Stabwechsel

Von Alexandra Gerlach |
16 Monate vor der nächsten Landtagswahl in Sachsen legt Georg Milbradt die Amtsgeschäfte als Ministerpräsident und Vorsitzender der Landes-CDU nieder. Der designierte Nachfolger Stansilav Tillich steht vor einer schweren Aufgabe: Der Skandal um die Sachsen LB hat der CDU einen schweren Imageschaden zugefügt.
"Stanislav Tillich: "Der Landesvorstand hat mich zum Nachfolger von Georg Milbradt als Landesvorsitzender der sächsischen Union vorgeschlagen, ich freue mich über dieses Vertrauen sehr und bedanke mich herzlich. Mir wird es eine Ehre sein, mich in den Dienst des Landes und dieser Partei zu stellen. Ich will die vor mir liegenden Aufgaben, so wie mich viele von Ihnen kennen, mit Optimismus aber auch mit der nötigen Portion Demut erfüllen.""

Bislang gilt der sportlich-charmante Sorbe vielen als "Sunnyboy" und wie die Presse schreibt "Schwarm aller Schwiegermütter". Doch wofür er politisch genau steht, bleibt auffallend unscharf. Seit klar ist, dass er Georg Milbradt im Amt beerben soll, hüllt er sich in Schweigen, gibt keine Interviews, sieht man mal ab von einer bunten Bildergeschichte in einer großen deutschen Boulevardzeitung, ganz nach dem Motto, "meine Frau - mein Haus - mein Dorf - mein Pferd".
Hier in Thum soll er nun punkten bei den CDU-Mitgliedern. Nicht gerade mitreißend trägt er seine Rede vor. Es klingt eher wie bei einer auf das letzte Komma abgestimmten Regierungserklärung. Immer wieder streicht er während des Vortrages mit der linken Hand das Manuskriptblatt glatt, obwohl es gar nichts glattzustreichen gibt. Derweil sitzt Georg Milbradt fast regungslos in der ersten Reihe, den Kopf auf seine beiden Hände gestützt, hört zu, es ist nicht zu erkennen, was ihm in diesem Moment durch den Kopf geht. Doch dann sind es vor allem die leisen Töne in Tillichs Rede, die aufhorchen lassen:

"Die sächsische Union ist die Heimatpartei Sachsens. Vielleicht ist es uns in der Vergangenheit nicht immer gelungen, dass die Erfolge auch ein positives Gefühl auch bei den Bürgern hinterlassen haben. Doch wenn wirtschaftlicher Erfolg zu einem Drittel Leistung und zu zwei Dritteln Psychologie ist, dann will ich mit euch gemeinsam die Antwort auf die Frage suchen, was müssen wir besser machen?"

Geboren wurde Stanislaw Tillich im April 1959 in dem kleinen Örtchen Neudörfel in der Oberlausitz. Er ist Sachse und Sorbe zugleich. Er gehört jener kleinen slawischen Minderheit an, die schon zu DDR-Zeiten besondere Autonomierechte genoss und die ihre spezielle kulturelle Identität und ihre Sprache pflegen und leben durfte. Rund 60.000 Menschen umfasst das Volk der Sorben, 40.000 von ihnen leben in der Lausitz. Tillich wuchs zweisprachig auf, legte sein Abitur am sorbischen Gymnasium in Bautzen ab. Danach nahm er ein Studium zum Ingenieur für Konstruktions- und Getriebetechnik auf.

1987, also noch zu DDR-Zeiten, trat Tillich der Block-CDU bei. Zugleich nahm er seine Tätigkeit beim Rat des Kreises in Kamenz auf. 1990 zog der junge Sorbe in die erste frei gewählte DDR-Volkskammer ein, nur vier Jahre später gelangte er in das Europaparlament.
Sein smartes, elegantes Auftreten, seine Eloquenz und zugleich seine Bescheidenheit empfahlen ihn früh für höhere Aufgaben. Sachsens Alt-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf holte das junge Talent aus Brüssel an die Elbe, machte ihn zum Minister für Bundes- und Europa-Angelegenheiten. In der zermürbenden innerparteilichen Schlacht um den Abgang Kurt Biedenkopfs blieb Tillich in der Deckung, ließ sich nicht gegen den Hauptwidersacher, Georg Milbradt, in Stellung bringen. Milbradt belohnte dies zunächst mit einem Posten als Chef der Staatskanzlei, später dann mit dem Ressort des Umwelt- und Landwirtschaftsministers. Im Herbst 2007, als die Krise um die sächsische Landesbank ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte, wurde Tillich quasi über Nacht zum Finanzminister, als Nachfolger für den zurückgetretenen Horst Metz, der entnervt das Handtuch warf. In wenigen Tagen wird er nun den Landesvorsitz seiner Partei in Sachsen übernehmen und kurz darauf soll seine Wahl zum Ministerpräsidenten folgen. Damit wird dann ein Sachse Sachsen regieren. Ganz so, wie es der noch amtierende Ministerpräsident Georg Milbradt geplant und im April völlig überraschend verkündet hatte.

"16 Monate vor der nächsten Landtagswahl habe ich mich entschlossen, alle meine Ämter aufzugeben und an einen Nachfolger zu übergebe. Ich schlage hierfür Stanislaw Tillich vor."

Dresden, am 14. April, Punkt 12.00 Uhr. Schon seit zwei Stunden herrscht mancherorts in der sächsischen Landeshauptstadt Nervosität. Angespannte Telefonate machen die Runde nicht nur unter Journalisten. Die Staatskanzlei hat kurzfristig zu einem Statement des Ministerpräsidenten in der Englischen Bibliothek geladen, Fragen sind nicht zugelassen. Georg Milbradt erscheint pünktlich, begleitet wird er von seinen engsten Mitarbeitern.

Nur drei Minuten dauert die Erklärung des Regierungschefs. Während er spricht, schauen ihm die Konterfeis der gerahmten Amtsvorgänger an der Wand hinter dem Rednerpult neugierig zu. Rechts neben ihm lächelt Kurt Biedenkopf. Vor genau sechs Jahren hat er ihn nach einem langen, erbitterten Machtkampf im Amt beerbt. Nun nimmt er selber Abschied.

"Ich habe die Entscheidung meiner Amtsübergabe getroffen, weil mir ein geordneter und harmonischer Übergang wichtig ist. Und um Verletzungen zu vermeiden, bei mir und bei anderen. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt."

Mit dieser Entscheidung überrascht Georg Milbradt sogar seine engsten Mitarbeiter. Dabei ist spätestens seit Anfang April klar, dass das mit ihm nicht mehr lange gut gehen wird im Amt des Regierungschefs. Der Druck im Kessel ist zu hoch. Das spüren auch seine PR-Berater. Dennoch deutet noch am Wochenende vor dieser Erklärung nichts auf einen Rücktritt hin.

Durch Zufall ist Georg Milbradt an diesem zweiten Samstag im April beim Frühlingsfest in Glesien, einem kleinen Dorf nördlich vom Flughafen Halle-Leipzig gelandet. Ein Parteifreund im Wahlkampf hat ihn überredet, mitzukommen. Nun sitzt er zwischen anderen Honoratioren flankiert von mehreren Hundert begeisterten Chorsängerinnen und - sängern an einem Tisch, mitten in der zweiten, eng bestuhlten, vollen Turnhalle von Glesien:

"Liebe Freunde der Musik, erstmal freue ich mich, dass ich heute bei Ihnen sein kann, so schöne, fröhliche Frühlingslieder, ein schöner Tag, die Sonne scheint, gestern war es nicht ganz so gut."

Das ist leicht untertrieben: Seit gut einer Woche steht Milbradt auch persönlich am Pranger, wegen privater Geldgeschäfte mit der untergegangenen sächsischen Landesbank, die nur durch einen Nacht- und Nebelnotverkauf an die Landesbank Baden-Württemberg vor einer Pleite gerettet werden konnte.

Bislang hat er sich dazu nicht öffentlich geäußert, allerdings hat die Staatskanzlei der Öffentlichkeit in einer regierungsamtlichen Erklärung mitgeteilt, welche Kapitalgeschäfte Georg Milbradt und auch seine Ehefrau Angelika mit der Landesbank abgeschlossen haben. Darüber hinaus gab es keine Erklärung des Ministerpräsidenten, obwohl der Regierungspartner SPD diese vehement eingefordert hat.

"Ich habe das gemacht, was Hunderte von Leuten oder Tausende von Leuten in diesem Land gemacht haben, ich habe ein Produkt dieser Bank gekauft. Und zwar habe ich genau denselben Kredit bekommen, zu denselben Konditionen, wie alle anderen, nur, da ich Gremienmitglied bin, musste das noch geprüft werden durch die Bundesanstalt für Kreditwesenaufsicht und musste noch von Wirtschaftsprüfern bestätigt werden, damit ich auch ja nie irgendetwas zu wenig, oder mir zu wenig an Zinsen abgenommen worden ist."

Bei dem Anlagegeschäft, in das Milbradt und seine Ehefrau Angelika den offiziellen Angaben zufolge einen sechsstelligen Betrag investiert haben, handelt es sich um einen geschlossenen Immobilienfond, der zur Finanzierung eines großen Bürogebäudes in Leipzig aufgelegt wurde. Sehr früh standen die solventen Mieter fest. Zum einen die Landesbank Sachsen, zum anderen die Sparkasse Leipzig. Ein sicheres Geschäft mit einer Rendite von rund neun Prozent. Die Opposition spricht von Insider-Geschäften und verübelt dem Ministerpräsidenten, dass dieser in seiner damaligen Funktion als Finanzminister zugleich von Amts wegen auch Vorsitzender des Verwaltungsausschusses der Landesbank war. Damit war er Vorsitzender des Gremiums, das auch den im Fonds vorgeschriebenen Kreditanteil genehmigen musste, der bei der Landesbank aufzunehmen war. Der SPD-Landesvorsitzende Thomas Jurk:

"Wissen Sie, nicht alles was legal ist, ist auch legitim. Ich hätte dieses Geschäft nicht gemacht."

Doch der Gescholtene wehrt sich, von Insider-Geschäften könne gar keine Rede sein, sagt Georg Milbradt:

"Natürlich habe ich auch etwas davon gehabt. Natürlich steckt man nicht sein Geld in eine Bude, wo man nicht weiß, ob man es wieder herauskriegt, selbstverständlich ist das der Fall, aber natürlich zu Bedingungen, die jedermann zur Verfügung standen, die ja auch veröffentlicht worden sind, und die jeder also auch hätte einsehen können."

Rückendeckung für seine Argumentation erhält Milbradt hierbei von seinem CDU-Generalsekretär in Sachsen, Michael Kretschmer:

"Das Einzige, was entscheidend ist, ist ob die Konditionen die sind, die jeder andere auch bekommen hat."

Dennoch: Seit dem Bekanntwerden dieser Geldanlage befand sich Milbradt in akuter Bedrängnis, sowohl von Seiten des kleinen und ungeliebten Regierungspartners SPD als auch in der eigenen Partei, am stärksten in der Landtagsfraktion. Insider behaupten gar, rund 80 Prozent der Mandatsträger seien für eine Ablösung des Ministerpräsidenten gewesen, doch kaum einer wagte es, dies öffentlich zu sagen. Neben Milbradts persönlicher Integrität ging es nämlich mehr denn je um die Frage, ob die CDU gut beraten gewesen wäre, mit ihm als Spitzenkandidat nochmals in einen Wahlkampf zu ziehen. Der Dresdner Politologe Werner Patzelt:

"Anlass des Rücktrittes war die Affäre um die Landesbank, der Grund für den Rücktritt war, dass die CDU nicht mehr das Vertrauen hatte, mit Georg Milbradt Wahlen gewinnen zu können, und dem war vorausgegangen die mangelnde Fähigkeit des Parteivorsitzenden, wirklich ein beliebter Führer seiner Partei zu werden."

Zeitgleich und im Zuge der Auseinandersetzung um die politische Verantwortung für die Landesbank-Affäre kommt es dann Anfang April auch noch zu einem heftigen Eklat in der schwarz-roten Regierungskoalition. Binnen weniger Tage und Stunden steht das Bündnis so nah am Abgrund wie noch nie. Ursächlich dafür ist der SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle, der mit seinen Fragen im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Sachsen LB die privaten Bankgeschäfte des Ministerpräsidenten öffentlich gemacht hat.

In der bislang schwersten Krise mit dem Koalitionspartner SPD sollte sich zumindest erneut erweisen, dass Milbradt weder der geborene Kommunikator noch ein Diplomat ist. Auf dem Zenit des Streits drohte er den SPD-Ministern ultimativ mit Rauswurf aus dem Kabinett. Das fanden auch weite Teile der CDU-Fraktion gut: Das Tischtuch schien zerschnitten, doch die SPD zeigte sich nicht bereit, den Fehdehandschuh aufzunehmen. Der SPD-Landesvorsitzende und stellvertretende Ministerpräsident, Thomas Jurk:

"Das Ultimatum der CDU war ein Zeichen der Schwäche und für meine Begriffe ein sehr durchsichtiges Ablenkungsmanöver, denn die sächsische SPD hat die Koalition im Freistaat Sachsen nicht in Frage gestellt. Die sächsische SPD hat kein Koalitionsproblem, sondern die CDU hat ein Aufklärungsproblem."

Und der SPD-Fraktionsvorsitzende im Landtag, Martin Dulig wurde noch deutlicher:

"Das ist eine Unverschämtheit, so geht man nicht in einer Koalition miteinander um."

Vieles spricht dafür, dass die Bundesspitzen von CDU und SPD eingegriffen und die Streithähne zum Frieden verdonnert haben. Wie haltbar dieser ist, bleibt offen, aber die SPD setzt nun auf Tillich. Dieser hat angekündigt, er wolle einen neuen Politikstil einziehen lassen in das Kabinett. Wie dieser beschaffen sein soll, ist offen. Tillich setzt auf Dialog, das hat er bereits am Tag seiner Designierung zu Protokoll gegeben:

"Ich will der Ministerpräsident aller Sachsen sein, rufe alle in meiner Partei und ausdrücklich auch über die Parteigrenzen hinweg auf zur Mitarbeit."

Tillich wird schon sehr bald nach seiner Amtseinführung sein Kabinett umbilden müssen. Vakant werden die Posten des Finanzministers sowie das Kultusressort. Frei werden könnte der Sessel der Sozialministerin, die in Dresden als Kandidatin für den Oberbürgermeisterposten kandidiert. Schon dieses Personaltableau wird eine Nagelprobe für den Neuen. Denn viel Auswahl hat er nicht, noch dazu so kurz vor einer Landtagswahl, deren Ausgang derzeit so ungewiss ist, wie noch nie.

Eines jedenfalls hat Tillich bei seinem ersten offiziellen Bewerbungsauftritt seinen Parteifreunden klar gemacht. Er will die programmatische und geistige Führungskraft der CDU in Sachsen zurückgewinnen, ebenso wie jene Menschen, die sich "zu kurz gekommen" fühlen und jene, die sich der NPD zuwenden. Dieses Terrain will er der Linkspartei nicht überlassen.

"Die Menschen haben zwei entscheidende Dinge nie verloren: Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit und in Gott. Auf beides sollten wir als Partei und sollten die Menschen in den Regionen Sachsens weiter setzen. Dafür will ich mich mit ihnen gemeinsam einsetzen und mit ihnen gemeinsam kämpfen. Herzlichen Dank und Glück auf!"