Staeck: Künstler müssen sich einmischen

Klaus Staeck im Gespräch mit Nana Brink · 05.04.2012
Im Streit um ein Gedicht von Günter Grass stellt sich Klaus Staeck, Präsident der Akademie der Künste, hinter den Literaturnobelpreisträger. Einer klaren Stellungnahme müsse man ja nicht folgen. Gleichwohl sei Einmischung "erste Bürgerpflicht", doch viele Künstler hätten sich das Politische "abtrainieren lassen".
Nana Brink: Diese Gedichtzeilen sollten unbedingt gehört werden:

" Warum sage ich jetzt erst,
gealtert und mit letzter Tinte:
Die Atommacht Israel gefährdet
den ohnehin brüchigen Weltfrieden?
Weil gesagt werden muss,
was schon morgen zu spät sein könnte;
auch weil wir – als Deutsche belastet genug –
Zulieferer eines Verbrechens werden könnten,
das voraussehbar ist, weshalb unsere Mitschuld
durch keine der üblichen Ausreden zu tilgen wäre."

Brink: Das Gedicht von Günter Grass, das wir hier in Auszügen zitiert haben, ist gestern in der "Süddeutschen Zeitung", zeitgleich aber auch in der "New York Times", in der italienischen Zeitung "La Repubblica" und in der spanischen "El País" erschienen und es hat für große Aufregung gesorgt, gerade auch wegen der Verurteilung Israels und Deutschlands. Und am Telefon ist jetzt Professor Klaus Staeck, Präsident der Akademie der Künste Berlin. Einen schönen guten Morgen, Herr Staeck!

Klaus Staeck: Guten Morgen.

Brink: Welchen Reim machen Sie sich auf das Gedicht von Günter Grass?

Staeck: Das ist Grass, wie wir ihn kennen, scharf, kritisch, aber ich glaube, in einem freien Land wie Deutschland muss doch auch unter Freunden eine Kritik, auch wenn sie scharf ist, möglich sein, ohne reflexhaft jetzt als Antisemit verdächtigt zu werden.

Brink: Sie spielen ja an: Es gab umfangreiche Reaktionen. Der Publizist Henryk M. Broder warf hier Grass Antisemitismus vor, der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft zum Beispiel, Reinhold Robbe, sagte, es ist Moralgezeter, die Bundesregierung hält sich gepflegt raus, nach dem Motto, wir müssen uns ja nicht zu jeder Kunst äußern. Kurzum: das Gedicht hat Wirbel produziert. Mal ganz abgesehen davon, wie man das Gedicht bewertet – ist es nicht ein bisschen aus der Mode gekommen, sich als Schriftsteller, als Künstler einzumischen?

Staeck: Na ja, wenn man die Realität sich anschaut, dann mag das so sein. In den 70er-Jahren, vor allen Dingen den 60ern, Ende der 60er-Jahre, war es eigentlich fast eine Pflicht für viele, sich einzumischen in die Belange der Gesellschaft, sich da zu Wort zu melden, und deshalb kommt es uns schon ein bisschen komisch vor heute, das mag sein, vor allen Dingen in Gedichtform. Nennen Sie mir mal ein Gedicht, was in letzter Zeit verfasst wurde und jetzt diesen Wirbel auslöst. Das spricht allerdings auch dafür, dass es doch eine Chance noch gibt, eine Möglichkeit.

Und die Angriffe, die jetzt der Günter Grass auszuhalten hat, die sprechen natürlich auch eine Sprache, nach dem Motto: Misch dich nicht ein, wenn du das tust, dann kriegst du schon eine übergebraten, um es ganz salopp auszudrücken. Das wird sehr viele, glaube ich, abschrecken, hat abgeschreckt, und wir haben uns alle miteinander, glaube ich, ein bisschen das Politische abtrainiert beziehungsweise abtrainieren lassen, und das kommt dann dabei heraus, dass jetzt so eine Wortmeldung auf einmal als etwas ganz besonderes gilt.

Brink: Sie haben sich ja auch immer eingemischt, auch parteipolitisch mit Ihren satirischen Politgrafiken, Sie sind auch Mitglied der SPD. Würden Sie das denn jetzt auch noch so machen, weil Sie gesagt haben, wir haben uns das abtrainiert?

Staeck: Na ja, ich lebe ja noch.

Brink: Hoffentlich auch noch länger!

Staeck: Und von daher: Natürlich mische ich mich ein, jetzt auf einer anderen Ebene, da muss man ein bisschen Zurückhaltung üben gelegentlich, weil man ja für sehr viele Menschen spricht in der Akademie. Aber ich glaube, es ist dringend geboten. Es gibt derart viele Probleme, die wir haben miteinander. Und dieses weichgespülte Talkshow-Gerede, um es mal deutlich zu sagen – ich war auch in vielen -, das habe ich immer als eine Art Rache am Gespräch empfunden. Es wird alles erzählt, es wird alles berichtet und zum Schluss ist man möglicherweise noch dümmer, als man vorher war.

Eine klare Stellungnahme – der muss man ja nicht folgen. Auch der Meinung von Günter Grass, die er da in dem Gedicht geäußert hat, der muss man keineswegs folgen, man kann durchaus anderer Meinung sein. Aber es muss möglich sein, auch über Israels Politik zu diskutieren, genauso wie man über die Siedlungspolitik der Israelis diskutieren können muss.

Ich bin nicht ein Gefangener der Vergangenheit der Art, dass es da bestimmte Tabuzonen gibt. Ganz im Gegenteil! Wenn man ein "normales" Verhältnis unter Freunden haben möchte, dann gehört geradezu die öffentliche Kritik dazu. Das macht die Demokratie aus, öffentlich auch über bestimmte Dinge zu diskutieren, indem man anderer Meinung ist als der andere.

Brink: Ich möchte noch ein bisschen auf diesen Reflex zu sprechen kommen, den Sie ja erwähnt haben. Warum reagieren wir so empfindlich?

Staeck: Na ja, wir sind ängstlich von Natur aus, glaube ich. Das ist jedenfalls meine Lebenserfahrung. Und wenn da einer mal ein bisschen laut schreit, dann sind alle ein bisschen erregt, das heißt alle sowieso nicht, aber die, die es angeht. Wir sind auf eine Weise ungeübt, möchte ich mal sagen, im scharfen, harten Diskutieren, dass wir dann erschrecken, wenn jemand mal die Trompete ein bisschen lauter bläst, und das macht nun Günter Grass und er wird gehört.

Es gibt ja viele, die sich auch zu Wort melden, die aber niemand wahrnimmt. Selbst mir, der nun keinen Anlass zur medialen Klage hat, gelingt es oft nicht, wichtige Dinge, von denen ich glaube, dass man sie öffentlich diskutieren sollte, dann doch in die Arena zu werfen – in der Hoffnung, dass darüber gesprochen wird -, denn die Demokratie zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sie die Meinungsfreiheit schützt.

Brink: Das heißt, auch als Präsident der Akademie der Künste würden Sie sagen, viele Künstler äußern sich heute nicht mehr scharf, sie nutzen eigentlich nicht das Schwert, die Feder vielleicht auch, die sie haben, um sich einzumischen?

Staeck: Wissen Sie, ich habe mal gesagt, das Schlimmste, was der Demokratie passieren kann, ist, wenn sie an Langeweile stirbt, und manchmal hat man den Eindruck.

Brink: Also tun wir das gerade schon?

Staeck: In vielerlei Hinsicht ja, das glaube ich schon. Natürlich muss man damit rechnen, dass man auf Gegenwehr stößt. Der Grass hat auch mal während einer Veranstaltung gesagt, wer Angst vor dem Feuilleton hat, der sollte kein Schriftsteller werden. Man wird eben auch sofort - nicht niedergemacht, ein zu hartes Wort -, aber man wird schon auf eine merkwürdige Weise dann angegangen, wenn man sich überhaupt politisch einmischt. Sowie ein Künstler politisch sich äußert, gilt er sofort als ein schlechter Künstler. Das ist dem Böll so ergangen, das geht dem Grass so, das geht vielen anderen so. Deshalb halten sich natürlich auch viele zurück, nach dem Motto, was geht dich das an.

Brink: Ist Ihnen das auch so gegangen?

Staeck: Das ist mir öfter so gegangen. Mich hat das nicht gestört, im Gegenteil: es hat mich ermutigt, wie Sie merken. Ich bin deswegen nicht leiser geworden.

Aber die Frage ist natürlich auch nach der Wirkung, was kann ein Künstler denn tatsächlich in der großen politischen Debatte in die Wagschale werfen? Der berühmte "arabische Frühling" hat eine Menge Künstler plötzlich auch das Wort ergreifen lassen und ihre Arbeit jetzt, wie man so schön sagt, in den "Dienst" der Gesellschaft gestellt – nicht unbedingt mit großem Erfolg, das gehört auch dazu -, aber ich meine, dass diese Einmischung schon die erste Bürgerpflicht ist, nicht das Kuschen, nicht das Stillhalten, nicht das immer nur alles schlucken. Dann haben wir eben diese langweilige Demokratie, die ja viele im Augenblick beklagen.

Der Zorn, fast Hass auf die Parteien, der ist ja überall mit Händen zu greifen, und nun wird die ganze Heilserwartung auf Herrn Gauck gerichtet. Na, da kann ich nur sagen, das müsste ja ein Superheld sein, der dieses wieder ins Gleichgewicht bringt, Bürgerdiskussion, und da kann man auch verlieren, wenn man eine bestimmte Meinung äußert. Ich habe oft lernen müssen zu verlieren, das gehört auch immer dazu.

Brink: Als Präsident der Akademie der Künste in Berlin eben diesen sehr zugewandt, aber nicht unkritisch, wie Sie ja betonen. Das besagte Gedicht ist stilistisch aber eher, na sagen wir mal höflich, bemüht?

Staeck: Also ich bin kein Gedichte-Rezensent, schon gar nicht einer, der sich anmaßt, das Gedicht eines Nobelpreisträgers in irgendeiner Form zu kritisieren. Es ist eine Form gewählt worden, die ja bewusst eine Kunstform ist. Wäre es ein normaler Text gewesen, ich glaube, die Aufregung wäre auch nur halb so groß gewesen. Das spricht eigentlich, was ich so gar nicht mehr vermutet hätte, für die Gedichte.

Brink: Professor Klaus Staeck, Präsident der Akademie der Künste in Berlin. Schönen Dank für das Gespräch.

Staeck: Ich danke Ihnen.

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Das Gedicht "Was gesagt werden muss" druckte die Süddeutsche Zeitung am 4.4. ab
Das Gedicht "Was gesagt werden muss" druckte die Süddeutsche Zeitung am 4.4. ab© dpa / Stephan Jansen
Schrifsteller Günter Grass (84)
Schrifsteller Günter Grass (84)© dapd / Sebastian Willnow