Stadtführung in drei Dimensionen
Ein dünner Band ermöglicht eine dreidimensionale Zeitreise durch Berlin: die Stadt mit dem gediegenen Ambiente der Bürgerlichkeit um 1900, als urbanes Wechselbad in den 20ern, mit politischem Pathos nach 1933, zerschunden nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Fotos zeigen das brave Ostberlin und das verführerisch glitzernde Westberlin.
Die kleine, sachlich sehr genaue, Beschreibung des Phänomens des räumlichen Sehens ist verständlich geschrieben. Großes Vergnügen bereitet es, mit der 3-D-Brille die Fotos anzuschauen und in die Welt der Stadt einzutauchen - das kann man hier ja beinahe wörtlich nehmen. Es handelt sich dabei um rund 80 Fotos, die Berlin von 1890 bis in die heutige Zeit zeigen. Da gibt es aber leider gleich eine kritische Einschränkung: Die Datierung ist nicht immer exakt angegeben, ein Defizit bei einem letztlich historisch orientierten Buch.
Das Nachforschen nach den Ursachen des räumlichen Sehens hat eine lange Vorgeschichte: Schon Leonardo da Vinci hat sich zu dem Thema geäußert, und die "Erfindung" der Zentralperspektive in der Malerei des 15. Jahrhunderts ist auch ein Hinweis darauf, dass die Darstellung der Tiefendarstellung von Räumen nicht nur für die Kunst, sondern auch für die Wissenschaft eine wichtige Tatsache war. Und in der Fotografie kommen ja beide Dinge - also Wissenschaft /Technik und Kunst - nachdrücklich zueinander.
Das begann 1832 mit dem Bau des ersten Stereoskops durch einen englischen Physiker. Damit gelang es erstmals, zwei gezeichnete, geometrische Körper durch zwei Spiegel in diesem Stereoskop optisch zu einem Gegenstand zu machen, der räumlich empfunden wurde. Da war es nur eine Frage der Zeit, dass mit Erfindung der Fotografie durch Daguerre statt gezeichneter Gegenstände Fotografien genutzt wurden. Es würde zu weit führen den technischen Weg im Detail zu erklären - nur so viel: Mitte des 19. Jahrhunderts stellte ein englischer Physiker eine Kamera mit zwei Objektiven her, die zwei Bilder belichten konnten, die über den Blick durch ein Stereoskop zu einem räumlichen im Kopf zusammengeführt wurden.
Das Konstrukt wurde sogar zu einem handtauglichen Gerät weiter entwickelt: Man muss sich das wie eine große Taucherbrille am Stiel vorstellen, vor die in einem bestimmten Abstand die beiden Fotos gestellt sind, die dann im Kopf zu einem räumlich wirkenden Bild zusammengeführt werden. Ich kann mir die Spielerei mit diesem Effekt in etwa so vorstellen, wie die mit dem Fotohandy heute.
Nicht nur die englischen Physiker haben viel zur Weiterentwicklung der 3-D-Fotografie beigetragen. Sie wurde später durch zwei Deutsche noch vorangetrieben: von August Fuhrmann, der das großartige Kaiserpanorama mit Sehenswürdigkeiten aus aller Welt aufgebaut hat und dann in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts von Otto Schönstein, der schon im Namen seines Verlages deutlich machte, worum es ihm ging: Raumbild Verlag.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die 3-D-Fotografie dann vorwiegend von Amateuren betrieben. Meisterstein, der nun das Buch "Berlin zum Greifen nah" bei Eichborn herausgebracht hat, ist es sehr gut gelungen die Faszination des dieses besonderen Mediums zu präsentieren.
Natürlich spielen Plätze, Straßen, berühmte Gebäude die Hauptrolle - die junge Fotografie orientiert sich ja vielfach, wenn auch nicht ausschließlich, am repräsentativen Gestus der Malerei des 19. Jahrhunderts, dann kommen noch die relativ langen Belichtungszeiten hinzu - und Gebäude stehen ja bekanntlich still.
Aber natürlich wird auf den Fotos die Stadt auch zur Bühne für ihre Protagonisten - nicht nur für den Kaiser und andere Prominenz.
Eines der frühen Fotos zeigt beispielsweise einen Straßenfeger, der vor dem Zeughaus Unter den Linden steht und von einer Männerrunde umringt wird. Ein anderes zeigt Arbeiter der städtischen Gasanstalt beim Installieren von Gaslaternen - das war 1890. Natürlich nimmt man auch an Kaiserparaden teil oder steht unter den jubelnden Berlinern, die Brautkutsche begrüßen. Welche Braut darin sitzt, erfährt man im Übrigen nicht - es war die Braut des damaligen Preußischen Kronprinzen. Solche Defizite des Buchs ärgern schon.
Aber der Spaß, die Stadt als Kulisse wie auf einer Bühne zu sehen, überwiegt letztlich deutlich. Ich war mehrfach versucht, in diese Räumlichkeit zu greifen, weil der 3-D-Effekt die kindliche Spiellust animiert.
Immer wird die 3-D-Bühne Berlin mit einer zeitgemäßen Inszenierung präsentiert: als gediegenes Ambiente der Bürgerlichkeit um 1900, als urbanes Wechselbad in den 20ern, mit politischem Pathos nach 1933, zerschunden und ausgelaugt nach dem Zweiten Weltkrieg - die räumlich wirkende Trümmerlandschaft liegt wie ein toter Körper vor dem Betrachter - das brave Ostberlin, das verführerisch glitzernde Westberlin, Mauerfall und europäischer Ausblick mit verpacktem Reichtag, Loveparade und Karneval der Kulturen. Die offenen Stadt mit räumlichem Blick zu betrachten, also mit Papp-3-D-Brille auf der Nase, macht sogar in High-Tech-Zeiten noch großen Spaß.
Meisterstein (Hg.): Berlin zum Greifen nah - Ein Jahrhundert in 3-D
Eichborn Berlin, Berlin 2006, 79 Seiten
Das Nachforschen nach den Ursachen des räumlichen Sehens hat eine lange Vorgeschichte: Schon Leonardo da Vinci hat sich zu dem Thema geäußert, und die "Erfindung" der Zentralperspektive in der Malerei des 15. Jahrhunderts ist auch ein Hinweis darauf, dass die Darstellung der Tiefendarstellung von Räumen nicht nur für die Kunst, sondern auch für die Wissenschaft eine wichtige Tatsache war. Und in der Fotografie kommen ja beide Dinge - also Wissenschaft /Technik und Kunst - nachdrücklich zueinander.
Das begann 1832 mit dem Bau des ersten Stereoskops durch einen englischen Physiker. Damit gelang es erstmals, zwei gezeichnete, geometrische Körper durch zwei Spiegel in diesem Stereoskop optisch zu einem Gegenstand zu machen, der räumlich empfunden wurde. Da war es nur eine Frage der Zeit, dass mit Erfindung der Fotografie durch Daguerre statt gezeichneter Gegenstände Fotografien genutzt wurden. Es würde zu weit führen den technischen Weg im Detail zu erklären - nur so viel: Mitte des 19. Jahrhunderts stellte ein englischer Physiker eine Kamera mit zwei Objektiven her, die zwei Bilder belichten konnten, die über den Blick durch ein Stereoskop zu einem räumlichen im Kopf zusammengeführt wurden.
Das Konstrukt wurde sogar zu einem handtauglichen Gerät weiter entwickelt: Man muss sich das wie eine große Taucherbrille am Stiel vorstellen, vor die in einem bestimmten Abstand die beiden Fotos gestellt sind, die dann im Kopf zu einem räumlich wirkenden Bild zusammengeführt werden. Ich kann mir die Spielerei mit diesem Effekt in etwa so vorstellen, wie die mit dem Fotohandy heute.
Nicht nur die englischen Physiker haben viel zur Weiterentwicklung der 3-D-Fotografie beigetragen. Sie wurde später durch zwei Deutsche noch vorangetrieben: von August Fuhrmann, der das großartige Kaiserpanorama mit Sehenswürdigkeiten aus aller Welt aufgebaut hat und dann in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts von Otto Schönstein, der schon im Namen seines Verlages deutlich machte, worum es ihm ging: Raumbild Verlag.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die 3-D-Fotografie dann vorwiegend von Amateuren betrieben. Meisterstein, der nun das Buch "Berlin zum Greifen nah" bei Eichborn herausgebracht hat, ist es sehr gut gelungen die Faszination des dieses besonderen Mediums zu präsentieren.
Natürlich spielen Plätze, Straßen, berühmte Gebäude die Hauptrolle - die junge Fotografie orientiert sich ja vielfach, wenn auch nicht ausschließlich, am repräsentativen Gestus der Malerei des 19. Jahrhunderts, dann kommen noch die relativ langen Belichtungszeiten hinzu - und Gebäude stehen ja bekanntlich still.
Aber natürlich wird auf den Fotos die Stadt auch zur Bühne für ihre Protagonisten - nicht nur für den Kaiser und andere Prominenz.
Eines der frühen Fotos zeigt beispielsweise einen Straßenfeger, der vor dem Zeughaus Unter den Linden steht und von einer Männerrunde umringt wird. Ein anderes zeigt Arbeiter der städtischen Gasanstalt beim Installieren von Gaslaternen - das war 1890. Natürlich nimmt man auch an Kaiserparaden teil oder steht unter den jubelnden Berlinern, die Brautkutsche begrüßen. Welche Braut darin sitzt, erfährt man im Übrigen nicht - es war die Braut des damaligen Preußischen Kronprinzen. Solche Defizite des Buchs ärgern schon.
Aber der Spaß, die Stadt als Kulisse wie auf einer Bühne zu sehen, überwiegt letztlich deutlich. Ich war mehrfach versucht, in diese Räumlichkeit zu greifen, weil der 3-D-Effekt die kindliche Spiellust animiert.
Immer wird die 3-D-Bühne Berlin mit einer zeitgemäßen Inszenierung präsentiert: als gediegenes Ambiente der Bürgerlichkeit um 1900, als urbanes Wechselbad in den 20ern, mit politischem Pathos nach 1933, zerschunden und ausgelaugt nach dem Zweiten Weltkrieg - die räumlich wirkende Trümmerlandschaft liegt wie ein toter Körper vor dem Betrachter - das brave Ostberlin, das verführerisch glitzernde Westberlin, Mauerfall und europäischer Ausblick mit verpacktem Reichtag, Loveparade und Karneval der Kulturen. Die offenen Stadt mit räumlichem Blick zu betrachten, also mit Papp-3-D-Brille auf der Nase, macht sogar in High-Tech-Zeiten noch großen Spaß.
Meisterstein (Hg.): Berlin zum Greifen nah - Ein Jahrhundert in 3-D
Eichborn Berlin, Berlin 2006, 79 Seiten