Staatssekretär Kues weist Tiefensee-Kritik an von der Leyen zurück

Moderation: Christel Blanke und Ernst Rommeney |
Hermann Kues, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfamilienministerium, hat sich kritisch zu einem neuen NPD-Verbotsantrag geäußert. Man müsse extremistisches Gedankengut auch politisch bekämpfen, sagte Kues. "Verbote helfen nicht", betonte der CDU-Politiker.
Deutschlandradio Kultur: In dieser Woche haben wir an Rostock-Lichtenhagen gedacht, wo es vor genau 15 Jahren zu heftigen ausländerfeindlichen Krawallen kam, begleitet vom Beifall Tausender Schaulustiger. Seither gab es jede Menge Initiativen, Bündnisse, Projekte gegen Rechts und für Zivilcourage. Es gab den "Aufstand der Anständigen". Herr Kues, ist das alles verpufft, wenn wir jetzt im sächsischen Mügeln erleben konnten, dass Bürger dabei zusehen, wie Ausländer durch die Stadt gejagt werden?

Hermann Kues: Nein, das glaube ich nicht, wenngleich ich natürlich sagen muss, der Vorfall dort ist mehr als betrüblich. Er ist eine Schande auch für unser Land. Man denkt natürlich auch an die Betroffenen, an die Opfer in dem Augenblick. Und da kann es also nur heißen, dass alle, die es ernst meinen mit Demokratie, mit Toleranz gegenüber Andersdenkenden, zusammenstehen. Und unsere Programme, die wir seitens des Jugendministeriums, aber auch seitens des Innenministeriums, teilweise des Bau- und Verkehrsministeriums gestartet haben, sind natürlich auf Langfristigkeit angelegt. Das ist völlig klar. Das heißt, wenn Sie ein Programm haben, was über viele Jahre läuft, werden Sie nie verhindern können, dass es auch solche Vorfälle immer wieder gibt. Trotzdem sind sie durch nichts zu akzeptieren.

Deutschlandradio Kultur: Aber trotzdem muss man doch den Eindruck haben, dass nach solchen Vorfällen die Politik immer nur wieder appelliert, gefordert und vielleicht auch verurteilt hat. Es ist nicht viel passiert.

Hermann Kues: Sie wissen ja, dass diese Konzepte, dass es zunächst ein Aktionsprogramm gegeben hat, was ausgewertet worden ist. Man hat an vielen einzelnen Standorten modellhaft etwas versucht. Und dann ist es jetzt umgemünzt worden und eingeflossen in ein umfassendes Aktionsprogramm, so dass wir an 60 Standorten, 60 Gemeinden in den neuen Ländern und eben auch in den alten Ländern darüber hinaus in 30 Gemeinden, ein Programm entwickelt haben - zusammen mit den Kommunen, zusammen mit den Ländern -, wo wir sagen, wir wollen präventiv tätig werden. Wir wollen werben für Vielfalt, für Toleranz. Wir haben vieles andere gemacht. Wir haben Aktivitäten gestartet, und diese laufen natürlich nach wie vor, mit Sportverbänden, mit dem DFB, mit dem Roten Kreuz, dem Technischen Hilfswerk. Ich glaube, dass dieses alles notwendig ist, dass es ein Bündel von Maßnahmen ist. Trotzdem wird dieses nicht so funktionieren, dass man einen Hebel umlegen und sagen kann, damit sind die Probleme gelöst.

Deutschlandradio Kultur: Es gibt immer wieder mal Politiker, die nach Vorfällen wie jetzt in Mügeln sagen, das war eigentlich nicht rechtsextrem, sondern eigentlich fremdenfeindlich. Wie schätzen Sie das ein? Ist das nicht zynisch oder zumindest verharmlosend?

"Konsequent an einem Strang ziehen"
Hermann Kues: Ich glaube, dass jeder seine Worte wählen muss. Ich halte jede Form der Verharmlosung für völlig unangemessen, weil ich in der Tat auch der festen Überzeugung bin, dass es auch Regionen gibt, in denen wir so etwas haben wie das Eindringen von rechtsextremem Gedankengut auch - ich sage das mal so - in unsere bürgerliche Gesellschaft. Und da müssen wir Obacht geben. Letztlich hat das aber etwas mit Wertvorstellungen zu tun und mit Einstellungen zu anderen Menschen, mit Menschen, die anders sind, die aus einem anderen Land kommen, die anders aussehen. Da darf man erstens nicht verharmlosen, man muss auch - ich sage das auch mal - ordnungs- und sicherheitspolitisch klare Kante zeigen. Wer so etwas macht, der muss zur Rechenschaft gezogen werden. Da ist die Polizei gefordert. Das kann man nicht mit pädagogischen Programmen machen. Also, alles in allem: Jedenfalls ich glaube, wir müssen dort alle konsequent an einem Strang ziehen, wenn wir dort dauerhaft Erfolg haben wollen.

Deutschlandradio Kultur: Nun hat Ihr Bundesfamilienministerium gerade dem Osten attestiert, dass dort die Zivilgesellschaft fehlt. Was ist da eigentlich schief gelaufen?

Hermann Kues: Das alte System des Sozialismus, Kommunismus in der DDR kannte im Prinzip den allmächtigen Staat und kannte natürlich auch den Einzelnen. Und das, was dazwischen eigentlich da sein musste, nämlich gesellschaftliche Strukturen, Verbände, Vereine, die nicht parteilich gebunden sind und schon gar nicht an eine Staatspartei gebunden sind, hat es in der Weise nur sehr begrenzt gegeben. Das muss teilweise aufgebaut werden. Es gibt nicht die Vereinsstrukturen wie in den alten Bundesländern. Dort gibt es die Defizite. Dort entsteht ein Vakuum. Und in ein solches Vakuum können natürlich auch rechtsextreme Gedanken eindringen.

Deutschlandradio Kultur: Diese Einschätzung - in Anführungszeichen "im Osten fehlt die Zivilgesellschaft" - ist ja das Fazit der Auswertung des Aktionsprogramms, das Sie vorhin schon genannt haben, das "Aktionsprogramm für Demokratie und Toleranz", das zwischen 2001 und 2006 durchgeführt wurde. Nun sagt Ministerin von der Leyen: Angesichts dieser Ergebnisse stehen die Chancen für die Bekämpfung des Rechtsextremismus in Ostdeutschland schlecht. Heißt das, wir können den Osten aufgeben?

Hermann Kues: Nein, das heißt das keineswegs. Ich sage auch ausdrücklich: Dieses Problem gibt es natürlich nicht nur im Osten. Wir haben jetzt leider wieder einen solchen Fall, der sich in einem neuen Bundesland abgespielt hat. Wir haben aber auch durchaus auffällige Verhaltensweisen an dem einen oder anderen Standort in den alten Bundesländern. Ich glaube, es gibt keine Alternative, beispielsweise in der Jugendarbeit, dazu, immer wieder neu anzufangen, immer wieder bei neuen, bei anderen Menschen zu beginnen, um auf diese Art und Weise langsam, aber sicher eine Bewegung hinzubekommen. Zivilgesellschaft oder Bürgergesellschaft, wo Bürger eben nicht nur Einwohner sind, sondern sich tatsächlich als Bürger verantwortlich fühlen, die können Sie nicht von oben verordnen, aber dazu müssen Sie verschiedene Dinge auf den Weg bringen. Ich habe ja ausdrücklich gesagt: Weit über dieses Programm hinaus, was wir entwickelt haben - 19 Millionen und 24 Millionen (Euro) - ist es wichtig, die Verbände und Vereine, die es auch in den neuen Ländern gibt, zu aktivieren, diese zu motivieren, sich gerade in dem Bereich auch zu engagieren. Wer aktiv in der Feuerwehr mitmacht, wer aktiv im Sportverein ist, wer aktiv beim Technischen Hilfswerk mitmacht, der ist eingebunden. Der kommt auch nicht auf solche Gedanken.

Deutschlandradio Kultur: Muss aber nicht in anderen Bereichen was passieren? Wenn wir wissen, dass die Arbeitslosigkeit besonders hoch, die Abwanderung besonders hoch ist. Professor Heitmeyer vom Institut für Konflikt- und Gewaltforschung fordert ja auch, dass sich gerade bei diesem zivilgesellschaftlichen Engagement die Politik und die lokalen Eliten mehr engagieren, mehr beteiligen müssen. Also, muss nicht in anderen Bereichen noch sehr viel mehr passieren?

Hermann Kues: Also wenn Sie das Thema Arbeitslosigkeit ansprechen, ist das sicherlich ein Riesenproblem. Aber es gibt auch einzelne Standorte in der alten Bundesrepublik, in der wir hohe Arbeitslosigkeit haben. Arbeitslosigkeit ist aber kein Grund, andere Menschen durch die Straßen zu jagen. Das will ich ausdrücklich sagen. Ich würde mich auch dagegen wehren, dass vor allen Dingen dort bei denen einzuordnen. Ich glaube, dass das eine Fehlanalyse wäre. Ich sage aber ausdrücklich: Natürlich muss noch wesentlich mehr passieren. Aber das muss passieren in Jugendarbeit. Das muss in Schulen passieren. Wir brauchen im Grunde genommen auch Engagement der Kirchen. Wir brauchen Engagement der Sportverbände. Das ist auf all diesen Feldern notwendig. Deswegen halte ich persönlich auch relativ wenig von einem Aktionismus nach dem Motto, jetzt hat es dort einen neuen Vorfall gegeben und jetzt beschließen wir mal eben dieses und jenes und dann ist das Problem gelöst. So wird es nicht gelingen. Wenn Sie sich etwa mit Fragen der Erziehung beschäftigen, das ist ein langfristiger Prozess. Das weiß jeder, der mit Kindern, mit Jugendlichen oder auch mit sich selbst zu tun hat.

Deutschlandradio Kultur: Inwieweit muss man die Eltern einbeziehen, und wenn ja, wie?

Hermann Kues: Das ist ja auch Teil unserer Konzepte, unserer Programme, die natürlich hochspezifisch sind, die präventiv sind, die aufklären, die informieren, die beraten, dass wir dort eben auch Erzieher einbeziehen, Lehrer einbeziehen und dass wir auch Eltern einbeziehen. Wenn die Elternhäuser, ich sage es mal so, nicht funktionieren, wenn es dort keine Gesprächsbasis, keine verständnisvolle Argumentation gibt, etwa gegenüber kultureller Vielfalt, dass Menschen einfach eben auch anders sind, dann wird natürlich das Ganze durch politische Aktivitäten auch nicht bewältigt werden können. Also, die Elternhäuser sind wichtig, die Verbände sind wichtig. Natürlich ist auch die Politik wichtig, dass sie klar Position bezieht, dass sie das tut, was sie tun kann. Die Bundesebene ist wichtig, die Bundesfamilienministerin ist wichtig, Jugendministerin, der Innenminister ist wichtig, aber auch die Landesebene und natürlich hat auch jede Kommune zu gucken, was sie eigentlich an Jugendarbeit in ihrer Gemeinde leistet, was sie an Hilfestellung gibt, dass überhaupt Jugendgruppen entstehen, in denen Menschen sich wieder finden und sich selbst auch finden können, Orientierung bekommen. Da ist jede Gemeinde, jeder Bürgermeister auch gefordert. Da bin ich mir auch nicht sicher, ob da die Akzente immer richtig gesetzt werden.

Deutschlandradio Kultur: Herr Kues, im Jahre 2006 haben die rechtsextremen Gewalttaten deutlich zugenommen, bundesweit immerhin plus 9,3 Prozent. In diesem Jahr gibt es schon 324 Verletzte Opfer rechter Gewalt bis zum Juni, also bis zur Hälfte des Jahres. Sie setzen im Familienministerium nun auf Vorbeugung. Was wollen Sie konkret tun? Wie bringt man Jugendliche von der Gewalt ab?

Hermann Kues: Also, wir haben ja einmal diese speziellen Programme, die eben konkret angesetzt sind auf Bekämpfung von Rechtsextremismus, Entwicklung von Vielfalt und Toleranz. Darüber hinaus fördern wir kontinuierlich beispielsweise politische Jugendbildung. Wir setzen dort immerhin im Jahr 2007 elf Millionen (Euro) ein für politische Jugendbildung, wo junge Menschen an demokratische Verhaltensweisen herangeführt werden. Wir betreiben kulturelle Jugendbildung, dass wir im musischen Bereich etwas tun, Wettbewerbe in Gang bringen und dadurch viele tausend Jugendliche einbeziehen. Denken Sie an die internationale Jugendbegegnung, wo wir Begegnungen haben mit Polen, mit Tschechen, wo wir Begegnungen haben mit Chinesen.

Deutschlandradio Kultur: Entschuldigen Sie, Herr Kues, dass ich Sie unterbreche. Aber kann man bei Begegnungen mit Polen wirklich Jugendliche, die gewaltbereit sind, so in den Griff bekommen, dass sie anschließend nach dieser Jugendbegegnung mit den Polen nicht mehr gewaltbereit sind?

Hermann Kues: Ich glaube, wenn Sie als Jugendlicher, auch wenn Sie als Erwachsener Menschen aus anderen Ländern kennengelernt haben, sind Sie weniger geneigt, darüber herzuziehen beziehungsweise sie irgendwie als minderwertig anzusehen. Das ist ja eine absurde Situation, eine absurde Einschätzung. Und das, glaube ich, das geschieht schon durch Jugendbegegnung. Das geschieht natürlich auch durch die Arbeit in den Jugendverbänden. Es gibt eben, das will ich ausdrücklich sagen, nicht diese einfache Lösung, wo man sagen kann, hier wird auf einen Knopf gedrückt und dann kommt das heraus. Das halte ich für nicht realistisch.

Deutschlandradio Kultur: Kommen wir noch einmal zurück auf das "Aktionsprogramm für Demokratie und Toleranz", das ja schon Ende letzten Jahres ausgelaufen ist. Damit wurden gezielt Projekte gefördert, die sich auch direkt um die Mittel bewerben konnten. Das ist seit 2007 anders. Die beiden jetzt laufenden Programme gehen über die Länder und Kommunen. Projekte und Vereine sehen sich dadurch in ihrer Arbeit behindert. Wieso haben Sie Länder und Kommunen dazwischen geschaltet?

Hermann Kues: Also, weil wir in den Jahren zuvor insgesamt an die 5000 Einzelprojekte gefördert haben, teilweise mit Ferndiagnosen, mit Bewertungen aus Berlin. Die Bundesrepublik ist groß. Dort war immer der Wunsch geäußert worden, dass auch das Ergebnis einer wissenschaftlichen Untersuchung dieser ersten Programmphase, in der gesagt worden ist, das Ganze macht nur Sinn, wenn ihr die lokale Ebene mit einbezieht, sonst wird punktuell irgendetwas unternommen, das dann verpufft, mit einbezogen wird. Wir haben das eine gemacht, dass wir gesagt haben, wir beziehen die Länder und Kommunen mit ein, weil wir wollen, dass diese Sachen dauerhaft angelegt werden. Wir wollen, dass die Länder und Kommunen - das tun sie ja auch, es werden erheblich mehr Geldmittel eingesetzt - sich dort finanziell mit engagieren. Dann haben wir allerdings speziell auch mobile Opferberatungsstellen, in jedem Bundesland eine, die auch völlig unabhängig vom jeweiligen Ort eingesetzt werden können, die übrigens jetzt auch in dem konkreten Fall tätig geworden sind. Das funktioniert also. Wir haben das Ganze gestrafft. Wir haben es effektiver gemacht. Ich glaube auch, nach einer gewissen Anlaufphase, dass wir sagen können, das funktioniert.

Wobei ich ausdrücklich sagen will: Es sind 60 Standorte in den neuen Bundesländern, es sind 30 in den alten Ländern. Das ist natürlich nie ein flächendeckendes Programm. Flächendeckend muss es Jugendarbeit geben. Flächendeckend muss es gute schulische Bildung geben. Flächendeckend muss es Verbände, muss es Sportvereine geben und, und, und.

Deutschlandradio Kultur: Sie sagen, Sie haben das Programm gestrafft. Aber entsteht nicht zu viel Bürokratie? Wenn wir zum Beispiel an den Fall Mügeln denken, der Landkreis Torgau-Oschatz hatte ja Geld beantragt und es nicht bekommen, weil zwischengeschaltete Stellen auf Landesebene dazu nein gesagt haben. Sind da nicht zu viele Entscheidungsträger auf dem Weg bis hin zur Ausgabe des Fördergeldes unterwegs?

Hermann Kues: Ja, aber es ist ja so: In unserem System, wenn Sie eben nicht alles zentral von Berlin aus entscheiden wollen, auch mit Fehlentscheidungen, dann ist es ganz normal, dass Sie nach bestimmten Kriterien Anträge bewerten, wo die Situation beschrieben wird. Dann halte ich es auch für eher normal, dass man dann die Länder einbezieht und sagt, gebt ihre eure Meinung dazu - meint ihr, dass etwas anderes passieren müsste - und dass man andere auch befragt entsprechend. In diesem Fall ist es so gewesen, dass das Land Sachsen eben gesagt hat, nein, nehmt lieber eine andere Region mit auf in das Förderprogramm. Das wird in jedem Land auch im Einzelnen diskutiert werden können. Wir haben sogar immer darauf hingewiesen, wenn etwas nicht ins Bundesprogramm kommt, ist es wünschenswert, wenn das Land dort Probleme sieht, dass das Land dort speziell aktiv wird. Ich sage aber auch: Auch ein lokaler Aktionsplan hätte nicht automatisch diesen Vorfall in Mügeln verhindert. Da muss man noch mal klären, was im Einzelnen die Ursachen dafür gewesen sind. Sie können ja nicht das ganze Land Sachsen oder auch alle anderen Bundesländer mit einem Netzwerk überziehen, das selbst bis hin zu solchen Dorffeiern nicht etwas passieren kann, was absolut abzulehnen ist, was bekämpft werden muss, wogegen Sie anarbeiten müssen. Das schaffen Sie auch nicht mit noch so vielen Aktionsplänen.

Deutschlandradio Kultur: Man könnte sich ja auch die Frage stellen, wie es eigentlich Projekte oder Vereine schaffen sollen, von Seiten der Kommune oder dann des Landes Unterstützung zu bekommen, wenn sich der Bürgermeister hinstellt und sagt: Rechtsextreme gibt es bei uns nicht?

Scharfe Kritik an Mügelner Bürgermeister
Hermann Kues: Ich glaube, dass, wie der Bürgermeister sich eingelassen hat, ziemlich unmöglich ist, dass das nicht akzeptabel ist. Das ist ja auch verschiedentlich gesagt worden. Das ist natürlich auch ein wenig Hilflosigkeit. Es wird kein Bürgermeister gerne zugeben, dass er Probleme hat in seiner Gemeinde. Vielleicht hat er sie bislang auch gar nicht wahrgenommen. Das sei mal alles offen gelassen. Aber das werden Sie immer finden, dass Bürgermeister zunächst einmal ihre Gemeinde verteidigen. Das ist aber hier nicht hinnehmbar und nicht akzeptabel. Dennoch glaube ich, wenn Sie dort mittelfristig Erfolg haben müssen, geht es nicht anders, als dass sie den Landkreisen und auch die Gemeinde entsprechend mit einbeziehen.

Deutschlandradio Kultur: Neun Millionen der aktuellen Fördermittel sind für die Aktionspläne von Landkreisen und Kommunen gedacht. Konkret: Wie wird das Geld jetzt wirklich verteilt? Wer bekommt das Geld wofür?

Hermann Kues: Es wird ein Aktionsplan auf die einzelne Region entwickelt, in dem festgelegt wird, mit welchen Gruppen man zusammenarbeitet, welche Zielgruppen man gezielt ansprechen will, wo es Jugendliche gibt, die man als gefährdet ansieht. Dort wird ein Konzept erarbeitet. Das Konzept muss vorgelegt werden. Das Konzept muss auch genehmigt werden. Und dann wird es vom Ministerium finanziert. Und es wird in der Regel mitfinanziert vom Land. Dann wird es auch nach einem Jahr ausgewertet, was man erreicht hat und was nicht. Dann kommt die nächste Phase, wo dann neue Mittel zur Verfügung gestellt werden. Konkret profitieren dann natürlich auch Jugendverbände davon, unabhängig von den anderen Maßnahmen, die es generell für Jugendverbände gibt.

Deutschlandradio Kultur: Neun Millionen also für diesen Teil der Förderung. Insgesamt stehen Ihnen aber 24 Millionen Euro zur Verfügung. Was passiert mit den anderen 15 Millionen?

Hermann Kues: Es gibt besondere modellhafte Vorhaben, auch auf Bundesebene, wo man neue Formen der Zusammenarbeit ausprobiert, wo man beispielsweise auch versucht herauszufinden, was die Ursache im Einzelnen für Fehlverhalten von Jugendlichen, aber auch von Erwachsenen ist, was man dagegen tun kann. Daran wird gearbeitet. Dort gibt es eine Fülle von Projekten im schulischen Bereich, im vorschulischen Bereich. Dort gibt es Modellversuche, die unterstützen und finanzieren wir mit, damit wir auch, was den Erkenntnisstand angeht, weiterkommen, dass beispielsweise auch die Ergebnisse, die man in anderen Ländern mit Extremismus gemacht hat, beispielsweise in Frankreich, ausgewertet und nutzbar gemacht werden für Deutschland.

Deutschlandradio Kultur: Herr Kues, es gibt die Forderung, die Zuständigkeit für den Kampf gegen Rechts ins Innenministerium zu verlagern. Das Familienministerium habe Fehler gemacht, heißt es. Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee sagt zum Beispiel, das Ministerium habe dem Thema offenbar nicht die nötige Bedeutung beigemessen. Stimmt das?

Bürgermeister Gotthard Deuse spricht mit Reportern vor dem Rathaus in der sächsischen Kleinstadt Mügeln.
Mügelns Bürgermeister Gotthard Deuse.© AP
Kritik Tiefensees "abwegig"
Hermann Kues: Das ist natürlich völlig abwegig. Ich habe den Eindruck, dass man sich im Kabinett völlig einig war, dass man sich nicht auseinanderdividieren lässt in dieser Frage, sondern dass man gemeinsam den Kampf bestehen will. Herr Tiefensee ist ja zuständig für den Aufbau Ost und hat auch selbst verschiedenste Möglichkeiten, Aktivitäten zu entwickeln. Vielleicht sollte er dort auch mal bei sich selbst nachsehen, was er dazu beitragen kann. Ich glaube jedenfalls, so wie ich es eben auch geschildert habe, dass das Programm des Familienministeriums ausgereift ist. Wir haben auch eine enge Zusammenarbeit mit dem Innenministerium. Gerade jetzt, am 17. Juli, haben Innen- und Familienminister noch einmal zusammen erklärt, was sie im Einzelnen gegen Rechtsextremismus tun. Also, dort jetzt zu sagen, es funktioniert nicht, das kann nur von Leuten kommen, die sich nicht im Einzelnen damit beschäftigen.

Deutschlandradio Kultur: Also muss die Zuständigkeit für Projekte gegen den Rechtsextremismus vom Familienministerium zum Innenministerium gar nicht umgelegt werden?

Hermann Kues: Ich glaube, das ist Aktionismus. Dort gibt es teilweise sehr vordergründige und parteipolitisch motivierte Überlegungen. Die halte ich alle nicht für zielführend. Und wer sich näher damit beschäftigt, der weiß auch genau, dass es hier um langfristig angelegte Maßnahmen geht und dass eine Ressortveränderung überhaupt nichts bewegen würde. Ich habe Ihnen ja auch deutlich gemacht, dass ich über diese konkreten Programme hinaus, etwa die gesamte politische, kulturelle Jugendbildung, die natürlich im Jugendministerium angesiedelt ist, die Unterstützung der Arbeit der Jugendverbände für mindestens so wichtig halte für den Kampf gegen Extremismus und für Demokratie.

Deutschlandradio Kultur: Was bedeuten denn solche Äußerungen für die Arbeit im Kabinett? Sie sagen, alle müssen eng zusammenarbeiten. Und das leuchtet ja auch ein. Das hilft doch dann eigentlich nicht weiter.

Hermann Kues: Nein, das hilft auch in der Tat nicht weiter. Ich habe auch den Eindruck, dass das Kabinett in seiner Gesamtheit so sieht. Und wer sich dort mit anderen Bewertungen nach außen geäußert hat, der muss das selbst verantworten.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben es schon angesprochen. Wir brauchen härtere Strafen, sagten Sie zu Beginn unseres Gespräches. Brandenburg und Sachsen-Anhalt fordern diese jetzt auch und wollen eine Bundesratsinitiative starten. Es geht um die Bewährungsstrafen, die die betroffenen Straftäter oftmals viel zu leicht nehmen, nicht ernst genug nehmen und oftmals als Freispruch werten würden. Ist der Umgang mit rechtsextremen Tätern zu lasch?

Hermann Kues: Ich habe, glaube ich, nicht gesagt, dass ich für härtere Strafen bin, weil ich finde, das muss man im Einzelnen diskutieren, wie das jetzt gehandhabt wird. Das kann ich so nicht beurteilen.

Deutschlandradio Kultur: Sie sprachen von der "harten Kante".

Hermann Kues: Ja, aber eine harte Kante heißt, dass man ganz klar sagt, was man tun dar, was man nicht tun darf, und dass so jeder weiß, er wird zur Verantwortung gezogen, wenn er sich auf diese Art und Weise verhält. Das wird man zu diskutieren haben. Ich glaube allerdings nicht, dass man zu strafrechtlichen Veränderungen allein aufgrund eines Vorfalls kommen kann. Das muss man analysieren. Das müssen die Fachleute, die Innenpolitiker, die Justizpolitiker im Einzelnen tun und auch überlegen. Ich glaube weniger von den formalen, rechtlichen Voraussetzungen her, sondern wie es im praktischen Vollzug tatsächlich aussieht. Das wird man zu erörtern haben, ja.

Deutschlandradio Kultur: In Brandenburg hat eine Untersuchung jetzt gerade ergeben, dass es eine extrem hohe Rückfallquote bei rechtsextremen Tätern gibt, die sich in der Bewährungszeit befinden. Da muss doch dann irgendwas falsch laufen.

Hermann Kues: Ich habe eben schon einmal gesagt, dass nach meiner Meinung dort etwas in der Persönlichkeitsbildung schief gelaufen ist, in der Entwicklung der Jugendlichen. Aber das gibt es ja auch bei Erwachsenen. Es gibt ja auch Erwachsene, die in ganz normalen bürgerlichen Berufen tätig sind, die trotzdem extremistische Verhaltensweisen an den Tag legen.

Deutschlandradio Kultur: Ich meinte jetzt mehr die Betreuung dieser Bewährungszeitler.

Hermann Kues: Das ist sicherlich so. Dann, wenn sie in der Bewährung waren und sie rückfällig werden, das gilt für andere Straftäter auch, hat es nicht funktioniert. Das ist ganz eindeutig so. Damit wird man sich zu beschäftigen haben, was der Grund dafür ist und welche Konsequenzen man daraus zieht. Ob es allein mit schärferen Strafen getan ist, da bin ich mir nicht so sicher. Manchmal ist es, glaube ich, auch sehr wichtig, dass sehr schnell entschieden wird, dass die Strafe auf dem Fuße folgt, auch, dass sie durchaus öffentlich propagiert wird, dass jeder auch klar merkt, was für Konsequenzen das hat, dass das eine große Hilfe sein kann.

Deutschlandradio Kultur: Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck hat erneut ein NPD-Verbot ins Spiel gebracht. Herr Kues, sollte aus Ihrer Sicht ein neuer Versuch unternommen werden in dieser Richtung?

" Bei extremistischen Parteiverboten eher vorsichtig"

Hermann Kues: Ich bin bei extremistischen Parteiverboten eher vorsichtig. Das Grundgesetz sieht ja dort einen Ermessensspielraum des Antragstellers, also der Bundesregierung, vor. Das ist auch gut so, weil ich glaube, dass man extremistisches Gedankengut auch politisch bekämpfen muss. Man muss sich damit auseinandersetzen. Deswegen halte ich auch nichts, das ist allerdings bei Herrn Beck natürlich jetzt nicht gegeben, von parteipolitischen Spielchen, dass man versucht Verantwortung irgendwo ursächlich hinzuschieben und genau eigentlich weiß, dass das nicht die eigentliche Ursache ist. Davon halte ich wenig. Ich glaube, Verbote helfen nicht, sondern wir müssen in der Tat werben für eine offene Gesellschaft, wir müssen für Bürgergesellschaft werben, Zivilgesellschaft, dass die Menschen sich verantwortlich fühlen. Und man muss sich auseinandersetzen mit extremistischen Gedanken und dort, wo Menschen sich extremistisch äußern, einlassen, muss auch derjenige, der beim Feuerwehramt tätig ist, der beim Sportverein tätig ist auf den Sportplätzen, auf den Fußballplätzen, da gibt es ja auch einige Diskussionen, klar sagen, was er davon hält und muss das bewerten. Das darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Davon halte ich mehr als von einer erneuten Verbotsdiskussion. Die letzte Initiative war ja im Ergebnis nicht sonderlich erfolgreich.

Deutschlandradio Kultur: Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse sieht inzwischen den guten Ruf Deutschlands gefährdet. Er fürchtet um die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes. Hat er Recht?

Hermann Kues: Mir fällt es ein bisschen schwer, allein auf diesen Aspekt jetzt zu gucken. Natürlich wirken sich solche Meldungen in der Welt aus. Ich glaube aber, wir sollten mindestens so viel über die Opfer reden wie über mögliche Gefährdungen der Stimmung und des Wirtschaftsstandortes. Ich frage mich tatsächlich: Wer spricht eigentlich mit den Indern gegenwärtig in Mügeln? Was passiert dort? Wie werden sie öffentlich wahrgenommen? Was empfinden sie tatsächlich? Das andere wäre mir zu vordergründig. Dass es solche Wirkungen gibt, ist allerdings unbestreitbar.
Blick auf das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe
Blick auf das Verfassungsgericht in Karlsruhe.© AP Archiv