Stadtführung für beeinträchtigte Menschen

Berlin in leichter Sprache

Berlin
Zu vielen Gebäuden Berlins gibt es eine lange Geschichte, die nicht einfach zu vermitteln ist. Genau das aber versuchen Stadtführer, die Touren speziell für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen anbieten. © picture alliance/dpa/Foto: Hannibal Hanschke
Von Annette Bäßler · 17.05.2017
Stadtführungen sind für Menschen mit Lern-Schwierigkeiten oft anstrengend und schwer verständlich. Unter anderem in Berlin gibt es deshalb Touren, bei denen geschultes Personal die städtischen Highlights einfach erklärt.
"Hallo und guten Morgen! Mein Name ist Rita und ich bin die Stadtführerin und mache schon seit vielen, vielen Jahren Stadtführungen. Und dann ist mir aufgefallen, dass es ganz viele Stadtrundfahrten gibt, aber es gibt keine Stadtrundfahrten in leichter Sprache. Und dann habe ich gedacht: Okay, dann versuche ich das mal, dann mache ich mal dieses Angebot."
Der große weiße Doppelstock-Bus mit der Aufschrift "Stadtrundfahrten – Sightseeing" ist an diesem Morgen voll besetzt. Knapp 60 Menschen mit geistigen und körperlichen Einschränkungen haben die Plätze belegt; dazwischen sitzen die Betreuer und Betreuerinnen aus den therapeutischen Wohngemeinschaften und Tagesstätten, die sich für diese Stadtführung in leichter Sprache angemeldet haben.
"Ich mache das noch nicht so lange, ich muss noch ganz viel üben. Deswegen bitte ich auch, mir zu sagen, wenn ich zu schnell spreche oder wenn ihr mich nicht versteht: Bitte Rita, sprich langsamer, bitte Rita, das habe ich nicht verstanden."
Die Stimmung ist von Anfang an locker, man duzt sich und lacht. Dominik, ein Berliner an Bord des Busses, der seine Stadt eigentlich ganz gut kennt, freut sich:
"Ich finde das total Wahnsinn, da sieht man mal die ganze Stadt. Und das finde ich echt total cool."
"Auf jeden Fall hoffe ich, dass wir ganz viel Spaß haben miteinander. Ich freue mich total, dass so viele gekommen sind – und gleich geht’s los, ja?"
"Ja!"
Auf geht’s. Zur City-West mit dem Kurfürstendamm, zur City-Ost rund um den Alexanderplatz:
"Was hier früher war, war ein Stadtschloss, ein riesengroßes Schloss."
"Alle Touristen wollen gerne zum Checkpoint Charlie. Hier ist immer richtig viel los."
Vorbei an der Museumsinsel, dem Tiergarten, dem Potsdamer Platz:
"Das Brandenburger Tor, das war früher ein Stadttor. Und die Stadttore waren dazu da, um zu kontrollieren, wer in die Stadt hineinging und wer hinausging."
Dann die Siegessäule, ein Stückchen Kreuzberg, die Spree:
"In den Zeiten der Mauer, da war dieser ganze Platz vor uns – da stand nichts, kein einziges Gebäude... So und jetzt wollte ich euch noch zeigen, den schönsten Platz Berlins, wie ich finde: den Gendarmenmarkt."

Kreuz und quer durch Berlin

Rund drei Stunden geht es so kreuz und quer durch Berlin. Bärbel, eine der Mitreisenden, findet ein Bauwerk am guten, alten Ku’damm besonders beeindruckend.
"Ja, die Kirche."
"Die Gedächtniskirche? Die kaputte Kirche?"
"Ja! Das gefällt auch ganz gut hier, wie alles uns erklärt hat. Die hat erzählt, dass von den Krieg kaputt gemacht worden ist – von den Krieg."

Ruhig und riesig schuckelt der Bus die Neugierigen weiter durch die Stadt.
"So jetzt erst einmal ein großen Applaus für den Peter, der uns jetzt hier fährt."
"Ja! Yippie!"

Was hier so locker und fröhlich daherkommt, beruht auf langjähriger Erfahrung. Rita Hübenthal-Montero ist seit bald 20 Jahren als Stadtführerin in Berlin und Potsdam unterwegs. Fast ebenso lange arbeitet sie als Betreuerin für das Unionhilfswerk – das ist ein Träger, der in Berlin zahlreiche Wohngruppen für geistig und psychisch erkrankte Menschen unterhält:
"Als ich mich so umgehört habe, war ich doch verblüfft zu sehen, dass es so etwas überhaupt nicht gibt. Es gibt schon Führungen in Gebärdensprache, für Blinde, aber es gibt eben keine Führungen für Menschen mit kognitiven Einschränkungen und da ist wirklich eine Lücke, die ich jetzt gerne füllen möchte."
So klar, so schlüssig. Trotzdem war die Zusammenführung beider Arbeitsbereiche nicht so einfach.

"Ich habe es ja hier nicht mit Kindern zu tun"

"Na, ich musste mich wirklich noch mal hinsetzen und musste mir ein neues Konzept machen, um das in einfach verständlicher Sprache zu machen. Ich habe es ja hier nicht mit Kindern zu tun, sondern mit Erwachsenen, die eine lange Lebenserfahrung haben und auch schon ganz schön viel wissen und das ist schon eine Herausforderung."
Zwischendurch auch mal den Mund zu halten – das fällt der routinierten Stadtführerin nicht ganz leicht. Aber klar ist: Diese Zielgruppe will auch mal eine Pause.
"Gibt es viele Menschen, die auf Toilette gehen möchten?"
"JA!"
"Okay. Dann steigt aus. Man kann hier auf der rechten Seite im Gropiusbau auf Toilette gehe, da gibt es auch eine Rampe. Oder auf der linken Seite im Abgeordnetenhaus. Ich geb euch auch ne Pause, ich hör' nämlich jetzt auf zu quatschen…"

Mit Gehhilfen, Rollstühlen oder untergehakt macht sich ein Trupp auf den Weg. Das dauert. Aber niemand schaut ungeduldig auf die Uhr. Man plaudert, guckt, ist einfach gut drauf.
Dann – als alle wieder im Bus sind – kommt der große Moment für Pierre. Er lebt in Kreuzberg in einer Wohngemeinschaft des Unionhilfswerks. Und geht, als der Bus durch seinen Heimatbezirk fährt, selbst ans Mikrofon:
"Hier in Kreuzberg schön Park gibt’s, hier gibt’s Kinos, Döners und wenn ich Bürgermeister von Kreuzberg würde, würde ich die ganzen Drogendealer abgeschafft werden und alles hier neu aufbauen."

Innehalten am sogenannten T4-Denkmal

Nächste Station: Das Kulturforum mit der Philharmonie, dem Blick auf den Potsdamer Platz und – auf das sogenannte T4-Denkmal. Das ist der Gedenkort für den Massenmord an Menschen mit Behinderungen und psychischen Krankheiten zu Zeiten des Nationalsozialismus. Ein Ort, an dem es still wird im Bus:
"Die Nationalsozialisten haben auch Menschen mit Behinderungen getötet. Hier in der Tiergartenstraße 4 hat man diese Morde geplant. Hier ist ein Ort entstanden, wo man an die getöteten Menschen denken soll."
"Da war ich auch froh, dass der Bus stehengeblieben ist und ein bisschen mehr gesagt wurde. Es war wirklich so ein bisschen wie eine Gedenkminute und Rita hat dann erklärt. Man muss das Wort Mord benutzen, das hat sie, glaube ich, auch. Also, es wäre furchtbar gewesen, wenn wir so vorbeigefahren wären."
Joachim Rosenberg ist einer der Sozialarbeiter, der mit den Bewohnern einer betreuten Wohngemeinschaft bei dieser Rundfahrt dabei ist. Noch Tage danach schwärmt er:
"Das war toll, weil fast alle die ganze Zeit geschafft haben zuzuhören. Was in normalen Reisebussen auch nicht immer der Fall ist."

"Ja, ich bin Bärbel. Das fand ich gut, wie sie uns alles erklärt hat, die Frau da – die Rita."
"Und das fand ich total überzeugend, es hat keiner zwischengequatscht, die hingen alle sozusagen am Mikrofon und haben wirklich zugehört und interessiert rausgeguckt."
"Das Beste kann ich so nicht sagen, es war eigentlich alles schön."
"Wenn dich jemand fragt, soll ich die auch mal machen, was würdest du dem sagen?"
"Dass er mal mitmachen soll, weil er Spaß dranne hat."

Weitere Informationen zu "Berlin - In leichter Sprache" finden Sie auf der Homepage des Anbieters.

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