"Staatstrojaner" beschlossen

Der Plot für eine Dystopie

04:30 Minuten
Schräg von unten erhebt sich das Gebäude des BND gegen einen dramatisch bewölkten Himmel.
Der Bundesnachrichtendienst (BND) in Berlin: Mit dem sogenannten "Staatstrojaner" droht der Bruch rechtsstaatlicher Tabus, meint der Publizist Enno Park. © picture alliance / Geisler-Fotopress
Ein Kommentar von Enno Park |
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Über Jahre wurde um den "Staatstrojaner" gestritten, der Ermittlern weitreichenden Zugriff auf Smartphones und Rechner gestattet. Jetzt wurde ein entsprechendes Gesetz verabschiedet – zum Ärger des Publizisten Enno Park ohne nennenswerten Widerstand.
Das Jahr 2021 begann mit einem Jubiläum, das nahezu unbemerkt verstrich: 25 Jahre zuvor, im Januar 1996, räumte die damalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger freiwillig ihren Schreibtisch. Sie war zurückgetreten, weil sie den so genannten "großen Lauschangriff" nicht mittragen konnte, den ihre Regierungskoalition aus FDP und Christdemokraten einführte.
"Großer Lauschangriff" heißt, dass zu Zwecken der Strafverfolgung private Wohnungen mit Kameras und Mikrofonen überwachten werden können und er gehört seitdem fest ins Repertoire der Ermittler.
25 Jahre und zahlreiche neue Überwachungsgesetze später gehen solche Gesetzesvorhaben weitgehend geräuschlos über die Bühne. Kein Politiker trat zurück und nur wenige Fachleute protestierten, als die Bundesregierung beschloss, den Einsatz so der genannten Quellen-TKÜ auszuweiten.
Diese heimliche Überwachung von Computern und Smartphones wird bereits seit Jahren von den Landespolizeien praktiziert und soll jetzt auch allen 19 Geheimdiensten und der Bundespolizei gestattet werden.

Die Polizei, dein Freund und Hacker

Quellen-TKÜ bedeutet, dass die Polizei die Computer ihrer Zielpersonen hackt. Dazu wendet sie die gleichen Techniken an, die auch kriminelle Hacker benutzen, um Kontrolle über fremde Computer zu erlangen.
Deshalb wird die Quellen-TKÜ von ihren Kritikern auch als "Staatstrojaner" bezeichnet. In der IT-Welt ist "Trojaner" ein Sammelbegriff für Computerviren, Schadsoftware und das Ausnutzen von Sicherheitslücken. Das Auffinden, Beseitigen oder Ausnutzen dieser Schwachstellen ist ein Katz- und Mausspiel zwischen Kriminellen und Software-Anbietern, dessen Begleiterscheinung ein Schwarzmarkt für Sicherheitslücken ist.

Der Staat bricht rechtsstaatliche Tabus

2008 formulierte das Bundesverfassungsgericht etwas sperrig ein "Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme". Gegen dieses Grundrecht verstößt der Staat, wenn er sich ebenfalls auf diesem Schwarzmarkt betätigt und Sicherheitslücken gegen seine eigene Bevölkerung ausnutzt, statt bei ihrer Beseitigung zu helfen.
Mit der Ausweitung der Quellen-TKÜ auf Geheimdienste und Bundespolizei wird ein weiteres rechtsstaatliches Tabu gebrochen. Um das Smartphone und den PC einer Person abhören zu können, musste bisher ein konkreter Tatverdacht vorliegen – und damit auch eine konkrete Tat oder zumindest handfeste Hinweise auf ihre Planung.
"Kein Mord ohne Leiche" lautet salopp das rechtsstaatliche Prinzip, das hier künftig gebrochen wird. Denn die Bundespolizei wird auch die Computer und Telefone von Personen überwachen dürfen, von denen sie glaubt, dass sie vielleicht demnächst eine Straftat begehen könnten. Die Geheimdienste arbeiten ohnehin ohne gerichtliche Kontrolle.

Von Pandemie und EM gebannte Bürger

Die Gesetzesänderung verwirklicht also, was bisher eher als Plot für Dystopien galt. Deshalb war die Online-Durchsuchung mit ihren immer neuen Ausweitungen und Verschärfungen seit über 15 Jahren Gegenstand heftiger politischer Debatten und juristischer Auseinandersetzungen bis vors Verfassungsgericht.
Umso ernüchternder ist, dass sie jetzt so reibungslos und ohne nennenswerten medialen Widerhall durch die Parlamente gewunken wird, während die Öffentlichkeit mit der Pandemie, der Fußball-Europameisterschaft und den Schlammschlachten des Bundestagswahlkampfes beschäftigt ist.

Matter Protest der SPD-Spitze

Beschlossen wurde die Gesetzesänderung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD. Entschiedene Gegnerin des gelegentlich auch von ihr so bezeichneten "Staatstrojaners" ist die SPD-Vorsitzende Saskia Esken. Wie damals Sabine Leutheusser-Schnarrenberger konnte sich Saskia Esken in ihrer eigenen Partei nicht durchsetzen.
Ihr Versprechen, den Staatstrojaner werde es mit ihr nicht geben, versuchte sie zu halten, indem sie der Abstimmung im Bundestag fernblieb.

Enno Park ist Journalist und Wirtschaftsinformatiker. Er beschäftigt sich mit den Auswirkungen des digitalen Wandels auf die Gesellschaft bis hin zur Verschmelzung von Mensch und Maschine. Seit er Cochlea-Implantate trägt, bezeichnet er sich selbst als Cyborg und ist einer der Gründer des Cyborgs e.V. in Berlin.

© Deutschlandradio / Cara Wuchold
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