Stadtgrün

Soziales Design als Lebenselixier

Der Körner-Park in Berlin-Neukölln
Der Körner-Park in Berlin-Neukölln © imago (Collage Deutschlandradio)
Von Anette Schneider |
Straßenbäume, Grünanlagen und kleine Parks in Großstädten verbessern nicht nur das Klima, sie dienen auch dem seelischen Wohlbefinden der Stadtbewohner. Unsere Autorin ist irritiert, dass trotz dieses Wissen massenhaft Bäume in Großstädten gefällt werden.
Etwas stimmte nicht, als ich die Wohnungstür aufschloss. Es war zu still. Vom Innenhof her sangen keine Amseln. Kein Blätterrauschen war zu hören. Kein Geplauder der Nachbarn.
Einen Moment später starrte ich fassungslos vom Balkon: Die vier Akazien, die die Genossenschaft vor Jahren gepflanzt hatte und die längst zu einer gewaltigen Baumkrone zusammengewachsen waren, waren gefällt. Die Bäume, die vor Blicken schützten, in denen Vögel brüteten und sangen, und deren Blätterrauschen abends wunderbar beruhigte, waren verschwunden, die Stümpfe bereits ausgegraben, die Erde geglättet. Als hätten dort nie Bäume gestanden.
Mir wurde schlecht.
Grün in Großstädten wirkt heilsam. Zahlreiche Studien belegen das. Grasflächen, grüne Innenhöfe, kleine Parks oder verwilderte Spielplätze sind notwendige Ruhezonen, sie senken Aggressionen, beruhigen und entspannen. Sie sind soziale Treffpunkte und für viele Menschen die einzige Möglichkeit, so etwas wie Natur zu erleben: Werdendes Grün, Blütendüfte, das Rauschen der Blätter, Vogelgesang.
Politiker machen mit diesem Wissen Politik. Zumindest verbal: Das aktuelle "Grünbuch" etwa, herausgegeben vom Bundesumweltministerium, wirbt für die grüne Stadt: Sie fördere die Gesundheit und ermögliche Menschen Begegnung und Teilhabe. Sie würde im Standortwettbewerb punkten. Gleichzeitig wird beklagt, dass in sozialen Brennpunkten über ein Drittel weniger Grün vorkomme als im Rest von Großstädten.
Warum, zum Teufel, finden dann in den Metropolen wahre Kettensägenmassaker statt?
Hamburg etwa ist beim Vernichten von Stadtgrün Spitzenreiter. Seit Jahren werden dort jährlich über 6000 Bäume gefällt. In Berlin fallen jährlich etwa 3000 Bäume. Junge und alte, jahrzehntelang gewachsen, einst mit Überlegung und für das Wohlgefühl der Bewohner gepflanzt, verschwinden in Minuten, weil sie angeblich beim Straßen- oder Wohnungsbau stören, krank sind oder die Öffentlichkeit gefährden.
Oft finden umfangreiche Fällungen gerade dort statt, wo Grün ohnehin rar ist. Fast 100 alte Bäume verschwanden kürzlich an einer der befahrensten feinstaubverseuchten Hamburger Straßen. Jetzt sollen dort Wohnungen entstehen!

Gerede von "Grüner Stadt" - eine Farce

Das Politikergerede von der "Grünen Stadt" entpuppt sich damit als Farce, und die Realität als so zynisch, wie das herrschende System eben ist: Während die einen in der toskanischen Villa am Stadtrand sitzen, werden die, die sich nichts anderes leisten können, an lärmende Ausfallstraßen verbannt.
Fäll-Aktionen werden meist nicht oder sehr kurzfristig angekündigt, denn wo immer Bäume verschwinden sollen, reagieren Anwohner mit Gegenwehr. Sie wissen: Der Stadtmensch braucht Grün. Und zwar jeder!
Doch seit Jahren fallen die Bäume, als seien sie nichts wert.
Schlimmer noch: Sie fallen, weil sie kosten! Jede verschwundene Grünanlage, jeder gefällte Baum spart Geld für Pflege und Bewässerung. Durch das Fällen von Bäumen passen Städte den Bestand an Stadtgrün dem Budget ihrer Grünflächenämter an. In Berlin etwa wurden die Stellen in den bezirklichen Grünflächenämtern in den letzten 20 Jahren von 5067 auf 1825 gekürzt.
Dabei geht mit jedem geschredderten Baum und jeder vernichteten Grünanlage nicht nur Lebensqualität verloren. Es verschwindet auch ein Stück Geschichte, das oft von gesellschaftlichen Errungenschaften erzählt:
Etwa von selbstverwalteten Arbeiter-Baugenossenschaften, die in den 1920er Jahren gegen die engen, dunklen Mietskasernen privater Bau- und Wohnungsspekulanten großzügige Wohnanlagen entwickelten, zu denen weite Grünflächen gehörten, auf denen sich die Mieter trafen, Kinder spielten, die Wäsche trocknete.
Wenn Politiker heute ausgerechnet dort baulich verdichten lassen, ist das vorgestrig. Genauso wie ihr Argument, es sei für den Erhalt und Ausbau von Stadtgrün kein Geld da. Natürlich ist Geld da. Es wurde nur anders verteilt. Schließlich ist Reichtum ohne Armut nicht möglich. Und wenn zehn Prozent der Bundesbürger so viel besitzen wie die unteren 50 Prozent der Bundesbürger zusammen, muss eben irgendjemand auf Lebensqualität verzichten.
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