Städtetag: "Strickfehler im neuen Leistungsrecht"
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Stephan Articus, hat die Arbeitsmarktreform Hartz IV kritisiert. Zwar seien die jüngsten Änderungen finanzwirtschaftlich wirksam und die Summe der Leistungen auch richtig, sagte Articus. Es stimme aber nicht, dass so viel Missbrauch mit den Regelungen betrieben werde. Vielmehr seien auf rechtlicher Seite von vornherein Großzügigkeiten eingebaut worden, die von den Bürgern ausgenutzt würden.
Hanns Ostermann: Der Bundestag hat das Gesetz verabschiedet, in genau einem Monat liegt es dem Bundesrat vor. In seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause wird sich die Länderkammer mit dem Fortentwicklungsgesetz für die Arbeitsmarktreform Hartz IV beschäftigen. Die neuen Regelungen hatten in den letzten Tagen für viel Wirbel gesorgt. Zunächst hieß es auch München, Hannover oder Saarbrücken, uns gehen die Maßnahmen nicht weit genug. Doch mittlerweile kündigten die Ministerpräsidenten Bayerns und Niedersachsens an, das Gesetz passieren zu lassen. Im Deutschen Städtetag haben sich knapp 4700 Städte und Gemeinden zusammengeschlossen. Am Telefon begrüße ich den Hauptgeschäftsführer Stephan Articus. Guten Morgen, Herr Articus.
Stephan Articus: Guten Morgen, Herr Ostermann.
Ostermann: Diese, sagen wir Nachjustierungen bei Hartz IV, sind sie mehr als Kosmetik?
Articus: Ich glaube, sie sind mehr als Kosmetik. Sie sind in einigen Punkten auch schon finanzwirtschaftlich sehr wirksam, aber sie sind insgesamt nicht so, dass wir sagen würden, man könnte nicht auch noch mehr tun.
Ostermann: Was müsste denn getan werden auch Ihrer Sicht?
Articus: Also, zunächst einmal muss man ja vielleicht einmal zur Diagnose kommen. Die Summe der Leistungen bei Hartz IV sind, was die Regelsätze anbetrifft, richtig. Aber es gibt eine ganze Kette von Einzelentscheidungen zum Leistungsrecht nach diesem neuen Sozialgesetzbuch, die dazu geführt haben, dass sehr viel mehr Menschen dieses Hilfesystem in Anspruch nehmen, als ursprünglich, sagen wir mal, abgesehen war, und ich behaupte auch, als ursprünglich geplant war. Und an diesen Stellschrauben muss jetzt, wie man sagt, nachjustiert werden, um einen exorbitanten Zuwachs von Bedarfsgemeinschaften zu bremsen. Also ich will ein ganz konkretes Beispiel nennen, eine Familie, die früher von der Sozialhilfe gelebt hatte, konnte in Ausnahmefällen ein Auto als ein freies Vermögen haben, also ein Auto, das nicht als Vermögen angerechnet wurde. In einer Familie, die von den Geldleistungen des neuen Sozialgesetzbuches, so genannt Hartz IV, lebt, kann ein Vater, eine Mutter mit zwei erwachsenen Kindern vier Autos haben, die freigestellt sind. Das ist eine unnötige Großzügigkeit.
Ostermann: Das ist ein Beispiel. Es geht also nach Ihrer Einschätzung, es muss mehr darum gehen, erspartes Eigentum oder hier auch, Sie haben die Autos genannt, dort schärfer hinzuschauen und möglicherweise auch Einsparungen vorzunehmen.
Articus: Also genau, es darum, dass Vermögen angerechnet wird, das vorhanden ist. Es geht auch darum, das sind ja bekannte Beispiel, die schon oft in den Medien auch behandelt worden sind, es geht auch darum, dass man die Gründung eines eigenen Haushaltes vermeidet, die nur deswegen geschieht, um die volle Leistung und ein zweites Mal volles Wohngeld zu erhalten, unterbindet. So gibt es eine ganze Reihe, es gibt auch Zuschläge in einer Größenordung von 160 Euro pro Erwachsenem und 60 Euro pro Kind für Familien, die aus der Phase des Arbeitslosengeld I in die Phase des Arbeitslosengeld II wechseln. Auch solche Zuschläge und Sonderleistungen sind unserer Ansicht nach zwar für die Familien erfreulich, aber das System hält diese zusätzlichen Leistungen auf Dauer nicht durch.
Ostermann: Herr Articus, der Deutsche Städtetag hatte einst befürchtet, sich beim so genannten Optionsmodell zu überheben, also dann, wenn er allein für die Arbeitsvermittlung zuständig wäre. Bei Hartz IV geht es ja auch darum, Leute zur Arbeit zu bringen, ihnen Arbeit zu vermitteln. Wie läuft es jetzt?
Articus: Also die, es gibt ja jetzt zwei Modelle. Es gibt einmal das Optionsmodell, wo die Kommunen ganz alleine die Verwaltung des neuen Leistungsrechtes übernehmen, und es gibt die so genanten Arbeitsgemeinschaften. Ein abschließender Befund darüber, welche dieser beiden Konstruktionen besser läuft, ist, glaube ich, derzeit noch nicht möglich. Der wird auch sehr schwer werden, weil, es gibt ja in der Politik eine erbitterte Auseinadersetzung um die richtige Lösung. Die Union möchte überwiegend eine Zuständigkeit alleine der Kommunen und, sagen wir mal, der größere Teil der Fachwelt und die alte Regierung wollte eine Zusammenarbeit zwischen Kommunen und Bundesanstalt für Arbeit. Man muss aber, Herr Ostermann, eines bedenken, jetzt im Moment gibt es eine Debatte darüber, was das richtige Modell ist, oder es gibt eine erneute Debatte darüber, nur, der Bundesgesetzgeber hat Hartz IV so konstruiert, dass eine Zusammenarbeit von Bund und Kommunen eigentlich unverzichtbar ist. Ich möchte das mal gerne erläutern, diese Leistungen nach Hartz IV bestehen aus vier Teilen, der eine Teil sind die Geldleistungen, also das Arbeitslosengeld, und die Anstrengungen, die Wiedereingliederungsanstrengungen, also Vermittlung, der zweite Teil sind die Kosten der Unterkunft und so genante flankierende Maßnahmen, das ist beispielsweise eine Suchtberatung für Leute, die Alkoholprobleme haben, oder das ist ein Entschuldungsdienst, für Leute, die überschuldet sind.
Für den ersten Teil, das Arbeitslosengeld und die Wiedereingliederung, ist nach dem Gesetz der Bund zuständig, für diese flankierenden Hilfen, wie Wohngeld und Suchtberatung oder Kinderbetreuung, sind die Kommune zuständig. Also im Gesetz ist installiert eine doppelte Zuständigkeit. Und jetzt ist die Frage, wie man diese doppelte Zuständigkeit organisiert. Das ist zugegebenermaßen eine ziemlich schwierige Frage, es wird auch noch einige Zeit dauern, bis man diese doppelte Zuständigkeit sozusagen leichtgängig gemacht hat, aber es wird wohl keine Alternative dazu geben, dass Bund und Kommunen sich gemeinsam darum bemühen, dieses Leistungsrecht gut zu installieren, immerhin leben davon mehr als sieben Millionen Menschen.
Ostermann: Herr Articus, Sie haben Beispiele genannt dafür, dass Menschen möglicherweise das soziale System ausbeuten oder ausnutzen. Auf der anderen Seite hört man auch, dass Arbeitsuchende drei Monate ihren Arbeitsberater, den Vermittler nicht erreicht haben, mit ihm nicht gesprochen haben. Was ganz konkret, wo müsste da mehr getan werden?
Articus: Also, Herr Ostermann, ich würde zuerst mal zu dem Begriff ausbeuten etwas sagen. Also ich bin persönlich ganz fest davon überzeugt, dass diese Auswüchse der Inanspruchnehmer des neuen Leistungsrechts, sind kein Missbrauch, den die Menschen systematisch betreiben, sondern sind Strickfehler im neuen Leistungsrecht, da wird nicht missbräuchlich und sozusagen unrechtmäßig etwas in Anspruch genommen, was den Menschen nicht zusteht, sondern da sind beim Leistungsrecht einfach Großzügigkeiten installiert worden, die nicht richtig geplant und nicht richtig von ihrem Ergebnis her abgeschätzt waren. Also es ist kein Missbrauch, sonders es sind Fehlanreize.
Ostermann: Umso besser. Aber was kann bei der Arbeitsvermittlung getan werden?
Articus: Die Arbeitsvermittlung läuft an vielen Orten besser als jemals zuvor. Es gibt Arbeitsgemeinschaften, die leisten einen Erfolg bei der Vermittlung von Arbeitslosen, wie wir es in der Vergangenheit noch nicht getan haben, es gibt Arbeitsgemeinschaften, aber wahrscheinlich auch Optionskommunen, da läuft es schlechter als vorher. Das heißt, man braucht längere Zeit, um dieses große System eben wirklich zu installieren. Man muss Geduld haben, weil das System ist ja sozusagen in einer Nacht- und Nebelaktion beschlossen und umgesetzt worden, das ist ja alles im Winter 2004 geschehen. Und ein System, ein Hilfesystem, von dem wie gesagt über sieben Millionen Menschen leben, muss einfach sozusagen in Ruhe aufgebaut und umgesetzt werden.
Ostermann: Die Einschätzung von Stephan Articus. Er ist Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags.
Stephan Articus: Guten Morgen, Herr Ostermann.
Ostermann: Diese, sagen wir Nachjustierungen bei Hartz IV, sind sie mehr als Kosmetik?
Articus: Ich glaube, sie sind mehr als Kosmetik. Sie sind in einigen Punkten auch schon finanzwirtschaftlich sehr wirksam, aber sie sind insgesamt nicht so, dass wir sagen würden, man könnte nicht auch noch mehr tun.
Ostermann: Was müsste denn getan werden auch Ihrer Sicht?
Articus: Also, zunächst einmal muss man ja vielleicht einmal zur Diagnose kommen. Die Summe der Leistungen bei Hartz IV sind, was die Regelsätze anbetrifft, richtig. Aber es gibt eine ganze Kette von Einzelentscheidungen zum Leistungsrecht nach diesem neuen Sozialgesetzbuch, die dazu geführt haben, dass sehr viel mehr Menschen dieses Hilfesystem in Anspruch nehmen, als ursprünglich, sagen wir mal, abgesehen war, und ich behaupte auch, als ursprünglich geplant war. Und an diesen Stellschrauben muss jetzt, wie man sagt, nachjustiert werden, um einen exorbitanten Zuwachs von Bedarfsgemeinschaften zu bremsen. Also ich will ein ganz konkretes Beispiel nennen, eine Familie, die früher von der Sozialhilfe gelebt hatte, konnte in Ausnahmefällen ein Auto als ein freies Vermögen haben, also ein Auto, das nicht als Vermögen angerechnet wurde. In einer Familie, die von den Geldleistungen des neuen Sozialgesetzbuches, so genannt Hartz IV, lebt, kann ein Vater, eine Mutter mit zwei erwachsenen Kindern vier Autos haben, die freigestellt sind. Das ist eine unnötige Großzügigkeit.
Ostermann: Das ist ein Beispiel. Es geht also nach Ihrer Einschätzung, es muss mehr darum gehen, erspartes Eigentum oder hier auch, Sie haben die Autos genannt, dort schärfer hinzuschauen und möglicherweise auch Einsparungen vorzunehmen.
Articus: Also genau, es darum, dass Vermögen angerechnet wird, das vorhanden ist. Es geht auch darum, das sind ja bekannte Beispiel, die schon oft in den Medien auch behandelt worden sind, es geht auch darum, dass man die Gründung eines eigenen Haushaltes vermeidet, die nur deswegen geschieht, um die volle Leistung und ein zweites Mal volles Wohngeld zu erhalten, unterbindet. So gibt es eine ganze Reihe, es gibt auch Zuschläge in einer Größenordung von 160 Euro pro Erwachsenem und 60 Euro pro Kind für Familien, die aus der Phase des Arbeitslosengeld I in die Phase des Arbeitslosengeld II wechseln. Auch solche Zuschläge und Sonderleistungen sind unserer Ansicht nach zwar für die Familien erfreulich, aber das System hält diese zusätzlichen Leistungen auf Dauer nicht durch.
Ostermann: Herr Articus, der Deutsche Städtetag hatte einst befürchtet, sich beim so genannten Optionsmodell zu überheben, also dann, wenn er allein für die Arbeitsvermittlung zuständig wäre. Bei Hartz IV geht es ja auch darum, Leute zur Arbeit zu bringen, ihnen Arbeit zu vermitteln. Wie läuft es jetzt?
Articus: Also die, es gibt ja jetzt zwei Modelle. Es gibt einmal das Optionsmodell, wo die Kommunen ganz alleine die Verwaltung des neuen Leistungsrechtes übernehmen, und es gibt die so genanten Arbeitsgemeinschaften. Ein abschließender Befund darüber, welche dieser beiden Konstruktionen besser läuft, ist, glaube ich, derzeit noch nicht möglich. Der wird auch sehr schwer werden, weil, es gibt ja in der Politik eine erbitterte Auseinadersetzung um die richtige Lösung. Die Union möchte überwiegend eine Zuständigkeit alleine der Kommunen und, sagen wir mal, der größere Teil der Fachwelt und die alte Regierung wollte eine Zusammenarbeit zwischen Kommunen und Bundesanstalt für Arbeit. Man muss aber, Herr Ostermann, eines bedenken, jetzt im Moment gibt es eine Debatte darüber, was das richtige Modell ist, oder es gibt eine erneute Debatte darüber, nur, der Bundesgesetzgeber hat Hartz IV so konstruiert, dass eine Zusammenarbeit von Bund und Kommunen eigentlich unverzichtbar ist. Ich möchte das mal gerne erläutern, diese Leistungen nach Hartz IV bestehen aus vier Teilen, der eine Teil sind die Geldleistungen, also das Arbeitslosengeld, und die Anstrengungen, die Wiedereingliederungsanstrengungen, also Vermittlung, der zweite Teil sind die Kosten der Unterkunft und so genante flankierende Maßnahmen, das ist beispielsweise eine Suchtberatung für Leute, die Alkoholprobleme haben, oder das ist ein Entschuldungsdienst, für Leute, die überschuldet sind.
Für den ersten Teil, das Arbeitslosengeld und die Wiedereingliederung, ist nach dem Gesetz der Bund zuständig, für diese flankierenden Hilfen, wie Wohngeld und Suchtberatung oder Kinderbetreuung, sind die Kommune zuständig. Also im Gesetz ist installiert eine doppelte Zuständigkeit. Und jetzt ist die Frage, wie man diese doppelte Zuständigkeit organisiert. Das ist zugegebenermaßen eine ziemlich schwierige Frage, es wird auch noch einige Zeit dauern, bis man diese doppelte Zuständigkeit sozusagen leichtgängig gemacht hat, aber es wird wohl keine Alternative dazu geben, dass Bund und Kommunen sich gemeinsam darum bemühen, dieses Leistungsrecht gut zu installieren, immerhin leben davon mehr als sieben Millionen Menschen.
Ostermann: Herr Articus, Sie haben Beispiele genannt dafür, dass Menschen möglicherweise das soziale System ausbeuten oder ausnutzen. Auf der anderen Seite hört man auch, dass Arbeitsuchende drei Monate ihren Arbeitsberater, den Vermittler nicht erreicht haben, mit ihm nicht gesprochen haben. Was ganz konkret, wo müsste da mehr getan werden?
Articus: Also, Herr Ostermann, ich würde zuerst mal zu dem Begriff ausbeuten etwas sagen. Also ich bin persönlich ganz fest davon überzeugt, dass diese Auswüchse der Inanspruchnehmer des neuen Leistungsrechts, sind kein Missbrauch, den die Menschen systematisch betreiben, sondern sind Strickfehler im neuen Leistungsrecht, da wird nicht missbräuchlich und sozusagen unrechtmäßig etwas in Anspruch genommen, was den Menschen nicht zusteht, sondern da sind beim Leistungsrecht einfach Großzügigkeiten installiert worden, die nicht richtig geplant und nicht richtig von ihrem Ergebnis her abgeschätzt waren. Also es ist kein Missbrauch, sonders es sind Fehlanreize.
Ostermann: Umso besser. Aber was kann bei der Arbeitsvermittlung getan werden?
Articus: Die Arbeitsvermittlung läuft an vielen Orten besser als jemals zuvor. Es gibt Arbeitsgemeinschaften, die leisten einen Erfolg bei der Vermittlung von Arbeitslosen, wie wir es in der Vergangenheit noch nicht getan haben, es gibt Arbeitsgemeinschaften, aber wahrscheinlich auch Optionskommunen, da läuft es schlechter als vorher. Das heißt, man braucht längere Zeit, um dieses große System eben wirklich zu installieren. Man muss Geduld haben, weil das System ist ja sozusagen in einer Nacht- und Nebelaktion beschlossen und umgesetzt worden, das ist ja alles im Winter 2004 geschehen. Und ein System, ein Hilfesystem, von dem wie gesagt über sieben Millionen Menschen leben, muss einfach sozusagen in Ruhe aufgebaut und umgesetzt werden.
Ostermann: Die Einschätzung von Stephan Articus. Er ist Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags.