Die Ausstellung "Identitätsmetamorphosen" im Stadtmuseum Düsseldorf ist bis zum 1. Juni 2015 zu sehen.
Jüdische Kunst lebendig machen
Raus aus der Geschichte und rein in die Gegenwart: Der Kulturverein "Mendeli" möchte eine Plattform für zeitgenössische jüdische Kunst schaffen. Die erste Ausstellung in Düsseldorf stellt die große Frage nach der eigenen Identität.
Jüdischer Gebetsgesang trifft auf Human Beatbox - ein musikalisches Experiment, das im Gebetsraum der Düsseldorfer Synagoge normalerweise nicht zu hören ist. Der Kulturmanager Dima Schneerson führt den klassisch-modernen Genre-Mix auch nur privat für mich vor. Bald sollen solche Auftritte aber auch öffentlich stattfinden. Zusammen mit der Kunsthistorikerin Sofia Sokolov hat Schneerson einen neuen Verein gegründet, der die moderne jüdische Kunst und Kultur in der NRW-Landeshauptstadt etablieren will: "Mendeli Akademie e.V."
"Mit unserer Akademie wollten wir eine Plattform, ein Museum für zeitgenössische jüdische Kunst und Kultur erschaffen. Weil unserer Meinung nach ist es wichtig, nicht nur die Vergangenheit darzustellen, obwohl das natürlich ein Teil der Gegenwart ist und das gehört auch zu unserer Identität und zu Ereignissen, die heute passieren. Aber es ist auch unglaublich wichtig, in einer bildnerischen Sprache darzustellen, was heute passiert, was wir heute sehen und was uns umgibt sozusagen. Es gibt sehr viele jüdische Museen innerhalb von Europa und innerhalb von Deutschland natürlich, die basieren aber alle auf historischen und religiösen Ereignissen."
Darstellen, was heute geschieht
Im Mittelpunkt: die Verfolgung und Vertreibung des jüdischen Volkes. Von der Flucht aus der ägyptischen Sklaverei über die babylonische Gefangenschaft unter König Nebukadnezar bis hin zum Holocaust, der viele Juden nach Palästina trieb, wo sie 1948 einen eigenen Staat gründeten. Dieses Bild von den Juden als Opfervolk werde durch eine überbordende Gedenk- und Erinnerungskultur kultiviert. Nicht nur durch die Museen, sondern auch durch die zahlreichen zentralistischen Mahnmale im öffentlichen Raum. Eine Praxis, die Dima Schneerson für gefährlich hält:
"Wir wollen aus der sich ständig selbst beweinenden Opferrolle ein wenig rauskommen. Selbstverständlich ist das ein wichtiges Thema, selbstverständlich ist das schlimm, was passiert ist mit dem Holocaust, aber es gibt kein Museum, was etwas anderes behandelt außer Holocaust-Geschichte. Und ich glaube, das schürt einen weiteren Antisemitismus, der in der heutigen Form genannt wird, nämlich Anti-Zionismus. Heute hat man kein Problem mit den Juden, sondern mit den Israelis."
Schneerson und Sokolov betonen allerdings ...
"… dass wir keinesfalls die jüdische Identität und die Religion und die Tradition in Frage stellen wollen."
Dafür stehen die beiden Vereinsgründer der jüdischen Kultur viel zu nahe. Sie besuchen die Synagoge, feiern jüdische Feste oder lernen Hebräisch. Auch der Vereinsname "Mendeli" huldigt der "alten" jüdischen Kultur:
"Das ist ein jüdisch-deutscher Name und 'Mendel' übersetzt heißt so viel wie trösten. Also wollen wir der Gesellschaft, in der wir leben, einen gewissen Trost geben, dass alles okay ist und wir machen weiter."
Es geht darum, ein modernes Judentum zu präsentieren, das in der globalen Gesellschaft verankert ist. Mit Ausstellungen, Konzerten, Kinoabenden oder Seminaren. Den Auftakt bildet eine Kunstausstellung im Stadtmuseum Düsseldorf. "Identitätsmetamorphosen" lautet der etwas sperrige Titel. Acht Gegenwartskünstler - die Hälfte davon jüdischer Herkunft – spüren in Gemälden, Fotografien oder Installationen den vielfältigen Facetten der Identität nach. Das Judentum nimmt dabei ganz unterschiedliche Bedeutungen ein. Die weißrussische Künstlerin Marina Sailer etwa vergleicht ihr unstetes Leben mit der Geschichte des ständig umherwandernden jüdischen Volkes:
"Mein Leben ist auch eine ewige Wanderung. Ich bin von Weißrussland, wo ich geboren wurde, von Witebsk nach Moskau gegangen, von Moskau nach Freiburg, von Freiburg nach Düsseldorf. Ich wandere von einer Wohnung in die andere und ich suche. Ich bin auf der ewigen Suche."
Moses als Baby auf einem riesigen Seerosenblatt
All das, was Sailer auf ihren Reisen sieht und erlebt, collagiert sie zu farbenfrohen großformatigen Gemälden. Eines trägt den Titel "Moses": Mitten im leuchtenden Dschungel treibt der Prophet als Baby auf einem riesigen Seerosenblatt im Wasser, friedlich umringt von kleinen Elefanten. Die Bitterkeit des Ausgesetztseins verkehrt sich in der Traumlandschaft in Glück:
"Es ist nicht schlimm, der ist nicht einsam er seine Freunde um sich rum. Der ist zwar ausgesetzt, steht aber vor neuem Anfang. Sein wunderbares Leben steht noch vor ihm, er wird zum Wunder seines Lebens getrieben."
Martialischer geht es beim Düsseldorfer Fotografen Ralf Kaspers zu. Auch wenn das Grauen nicht direkt sichtbar ist. "Du sollst nicht töten" nennt sich eine seiner Fotografien. Sie stammt aus Kaspers Zyklus "Dekalog", der sich den zehn Geboten widmet.
"Das ist eine Aufnahme aus dem ehemaligen NSDAP-Hauptzentrale in München und das ist eine leere Wand, wo ein Nagel hängt. Es ist der Nagel, das ist ein Schattenabriss, wo jahrelang mal ein Bild gehangen hat, was aber natürlich weggenommen wurde und jetzt nur noch als Zeitdokument der Nagel und der Schatten da ist. Und wenn man weiß, wo das aufgenommen ist, dann weiß man auch direkt, wer da vor vielen Jahren mal gehangen hat."
Da taucht er also doch wieder auf: der Holocaust. Und ruft das Bild von den leidenden Juden hervor, was die Ausstellungsmacher eigentlich umgehen wollten. Hier fehlt leider die kuratorische Konsequenz. Dennoch ist die Ausstellung ein wichtiger Markstein auf dem Weg zu einem neuen Museum für zeitgenössische jüdische Kunst in Düsseldorf. Und das wäre für die Stadt enorm wichtig: nicht nur, weil sie die drittgrößte jüdische Gemeinde beherbergt, sondern gerade angesichts nationalpopulistischer Bewegungen wie "Dügida", dem Düsseldorfer Ableger der "Pegida", kann der "frische" Blick auf andere Kulturen nicht hoch genug eingeschätzt werden.