Städtebauliche Katastrophen in Dresden

Barock, Brache und Beton

Wiener Platz in Dresden
Modern, aber hässlich: der Wiener Platz und die Prager Straße in Dresden. © Bastian Brandau
Von Bastian Brandau · 22.06.2018
Bei Dresden denken viele an Frauenkirche, Semperoper oder Schloss. Doch die Stadt, die sich gerne Elbflorenz nennt, hat auch hässlichen Seiten. Bürgerinitiativen wollen darüber mitentscheiden, was mit den Bausünden der Vergangenheit passiert.
Es ist die süße Erinnerung, die immer mitschwingt in der Dresdner Innenstadt. An eine Zeit, in der Dresden zu den bedeutendsten Städten Europas zählte. Wer am Hauptbahnhof ausstieg, stand am Wiener Platz, früher wie heute. Und geht dann Richtung Altstadt durch die Prager Straße. Die war zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine prächtige Geschäftsstraße und Ausdruck der Dresdner Wirtschaftsmacht. Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg entstand sie neu als sozialistische Prachtstraße. Deren wie ein Platz wirkende Breite hat man nach 1990 belassen, ebenso dominante Wohn- und Hotelhochhäuser an den Seiten. Am Anfang und Ende jedoch hat man neu gebaut, die Straße auf mehreren hundert Metern verjüngt. Am Übergang von schmal zu breit stehen Robert Berger und Stefan Schiller und beobachten das Treiben. Beide sind Mitglied des Bündnisses Stadtbild Dresden, einer Dresdner Bürgerinitiative zu Architektur und Stadtplanung. Er halte sich in der umgebauten Prager Straße nicht gern auf, sagt Berger.
"Sowohl die Originalität der Prager Straße, wie sie halt zu DDR-Zeiten konzipiert worden ist, ist damit verloren gegangen. Die historische Originalität der Prager Straße, auf die sich eigentlich der Ruf gründet, ist gar nicht mehr existent beziehungsweise wurde damit auch nicht wieder hergestellt. So und jetzt hat man halt diesen Zwitter, der eigentlich nicht so richtig funktioniert. Der eigentlich nur deswegen funktioniert, weil man schon zu DDR-Zeiten die Menschen geleitet hat, also wie die Menschen laufen sollten."

So schön wie in einem grauen Hinterhof

Im Osten der Prager Straße kommt hinter den Häusern eine mehrspurige Hauptverkehrsader. Und im Westen? Berger, 34, und lange im Tourismusbereich in Dresden tätig, verlässt kurz vor dem Hauptbahnhof die Einkaufsmeile in eine Seitengasse.
"Also wir sind jetzt hier zwei Meter von der Prager Straße entfernt und hier ist nichts. Hier gibt es einen Fußgänger, uns zwei. Und das Wandbild, das im Prinzip niemand mehr sieht, weil es wirklich eine Hinterhofsituation noch und nöcher ist. Also hier gibt es nichts Grünes, außer dem Unkraut das hier wächst, und wie Sie hören, es hallt."
Das sozialistische Wandbild war früher weithin sichtbar, heute klebt es versteckt an der Seite eines Einkaufsquaders. Der Kleiderladen im Erdgeschoss hat hier nicht einmal seine Schaufenster dekoriert. Wenige Schritte weiter steht ein 20-stöckiges Hochhaus aus DDR-Zeiten, dahinter ein Parkplatz. Niemandsland, wie Berger findet.
Lange hatte die Fläche am Bahnhof brach gelegen, bekannt als "Wiener Loch". Inzwischen ist die Neubebauung abgeschlossen. Mit einem langen siebenstöckigen Gebäudekomplex, wie sie deutschlandweit zu tausenden aus dem Boden gestampft werden. Dessen Ende bildet nun vom Wiener Platz kommende den Eingang zur einst prächtigen Prager Straße. Ein Supermarkt, darüber grau-beige Standardarchitektur: Für einen Ort, der die Visitenkarte Dresdens ist, kein befriedigender Zustand, findet Robert Berger.

Der Streit dauert seit Jahrzehnten

"Und was man dann am Ende davon übrig hat, sieht man hier exemplarisch an dem großen grauen Block. Was wir seit Jahren kritisieren und was in Dresden in den letzten 15 Jahren an allen Ecken entstanden ist. Und das hat uns eigentlich seit Jahren auf den Plan gerufen, und deswegen versuchen wir das Ganze natürlich durch Kritik, konstruktive Kritik und Diskussion und vor allen Dingen auch Gegenvorschläge besser zu machen. Die meisten Leute interessiert das, auch wenn sie es nicht artikulieren und die sind auch durchaus in der Lage zu sagen, ob es schön ist oder nicht."
Und so streiten in Dresden seit Jahrzehnten unterschiedliche Gruppierungen darüber, wie in der Stadt gebaut werden soll. In einer ihn immer noch überraschenden Schärfe, sagt Raoul Schmidt-Lamontain. 2015 hat der Stadtrat ihn zum Baubürgermeister gewählt. Schmidt-Lamontain, lebte vorher in Hannover. Der Grünenpolitiker, Anfang 40 kommt mit dem Lastenrad zum Wiener Platz. Den Umbau der Prager Straße hat die Stadt vor seiner Zeit geplant. Ist er als Baubürgermeister zufrieden mit dieser Visitenkarte seiner Stadt?
"Manche von den Fassaden sind sehr gut gelungen, manche sind nicht so gut gelungen, das ist ein grundsätzliches Phänomen, was wir hier haben. Dass das, was am Ende gebaut wird, mit den Visualisierungen und Ansichten, die man in den Wettbewerben präsentiert bekommt, manchmal nur bedingt übereinstimmt. Das liegt zum Teil daran, dass überbordend viele Werbeanlagen drangehängt werden, die man natürlich während des Wettbewerbs so nicht darstellt. Liegt aber auch daran, dass dann oftmals die Projekte von anderen Leuten entwickelt werden als diejenigen, die sie projektieren und dann irgendwo Kosten eingespart werden, sodass die Qualität dann drunter leidet."

Vorgaben werden nicht eingehalten

Die Stadt macht städteplanerische Vorgaben, nach Ausschreibungen und Wettbewerben vergibt sie Aufträge an Planungsbüros. Die Dominanz der Prager Straße und die Mischung aus Wohnen und Einkaufen sei an dieser Stelle eine Herausforderung für Architekten und Stadtplaner, sagt Schmidt-Lamontain. Auch franse der Wiener Platz an mehreren Stellen nach wie vor aus.
"Und insofern ist es konzeptionell richtig, dass man an dieser Stelle verengt. Gleichwohl, was auch hier auffällt, dass tatsächlich die Einbauten die hier sind, also die Außengastronomie und die Werbeanlagen sehr stark dominieren. Und wir dann sozusagen immer noch nicht fertig sind mit den Bodenbelägen, sodass insgesamt ein unruhiges Bild entsteht und die Aufenthaltsqualität nicht ganz da ist."
Es sei eben eher Durchgangsabschnitt. Weiter hinten, im breiten Teil der Prager Straße sitzen an diesem sonnigen Nachmittag Menschen am nachgebauten Pusteblumenbrunnen aus DDR-Zeit und essen ihr Eis. Ohne sich an den Wohnblöcken im Hintergrund zu stören.
"Grundsätzlich haben wir zum einen das Leitbild ‚Die kompakte Stadt im ökologischen Netz‘, das heißt, wir versuchen die Freiräume, die wir haben, die auch eine hohe Qualität haben, zu schützen, und nachzuverdichten. Und natürlich grundsätzlich zurückzukehren zum Leitbild der Europäischen Stadt, das heißt, Verengung von Straßenräumen, Aufweiten von Plätzen, und grundsätzlich auch eher mit Blockrandbebauung, Blockrandstrukturen zu arbeiten, die straßenbegleitend stattfinden. Aber dabei trotzdem den Bestand, den wir haben, zu respektieren in all seinen zeitlichen Epochen, die wir vorfinden. Auf der anderen Seite gehört es zu einer Großstadt wie Dresden auch einfach dazu, dass es solche logischen Brüche gibt."

Plattenbauten statt Vorkriegspracht

Barock, Platte, Brache: Das Ensemble Königsufer und Neustädter Markt mit seinem Architekturmix entspricht genau diesen Kriterien. Wer vom Dresdner Schloss über die Elbe dorthin läuft, nimmt zuerst die Plattenbauten wahr. Nur wenig erinnert an die Vorkriegspracht, sagt Stefan Schiller vom Bündnis Stadtbild Dresden:
"… hatte vor dem Krieg eines der bedeutendsten barocken Platzbilder dieser Stadt. Übrig geblieben davon sind nur noch Reste, das bekannteste, was wir noch haben, ist der golden Reiter. Dann das später hinzugebliebene Blockhaus, und das letzte Haus der großen Meißner Straße, das ins Hotel Bellevue, das in den 80er-Jahren entstanden ist, noch existiert."
Ein weiß-gelbes Barockhaus integriert ins graue Hotel in 80er-Jahre Architektur. Dominiert wird der Platz von Neubauten im Plattenbaustil, die teilweise heruntergekommen wirken und den Blick auf das dahinter liegende Barockviertel verstellen. Am Elbufer eine große Baulücke, die nun gefüllt werden soll. Getrennt werden Neustädter Markt und Elbufer, das hier Königsufer heißt, heute durch eine vierspurige Straße. Die Aufenthaltsqualität: eher niedrig. Dass hier etwas getan werden soll, ist Konsens. Wie jedoch Königsufer und Neustädter Markt umgestaltet werden, daran sollen auch Dresdner Bürgerinnen und Bürger mitentscheiden. Es gab eine Bürgerversammlung mit 160 Teilnehmern. Ein Novum, initiiert von Baubürgermeister Raoul Schmidt-Lamontain.

Die Dresdner wollen mitreden

"Ich glaube, wir sind heutzutage in Deutschland in einer Situation, wo man solche großen Entwicklungen nicht mehr machen kann ohne mit Bürgerinnen und Bürgern zu reden. Das ist ein anderes Selbstverständnis, was man heutzutage hat, hier in Deutschland, in Europa, und ich finde es auch gerechtfertigt. Es gibt einige Städte, die mussten daraus bittere Lehren ziehen, also Stuttgart 21 und ähnliches. Und ich glaube, dass in Dresden auch hier teilweise eine Stimmung ist, wo Gräben sind zwischen verschiedenen Fraktionen, Modernisten gehen Traditionalisten, wo diese Gräben eigentlich eher mal überwunden werden müssen."
Eine Entwicklung, die man beim Bündnis Stadtbild Dresden positiv sieht. Auch sie haben mitdiskutiert und auch eigene Vorschläge eingereicht, sagt Stefan Schiller.
"Ich glaube auch, dass das Thema Baukultur nicht bloß ein Dresdner Spezifikum ist. Lange Zeit ist es das glaube ich gewesen. Aber lange Zeit ist es das glaube ich gewesen, da hat man gesagt, ja die Dresdner diskutieren da besonders gern drüber. Aber ich glaube mittlerweile ist es auch ein deutschlandweites, wenn nicht sogar europaweites Phänomen und ich finde es gut, dass das breit diskutiert wird. Weil ich glaube, Stadt ist ein Ort, wo wir uns alle bewegen, und alle dran teilnehmen wollen."
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