deutschland, dessen Wirtschaftsmodell ja stark auf die Globalisierung ausgerichtet ist“.

Zulieferer in der Ukraine fallen aus

Das spürt vor allem die die deutsche Autoindustrie. Derzeit stockt die Produktion in vielen deutschen Werken, weil Zulieferer in der Ukraine keine Kabelbäume mehr liefern können. So hat der Nürnberger Leonie-Konzern die Produktion in zwei ukrainischen Werken einstellen müssen. Nun suchen die Autobauer fieberhaft nach Ersatz. Der aber ist auf die Schnelle nicht einfach zu finden.
„Wir haben schon in der Corona-Krise gesehen, dass manchmal sehr einfache Teile, wenn sie fehlen, die Produktion lahmlegen können. In der Ukraine sind das aktuell Kabelbäume, also relativ einfache Elektronik", sagt Eric Heymann, Automobilexperte bei Deutsche Bank Research.
"Das sind Produkte, die in den letzten Jahrzehnten immer mehr nach Osteuropa verlagert wurden. Und wenn diese Produkte nur an wenigen Standorten produziert werden und dann fehlen, wirkt das natürlich direkt negativ auf die gesamte Produktion."

Bei BMW stehen Werke still

Das macht sich bereits bemerkbar. So stehen bei BMW Werke still. Auch Volkswagen fährt die Produktion an mehreren Standorten herunter. Die Autobauer führen angesichts der Situation auch wieder Kurzarbeit für ihre Beschäftigten ein.
„Durch diese Verlängerung der Störung der Lieferkette dürfte es auch in diesem Jahr einen Dämpfer für das Produktionswachstum geben“, sagt Heymann.
Sinkende Produktion bei gleichzeitig steigenden Preisen, das ist eine ziemlich unangenehme Mischung. Im Februar lag die Inflationsrate in Deutschland bereits bei über fünf Prozent, vor allem getrieben durch explodierende Energiepreise. Im Euroraum lag sie sogar bei knapp sechs Prozent – dem höchsten Wert seit Einführung des Euro. Das registriert auch Christine Lagarde, die Chefin der Europäischen Zentralbank mit Sorge.

Die EZB in der Klemme

Die Risiken für die Konjunkturaussichten hätten sich mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine deutlich erhöht, sagte sie in der vergangenen Woche. Durch Nullzinsen und Anleihekäufe flutet die Notenbank die Finanzmärkte seit Jahren mit Geld, um die europäische Wirtschaft am Laufen zu halten. Der Plan der EZB sieht nun eigentlich vor, aus den coronabedingten Krisenprogrammen auszusteigen und die Geldpolitik allmählich wieder zu straffen. Denn die niedrigen Zinsen stützen zwar die Konjunktur, sie treiben aber auch die Inflationsrate in die Höhe:
„Die EZB befindet sich in einem Dilemma“, sagt der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher. Denn auf der einen Seite will die EZB aus ihrer expansiven Geldpolitik aussteigen und die Zinsen erhöhen, um der Inflation entgegen zu wirken.
„Auf der anderen Seite wird der Krieg in der Ukraine und die Explosion der Nahrungs- und Energiepreise wahrscheinlich mit zu einer Rezession Deutschland und Europa beitragen. Und da muss die EZB mehr Liquidität zur Verfügung stellen; sicherstellen, dass die Unternehmen nach wie vor an Kredite kommen; dass die Arbeitslosigkeit sinken kann, dass Menschen in Arbeit bleiben können“.

Hoffnung auf Erholung im nächsten Jahr

Ökonomen warnen schon vor einer „Stagflation“. Das bedeutet dauerhafte wirtschaftliche Stagnation bei gleichzeitig hoher Inflation. Das haben die Industriestaaten zuletzt in den Zeiten des Ölpreisschocks in den 70er-Jahren erlebt. Marcel Fratzscher sieht diese Gefahr bislang aber noch nicht:
„Wir werden in diesem Jahr eine dramatisch hohe Inflation haben. Aber ich sehe das nicht für die kommenden Jahre. Die Hoffnung ist doch, dass zumindest in den kommenden Jahren die Wirtschaft sich erholt. Daher sehe ich das Problem einer Rezession in diesem und im nächsten Jahr, danach wird man wieder aus dieser Stagflation herauskommen.“
Bis dahin werde man politisch dafür sorgen müssen, dass vor allem ärmere Teile der Bevölkerung die Preissteigerungen stemmen können.

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