Städteduell um mobile Rentner

Von Carola Hoffmeister |
Nicht Florida, nicht Mallorca – Leipzig hießt das neue Rentnerparadies. Und die sächsische Wohn- und Baugesellschaft LWB ist sein Verwalter. Mit der Werbeaktion "Leipzig - gegen Mangel im Alter" will die LWB mobile Vorzeigesenioren vom besseren Feierabend in Leipzig überzeugen.
Und verteilt dafür Pappschachteln mit Leipzig-Schriftzug, die frisch aus der Apotheke kommen könnten, rezeptfrei an Rentner im Ruhrgebiet und organisiert Butterfahrten in die Sachsen-Metropole. Der erste Bus nach Leipzig ist bereits ausgebucht. Rund 25.000 Wohnungen stehen leer in der schrumpfenden Stadt, aus der die Jugend zunehmende wegzieht. Duisburg, Wuppertal, Leipzig und ein Städte-Duell um mobile Rentner.

Städte im Duell:
Leipzig:

Gallitschke: "Es ist ein Guerilla-Marketing."

Duisburg:

Luderer: "Konkurrenz belebt das Geschäft."
Wuppertal:

Eckermann: "Was uns ärgert, ist diese klare Zielgruppe der Wohlhabenderen."

Eckermann: "Es ist eine Premiere."

Angefangen hat das Städte-Duell mit ein paar Flyern in Wuppertal. Detlev Jäger ist Busfahrer im Ruhestand, er kommt aus Remscheid.

Jäger: "Da waren junge Menschen, die haben diese Flyer verteilt. Ich laufe ja nicht hinter Flyern hinterher. Ich habe beobachtet, dass die nur ältere Leute in meiner Klasse ansprachen. Dann kamen sie auch zu mir und gaben mir so ein Ding. Dann hab ich das erst einmal in die Tasche gesteckt."

Jäger zieht einen zerknitterten Zettel aus der Tasche seiner Stoffhose und setzt sich die Lesebrille auf, die an einer Schnur auf dem sonnengelben T-Shirt baumelt. "Leipzig – gegen Mangel im Alter" steht auf dem Flyer, mit dem die LWB, die Leipziger Wohn- und Baugesellschaft, in Nordrhein-Westfalen für Leipzig wirbt. Höhepunkt der Kampagne ist eine dreitägige Städtereise in die Sachsen-Metropole. Detlev Jäger freut sich.

Jäger: "Wie n kleines Geschenk. Oder ein Gewinn, in der Lotterie. Zu sagen: Mensch, für 50 Euro, das ist fast ein kleiner Traum, mal eben Leipzig zu sehen."

50 Euro – dafür gibt’s: Hin- und Rückfahrt mit dem Bus. Zwei Übernachtungen im Vier-Sterne-Hotel, Stadtführung. Rotkohl mit Klößen. Pflaumenkuchen und Schlagsahne. Plus einen Gutschein für den Kaufhof, erzählt eine weitere Rentnerin.

Herkenroth: "Ein Piccolöchen. Das ist ein kleines Präsentchen. Ich schätze mal ein Piccolo."

Leipzig hat die Spendierhosen an, wenn auch aus purer Not. Denn in der Stadt stehen knapp 25.000 Wohnungen leer, die Erwerbslosenquote liegt bei 17 Prozent. Also sollen Rentner – Menschen, die keine Jobs mehr brauchen – dazu gebracht werden, nach Leipzig umzusiedeln.
Das Wuppertaler Rathaus ist wütend über die Abwerbeaktion aus dem Osten. Martina Eckermann, Sprecherin des Hauses.

Eckermann: "Bisher hat es, auch aus unserer Sicht, zwischen Ost- und Weststädten eine grundsätzliche Solidarität gegeben, die solche unmittelbaren Abwerbeaktionen von Rentnern bisher verboten hat."

Vor dem spätwilhelminischen Rathaus in Wuppertal erstreckt sich die Fußgängerzone. Ein Jahrmarkt ist aufgebaut, doch die bunten Karussells wirken verwaist. An den Würstchenständen auf dem Marktplatz stehen ein paar Rentner und frühstücken. Sie können sich an die Werber aus Leipzig erinnern.

Umfrage Wuppertal:
Frau: "Ja, ich fand das nicht gut, abwerben da von solchen Städten."
Mann: "Wer weg will und wer nach dem Osten ziehen will, für den ist es günstig. Denn die Miete soll ja recht günstig sein."
Frau: "Ich finde das gut, was angeboten wird, Busfahrten und Tabletten, das finde ich auch gut."
Mann: "Haus und Hof verkaufen – und dann wegziehen?! Ne. Wo wir ein Leben lang dran geackert und geschuftet haben?"
Frau: "Hier ist meine Heimat, hier bleibe ich."

Wenn es um Schnäppchen geht, kennt Detlev Jäger keinen Lokalpatriotismus. Der Mann mit weißem Bart, der ihn aussehen lässt wie eine Mischung aus Jürgen von der Lippe und dem Weihnachtsmann, setzt sich zusammen mit 95 weiteren Senioren in den LWB-Bus und fährt von Wuppertal nach Leipzig. Nach 500 Kilometern ist das Ziel erreicht: Leipzig, das neue Rentnerparadies.

Stadtführerin Schottke: "Es steht vor den Toren Leipzigs die Südsee. Die Südsee vor den Toren Leipzigs."

Sagt Susanne Schottke. Sie meint das Seenland im Nordwesten der Stadt.
In Leipzig führt die Kunstgeschichtlerin Jäger und die anderen Rentner durch Leipzig, bringt den staunenden Westlern die sächsische Kultur nahe.

Detlev Jäger ist jetzt neugierig. In der Touristengruppe schlendert er vorbei an Bachdenkmal, Marktplatz und Thomaskirche. Die sanierten Gründerzeitbauten leuchten in der Sonne wie weiße Eiskristalle. Jäger war noch nie in Leipzig, er lebt seit seiner Geburt in Remscheid. Seit einigen Jahren ist er verwitwet, doch jetzt hat er sich frisch verliebt und kann sich mit der neuen Lebenspartnerin vorstellen, die Heimat zu verlassen.

Jäger: "Ich möchte mir Wohnungen anschauen, die ein bisschen komfortabler sind. Die ab 100 Quadratmeter haben, wenn möglich unten, also Parterre, oder Dachwohnungen. Mit Garten dabei. Also, meine Bekannte tut’s nicht ohne Garten."

Gärten gibt es in der Innenstadt keine. Stadtführerin Schottke zeigt Plattenbauten: Bestand der Leipziger Wohn- und Baugesellschaft. Die Reisegruppe murmelt:

"Genauso hässlich, wie sie damals bei uns gebaut haben."

Klaus Bosshammer wirkt dynamisch im blau-weiß-karierten Hemd mit Fotoapparat in der Hand. Er ist ein ehemaliger Maschinenbauer aus Remscheid und kennt die Wohnungen aus den 70ern.

Bosshammer: "Da hat der Lebensgefährte von meiner Tochter drin gelebt."

Klaus Bosshammers braun gebranntes Gesicht strahlt, die blauen Augen blitzen, wenn er von seiner Tochter erzählt, die gerade ihr erstes Kind erwartet und in Leipzig lebt. Bosshammer möchte für den Enkel nicht nur ein Wochenend-Opa sein. Deshalb überlegen er und seine Frau, in die Nähe zu ziehen.

Bosshammer: "Wir haben ein Eigenheim, da hänge ich dran. Aber jetzt, wenn man 65 ist, dann muss man sich auch mal nach anderen Sachen orientieren. Meine Töchter sind weg. Ich möchte es nicht fremden Leuten oder Verwandten geben."

Bosshammer beeilt sich, die Reisegruppe wartet.

Schottke: "Kommen Sie, liebe Gäste … Das Cityhochhaus ist 1973 erbaut worden mit der typischen Bildarchitektur der DDR in Form eines aufgeschlagenen Buches oder einer wehenden Fahne …"

Die Westler stehen auf dem höchsten Gebäude der Stadt und schauen runter auf Leipzig. Siegfried Gallitschke, schwarzer Schnauzer, schwarzer Anzug, ist LWB-Mann. Ein bulliger Sachse, der sich die Kampagne ausgedacht hat. Er verwickelt Bosshammer in ein Gespräch. Man muss dabei fast an Goethe denken, an den Pakt zwischen Faust und Mephisto im Leipziger Studienzimmer.

Bosshammer: "Ich bin zum dritten Mal hier, fühle mich unheimlich wohl. Bloß natürlich die alten Wurzeln da rauszureißen."
Gallitschke: "Das dauert 'n Weilchen, aber ich sag, Ihre Tochter macht zehn Prozent, der letzte Besuch hat zehn Prozent gemacht. Und heute kommen noch mal zehn Prozent dazu."
Bosshammer: "Und das erste Enkelkind, das sind 20 Prozent."
Gallitschke: "Und dann sind wir irgendwo so weit, wo Sie die Wurzeln auch sehen. Genauso haben wir uns das vorgestellt."
Bosshammer: "Wenn man das Schöne hier sieht, dann kann man spontan werden."

Trotz Lebensqualität in%en ist Klaus Bosshammer aus Remscheid nicht spontan genug, sich dieses Mal eine Wohnung anzuschauen.
Auch Eva Hilger ist eine Rentnerin aus der Reisegruppe, und Leipzig ist ihre Geburtstadt. Vom Hochhaus-Dach aus sucht sie nach der Gegend, in der sie aufgewachsen ist, irgendwo beim Gewandhaus, dem Konzertsaal, muss es gewesen sein.

Hilger: "Ich weiß, dass ich in der Nähe vom Täubchenweg in den Kindergarten gegangen bin. Wir haben gewohnt in der Carolastraße, aber die soll es nicht mehr geben."

Als kleines Mädchen hat Eva Hilger Leipzig verlassen. Damals, 1943.

Hilger: "Ich bin ein Zigeunerkind. Heimat hab ich erst seit über 40 Jahren, seit ich verheiratet bin. Während des Kriegs sind meine Eltern zu viel mit uns rum gezogen."

Seit 1943 war Eva Hilger nicht mehr in Leipzig. Und sie hatte nicht vor, in ihre Geburtstadt zu reisen. Doch dann war plötzlich das Angebot von der LWB im Briefkasten. Hilger ist eine Frau mit kurz geschnittenem, grauem Haar. Sie trägt eine sportliche Windjacke und Stoffhose, beides sandfarben, sie wirkt bodenständig, fast kühl. Jetzt blickt sie auf Leipzig runter, Erinnerungen kommen hoch.

Hilger: "Einmal gab es einen Angriff, da musste ich mit der Straßenbahn fahren, das weiß ich noch. Und da stand ich da, hatte keinen Groschen, und da hat mir eine Passantin einen Groschen gegeben, dass ich auch schnell nach Hause fahren konnte."

Die Rückkehr in die Heimat. Die eigenen Kinder, die plötzlich in Leipzig leben. Der Neustart nach dem Tod der Frau. Oder einfach nur die Stadtreise zum Schnäppchenpreis: 96 Senioren aus Nordrhein-Westfalen und 96 Gründe in Leipzig zu sein.
Auch Ex-Busfahrer Jäger gefällt die Stadt.

Jäger: "Ich hab einen guten Eindruck von Leipzig, aber diese Gastfreundschaft kommt ja nicht nur von dieser Firma hier. Wie heißt se? Leipziger – weiß nich. Ich vermute da steckt noch ein bisschen mehr dahinter."

Seit dem Millenium sind ungefähr 35.000 Menschen im Rentenalter in den Osten übergesiedelt. Besonders beliebt ist Görlitz an der polnischen Grenze, auch bekannt als "Pensionopolis".
Die Rentner lassen Städte altern – im Durchschnitt sind die Sachsen um die 45. Aber Senioren sind gut für die Einwohnerzahlen und die Arbeitslosenstatistik. Außerdem bringen Rentner Kaufkraft mit – selbst wenn dafür die Apothekendichte der Städte zunimmt.
Neu ist also nicht die Migration von West nach Ost. Neu sind die Mittel, die aggressiven Werbetaktiken, mit denen Leipzig um Mieter aus anderen Städten wirbt. Nach der Wende bekam jeder Ostbürger 50 Mark Begrüßungsgeld in die Hand gedrückt.

Hoffmann: "Wir haben tatsächlich dem ersten Mieter, der hier in das Wintergartenhochhaus einzog, zum Umzug 1000 Euro sozusagen als Begrüßungsgeld dazu gegeben."

Erzählt Gregor Hoffmann von der LWB über die ersten Westrentner, die nach Leipzig gezogen sind. Vor sechs Monaten waren die Rentnerfänger von Leipzig zum ersten Mal in Frankfurt am Main unterwegs.
Hoffmann: "Das war der Test."

Und der lief gut, sagt Hoffmann. Auch wenn nur ein einziges Rentnerpaar aus Hessen nach Leipzig gezogen ist. Warum jetzt Nordrhein-Westfalen?

Hoffmann: "Ich denke, dass die Mentalität der Menschen dort irgendwie auch mit der Mentalität hier übereinstimmt."

Vor dem Restaurant Auerbachs-Keller spürt der Rentner Reinhard Herkenrath der Mentalitätsfrage nach. Der ehemalige Tischlermeister ist in der Vereins- und Karnevalskultur von Wuppertal und Köln zu Hause.

Herkenrath: "Ich weiß nicht, wie das hier gehandhabt wird, bei uns im Rheinischen wird sehr viel mit so Kegelclubs und so wat alles. Ich weiß nicht, wie das hier läuft. Wo man sich da trifft. Ich weiß nicht, die Sachsen brauchen ja überall einen Kaffee und ein süßes Stück Kuchen."

Herkenrath trinkt gerne ein Bier zum Bauernfrühstück.
Noch mal: Warum Nordrhein-Westfalen? Martina Eckermann aus dem Wuppertaler Rathaus weiß eine Antwort.

Eckermann: "Weil Wuppertal eben zu den Städten gehört, die von den Strukturdaten her wirklich schlecht dastehen."

Das heißt: Leipzig wirbt um nicht nur um finanziell abgesicherte Menschen im Ruhestand, sondern auch um solche, die unzufrieden mit der eigenen Stadtpolitik sind. Bei dem Rentner Gerd Willig ist die LWB an der richtigen Adresse, denn Willig beklagt schon lange, dass Wuppertal zu wenig kulturelle Angebote hat und kaum noch in den Straßenbau investiert.

Willig: "Ich bin der Meinung, dass eine ganz große Verlagerung stattgefunden hat, also dem Osten geht es mittlerweile besser als dem alten Westen. Die müssen im Westen ziemlich nachholen. Aber ich denke mal, bis es so weit ist, gibt es mich nicht mehr."

Deshalb steht Gerd Willig jetzt in Leipzig und schaut sich Wohnungen an. Willig, 73 Jahre alt, ist ein ehemaliger Bauunternehmer, und sein dynamischer Schritt verrät: Der Mann ist es gewöhnt, dass man ihm folgt. Zusammen mit Uschi, seiner blonden Frau, deren Lippen magentafarben geschminkt sind, geht Willig zu auf das sanierte Wintergarten-Hochhaus am Hauptbahnhof. Die Eheleute fahren in den achten von 20 Stockwerken. Veronika Folkert von der LWB begleitet das Paar.

Folkert: "Und, war es schön in Auerbachs Keller?"
Uschi Willig: "Ja, super, toll. Das Essen ist ja auch in Ordnung.
Ist zwar eine Wintergeschichte gewesen mit Rotkohl und Klößen."
Folkert: "Dafür ist es auch bekannt, Auerbachs Keller. Hier sind überall Wohnungsnummern. Wir müssen in die Wohnung 8.8."

55 Quadratmeter, zwei Räume, Küche, Bad, Balkone, Blick auf den Hauptbahnhof.

Folkert: "Hier sind wir im Küchenbereich, da gibt es eine Durchreiche, der Boden ist gefliest, es ist alles malermäßig vorgerichtet. Sie müssen also nur noch die Küche reinstellen, und dann kann es losgehen."
Gerd Willigs hellblaues Hemd ist geöffnet bis zum Brusthaar, ein Goldkettchen blitzt auf.

Gerd Willig: "Von der Ausstattung her müsste es schon etwas besser sein. Ich habe was dagegen, wenn Bad und Dusche nicht getrennt sind. Das muss. Ohne geht gar nichts. Und der Bodenbelag ist billig. Ist billig, ist Laminat, geht gar nicht."

Uschi Willig: "Ja, das ist Laminat, aber das kann man ja ändern. Aber das sind Kleinigkeiten."

Gerd Willig: "Wenn Du mietest, dann kannst du es nicht ändern."

Uschi Willig: "Ja, mein Mann, der ist Bauleiter von Böden gewesen. Der sieht natürlich die Macken sofort, ganz klar."

In Wuppertal wohnen die Willigs im Eigenheim auf der Südhöhe. Vom Fenster im sechsten Stock aus haben sie einen wunderschönen Blick über die Stadt. Doch generell können sich die beiden einen Umzug vorstellen.

Gerd Willig: "Wir sind sehr aufgeschlossen, wenn was geboten wird wie hier. Die zahlreichen Museen, die Kunstgeschichte und so, das ist schon interessant. Und an dem Punkt ist Wuppertal ein bisschen stiefmütterlich, warum auch immer."

Wuppertal im Bergischen Land liegt an der Grenze zum Ruhrgebiet, direkt neben der Region, die von der EU als Ziel-2-Gebiet gefördert wird. Viele Firmen sind bereits abgewandert, sie haben ihre Standpunkte in den Pott verlagert, nur wenige Kilometer entfernt von Wuppertals Zentrum.
Kein Wunder, dass in Wuppertal die Arbeitslosenzahlen höher sind als im restlichen Nordrhein-Westfalen. Die Stadt im Strukturwandel musste bereits sechs Grundschulen schließen, außerdem Bäder und Stadtteilbibliotheken. Frostschäden auf der Straße werden nur noch zugeschüttet. Martina Eckermann aus dem Wuppertaler Rathaus.

Eckermann: "Wenn man dann Leipzig anguckt, da können einem durchaus schon mal aus Sicht einer solchen West-Kommune die Augen übergehen, über die Standards, die da zum Beispiel im öffentlichen Raum auch für den Laien erkennbar sind. Wuppertal hat ein jährliches Haushaltsdefizit von 150 Millionen."

Burkardt Jung, ein energischer 49-Jähriger mit jungenhafter Ausstrahlung, ist der SPD-Bürgermeister von Leipzig. Er hat auch rüber gemacht in den Osten, er kommt gebürtig aus Siegen, dem Siegerland. Jung hängt in der Abwerbeaktion seiner Wahlheimat mit drin, schließlich ist die LWB ein städtisches Unternehmen.

Jung: "Ich finde es erst einmal einen ganz intelligenten Werbe- und Marketinggag. Kurzum, das ist doch eine völlig normale Geschichte. Viel schwieriger ist doch, wenn sich deutsche Städte versuchen gegenseitig Messen abzujagen. Wir sind Konkurrenten im Kampf um Investoren. Also, bitte, nein, schöne Grüße nach Wuppertal."

Wuppertal grüßt zurück, lässt sich aber nicht beschwichtigen.

Eckermann: "Wir zahlen 20 Millionen rund im Jahr in die Solidarkassen. Das tut uns richtig weh."

Die Städte in den neuen Bundesländern wie Leipzig bekommen von Städten wie Wuppertal in den alten Bundesländern jährlich Finanzspritzen, der Solidarpakt für den Aufbau Ost läuft noch bis 2020. Wenn jetzt die Leipziger trotz Geld aus dem Westen kaufkräftige Rentner abwerben, dann kommt das den Wuppertalern vor wie der sprichwörtliche Undank als Welten Lohn.
In Duisburg sitzt Reinhard Luderer im Amt für Soziales und Wohnen.
Er sieht die Aktion der Leipziger etwas entspannter.

Luderer: "Es gibt Konkurrenz der Wohnungsunternehmen untereinander, sicherlich auch eine Konkurrenz der Kommunen untereinander. Wir sind für das Thema, Wohnen für ältere Menschen, gut aufgestellt. Die Stadt Duisburg braucht sich keine Sorgen zu machen."

Ex-Busfahrer Detlev Jäger ist frisch geduscht und will sich jetzt Wohnungen anschauen. Er steht vor seinem Vier-Sterne-Hotel gegenüber dem Leipziger Hauptbahnhof und lehnt sich an den abfahrbereiten Volkswagen "Zu Hause in Leipzig", steht in blauen Druckbuchstaben auf dem Wagen, auf den LWB-Mann Röhring zugeht.

Röhring: "Jetzt fahren wir in Richtung Altlößnig."
Jäger: "Das sagt mir alles nichts!"ä"
Röhring: ""Das dachte ich mir! Ich weiß nicht, ob Sie sich für Plattenbauten erwärmen können, Herr Jäger."
Jäger: "Ich glaube eher nicht."
Röhring: "Wir fahren einfach mal dran vorbei, auf dem Weg jetzt."
Jäger: "Das können Se machen."

Jägers Lebensgefährtin ist eine ehemalige Gärtnerin und Floristin – keine Frau für die Platte.

Jäger: "Ich hab dat fiese Gefühl, dass sie das von Grund auf ablehnt. Weil sie auch von Anfang an gesagt hat, ich muss nicht nach Leipzig, aber du kannst ja mal gucken …"

Also guckt Jäger mal. Der Wagen parkt in der Gartenstadt, einer Siedlung, die Anfang des 19. Jahrhunderts südlich vom Stadtzentrum errichtet wurde.

Jäger: "Das sieht ja sehr idyllisch aus. Ich finde grün schön. Grün und bunt, also Blumen. Das ist hier das Grün, was ich jetzt liebe, da ist es, da kann man sich raussetzen!"

Röhring: "Wir gehen mal in die zweite Etage, Herr Jäger! Ich weiß, Sie wollen lieber ein Erdgeschoss …"
Röhring: "Kommen Sie einfach mal rein, schauen Sie sich um. Die gibt es auch größer bis zu 80 Quadratmeter."
Jäger: "Das ist das Schlafzimmer."
Röhring: "Oder das Kinderzimmer, wie Sie es nutzen wollen."

Jäger besichtigt die Drei-Raumwohnung. Ihm gefallen die Zimmer mit Blick auf den Park, die frisch geweißten Wände, das sanierte Bad.
Doch dann geht’s ums Geld. Jäger erfährt: Der Leipziger Quadratmeter kostet zwischen fünf und sechs Euro, hinzukommen Betriebskosten. Insgesamt also 600 Euro.

Jäger: "Wenn ich die Mieten höre und die Quadratmeterzahlen – dann muss ich sagen. Also, ich kenn ja nur meine, das sind 79 Quadratmeter ganz genau. Und da zahle ich ganz genau 565 Euro für. Das ist eben mit Umlagen und mit Aufzug. Da kommt mir das jetzt im Moment nicht so viel vor. Um dann zu sagen, dafür kann man nach Leipzig ziehen. Verstehen Sie, wie ich das meine?"

Röhring: "Ja, ich verstehe."

Die Leipziger Wohn- und Baugesellschaft hat damit geworben, dass der Wohnraum in ihrer Stadt günstiger sei als Jägers Heimat Remscheid. Für den ehemaligen Busfahrer allerdings, der in einer Genossenschaftswohnung lebt, wäre ein Umzug nach Sachsen keine Ersparnis.

Röhring: "Ich wünsch Ihnen alles Gute, wir bleiben in Kontakt. Ich geb’ Ihnen mein Kärtchen."
Jäger: "Vielen Dank für die Mühe."

Jäger ist wieder im Hotel angekommen. Draußen sommergewittert es, Jäger schwitzt und wischt sich mit dem Handrücken über die Stirn. Der heiße Nachmittag und das Besichtigungsprogramm in Leipzig haben ihn müde gemacht. Erschöpft steht der Remscheider auf dem dunkelroten Teppich im Vier-Sterne-Foyer und zieht Bilanz.

Jäger: "Das, was ich sehen konnte, war viel Hetzerei, hier um die Ecke rumhetzen, da zur Thomaskirche, da Kaffeetrinken, da Mittagessen, dann wieder in den Bus rein. Und dann fährt man mit dem Bus und weiß gar nicht mehr genau, wo man ist."

Detlev Jäger bleibt vorerst in Remscheid wohnen – vielleicht zieht er mit seiner Frau ganz woanders hin, ins Emsland, ins Wendtland. Auch Familie Bosshammer, deren Tochter in Leipzig lebt, wird weiterhin nur zu Besuch nach Sachsen kommen. Das Wuppertaler Ehepaar Willig ist unentschlossen. Sie alle fahren zurück nach Nordhrein-Westfalen, mit dem guten Gefühl, bei der Premiere des Städte-Duells dabei gewesen zu sein.