Staeck: Steinbrück ist "ein Mann der Attacke"

Klaus Staeck im Gespräch mit Ulrich Ziegler · 06.10.2012
Peer Steinbrück kann Kanzler - davon ist Klaus Staeck überzeugt. Der SPD-Politiker sei nicht einer, "der irgendwie versucht, im Schlafwagen an die Macht zu kommen". Der Präsident der Berliner Akademie der Künste bezeichnete zugleich Teile der Debatte um Steinbrücks Nebeneinkünfte als "Heuchelei".
Deutschlandradio Kultur: Tacheles heute mit Klaus Staeck, seit 2006 Präsident der Akademie der Künste Berlin und wohl Deutschlands bekanntester Plakatkünstler. Guten Tag, Herr Staeck.

Klaus Staeck: Guten Tag, Herr Ziegler.

Deutschlandradio Kultur: Herr Staeck, habe ich bei der Vorstellung noch was Wichtiges vergessen?

Klaus Staeck: Ach, Gott, ja, wenn man genau ist, vieles. Ich habe ja mehrere Berufe, aber meine eigentliche Beschäftigung und das, was für mich im Leben wichtig ist, ist meine Kunst, das Plakate machen. Das haben Sie ja bereits erwähnt. Aber ich bin auch noch von Beruf Rechtsanwalt.

Deutschlandradio Kultur: Ja, da fällt mir noch eines ein. Sie sind SPD-Mitglied und das schon seit 52 Jahren. Kann Peer Steinbrück Kanzler?

Klaus Staeck: Das glaub ich schon. Wenn man die gegenwärtige Truppe ansieht, dann ist das ja nicht allzu schwierig.

Deutschlandradio Kultur: Sie meinen die Schwarz-Gelben?

Klaus Staeck: Die schwarz-gelbe Koalition quält sich ja nun wirklich über die Runden.

Deutschlandradio Kultur: Warum? Die haben doch einiges geleistet. Sie haben den Atomausstieg beschlossen. Sie sind für die Frauenquote. Sie wollen den Mindestlohn machen.

Klaus Staeck: Aber sie haben sich auch viel geleistet. Also, von daher sind das Dinge, die in der Bevölkerung alle seit Jahren gegärt haben. Den Ausstieg aus der Atomenergie, ich glaube, ich habe 1977 mein erstes Plakat dazu gemacht.

Deutschlandradio Kultur: Also bleiben wir noch mal bei der Sozialdemokratie und bei Peer Steinbrück. Sie sagen, der könnte das machen. Aber kann denn die SPD mit Steinbrück auch mehr Sozialdemokratie wagen?

Klaus Staeck: Das glaub ich schon. Irgendwann kommt ja der Frust über die jeweilige Regierung. Regierungen werden immer abgewählt, nicht dass die großartigen anderen, die da drängen, nun gewählt würden, weil sie so toll sind. Ich glaube, dass der Frust auch relativ groß ist, wenn man das mal ernst nimmt, was da immer gesagt wird, die Reichen werden reicher, die Armen werden ärmer, dann muss natürlich auch ein Druck entstehen.

Und wenn er dann nicht entsteht, dann ist das alles bloße Rederei. Dann müssen diejenigen, das ist nun mal Demokratie, die sich bedrängt fühlen, die sich benachteiligt fühlen, dann aber auch ihre Stimme erheben. Da bin ich immer einer, der dann doch versucht hat Leute anzustiften, sich einzumischen. Das ist immer mein Credo.

Deutschlandradio Kultur: Wir bleiben noch mal bei dem Kandidaten. Muss ein Kandidat wie Peer Steinbrück, der die Transparenz bei den Banken fordert, in der Schweiz und anderswo, auch dafür sorgen, dass seine Einkünfte, Nebeneinkünfte klar dargestellt werden? Denn immerhin wird er von Wählern bezahlt. Und die würden schon gerne wissen, wo er sonst noch sein Geld bekommt. Muss er das machen?

Klaus Staeck: Das sollte er schon tun, ja. Aber gerade in dieser Debatte ist wieder mal eine klassische Heuchelei im Spiel. Seit Beginn der Legislaturperiode bemüht sich die Opposition im weitesten Sinne, die Transparenzregeln gesetzmäßig zu verankern. Das ist bisher gescheitert an der jetzigen Regierung. Und wenn die jetzt laut schreit, Transparenz, dann ist das für mich schon Heuchelei.

Deutschlandradio Kultur: Der Vorwurf auch von Seiten des SPD-Arbeitnehmerflügels ist, dass er sagt, man muss das freiwillig machen, einfach Glaubwürdigkeit nach außen zu transportieren. Sigmar Gabriel, der SPD-Parteivorsitzende, beispielsweise tut es – freiwillig, ohne dass ihn die Gesetze zwingen oder dass die Opposition ihn treibt.

Klaus Staeck: Ja, der Norbert Gansel hat das schon vor 20 Jahren einmal begonnen. Leider hat er wenige Nachahmer gefunden. Sie sehen an dem Beispiel, dass die SPD eine sehr heterogene Truppe ist. Und die ersten, die immer den jeweiligen Kandidaten auch versuchen ein bisschen anzugreifen, kommen immer aus den eigenen Reihen. Das macht die Truppe für mich aber auch eher sympathisch, dass es eben nicht so ein Schnarchverein ist.

Deutschlandradio Kultur: Bei der Bundestagswahl in einem Jahr geht’s ja nicht nur um Steuererklärungen. Den Bierdeckel haben wir auch nicht gekriegt. Es geht um mehr. Peer Steinbrück hat gesagt, er will einen Wahlkampf mit Witz und guten Bildern machen. Das könne er sich so vorstellen. Wenn es dann richtig losgeht, Frage an Klaus Staeck, können Sie denn mit den guten Bildern was anfangen? Können Sie ihm vielleicht sogar welche liefern?

Klaus Staeck: Ich habe immer meine Bilder in eigener Regie angefertigt, um dann anderen, wenn Sie wollten, das zur Verfügung zu stellen. Ich war nie ein Parteigrafiker. Das würde auch nicht klappen. Dann wäre die Wirkung nämlich auch ziemlich bescheiden.

Deutschlandradio Kultur: Aber Sie haben beispielsweise "die Reichen müssen noch reicher werden, deshalb CDU" getitelt in Plakaten. Da ist dann schon ziemlich deutlich, wohin Sie wollen.
Klaus Staeck: Ja, na klar. Ich will, dass diese Truppe abgelöst wird. Das ist doch ganz einfach. Und diese Plakate damals habe ich aber nun in eigener Regie gemacht. Das bedeutete, dass ich damals 1972 innerhalb von zwei Tagen vier Prozesse von der CDU an den Hals bekam. Die haben sich nicht an die SPD gewandt. Ich hab’s auch selber bezahlt. Darauf bestehe ich auch.

Unabhängigkeit bedeutet in erster Linie immer auch finanzielle Unabhängigkeit. Wenn die nicht funktioniert, deshalb meine mehreren Berufe. Ich hab ja zwei aufgezählt, bin auch gleichzeitig Verleger von anderen Künstlern. Damit verdiene ich mein Geld, denn der Job, den ich da jetzt habe als Präsident ist ja ein Ehrenjob mit einer Aufwandsentschädigung. Nein, ich habe immer in eigener Verantwortung auch all die Sachen gemacht. Satire kann man gar nicht delegieren oder einem Gremium vorlegen, ob sie damit einverstanden wären oder nicht. Das geht gar nicht.

Deutschlandradio Kultur: Aber trotzdem sind Sie stark an die SPD gebunden. Beispielsweise bei der Bundestagswahl vor vier Jahren haben Sie einen Wahlaufruf gemacht und haben gemeinsam mit Johannes Strasser gesagt: Diesmal geht’s um einen Richtungswahlkampf. Jetzt sind vier Jahre vorüber. Geht’s wieder um einen Richtungswahlkampf oder ist das nur Variation im Thema, was wir im Moment spielen?

Klaus Staeck: Wenn ich es richtig verstanden habe, hat Peer Steinbrück von einem "Lagerwahlkampf" gesprochen. Das fände ich gar nicht so schlecht, also, bloß nicht alles vermengen und vermischen und vermanschen.

Es gibt verschiedene Interessen. Das wissen die Leute auch. Sie selber haben auch verschiedene Interessen alle miteinander. Deshalb finde ich schon den Peer Steinbrück gut, weil er ein Mann der Attacke ist. Das ist nicht einer, der irgendwie versucht, im Schlafwagen an die Macht zu kommen, am Ende alle besänftigen und dann darauf hoffen, dass am Ende noch der eine oder die andere das Kreuz an der falschen Stelle macht. – Nein.

Und dass er mit Witz das machen will, freut mich natürlich ganz besonders. Rein zeitlich werde ich kaum mehr solche Wahlkampfaktivitäten entwickeln können, wie ich es das bei vielen Anlässen gemacht habe. Übrigens, Wahlkampf ist eine spannende Zeit. Es ist die Zeit, wo auch mal die Bürger untereinander, wenn sie denn wirklich an der Demokratie noch teilnehmen, ihre Meinung auch sagen können. Dann muss auch derjenige, der gewählt werden will, zuhören.

Ich beneide übrigens keinen Parteipolitiker, egal, wer da auch antritt. Diese Schelte habe ich nie mitgemacht gegen die Politik, gegen die Parteien. Das fand ich immer den größten Blödsinn. Entweder man macht da mit, das ist ein Angebot an alle, oder man soll dann aber in bestimmten Situationen – ich sage mal ganz deutlich – auch die Klappe halten.

Deutschlandradio Kultur: Und es geht um Inhalte. Die muss Peer Steinbrück benennen. Er sprach bei seiner Rede vor wenigen Tagen, dass er versuchen möchte, enttäuschte Wähler von Schwarz-Gelb zu erreichen, die eine gewisse wertegeleitete Politik vermissen. Was kann Peer Steinbrück, was muss die Sozialdemokratie liefern, damit diese wertegeleitete Politik so stark wirkt, dass sie auch im bürgerlichen Milieu greift?

Klaus Staeck: Ich glaube, dass wir ein sehr angstgeprägtes Volk sind. Das war die erste Bemerkung. Ich glaube auch, dass die Mittelschicht eine ganz entscheidende Schicht für die Stabilität einer Demokratie ist. Wenn diese Mittelschicht, zu der ich als Kleinunternehmer im weitesten Sinne dazu gehöre, das Gefühl hat, alle bedienen sich auf ihre Kosten und sie ist zum Schluss nachher einfach der Leistungsträger, wie es immer so schön heißt, aber es gibt soundso viele Riesenkonzerne, die gar keine Steuern mehr zahlen, und sie nachher immer die Gekniffenen sind, dann wird es ernst für die Demokratie.

Ich versuche es mit meinen Möglichkeiten, die ja bescheiden sind, aber dann doch wieder gar nicht so gering sind. Denn mit Bildern kann man viel, viel mehr bewirken als mit Worten. Das habe ich nun ein Leben lang erfahren, auch indem sich sehr viele Leute darüber erregt haben.

Es ist 42 mal versucht worden, meine Arbeiten zu verhindern, was nie gelungen ist, weil ich ja auch nie um der Provokation willen meine Sachen mache, sondern auf Missstände hinweise. Da ist man nicht unbedingt erfolgreich. Wenn ich meine alten Plakate angucke von vor 20, 30 Jahren, dann ist vieles nicht eingelöst an Erwartungen, die ich hatte und die viele andere hatten. Und dann kommt man zu so einem Spruch, wie: Nichts ist erledigt. Das ist meiner Ausstellung, die ich da gerade habe, ein großes Transparent, was an der Wand hängt. "Nichts ist erledigt!"

Deutschlandradio Kultur: Wenn Sie seit 40 Jahren als Plakatkünstler unterwegs sind, wenn Sie gegen die Ungerechtigkeiten der Welt kämpfen, dann müssten Sie doch sagen: Das ist doch irgendwie verheerend. Nichts ist erledigt, obwohl Sie 40 Jahre aktiv sind oder noch mehr.

Klaus Staeck: Ja, das kann man schon so sehen. Und ich sehe es ja selber so. Ich hatte nie die Begabung, mir in die Tasche zu lügen, sondern sehe doch schon die Wirklichkeit so, wie sie sich mir zumindest darstellt. Und das ist nicht unbedingt erfreulich.

Klar gibt es ein paar Erfolge, wenn man den Atomausstieg jetzt nimmt, aber die sind mit Hilfe von sehr, sehr vielen Menschen zuwege gebracht. Ich glaube aber, wenn man keinen langen Atem hat, dann sollte man sich nicht in die Politik unmittelbar so direkt einmischen, weil man dann sehr schnell an Grenzen kommt und am Ende depressiv wird.

Nein, ich weiß zwar, dass bestimmte Dinge auch noch Generationen brauchen werden. Bewusstseinsänderungen, wie das immer so schön wissenschaftlich erfasst heißt, sind sehr, sehr schwierig herzustellen. Vorurteile sind der sicherste Besitz der Menschen immer gewesen. Die abzubauen, da ist aber doch die Satire relativ hilfreich. Die schleicht sich ein mit einem Slogan, wo alle sagen, jawoll, so ist es, um dann einen Haken zu schlagen und den anderen dann doch in seinem lauten Lachen oder in seiner falschen Denkrichtung manchmal irre werden zu lassen.

Mein erstes Plakat war das Dürermutter-Porträt mit dem Zusatz: "Würden Sie dieser Frau ein Zimmer vermieten", 1971. Wenn die Leute das sehen, erstmal lachen sie laut. Je nach sozialer Einstellung erstirbt das Lachen so langsam. Das sind die Chancen, die man als Künstler, als Satiriker hat.

Deutschlandradio Kultur: Also hat Albert Camus schon Recht, wenn er sagt, "man muss sich Sisyphus als einen glücklichen Menschen vorstellen".

Klaus Staeck: Ja, ich kenne das Bild. Aber ob der nun wirklich glücklich ist, dass der Stein immer wieder zurückrollt? Irgendwann wünscht man sich natürlich (…). Sonst wäre man ja einfach nur manisch oder ein Spinner, wenn man etwas macht, von dem man genau weiß, dass das nicht eintritt.

Das wäre ein Wiederholungszwang. Nein, das lehne ich ab. Aber glücklich insofern, als man hin und wieder dann doch kleine Erfolge wahrnimmt, das braucht man auch. Wir sind immer noch ein relativ stabiler Staat, wo der Rassenhass eben nicht die Oberhand gewinnt, wo es vor allen Dingen die religiösen Spinner und Fundamentalisten zwar gibt, die uns auch unser Gesellschaftsmodell streitig machen wollen, aber es nicht gelingt.

Gerade in Heidelberg war eine Demo gegen so einen Aufmarsch der NPD. Da ist eben wirklich der Bahnhof blockiert worden und die Veranstaltung konnte nicht stattfinden. Da haben sich so viele Menschen bereiterklärt, ja, dem entgegenzutreten. Und das stimmt mich doch dann immer wieder hoffnungsvoll.

Deutschlandradio Kultur: Also gibt’s möglicherweise zwei Dinge, alte Herausforderungen: Sigmar Gabriel hat beispielsweise letzte Woche gesagt, ihm ginge es bei der Wahl im nächsten Jahr um zwei zentrale Dinge, um die Bändigung der Finanzmärkte und um die Schaffung eines sozialen Gleichgewichts in Deutschland. Das sind also sozusagen die Dauerthemen.
Was sind denn die neuen Herausforderungen, wo Sie sagen, ja, da muss man auch als Plakatkünstler, als jemand, der sich einmischen möchte, ein besonderes Augenmerk drauf werfen in den nächsten Wochen, Monaten, Jahren?

Klaus Staeck: Also, die Dauerthemen sind mal riesige Themen. Ohne sozialen Ausgleich, ohne einigermaßen soziale Balance und Gerechtigkeit ist Demokratie auf Dauer leider nicht zu verwirklichen. Das ist so. Nein, das ist ein harter Kampf und er wird auch bleiben.

Ich versuche mit meinen Arbeiten das Gefahrenbewusstsein für die Verletzbarkeit der Demokratie immer wieder neu in Erinnerung zu rufen, um es ganz vorsichtig auszudrücken. Und die großen Themen werden sein: Wie gehen wir um ( …)? Da wir uns ja alle noch als analoge Wesen verstehen, jedenfalls ich tue das, ich lese zum Beispiel gerne Zeitung, viele junge Menschen kommen gänzlich ohne aus. Ich bin so ein Papierfresser, der durch den Zug geht und guckt, welche Zeitung liegt da noch rum, die ich noch lesen kann. Das ist manchen jüngeren Leuten völlig fremd. Aber wie schaffen wir es, diese sozialen Netze, die ja zunächst mal eine tolle Geschäftsidee von jemand waren, so zu nutzen, dass sie wirklich sozial sind und nicht bloß für Flash-Mobs, um irgendwelche Monsterpartys zu veranstalten, wo bei einer Geburtstagsparty dann 40.000 Leute auftauchen.

Also, das Netz ist ja gleichzeitig eine wunderbare Angelegenheit, eine Schatzkiste, wie ich immer behaupte, aber auch eine Kloake. Wie wir da die Balance finden, das ist eine ganz neue Herausforderung.

Was das Urheberrecht betrifft, wir kämpfen ja als Akademie auch darum, dass das, was Künstler machen, auch Arbeit ist. Wenn man das erstmal geschafft hat und nicht bloß, dass das ein Hobby ist oder eine Freizeitbeschäftigung, sondern dass man – wenn man einigermaßen erfolgreich ist – auch davon gern leben möchte, seine Miete bezahlen muss, das sind jetzt ganz konkrete Kämpfe.

Und dann: Wie werden wir damit fertig, dass die Leute, wie sagen wir immer so schön, mit dem Migrationshintergrund zu uns gehören, dass wir uns nicht leisten können zum Beispiel, dass viele, viele, auch Kinder immer noch ohne einen Schulabschluss die Schule verlassen. Dabei brauchen wir mehr und mehr auch Arbeitskräfte, Fachkräfte. Und dann leisten wir uns trotzdem dieses seltsame, wie heißt das, dieses seltsame Beziehung- , Betreuungsgeld.

Das ist doch einer der absurdesten politischen Irrwege. Und wenn es nur das bringt, dass wir von solchen exotischen Unternehmungen Abstand nehmen, dass wir wider besseren Wissens jetzt das Geld nicht in Erziehung stecken, dann sehe ich schon ein bisschen schwarz. Wenn man da etwas verpasst, dann ist das nicht gerade eine gute Perspektive.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben gerade fast wie ein Politiker geredet. Sie sind aber auch Plakatkünstler. Und wenn wir über neue soziale Medien reden und über Flash-Mobs und über soziale Netze, dann die Frage: Wo kann man denn noch mit Plakaten im öffentlichen Raum die so genannten visuellen Widerhaken verankern, von denen Sie schon öfter mal geredet haben? Sind die überhaupt noch zeitgemäß?

Klaus Staeck: Erstmal braucht man den öffentlichen Raum, das ist sehen Sie ja ganz richtig. Und ich bin ein Kämpfer wirklich für den öffentlichen Raum, der immer größer in Gefahr gerät, privatisiert zu werden. Das kann man überall spüren.

Die Chance der Plakate besteht darin, dass sie erstmal noch einmal angeschaut werden können. Das Netz und auch eine Nachrichtensendung im Fernsehen, überhaupt alle Fernsehbilder sind derart schnelllebig geworden, sind derart schnell, so dass Sie gar nicht mehr wahrnehmen können. Ich habe mal so einen Apparat angeschafft, wo man auf den Knopf drückt, wenn man ein Bild aus dem Fernsehen haben möchte. Ich bin nicht der Allerlangsamste, aber es ist mir so gut wie nie gelungen, wo ich sage, das Bild möchte ich jetzt gern für eine Collage verwenden, es hat fast nie geklappt.

Die Geschwindigkeit, auch das Hamsterrad, in dem sich viele, nicht alle, aber viele befinden, ist auf eine Weise auf uns übertragen worden, dass es mich manchmal intensiv beschäftigt. Wie findet man – wenigstens temporär – wieder einen Ausstieg? Wir gehen vielen Dingen auch nicht mehr auf den Grund. Jetzt reden wir alle über unsere Vorhäute, soweit es Männer sind. Jetzt ist Beschneidung. Das wird eine weile Laufen. Dann kommt wieder das Nächste dran. – Das ist etwas, wo man dann doch aber mit einem Plakat, mit einem stehenden Bild, die Chance hat, Aufmerksamkeit zu erregen.

Die List gehört immer dazu, denn im Vergleich zu einem Konzern, bin ich natürlich ein schwacher Teilnehmer der Kommunikation, wie es so abstrakt heißt. Ich versuche dann irgendwie eine Stelle zu finden für ein Plakat am Wochenende, wenn es möglichst geht, wo derjenige, der das Plakat wieder an der zentralen Stellen abnehmen könnte, eben gerade im Wochenendurlaub ist. Da hat das Plakat viele, viele Möglichkeiten.

Und die ganzen Agenturen, die immer noch auf Großflächen Plakate setzen, die würden doch keinen Cent ausgeben, ihren Klienten raten, noch Plakate anzufertigen, wenn es nicht mehr wahrgenommen würde.

Deutschlandradio Kultur: Gleichzeitig ist da auch die Frage: Wie kann sich dann ein Plakatkünstler in aktuelle Tagespolitik einmischen, was Sie ja auch tun wollen? Das ist doch auch schnellläufig.

Klaus Staeck: Ja, das ist eine gute Frage insofern, weil, Tagespolitik, was ist das. Ich könnte zum Beispiel kein Tageskarikaturist sein. Da bin ich viel zu langsam. Ich versuche ja gerade, weil ich alles selber finanzieren muss, kann ich mir gar nicht leisten, wirkliche Tagespolitik zu illustrieren, zu kommentieren, ich muss die langen Linien versuchen zu finden. Und wenn Sie meine Ausstellung angeguckt haben oder angucken werden, dann werden Sie feststellen, dass Plakate, die vor 30, 40 Jahren gemacht worden sind, für jemanden, der sie zum ersten Mal sieht, aktuell sind – nicht alle.

Deutschlandradio Kultur: Oder Old School, dass man sagt, dass sie diese Polarisierung zwischen diesen zwei Polen, hier die CDU, mit den Villen im Tessin, und hier die SPD, die für Freiheit und Gerechtigkeit ist… . Wenn man zurückblickt und sagt, nee, die hatten ja mal eine Große Koalition und dann machen sie es mit dem und mit jedem. Wo ist der Unterschied zwischen Steinbrück und vielleicht Wolfgang Schäuble? – Passt das dann trotzdem noch?

Klaus Staeck: Na ja, wenn man noch mal genauer hinschaut, dann ist es eben nicht dasselbe. Das ist ja einer der großen Abwehrmechanismen, den die Leute entwickelt haben, die einfach immer sagen: Es lohnt sich gar nicht, sich da einzubringen.

Es ist nicht dasselbe! Zum Beispiel, wenn sie um den Mindestlohn jetzt kämpfen, das ist eben nicht dieselbe Position, die CDU-CSU und die FDP vertreten und die SPD und die anderen Oppositionsparteien. Es ist ein großer Unterschied darin. Es gibt wunderbare Leute in jeder Partei, das will ich auch nicht bestreiten. Ich bin auch jemand, der die Parteien verteidigt. Das wird viele immer wundern. Wenn die über Abschaffung reden, dann sage ich immer: Sag mal, was soll eigentlich an die Stelle treten? Ist es das "Bild"-Zeitungsparlament? Ist das Bertelsmann, der noch alles regeln soll? Oder wer soll das eigentlich machen?

Wir brauchen in der Demokratie auch Institutionen. Vor allen Dingen, wir brauchen einen Rechtsstaat. Und dafür braucht es Institutionen. Die müssen überwacht werden. Da muss es Regularien geben, wie sie besetzt werden, wer sie auch finanziert. Deshalb bin ich auch für Steuern, dass man anständig seine Steuern hier zahlt und nicht eben in der Schweiz und in Luxemburg und an den Kaiman Inseln und was es da noch alles gibt, nach Singapur sein Geld schleppt – mit Hilfe der Banken. Deshalb, das macht ja die Leute so wirklich rasend. Und da ist jetzt Steinbrück nun jemand, der offenbar tatsächlich begriffen hat, dass auf diesem Sektor etwas geschehen muss.

Die Leute werden sich auch dann von der Demokratie abwenden, wenn sie merken, die Spekulanten sind nachher die Kings, sind die Kassierer und sie sind immer nur diejenigen, die zahlen müssen. Da, meine ich, ist ein Lagerwahlkampf oder wie immer man das bezeichnet, schon angebracht. Und da ist eben zum Beispiel die FDP, die fürchten solche Dinge wieder Teufel das Weihwasser.

Deutschlandradio Kultur: Das sind dann natürlich auch Fragen, die nicht mehr nur national geregelt werden können, sondern europaweit, möglicherweise weltweit, wenn man die Banken anders regulieren, neu aufstellen möchte. Das haben wir erlebt mit Lehman Brother und anderen Geschichten.

Jetzt werden Sie in der nächsten Woche gemeinsam mit Oskar Negt auf der Frankfurter Buchmesse über sein neues Buch mit dem Titel "Gesellschaftsentwurf Europa" reden. Und es soll sich um eine zornige Streitschrift und um ein leidenschaftliches Plädoyer für das große Kulturprojekt Europa handeln. – Es geht also nicht nur um die Banken, es geht um mehr, wenn wir über Europa reden. Welches ist Ihr Beitrag?

Klaus Staeck: Mein Beitrag ist erstmal nur ein werbender, für Europa selbstverständlich, weil, würden doch gar nicht mehr wahrgenommen in der Welt, wenn wir so wahnsinnig wären und uns wieder in die Nationalstaaten aufspalten lassen würden. Deutschland ist nicht San Marino und auch nicht Monaco, sondern wir sind der zentrale Staat in Europa, werden ja auch in diese Rolle manchmal auch gedrängt als Führer Europas, was angesichts unserer Geschichte immer eine sehr heikle Angelegenheit ist. Aber wir sind schon in der Lage, glaube ich, zumindest andere mitzuziehen, klarzumachen, dass Europa wieder eine neue kulturelle Chance braucht und nicht bloß eine – ich habe ein Plakat gemacht "Europa ist mehr als der Finanzausgleich", das trifft in diese Richtung.

Und wir müssen dem Wort Europa wieder einen Klang geben, der mit Zukunft verbunden ist, und nicht bloß immer, ach Europa. Gucken Sie doch die Europawahlbeteiligung an. Das ist ja manchmal schlimmer als die allerletzte kleine Kommunalwahl, wo man sagt, der Bürgermeister ist sowieso schon gewählt, da braucht man gar nicht mehr hingehen.

Deutschlandradio Kultur: Oskar Negt ist 78, Sie selbst sind 74 Jahre alt, beides noch relativ fitte Männer. Aber man hat so ein bisschen den Eindruck, die Komplexität der Welt können uns nur noch ältere Herren erklären. Man kann dann noch Jürgen Habermas, Helmut Schmidt nehmen und vielleicht noch Stéphane Hessel. Ist das ein Phänomen, das Ihnen auch schon mal durch den Kopf gegangen ist?

Klaus Staeck: Na ja, es ist schon ein bisschen seltsam. Aber ich würde jetzt nicht die alten Männer oder alten Frauen, da gibt’s ja auch noch ein paar Gott sei dank, dafür verantwortlich machen, dass sie immer noch Gehör finden, Aufmerksamkeit für sich in Anspruch nehmen können, sondern das ist das Problem der Nächsten. Die müssen eben dann weggeschoben werden. Das hat jede Generation bisher so gemacht. Und vielleicht ist da die 68er Generation, mit der ich immer so in Zusammenhang gebracht werde, was nicht der Fall ist, aber vielleicht hat die sich auch dann eine Weile ausgeruht.

Und es läuft doch auch alles relativ gut für die, die in der Lage sind, jederzeit – ich weiß nicht – dreimal oder fünfmal im Jahr Urlaub zu machen. Und die anderen müssen sich dann eben regen. Also, die können nicht bloß jammern. Ich bin jemand, der das Jammern einfach nicht mehr erträgt. Dann frage ich immer: Hast du es versucht? Hast du mal versucht, diesen oder jenen Zustand, den du so lauthals beklagst, zu ändern? – Dann sagt der immer in der Regel: Das brauche ich gar nicht, da habe ich gar keine Chance. Und dann sage ich immer: Nicht den Versuch gemacht zu haben, ist strafbar. Zu Scheitern, ist keine Schande. Das ist ein Fehler, mit dem ich zumindest relativ weit gekommen bin.

Mit wem habe ich mich alles angelegt? Manchmal hat man gesagt gesagt: Junge, was geht dich das eigentlich an? Also, mal FCKW, der Kampf mit Hoechst, und Kalichemie, die Umwelt, das sind meine zentralen Themen immer gewesen. Und da gibt es nun wirklich sehr viel zu tun. Und da hoffe ich auch, dass jede Regierung begreift, dass eigentlich der Umweltminister – für mich zumindest – der wichtigste Minister ist. Denn der entscheidet doch wesentlich über die Zukunft, nicht bloß unserer paar Jahre noch. Sie haben ja die alten Männer eben erwähnt. Die schaffen das noch. Aber was danach kommt, das ist schon nicht sehr angenehm, wenn man bereit ist, sich dem zu stellen. Es gibt ja Leute, die leugnen heute noch den Klimawandel. Da können die Pole abschmelzen, wie sie wollen.

Das Perverse für mich ist, dass parallel ja, die wir das auch wissen, die Gleichzeitigkeit der Ereignisse, dass also die RTL-Sendungen über die Formel 1, der größte individuelle Schwachsinn, den ich mir vorstellen kann umweltmäßig, die bestgesehenste Sendung ist. Und dann hören wir dann so Jammersendungen, wie furchtbar das ist, dass auch in den Alpen die Gletscher schmelzen und da wieder was völlig aus dem Ruder läuft. – Wenn wir das schaffen, da mal so eine Art Zensur zu schaffen, die sagt, entweder das oder das, beides geht nicht gleichzeitig.

Deutschlandradio Kultur: Vielleicht noch einen ganz kurzen Satz zu den jüngeren Männern und noch mal zu Europa, denn das wird ein zentrales Thema auch im Bundestagswahlkampf im nächsten Jahr sein.

Am Tag der Deutschen Einheit hat sich auch der Außenminister, also Guido Westerwelle, zu Wort gemeldet. Er hat gesagt: "Wenn es Europa auf Dauer schlecht geht, kann es Deutschland auch nicht gut gehen." – Das lässt doch hoffen.

Klaus Staeck: Ja, das lässt hoffen, wenn es denn ernst gemeint ist. Also, da bin ich nun mal jemand, der doch noch mal die Politik insofern kritisiert, als so vieles so glatt über kommt. Und die Leute haben leider durch viele, viele schlechte Erfahrungen gelernt, all diesen Worten zu misstrauen. Dieses Misstrauen zu bewegen, das können wahrscheinlich gar nicht mehr die Politiker selber tun.

Da müssen die Bürger sehen, wie sie auch sich – ja, noch mal – intensiver einmischen und nicht alles Unangenehme der Politik überlassen und sie sind immer die Guten. So ist das nicht. Deshalb bin ich immer ganz bewusst auch in eine Partei gegangen, weil ich auch für das Unangenehme mit verantwortlich sein wollte und daraus abgeleitet habe: Ich will aber auch mit gestalten, was ihr da treibt.

Deutschlandradio Kultur: Das sagt der klassische Einmischer Klaus Staeck, bei dem ich mich ganz herzlich bedanke.
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