Staatstheater Braunschweig

Hinter schweren Vorhängen

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Das Stück behandelt die Situation ausländischer Pflegekräfte in Deutschland. © Volker Beinhorn / Staatstheater Braunschweig / dpa
Von Alexander Kohlmann · 20.03.2014
Das niedersächsische Künstlerkollektiv werkgruppe2 thematisiert in Braunschweig die Ausbeutung osteuropäischer Pflegekräfte in einer Welt zwischen liebevoller Fürsorge und wirtschaftlicher Not. Gleichzeitig geht es auch um die Schönheit der Demenz.
Alte Teppiche, vergilbte Lampenschirme und geschlossene, schwere Vorhänge. Dazwischen verstummte Menschen in Rollstühlen, die nicht mehr sprechen können. Nur noch über ihre Musikinstrumente können sie sich ausdrücken und zeigen, was sie immer noch empfinden.
So anrührend die verstummten Geister mit den traurigen Klängen daher kommen, so hart und unromantisch ist die Realität derjenigen, die sie pflegen. Mit "Polnische Perlen" bringt das niedersächsische Künstlerkollektiv werkgruppe2 ein echtes Stück Dokumentar-Theater auf die Bühne. Für ihr Projekt über das Schicksal osteuropäischer Pflegekräfte in Deutschland haben die Regisseurin Julia Roesler und die Dramaturgin Silke Merzhäuser in einer journalistischen Recherche Interviews geführt. Dabei war es nicht leicht, Gesprächspartner zu finden. "Polnische Perlen" arbeiten oft rund um die Uhr, an sieben Tagen die Woche.
Gerne verdrängt psychische Belastungen
Die 15, die dennoch mit werkgruppe2 sprachen, erzählten von einer Welt zwischen liebevoller Fürsorge und wirtschaftlicher Not. Und verbotenen Gefühlen. Wie dem plötzlichen Ekel, der eine unerfahrene Pflegekraft würgen lässt, als sie zum ersten Mal ihre Patientin wickeln soll. Der Abend thematisiert die gerne verdrängten, enormen psychischen Belastungen, denen nicht nur ausländische Pflegekräfte ausgesetzt sind. Und den Skandal, dass billige ausländische Arbeitskräfte die Defizite eines ineffizienten Gesundheitssystems ausgleichen müssen.
"Polnische Perlen" ist aber nicht nur eine gut recherchiertes Stück Doku-Theater, sondern auch ein Abend, der mit den klassischen Erzählmitteln des Theaters seine Zuschauer emotional verwickeln will. Im Gegensatz zu Rimini-Protokoll und Konsorten verzichtet das Kollektiv darauf, die interviewten Laien auf die Bühne zu stellen und mit dem Hauch der Authentizität im besten Fall eine Art Bühnenfassung von Politik-Magazinen wie "Monitor" zu produzieren. Werkgruppe2 nimmt im Gegenteil das echte Material als Textbuch und baut mit ausgebildeten Schauspielern die realen Vorbilder gleichsam nach. Dabei arbeitet Regisseurin Julia Roesler von Körperhaltung bis polnischen Akzent mit ihrem Ensemble beeindruckend genau.
Am Ende Tränen in den Augen
Ihre Schauspieler verkörpern immer eine Figur. Sie treten niemals aus der Rolle und kommentieren das Geschehen nicht aus einer scheinbaren Privatheit. Beim Zusehen und Zuhören kann so einer Art magische Realität entstehen. Gerade weil nicht reale Menschen auf der Bühne stehen, funktioniert die Empathie - zum Schluss haben etliche Zuschauer Tränen in den Augen.
Nur die Musik hellt die deprimierende letzte Station der ausklingenden Lebenswege auf (Komposition und musikalische Leitung: Insa Rudolph). Mit den Klängen ihrer Instrumente können die Alten in ihren Rollstühlen nicht nur miteinander kommunizieren. Sondern in den besten Momenten auch einen emotionalen Kontakt zu ihren Pflegerinnen herstellen. Wenn sich dann alle gemeinsam mit ihren Rollstühlen zu einem Walzer der Liebe finden, haucht ein kleines Glück des Augenblicks den verkommenen Räumen Leben ein. Ein Glück auf Kosten der "Polnischen Perlen", die sich im Alter wohl kaum eine Pflege in dieser Dimension werden leisten können.
Dem Abend gelingt es, Journalismus und Theater zu verbinden und die Zuschauer emotional zu berühren. Ein Kunststück, dass im Genre des Dokumentartheater keineswegs selbstverständlich ist.