Staatstheater Darmstadt

Eine visionäre Hör-Tragödie

Darmstadt
Staatstheater von Darmstadt mit Georg Büchner Anlage davor. © imago/Hoch Zwei Stock/Angerer
Von Bernhard Doppler · 09.07.2015
Für seine Inszenierung von Luigi Nonos Theaterstück "Prometeo" lässt Karsten Wiegand Augenbinden ans Publikum verteilen und macht den Dirigenten zum Helden des Geschehens. Ist das noch Theater? Ja, und was für welches!
Dem Werk des italienischen Komponisten Luigi Nono am Staatstheater Darmstadt einen besonderen Stellenwert einzuräumen, leuchtet ein. Nachdem Intendant Karsten Wiegand die Spielzeit mit dem Prolog von Luigi Nonos "No hay caminos, hay que caminar" begann und daran unmittelbar Monteverdis "Ulisse" anschloss, beendet nun während der Internationalen Ferienkurse für Neue Musik eine Produktion von Nonos "Prometeo Tragedia dell'ascolto " (Tragödie des Hörens) die Spielzeit. Die Darmstädter Schule und die Darmstädter Ferienkurse (zunächst Kranichstädter Ferienkurse genannt) bestimmten in den 50er Jahren ja nachhaltig die internationale musikalische Avantgarde; und neben Pierre Boulez, Karlheinz Stockhausen, Bruno Maderna, Edgar Varèse aber auch Theodor W. Adorno gehörte eben auch Luigi Nono zu diesem Kreis.
Die Zuschauer sitzen auf dem Spielfeld einer schäbigen Sporthalle
Mit ihm knüpft das Staatstheater Darmstadt aber nicht nur programmatisch an diese Lokalgeschichte an, sondern zeigt an ihm auch die Verbindung von Ursprüngen und der Auflösung des Musiktheaters. Aischylos "Gefesselter Prometheus" – mit Ocean und seinen Töchtern und einem bewegungsunfähigen Helden als Theaterrollen – ist eines der ältesten antiken Dramen.
Aber ist Nonos "Prometeo" überhaupt Theater? In Darmstadt findet die Aufführung in der eher schäbigen Sporthalle am Böllenfalltor statt, die Zuschauer sitzen auf dem Spielfeld. Doch die Tragödie des Hörens könne man vielleicht sogar zur Gänze am besten mit geschlossenen Augen erleben, erklärt zu Beginn Intendant und Regisseur Karsten Wiegand. Macht er sich so nicht überflüssig? Zu Vorstellungsbeginn werden an alle Zuschauer Augenbinden verteilt, mit denen man dann in Fünfergruppen – jeder sich am Vordermann festhaltend – an die Plätze geführt wird: eine Erfahrung von Blindheit, die den Hörsinn und das Raumempfinden schärfen soll.
Öffnet man dann doch die Augen, so fehlt jede zentrale Perspektive: Orchester, Sänger, Chor, Live-Elektronik ist an verschiedenen Plätzen rundherum postiert. Nach etwa 20 Minuten wird man aufgefordert, Platz und Perspektive zu wechseln. Nonos Musiktheater soll eine "Wanderung" sein.
Unerhörter, unglaubliche Töne
Sicherlich kann man, wie Robert Wilson es getan hat, "Prometeo" auch theatralisch illustrieren oder zumindest mit Lichteffekten arbeiten, aber Karsten Wiegand nimmt sich konsequent zurück. Die Figuren (Prometheus, Io, Hephaistos) werden nicht sichtbar, sondern sind wie es Nonos Partitur vorsieht, in verschiedene Stimmen aufgesplittet. (Besonders die Soprane Aki Hashimoto und Christina Daletska.)
Und doch ist es Theater! Ein aufregender Wettkampf zwischen den einzelnen Orchesterteilen, ein Mitfühlen beim Erzeugen unerhörter, unglaublicher Töne – oft ganz leise, manchmal krächzend, dann wie drohende Motorengeräusche. Aber immer wieder auch an lyrische melancholische Opernpassagen erinnernd, oft Live-Elektronik (Experimentalstudio des SWR), bisweilen gespiegelt. Dirigent Johannes Harneit ist der Held des Geschehens, der die vielen Klangräume koordiniert und gegeneinander setzt. Hören als theatralisches Erlebnis voll eindrucksvoller, immer wieder überraschender Intensität. "Ascolto, ascolto" wird immer wieder geflüstert.
Gurrende Konsonantenklänge
Wie weit Massimo Cacciaris Libretto eine Weiterentwicklung des Prometheus-Mythos darstellt, sei allerdings dahingestellt. Es ist eine Montage von eigenen Texten, von Aischylos, Pindar, Hölderlin, Rilke und Nonos Schwiegervater Arnold Schönberg (als Dichter) in griechisch, italienisch, deutsch. In Nonos Komposition sind meist nur gurrende Konsonantenklänge und Einzelworte zu differenzieren. Im Spätwerk "Prometeo" enthält sich Nono darüber hinaus im Gegensatz zu seinen früheren Werken jedes politischen Aktionismus; möglicherweise versteht er 1981 – da wurde Prometeo uraufgeführt – den antiken Halbgott auch als Selbstidealisierung des linken, wie Prometheus in Fesseln geschlagenen Revolutionärs. "Prometeo" ist eher Liturgie und sakrale Messe, und für eine venezianische Kirche hat ihn Nono auch komponiert. Politisch bleibt aber dann doch durch die Radikalität der ästhetischen Forderung: Hören! Genau Hören! Zuhören! In Darmstadt vor allem Meditation und sportliches Training.
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